Miasanrot-Awards: Neuzugang der Saison 2020/2021 – FC Bayern Frauen
Marina Hegering, Lea Schüller, Sarah Zadrazil, Hanna Glas, Viviane Asseyi, Klara Bühl – allein diese sechs Spielerinnen haben in ihrem ersten Jahr bei den Bayern Frauen derart überzeugt, dass es in der Kategorie „Neuzugang der Saison“ viele Argumente für sie gibt. Nun war Asseyi leider über einen Großteil der Saison verletzt und auch Schüller hatte Phasen, in denen sie nicht an ihre Bestform herankam. Bühl ist hoch talentiert, in ihrem Alter aber entsprechend wechselhaft in ihren Leistungen. Spätestens bei Hegering, Zadrazil und Glas wird es aber extrem eng. Und das zeigt auch unsere Abstimmung.
Für die Miasanrot-Awards der Frauen haben wir uns Expert:innen außerhalb unserer Redaktion hinzugeholt. Neben meiner eigenen flossen die Stimmen von Ex-Spielerin Verena Schweers, den Journalistinnen Ellen Hanisch und Jasmina Schweimler, dem Fotografen und Podcaster Sven sowie Bayern-Fan Sebastian Buch mit ein. Das Ergebnis: Eine Stimme für Zadrazil, zwei für Glas und drei für die Gewinnerin: Marina Hegering.
Maschina Hegering: Das zuvor fehlende Puzzleteil?
Oder wie Lina Magull sie immer wieder auf Instagram nennt: Maschina! Ihre Karriere ist beeindruckend. Schon seit rund 14 Jahren spielt Hegering in der Frauen Bundesliga, aber erst seit zwei Jahren ist sie Nationalspielerin und seit einem bezeichnet sie sich selbst als Profisportlerin. Sie ist damit das Paradebeispiel für ein generelles Problem im Frauenfußball. Nachdem Hegering ihr Abitur gemacht hat, fing sie neben ihrer Laufbahn als Fußballerin mit dem Studium an, um anschließend 40 Stunden die Woche regulär zu arbeiten. Abends ging sie zum Training der SGS Essen.
Ein Zustand, den viele Randsportarten in Deutschland und auf der Welt kennen. Aber auch einer, der mit der Kraft des Fußballs insgesamt vermeidbar und in der heutigen Zeit gar inakzeptabel ist. Erst mit dem Wechsel zum FC Bayern konnte Hegering sich im Alter von 30 Jahren voll auf den Sport fokussieren. Und ihre Weiterentwicklung ist spürbar.
Vor allem an Konstanz hat Hegering dazu gewonnen, was angesichts der vorherigen Lebenssituation fast schon folgerichtig ist. Die mittlerweile 31-Jährige hat den Kader des FC Bayern nicht nur verstärkt, sondern einen entscheidenden Einfluss genommen. Sie organisiert die Abwehrreihe mit und ist die wichtigste Spielerin in der Spieleröffnung.
Ein wohltuendes Mittel gegen Druck
Kaum eine Spielerin in Deutschland spielt so zuverlässig linienbrechende Pässe wie Hegering. Neben den technischen Qualitäten kann sie sich dabei vor allem auf ihr Raumgefühl verlassen. Hegering hilft der Mannschaft zuverlässig mit guten Positionierungen. Gegen Chelsea gab es beispielsweise ein paar Momente, in denen die Blues die Außenbahn des FC Bayern zustellten. Hegering machte mehrfach ein paar Schritte in Richtung Schnittstelle und rückte so kurz in den Sechserraum auf, um zu unterstützen und den Außenverteidigerinnen eine Anspieloption zu ermöglichen.
Ohnehin hat Hegering mit ihren kurzen Vertikalläufen (mit und ohne Ball) mehrfach dafür gesorgt, dass die Bayern variabler ihr Spiel aufbauen können. Sie ist für eine Innenverteidigerin eine hervorragende Dribblerin und verliert auch unter Druck nur selten den Ball. Gerade die Ruhe und Gelassenheit, wenn die Gegenspielerinnen ihr schon fast auf den Füßen stehen, machen sie besonders.
In einem Gespräch mit Joshua Kimmich sagte Bayern-Kapitänin Lina Magull neulich: „Was mir beispielsweise positiv bei den Männern auffällt, ist, dass es ihnen besser gelingt, auf dem Platz ihren Kopf auszuschalten und mit diesem enormen Druck umzugehen.“ Es ist tatsächlich auffällig, dass auch viele Top-Spielerinnen stärker von Einflüssen wie gegnerischem Pressing, ungewohnt vielen Zuschaer:innen oder einem unglücklichen Spielverlauf beeinflusst werden, als es vielleicht im Herrenbereich der Fall ist. Die Ursachen dafür sind offensichtlich: Die Erfahrungswerte sind ganz anders und das steigende Interesse am Frauenfußball führt auch dazu, dass sich die Spielerinnen erst an das gewöhnen müssen, was die Männer schon in ganz jungen Jahren kennen.
Bei Hegering hat man hingegen überhaupt nicht das Gefühl, dass sie der Druck stark beeinflusst. Sie wirkt mit all ihrer Erfahrung und Gelassenheit wie ein Ruhepol auf die ansonsten in vielen Bereichen jung aufgestellte Bayern-Mannschaft. Vielleicht ist sie auch genau deshalb das entscheidende Puzzleteil für den diesjährigen Erfolg.
Mit 31 angekommen in der Spitze des Frauenfußballs
Innerhalb des Teams ist sie bereits nach einem Jahr sehr anerkannt. Junge Spielerinnen könne zu ihr aufschauen und selbst erfahrene Teamkolleginnen werden auf und neben dem Platz durch ihre Präsenz noch stärker. Auch weil sie nicht nur mit dem Ball und mental große Qualität einbringt, sondern auch im klassischen Kernbereich einer Verteidigerin herausragt: dem Verteidigen.
Hegering steht meist richtig und selbst wenn sie mal hinterherlaufen muss, bringt sie die notwendige Geschwindigkeit mit, um einen Angriff noch zu stoppen. Beispielsweise als sie beim 2:1-Hinspielerfolg über Chelsea mit einer eingesprungenen Grätsche das Gegentor in letzter Sekunde verhindert. Sie ist robust, zweikampf- und kopfballstark. Das gilt auch für die Offensive. In 29 Partien gelangen ihr beeindruckende acht Treffer. Darunter wichtige Tore wie beim 1:0-Sieg in Freiburg oder zuletzt, als sie das 2:0 auf dem Weg zum 4:0-Erfolg in Leverkusen erzielt hat.
Mit 31 Jahren ist Hegering endgültig angekommen in der Spitze des Frauenfußballs. Nicht nur, was den Grad der eigenen Professionalisierung angeht, sondern vor allem auch sportlich. Ihre lockere Art auf dem Platz scheint sich auch neben dem Platz zu spiegeln. Damit ist sie ein absoluter Glücksgriff für den FC Bayern. Und sollten die Münchnerinnen am kommenden Wochen tatsächlich die Meisterschaft gewinnen, kann sich die sportliche Leitung rund um Bianca Rech nochmal auf die Schultern klopfen. Nicht nur, aber vor allem für den Transfer von Marina Hegering.