Miasanrot-Awards: Entwicklung der Saison 2019/20

Daniel Trenner 02.08.2020

Als vor über einem Jahr vom Münchener Interesse an Lucas Hernández bekannt wurde, nickten die meisten zustimmend. Schließlich bekomme man mit ihm nicht nur einen exzellenten Innenverteidiger, sondern deckt mit ihm gleichzeitig die seit dem Weggang von Juan Bernat(t) hinterlassene Kaderlücke des Linksverteidigerersatzes hinter David Alaba ab. Nur kam es ganz anders. Tatsächlich spielt bei Bayern nun weder wie angedacht David Alaba, noch sein Ersatz Hernández links hinten. Ein gänzlich anderer Spieler hat sich in den Fokus gespielt.

Alphonso Davies – Entwicklung der Saison 2019/20
(Render-Foto: Lars Baron/Bongarts/Getty Images); Hintergrund-Foto: GLYN KIRK/AFP/Getty Images)

Die Anfänge

Als Sportdirektor Hasan Salihamidžić während der Summer-Tour 2018 in den USA Alphonso Davies als Neuzugang präsentierte, wusste niemand so recht, was davon zu halten war. Seine durch Goalimpact hohe Bewertung als 16-Jähriger, wie die gesamte Grundstimmung, war zwar positiv, doch kam man partout nicht vom Gedanken ab, hier wolle sich ein damals noch blasser Sportdirektor durch puren Aktionismus profilieren. Wenige Monate später kam der junge Kanadier also nach München, im Gepäck eine mittlerweile bekannte Lebensgeschichte, die ihm wie nur wenig anderen jungen Spielern sofort die Sympathien und das Wohlwollen aller garantierte. Doch auf dem Platz zählen filmreife Origin-Storys nicht, nur waschechte Superheldenleistungen.

Davies machte seine ersten Schritte im Profi-Training und in der Regionalliga, wirklich aufmerksam machte er dabei jedoch nicht auf sich. Sicher, auch er war ein Faktor beim Aufstieg der Amateure, doch das millionenschwere Supertalent sah man nicht wirklich. Der Boulevard schrieb gar schnell davon, dass seine Trainingsleistungen reichlich ernüchternd gewesen sein sollen.

Tatsächlich ist im Nachhinein betrachtet Davies ein Paradebeispiel, dass man ein junges Talent nicht gleich abschließend bewerten kann. Wenn es in der 4. Liga nicht gleich brilliert, kann es eben sehr wohl damit zu tun haben, dass das Team nicht eingespielt war. Das gilt für Alphonso Davies wie im Übrigen auch für die Bewertung der UEFA-Youth-League-Teams. Vielleicht liegt es nicht an der Qualität der Talente, wenn Bayern an Dinamo Zagreb scheitert, sondern daran, dass der Kader komplett zusammengewürfelt war. Gerade im Beurteilen von Talenten und Jugendmannschaften ist noch mehr zu Vorsicht geraten.

Erste Schritte im Herbst

In einer durchwachsenen Sommerpause war Davies einer der Gewinner der Vorbereitung. Schon da erkannte man Niko Kovačs (und Hansi Flicks?) Idee den pfeilschnellen Flügelstürmer eins weiter nach hinten zu schieben. Als die Pflichtspiele begannen, schien seine Situation zunächst jedoch noch unverändert. Erst am neunten Spieltag spülten ihn die Verletzungen im Defensivbereich in die Startelf. Tatsächlich ist es Kovač hoch anzurechnen, wie er an Davies festhielt, obwohl sich die Schlinge um ihn zuzog. Im Jahr zuvor spielte noch eher Leon Goretzka links hinten, als ein Talent seine Chance erhielt. Nach drei Spielen musste der Trainer aber schlussendlich doch weichen und Davies war wohl der einzige Münchener, der wirklichen Grund hatte traurig zu sein.

Entgegen der Befürchtung der (noch) Interimstrainer würde ausschließlich auf Erfahrung setzen, ließ Flick Davies jedoch im Team. Seine Leistungen in den vier Spielen bis dorthin waren zwar grundsolide, doch vor dem großen Spitzenspiel gegen Dortmund galt Davies trotzdem ganz selbstverständlich noch landauf, landab als große Schwachstelle bei Bayern. Seine direkten Gegenspieler hatten mit Achraf Hakimi und Jadon Sancho nun eine völlig andere Qualitätsdimension. Es kam natürlich ganz anders, Davies stellte beide Spieler komplett in den Schatten, brachte Sancho sogar dazu noch in der ersten Halbzeit ausgewechselt zu werden. Er gewann drei Dribblings, neun von elf Zweikämpfen und brachte fast all seine Pässe an den Mann, damals schrieb ich:

Vielleicht erinnern sich die Bayern-Fans in einigen Jahre an genau dieses Spiel nicht wegen Hansi Flick oder einem Krisenende zurück, sondern weil es den Durchbruch Alphonso Davies’ darstellte.

Nun, mit Hansi Flick hatte ich nicht ganz recht, doch war das Spiel sicherlich Davies’ Hallo an Deutschland. Das Hallo an die Welt sollte noch folgen.

Phonzies Durchbruch: Gegen Dortmund nahm er Jadon Sancho komplett aus dem Spiel.
(Foto: Christof Stache/AFP via Getty Images)

Davies’ Spielstil: Mehr als nur der Roadrunner

Wo alle noch entzückt vom Durchbruch des jungen Kanadiers waren, gab es interessanterweise einen, der auf die Bremse drückte: Für Hansi Flicks Geschmack fokussierte sich der einstige Flügelstürmer zu sehr auf die Defensive, er solle doch ruhig mehr auf sein Stürmerblut hören. Rückblickend eine denkbar amüsante Kritik.

Davies’ augenscheinlichstes Merkmal ist natürlich seine Beschleunigung und Endgeschwindigkeit. Nach den anfänglich eher konservativen Spielen zeigte er das auch im Angriff, immer wieder überrannte er Gegenspieler wie eine Naturkraft. Gegen Freiburg und Chelsea etwa initiierte er von ganz alleine Tore, indem er noch aus der eigenen Hälfte kommend ein derartiges Tempo ansammeln konnte, dass ihn niemand mehr zu stoppen vermochte. Selbst wenn sich Gegner auf Davies’ Tempo einstellen, so kann man ihn nie ganz stoppen. Dabei ist er nicht nur einfach das berüchtigte One-Trick-Pony, oftmals überzeugt er auch einfach nur durch klassische Dribblingfinten und gutes, mutiges Positionsspiel. Nichtsdestotrotz darf man ruhig skeptisch sein, ob er eine derartige Waffe auch auf den offensiven Außen darstellen könnte. Er profitiert doch stark vom Beschleunigungsstreifen, den er weiter vorne schlicht nicht hätte.

Tatsächlich ist das stärkste Argument gegen eine Versetzung nach weiter vorne jedoch seine Fähigkeit zu Verteidigen. Denn er hat sich innerhalb kurzer Zeit echte Verteidigerqualitäten angeeignet. Wer glaubt, seine Defensivarbeit bestehe einfach nur durch das Ablaufen von Gegnern, verkennt Davies’ Fähigkeiten in dieser Disziplin. Davies ist nicht der erste pfeilschnelle Außenverteidiger und er wird auch nicht der letzte bleiben. Gerade der (frühere) Dortmunder Achraf Hakimi steht ihm in Sachen Tempo in kaum etwas nach, doch verfügt er nicht ansatzweise um eine ähnlich ausgeprägte Entscheidungsfindung in der Defensive. Weit mehr als Hakimi und andere schnelle Verteidiger kann Davies immer wieder offene Räume zulaufen, weil er sie eben im Gegensatz zum Rest seiner schnellen Zunft auch rechtzeitig erkennen vermag. Und hat er den Gegner gestellt, gewinnt Davies mit beeindruckender Kühlheit den Ball ohne vermeidbare Elfmeter oder unnötige Ecken zu provozieren. So beeindruckend Davies’ athletische Fähigkeiten auch sein mögen, sind bei allem Lob seine klassischen fußballerischen Fähigkeiten tatsächlich sogar noch unterschätzt. Davies ist weit mehr als ein bloßer Sprinter, weit mehr als bloß der Roadrunner.

Und doch hilft ihm genau diese Schnelligkeit ungemein. Denn auch er hat noch immens viel Raum sich zu verbessern. Gerne verteidigt er noch etwas luftig, muss dann oftmals jedoch nur kurz seine Muskeln anspannen und seine offen gelassenen Lücken sind wieder zu. Twitter ist mittlerweile voll von eigentlich brandgefährlichen Szenen, die Davies mit scheinbar müheloser Leichtathletik bereinigt. Und wenn es doch brenzlich wird, hilft ihm David Alaba aus. Als echter Kenner der Linksverteidigerposition weiß Alaba ganz genau worauf es ankommt und deckt oft Davies’ offengelassene Räume zu, ehe sie der Gegner überhaupt entdecken kann. Mehr noch, er ist wortwörtlich sein Lehrer auf dem Platz, bringt ihm bei, wo er sich noch zu verbessern hat. Eine ganz einzigartige Dynamik, denn selten steht der größte Lehrer eines Spielers gleichzeitig auch als absoluter Weltklassespieler in der Blüte seines Schaffens direkt neben ihm.

Am Ende war etwas die Luft raus

Der ganzen Mannschaft ging am Ende der Saison ein wenig die Puste aus und Davies war da ein wenig das Paradebeispiel dafür. Gegen Bremen flog er nach einem schwachen Spiel hochverdient vom Platz und selbst in Spielen mit wirklich starken Szenen, gab es eben auch richtig schwache Momente. Die Pause kann Davies nur gut tun.

Auch andere haben eine überragende Entwicklung dieses Jahr vollzogen, David Alaba, Thomas Müller und in vielerlei Hinsicht auch Jérôme Boateng haben es zurück in die Weltklasse geschafft, doch bei ihnen allen war es nur ein Comeback oder eine Neuerfindung. Bei keinem war es ein solcher Durchbruch mitsamt Neuerfindung wie bei Davies.

Gegen Chelsea hat Davies der Welt zwar schon eine satte Visitenkarte gesendet, doch noch ist der FC Bayern ja nicht am Ende der Saison angelangt. Egal wie namenhaft der Gegner auch sein wird: Auf der linken Seite wird definitiv die Entwicklung und Überraschung der Saison starten: Phonzie Davies!