„Mia san mia“ ist gescheitert
Gefühlt hat dieser Klub in seiner langen Geschichte alles erlebt. Vergleicht man die aktuelle Situation mit 2008 oder gar mit 1994, so relativiert sich alles ein bisschen.
Und doch fühlt sich alles so unnötig an. Gerade deshalb, weil die genannten Vergleichswerte einem schleichenden Prozess glichen, der vorherzusehen war.
2016 hätte jedoch kaum jemand damit gerechnet, dass dieser damals hochprofessionelle Klub innerhalb von nur zwei Jahren sein Gesicht verlieren würde.
Wo ist das Gesicht hin?
Ein Gesicht, das vor allem durch eine gute Mischung aus Stallgeruch (Rummenigge, Hopfner) und externen, kompetenten Mitarbeitern (Sammer, Reschke, Guardiola) geprägt wurde. Ein ruhiges, abgeklärtes und bodenständiges Image prägte diese Zeit. Quasi mit der Rückkehr von Uli Hoeneß änderte sich das aber zunehmend.
Das soll nicht bedeuten, dass Hoeneß für den jeweiligen Abgang Guardiolas, Sammers und Reschkes verantwortlich war. Aber er war für die jüngsten Neubesetzungen dieser Positionen hauptverantwortlich. Kovač und Salihamidžić hießen seine Kandidaten. Nicht Eberl, nicht Lahm, nicht Nagelsmann, nicht Tuchel …
Schon vorher scheiterte Rummenigge mit Ancelotti als Guardiola-Ersatz. Alle Trainer-Entscheidungen seit 2016 zeigen, dass der Klub aus seiner eigenen Ära wenig mitgenommen hat. Trainer wurden während dieser Ära wie auch davor und danach vor allem verpflichtet, weil sie irgendwelche Ergebnisse oder Stallgeruch nachweisen konnten – im Idealfall sogar beides.
Eine fehlende Linie
2009 entschied man sich für van Gaal, weil er ein unbequemer Typ ist, der etwas verändern kann. Vielleicht war das eine Ausnahme. Dass die Bosse Veränderung für notwendig hielten, zeigte schon die Entscheidung für Jürgen Klinsmann. Van Gaal kam wohl auch, weil er mit Alkmaar überraschend deutlich Meister wurde. Aber seine unbequeme Art war ebenfalls ein wichtiger Faktor.
Heynckes kam später als Freund und Guardiola war als bester Trainer der Welt ein Nobrainer. Man kann also sagen, dass diese Entscheidungen Zufall waren. Und doch waren sie klug und passten perfekt in die jeweilige Zeit. Sie haben etwas aufgebaut. Der Klub stand plötzlich auch fußballerisch für etwas.
Ancelotti und Kovač passen schlicht nicht in diese Linie. Während einer mit Mannschaften auf dem Zenit am besten arbeiten kann, weil er nicht für die große Weiterentwicklung von Spielern bekannt ist, ist der andere es vor allem gewohnt, eine Underdog-Rolle einzunehmen. Arbeiterfußball und die Position des Außenseiters machten Eintracht Frankfurt unter Kovač stark.
Schon 2017 war dieser Punkt erreicht
Anscheinend zählten hier aber vor allem Namen und jüngste Erfolge. Das strategische Auge ging diesen Entscheidungen völlig ab. Passt dieser Trainer zum Kader? Passt er zum Stil der letzten Jahre? Es schien, als würden Fragen wie diese keine Rolle spielen.
Schon letztes Jahr stand man mit Ancelotti am selben Punkt. In Paris präsentierte sich eine völlig desolate Mannschaft. Die Heynckes-Rettung ist aus heutiger Perspektive nicht nur positiv zu bewerten. Obwohl auch der Triple-Trainer große Probleme hatte, wurden aus den Erfolgen die völlig falschen Schlüsse gezogen.
Die Mannschaft schien es ja noch draufzuhaben. Statt sich also um einen Trainer für die Zukunft zu bemühen und nach jungen Spielern für Schlüsselpositionen und ebenjenen Trainer zu suchen, blieb man zurückhaltend und hoffte fälschlicherweise, dass Heynckes noch ein Jahr machen würde und auch sonst alles laufen würde.
Fehlender Mut
Nagelsmann und Tuchel wurden jeweils verpasst. Man mag von Tuchel als Menschen halten, was man will. Aber vielleicht wäre er der unbequeme van Gaal gewesen, der mit unpopulären Entscheidungen einen wichtigen Weg eingeleitet hätte. Es ist nicht garantiert, dass Nagelsmann und Tuchel erfolgreich gewesen wären. Vielleicht wären auch sie an der Kaderstruktur gescheitert. Sie hätten aber für einen progressiveren Weg gestanden und gleichzeitig in die Linie der Ära gepasst. Sie sind zudem taktisch auf einem viel höheren Niveau als Kovač und bekannt als Trainer, die mutige Entscheidungen treffen.
Denn auch das geht Kovač völlig ab. Er traut sich zu wenig. Veränderungen gibt es nicht. Weder aus der eigenen Jugend heraus, noch taktisch auf dem Platz. Selbst gegen Abstiegskandidaten wie Fortuna Düsseldorf sendet er eher das Signal, ein 3:2 über die Zeit zu bringen, als Selbstbewusstsein auszustrahlen. Es ist ein ähnliches Problem, das auch unter Ancelotti herrschte. Anpassungen und Veränderungen fehlen komplett. Dabei wären ihm Fehler einfacher zu verzeihen, wenn er sich etwas trauen würde.
Nun darf berechtigterweise der Kader als Argument angeführt werden – wenn es um die Spiele auf hohem Niveau geht. Dass die Mannschaft gegen Augsburg, Freiburg und Düsseldorf jeweils nicht in der Lage ist, drei Punkte in einem Heimspiel mitzunehmen, kann unmöglich auf einen alten Kader geschoben werden.
Hoeneß trägt mehr Verantwortung als Kovač
In der letzten Saison wurden diese Spieler noch mit großem Vorsprung Meister und ein paar Monate später können sie kein Fußball mehr spielen?
Arjen Robben brachte es im Gespräch mit uns auf den Punkt. Es fehlt überall ein bisschen und deshalb läuft es nicht. Dass es im Passspiel, der Ballzirkulation, dem Positionsspiel und im Gegenpressing nicht passt, ist dann eben zwangsweise auf das Trainerteam zurückzuführen.
Und doch ist Kovač nicht alleine verantwortlich. Er kann nichts dafür, dass Hoeneß ihn von Anfang an in das Licht einer C-Lösung rückte, nachdem Heynckes absagte und andere Trainer nicht mehr verfügbar waren. Er kann auch nichts dafür, dass die Bosse bei der Entscheidung nicht bedacht haben, dass ein mit der Spielweise unvertrauter Trainer möglicherweise schon genug damit zu tun haben wird, ein System zu etablieren, das funktioniert. Dass er nicht noch in der Lage sein wird, mit alternden Schlüsselspielern umzugehen.
Auch Salihamidžić war nicht die A-Lösung
Kovač war bei Frankfurt zwar relativ erfolgreich. Doch es gab schon damals keinerlei Anzeichen dafür, dass er einen Dauerfavoriten trainieren könnte. Die SGE hatte unter ihm immer dann Probleme, wenn sie im Mittelfeld Kontrolle brauchte.
Trotzdem entschieden sich die Bosse für das Mia san mia. Bei Salihamidžić ist das ähnlich. Er kam, nachdem Lahm, Kahn und Eberl als Optionen ausschieden oder abgelehnt wurden. Auch er war somit schon vor Beginn seiner Amtszeit eine B- oder C-Lösung.
Schien er anfangs noch sehr akribisch und motiviert zu sein, so ist dieser Eindruck mittlerweile auch gänzlich verflogen. Salihamidžić spielt gerade jetzt, wo der FC Bayern einen wie Sammer am ehesten gebrauchen könnte, überhaupt keine Rolle mehr. Er versteckt sich hinter den großen Bossen, wirkt in seinen wenigen Interviews unsicherer denn je und hat im Sommer ebenso fehlerhaft agiert wie seine Vorgesetzten.
Das Warten auf Einsicht
Während Kovač bereits gescheitert ist, wird Salihamidžić wohl noch ein paar Tage länger beim FC Bayern verweilen. Doch bereits jetzt ist absehbar, dass auch diese Hoeneß-Personalie nicht zukunftssicher ist.
Hoeneß wollte das Mia san mia wieder stärker verankern. Er ist damit gescheitert. Die Kompetenz auf den beiden wichtigsten Positionen rund um die Mannschaft hat abgebaut und auch ein Kaderplaner, der Trainer und Sportdirektor gutes Werkzeug an die Hand gibt, fehlt offenbar.
Spätestens mit der Niederlage in Paris war das 2017 klar. Gelernt hat der Klub daraus nicht. Er hat es unter den Tisch gekehrt und bezahlt nun die hohe Rechnung. Denn nun befindet man sich zum zweiten Mal in einer Position, in der nur noch eine Saisonrettung möglich ist. Und in Sachen Umbruch ist man erneut keinen Schritt weiter.
Hoeneß wird all das sehr wahrscheinlich unbeschadet überstehen. Weil er Uli Hoeneß ist. Aber er sollte nun wenigstens Größe zeigen, zu seinen Fehlern stehen und sie schnellstmöglich korrigieren. Denn was Rummenigge und Hoeneß einst auszeichnete, ist die Fähigkeit, auf Fehlentwicklungen noch rechtzeitig Einfluss zu nehmen. Selten war das wichtiger als jetzt.