Leroy Sané: Ein Grenzfall zwischen Vernunft und Wahnsinn

Justin Trenner 19.04.2024

Es sind Worte, die die Stimmung nach dem 1:0-Sieg des FC Bayern München in der Champions League gegen den FC Arsenal etwas trüben. „Es war absolut grenzwertig“, erklärte Christoph Freund bei Sky Austria die Situation von Leroy Sané: „Er hat jetzt nie trainieren können. Die medizinische Abteilung hat da wirklich alles unternommen. Der Leroy hat wirklich die Zähne zusammengebissen und eine super Leistung gebracht.“

Seit Wochen trainiere der Angreifer nicht mehr, bei solchen Spielen sei er aber „irgendwie wieder da“. Die Personalsituation setzt den FC Bayern unter Druck. Kingsley Coman und Serge Gnabry fallen abermals länger aus, Bryan Zaragoza ist noch nicht bereit für große Spiele und Mathys Tel hat ebenfalls noch nicht das allergrößte Vertrauen von Trainer Thomas Tuchel.

KEINEN ARTIKEL MEHR VERPASSEN – JETZT UNSEREN WHATSAPP-KANAL ABONNIEREN!

Den Münchnern gehen die Dribbler aus. Sané leidet seit langer Zeit unter einer Schambeinentzündung. Es ist das Dilemma des Leistungssports: Ständig nicht nur am Limit der Belastbarkeit, sondern eigentlich schon darüber. Regenerationszeiten reichen bei weitem nicht aus, um das auszugleichen. Im Profifußball gibt es schon länger Debatten über den immer volleren Spielplan.

Leroy Sané: Das Dilemma des Leistungssports

Spieler setzen sich selbst unter Druck, weil jedes verpasste Saisonspiel mit einem Verlust des Stammplatzes einhergehen kann. Sie werden aber auch unter Druck gesetzt, weil Erwartungen mit ihnen verbunden sind. Insbesondere bei Top-Clubs, die Ergebnisse und Titel liefern müssen. Unter Schmerzen zu spielen ist keine Seltenheit für Profis, für viele ist es sogar die Regel.

Hier die Grenze zu finden zwischen „Zähne zusammenbeißen“ und „langfristig gesundheitsgefährdend“, ist schwierig, teilweise gar unmöglich. Jeder Fall ist individuell und lässt sich von außen nur schwer bewerten. Das klassische „Zähne zusammenbeißen“ ist etwas, das zum Leistungssport dazugehört. Leidensfähigkeit als Art Prämisse.

Gleichzeitig ist der Umgang damit spätestens da problematisch, wo es von der Leidensfähigkeit in den gesundheitsgefährdenden Bereich geht. Auch hier ist die Motivation der Spieler, die oft nur ein gewisses Zeitfenster haben, in denen sie in der Lage sind Bestleistungen zu erbringen, nachvollziehbar. Dennoch werden die möglichen Folgen viel zu selten thematisiert oder gar problematisiert.

Oftmals wird auch innerhalb von Clubs viel zu spät erkannt, dass eine Belastungsgrenze längst überschritten ist und es zu schweren Verletzungen mit langen Ausfallzeiten oder gar Spätfolgen kommen kann. Über das berühmte „Verletzungspech“ muss man sich vor diesem Hintergrund nicht wundern.

FC Bayern hat eine Verantwortung im Fall Sané

Wenn ein Spieler nicht mal in der Lage ist, vernünftig zu trainieren, ist es für den FC Bayern schwer darstellbar, dass bei Sané die Grenze zur Gesundheitsgefährdung nicht längst überschritten ist. Die medizinische Abteilung, das Trainerteam und der Club als Ganzes haben eine Grundverantwortung, ihre Spieler zu schützen. Auch dann, wenn die Motivation und der Ehrgeiz zu einer Bereitschaft führen, die eigene Gesundheit zu riskieren.

Abläufe, die man aus dem Leistungssport nicht mehr herausbekommen wird. Was sich allerdings ändern kann, ist die Reaktion der Öffentlichkeit auf solche Fälle. Es geht durchaus beides: Sané einerseits dafür respektieren, dass er bereit ist, seine Gesundheit dem Teamerfolg unterzuordnen, gleichzeitig aber den Umgang aller Beteiligten damit zu problematisieren und festzustellen, dass der Leistungssport in dem Fall seiner Vorbildfunktion nicht gerecht wird.

Die Heroisierung von Spielern, die verletzt weit über ihre Grenzen gehen, sollte aufhören. Sie ist ein Symbol einer über Jahrhunderte hinweg männlich geprägten Gesellschaft, die Verhaltensweisen adaptiert hat, die problematisch sind. In vielen Fällen werden die Clubs ihrer Verantwortung nicht gerecht, die Spieler zu schützen – notfalls eben auch vor sich selbst. Im Fall Sané spricht vieles dafür, dass das ein weiteres Beispiel ist, auch wenn sich das abschließend nicht klären lässt.

In jedem Fall ist es ein Tanz auf der Rasierklinge, den Regenerationsprozess bei jedem Champions-League-Spiel zu unterbrechen.

Leseempfehlung: Pillenkick – Schmerzmittelmissbrauch im Fußball



Hier weiterlesen

♥ Artikel teilen

Jetzt teilen!

Jetzt teilen!