Kommentar: Beförderung von Hasan Salihamidžić mehr Chance als Risiko

Justin Trenner 12.11.2019

Neulich schrieb ich in einem Artikel für den Focus, dass ich Hasan Salihamidžić nicht für einen Strategen halte: „Er ist niemand, der den Klub strategisch in die Zukunft lenken kann.“ In diesem Kommentar möchte ich diese These nochmals aufgreifen und kritisch diskutieren. Eigentlich ist sie derart konkret und zielsicher formuliert, dass sie keine Diskussionen zulässt. Doch genau das ist der Punkt: Es gibt bei allen Argumenten, die für sie sprechen, auch genügend, die gegen sie sprechen. Und die habe ich in ihrer Formulierung ignoriert. Deshalb habe ich mich erneut damit auseinandergesetzt:

Seit 2017 ist Hasan Salihamidžić nun der Sportdirektor des FC Bayern. Der Start war damals bereits denkbar unglücklich. Es war nicht sein Fehler, doch nachdem Personalien wie Max Eberl und Oliver Kahn diskutiert wurden und selbst der ebenso wenig erfahrene Philipp Lahm bei den meisten Bayern-Fans beliebter zu sein schien, wirkte Salihamidžić wie ein Notnagel.

Ein ähnlicher Prozess wie später bei Niko Kovač war zu beobachten: Die beiden Bosse schienen sich nicht einig zu werden und letztendlich gingen die Alternativen aus. Ob das tatsächlich so war, wird nicht endgültig zu klären sein. Den Stempel wurde der Bosnier in der Öffentlichkeit aber bis heute nicht so richtig los. Zwei Jahre später wird er dennoch befördert. Was hat er dafür getan?

Fleiß, Ehrgeiz, Lernfähigkeit

Wie bereits in meinem eingangs zitierten Artikel beschrieben, ist Salihamidžić ein harter Arbeiter. Jemand, der von morgens bis abends an der Säbener Straße um Fortschritt und Erträge in allen Bereichen bemüht ist. Das hat mittlerweile sogar bei vielen Journalisten und Journalistinnen Eindruck hinterlassen. So lobt auch Martin Volkmar bei Spox sehr viele Aspekte und zitiert einen Insider, der den Aufstieg des Sportdirektors als folgerichtig bezeichnet.

Viele Quellen aus dem direkten Umfeld des Klubs weisen immer wieder auf seinen Fleiß hin. Bei verschiedenen Beratern aus dem Jugendbereich genießt Salihamidžić einen guten Ruf und auch die Leute, die täglich mit ihm zu tun haben, erzählen fast nur Gutes von ihm. Denn neben der Akribie, mit der er seine Aufgaben erledigt, ist er auch ein guter Typ.

Hasan Salihamidžić – der „good guy“ der Säbener Straße. Das klingt wie ein Klischee, das vom Klub selbst in Umlauf gebracht wird, um seine Position zu stärken. Es entspricht aber der Wahrheit. Nicht nur Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge berichten das regelmäßig, sondern auch Leute aus dem Umfeld, die von den Interessen des Klubs völlig unabhängig sind.

Indizien, die für ihn sprechen

Hinzu kommt eine nachweisbare Lernfähigkeit. Die Fehler, die Salihamidžić machte, sind oft genug genannt worden. Sehr bekannte Beispiele sind die Verbissenheit in den Transferverhandlungen mit Callum Hudson-Odoi, die fast schon penetranten Verhandlungen mit Miroslav Klose im Sommer sowie die langgezogene Geschichte mit Leroy Sané, bei der der Sportdirektor nicht immer ein souveränes Bild abgab.

Doch in den letzten Wochen und Monaten schien der 42-Jährige Fortschritte zu machen. Dass er sich dabei rhetorisch nicht so äußern kann wie beispielsweise Matthias Sammer, ist ihm kaum zum Vorwurf zu machen. Vielmehr scheinen sich aber die Inhalte zu verbessern.

Gerade in der Debatte um den Trainerwechsel bewies er ein Gespür dafür, wofür der FC Bayern sportlich stehen möchte. Man wolle wieder dominanter aus dem Ballbesitz heraus auftreten, sagte er beispielsweise während der Krise zuletzt. Das sind keine großen Worte, aber schaut man sich alle Interviews der letzten Wochen genau an, summiert sich ein Bild, das die Eingangsthese zumindest in Frage stellt. Mit der Ausnahme des ironischen Interviews in Bochum schien Salihamidžić dennoch selbstbewusster und souveräner zu werden, wenngleich seine Darstellung nach außen weiterhin nicht den Ansprüchen des Klubs genügt.

Kluge Entscheidungen im Kollektiv

Umso besser muss die interne Arbeit sein. Aus dem Verein ist immer wieder zu hören, dass Salihamidžić nach der Ancelotti-Entlassung 2017 ein großer Befürworter von Thomas Tuchel war. Damit stand er nicht auf der Seite seines vermeintlichen Lehrmeisters Uli Hoeneß, sondern auf der von Karl-Heinz Rummenigge, dem häufiger mehr Kalkül und Strategie in solchen Fragen unterstellt wird. Zwei Schlussfolgerungen lassen sich daraus ableiten: Erstens ist Salihamidžić nicht nur der „Ja-Sager“ von Hoeneß und zweitens hat er mit Tuchel zumindest jemanden auf dem Zettel gehabt, der sportlich zu seinen fußballerischen Vorstellungen passt. Auch bei Erik ten Hag soll Salihamidžić zu den Befürwortern zählen.

Dass der Sportdirektor mindestens einen ungefähren Plan für die Zukunft hat, lässt sich teilweise auch an den Transfers ablesen. Einen richtigen Flop gab es unter ihm noch nicht. Und auch wenn ihm im Sommer unterstellt wurde, nach Sané keinen wirklichen Plan B zu haben, so sind die Leihen von Philippe Coutinho und Ivan Perišić durchaus smart. Denn damit behält man sich alle Optionen für die kommenden Transferperioden offen. Sané, Havertz, Nübel – drei Namen, die stets mit dem FC Bayern in Verbindung gebracht werden und die somit auch Salihamidžić anzurechnen sind. Das ist in etwa die Kategorie, die es beim Rekordmeister braucht.

Nun ist aber zu hinterfragen, wie groß sein Anteil an all diesen Prozessen wirklich war. Unter Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge zu arbeiten, ist nicht ganz so einfach. Seinen eigenen Stempel aufzudrücken, ist umso schwerer. Vielleicht sollte die Debatte also nicht in die Richtung gehen, ob Salihamidžić nicht durchsetzungsfähig genug ist, sondern eher in die, ob die Bosse ihn zu wenig gelassen haben, um das zu zeigen.

Der langsame und lehrreiche Aufstieg

Vielleicht war aber auch alles genau richtig. Salihamidžić konnte nun zwei Jahre lang immer mehr Verantwortung übernehmen und Fehler machen, die mal mehr, mal weniger schwerwiegend waren, ihn letztendlich aber weiterbrachten. Mit seiner Beförderung zum Sportvorstand erhält er nun, wo ihm intern ein großer Fortschritt unterstellt wird, mehr Verantwortung.

Mit dieser Verantwortung wird die Erwartung einhergehen, dass er sich jetzt emanzipieren und sein eigenes Profil schärfen kann. Hoeneß tritt formal mehr in den Hintergrund und Salihamidžić deutlich mehr in den Vordergrund. Das wäre eine Laufbahn aus dem Lehrbuch. Allerdings beinhaltet diese Erwartung auch den gemeinsamen Konsens, dass die Fehler nun stark abbauen müssen.

Die Anerkennung, die der Bosnier durch seine Beförderung erhält, fußt zwar nicht – wie mehrfach so geschrieben – allein auf dem letzten Willen von Uli Hoeneß. Sie ist das Resultat einer internen Zufriedenheit. Und doch bleibt die Diskrepanz zur öffentlichen Wahrnehmung enorm.

Wo bleibt die Transparenz?

Das liegt vor allem daran, dass der Klub an dieser Stelle zu wenig Transparenz zeigt. Von guter Arbeit in verschiedenen Bereichen ist die Rede, doch zu selten wird klar benannt, was Salihamidžić explizit vorangetrieben hat. Die Transfers sind die offensichtliche Seite. Man könnte hier aber auch argumentieren, dass zwei seiner großen Transfers eine Ausstiegsklausel hatten (Pavard, Hernández) und mit Sané und Kai Havertz zwar zwei große Namen auf der To-Do-Liste stehen, aber noch nicht geholt wurden. Mit Alexander Nübel scheint hingegen schon so gut wie alles klar zu sein. Vieles, was ihm zu Gute gehalten werden kann, hängt trotzdem noch etwas in der Schwebe. Eine klare Bewertung scheint hier erst im kommenden Sommer möglich zu sein.

Die mehr oder weniger spontanen Übergangslösungen waren gut, doch wie groß war hier der Anteil von Salihamidžić? Gerade die teuren Transfers sind in München ohnehin immer eine Arbeit von vielen und nie die des Einzelnen. Viele Medien berichteten dennoch, dass der Sportdirektor selten die wichtigste Rolle spielte. So sei er gerade bei den Sané-Verhandlungen gegen Ende zunehmend außen vor gewesen. Die ständigen öffentlichen Spielchen schadeten dem Klub. Salihamidžić hatte hier eine Mitverantwortung.

Ähnlich ist es in anderen Bereichen. Was hat Salihamidžić beispielsweise im Jugendbereich vorangetrieben? Dort ist der eine oder andere Trainer angestellt, der eher nicht der Philosophie entspricht, die man in den vergangenen Wochen auch über Oliver Kahn wieder stärker und präziser formulierte.

Weitere externe Kompetenz?

Das noch offensichtlichere Manko ist, dass zwar viele Spieler unter Salihamidžić einen Profivertrag bekamen, jedoch kaum Einsätze bei der ersten Mannschaft sammelten. Dieses Problem muss selbstverständlich komplexer betrachtet werden. Immerhin kommen hier die Frage nach dem wirklichen Talent und die Vorstellungen des Trainers hinzu. Als Verantwortlicher für beide Bereiche muss er sich dieser Kritik aber stellen.

Vielleicht muss Salihamidžić auch für zu viele Bereiche die Hauptverantwortung übernehmen. Mit seinem Aufstieg in den Vorstand wäre die Möglichkeit da, ihm Kompetenz von außen an die Seite zu stellen. Matthias Sammer profitierte damals zum Beispiel von Michael Reschke als Kaderplaner. Die Aufgaben der beiden übernimmt Salihamidžić aktuell alleine. Mit einem Zuarbeiter könnte er sich mehr spezialisieren.

Kahn wird ohne Frage durch seine über die Jahre gewachsene Distanz eine gewisse externe Perspektive in den Klub bringen. Die Überlegung, den sportlichen Bereich durch eine Doppelspitze abzudecken, könnte aber komplett davon losgelöst reizvoll sein. Salihamidžić äußerte zwar, dass er nicht unter einem anderen Sportvorstand arbeiten würde. Er schloss aber noch nicht aus, dass unter ihm ein Sportdirektor arbeiten könnte.

Die Beförderung als große Chance für alle

Ohne die nötige Transparenz wird der FC Bayern sich trotzdem kaum darüber beschweren können, dass die Arbeit von Salihamidžić aus ihrer Perspektive falsch bewertet wird. Es mag sein, dass er intern deutlich mehr in die Wege geleitet hat, als vielen bewusst ist. Doch zu wenig davon ist eindeutig sichtbar.

Die These, dass Salihamidžić den Klub strategisch nicht in die Zukunft lenken könne, unterschlägt trotzdem einerseits die Fortschritte, die der Sportdirektor ohne Frage gemacht hat. Außerdem ignoriert sie den natürlichen Entwicklungsprozess eines unerfahrenen Sportdirektors. Und den eines jeden Menschen. Schließlich schreibe auch ich diesen Kommentar, weil ich aus meiner Sicht einen Fehler gemacht habe. Die Frage ist jedoch immer, wie man mit diesen Fehlern umgehen und wie groß das Potenzial der Lernfähigkeit letztendlich ist.

Und damit zurück zu Salihamidžićs Prozess beim FCB: Im Schatten der Bosse wurde er zunächst eingearbeitet. Anschließend durfte er zunehmend mehr an Kaderplanung und Öffentlichkeitsarbeit mitwirken und bekam dementsprechend eine wichtigere Rolle zugesprochen. Dennoch blieb er stets durch die Macht der beiden Bosse beschränkt. Er konnte seine Ideen einbringen, mit ihnen diskutieren, zwischen ihnen vermitteln – das letzte Wort blieb jedoch immer bei ihnen. Meist sogar bei Hoeneß, obwohl sich Salihamidžić und Rummenigge einig waren. Doch jetzt kommt der nächste Schritt für den baldigen Sportvorstand: Uli Hoeneß wird mindestens einen Schritt zurück machen.

Egal wie klein oder groß der sein mag: Jetzt ist die Zeit gekommen, in der sich Salihamidžić beweisen kann und muss. Viele Zweifel an ihm bleiben vorerst bestehen. Doch er hat mit der steigenden Verantwortung die Chance, sie wegzuwischen und als Sportvorstand endlich eigene Spuren zu hinterlassen. Für den Klub stellt diese Beförderung überhaupt kein Risiko dar. Eher noch ist sie die große Chance, dass Salihamidžić seinen Plan, für den er intern stets gelobt wird, auch endlich entfalten und der Öffentlichkeit sichtbar machen kann. Vielleicht brauchte es dafür einfach die Schwächung eines der beiden Alphatiere. In jedem Fall wird er nun aber zeigen können, ob seine Entwicklung ausreicht, um den Ansprüchen seiner Position zu genügen.

Meine These nehme ich an dieser Stelle jedenfalls zurück und formuliere sie um: Ich bin mir nicht sicher, ob Salihamidžić derjenige ist, der den Klub strategisch in die Zukunft lenken kann. Doch ich glaube, dass er mit Rummenigge, Kahn und vielleicht einer weiteren Unterstützung von außen ein sehr gutes Team bilden kann, das in den Entscheidungsprozessen ein besseres Bild abgibt als noch mit Uli Hoeneß als mächtigstem Mann.