K(l)ick safe: Cybermobbing und Fußball

Katrin Trenner 09.02.2021

Jessy wurde das Bayernfan-Gen in die Wiege gelegt. Die 22-Jährige, die ursprünglich aus Polen kommt und heute in Deutschland lebt, verfolgt die Spiele des FC Bayern seit ihrer Kindheit, oft gemeinsam mit ihrem Vater. Je älter sie wurde, desto mehr wuchs das Interesse an dem Verein – heute verpasst sie kein Spiel ihrer Lieblingsmannschaft.

Seit etwa zehn Jahren ist Jessy auch in den sozialen Medien aktiv. Gerade ihr Twitter-Account dreht sich hauptsächlich um Fußball.

„In meinem Freundeskreis habe ich nicht viele Fußballfans, und wenn, dann sind es Fans des HSV, da tut es ganz gut, auf diesem Weg viele andere Bayernfans kennenzulernen“, erklärt sie und fügt hinzu, dass sie sich auch gerne mit Anhängern von anderen Vereinen austauscht.

„Ob Gladbacher, Dortmunder, Schalker oder Leipziger, meine Timeline ist mittlerweile ziemlich bunt“, sagt Jessy. „Man erfährt so Dinge aus anderen Vereinen, die man ansonsten vielleicht nirgends lesen würde und kommt ein bisschen aus dieser ‚Bayern-Blase‘ raus.“

Wie Jessy ist auch Sophia von Kindesbeinen an mit Leib und Seele ein Fan des FC Bayern – und nutzt die Plattform Twitter, um mit Gleichgesinnten über Fußball und die Bayern zu diskutieren.

„Es ist sehr einfach, mit anderen ins Gespräch zu kommen“, sagt Sophia. „Vor allem gibt es in jedem Bereich Spezialist*innen. Manche kennen sich sehr gut mit Transfergerüchten aus, andere haben ein sehr gutes Taktikverständnis oder beleuchten die wirtschaftliche Perspektive des Fußballs.“

Sophia hat auch einen privaten Account auf Twitter, den sie aber nicht für Fußballdiskussionen verwenden möchte.

„Ich habe mich bewusst dazu entschieden, die Bereiche voneinander zu trennen“, erklärt die 19-Jährige. „Im Nachhinein war es wohl eine Vorahnung.“

Mädchen und junge Frauen häufiger von Cybermobbing betroffen

Denn trotz der vielen guten Seiten, die Sophia und Jessy der Plattform Twitter abgewinnen können, waren beide bereits Opfer von Cybermobbing – und fallen damit genau in die Gruppe, die laut Expert*innen im Internet besonders gefährdet sind, nämlich Mädchen und junge Frauen.

„Mädchen sind laut vieler Studien etwas häufiger von Cybermobbing betroffen als Jungs“, bestätigt Birgit Kimmel, kooperative Leiterin der EU-Initiative klicksafe, dem nationalen Awareness Centre für Deutschland, welches eingebettet ist in die Strategie der Europäischen Kommission „Better Internet for Kids.“

„Bisher war die Erklärung dafür, dass Frauen und Mädchen häufiger und ausgeprägter die sozialen Medien nutzen als Männer und Jungs“, so die Diplom-Pädagogin. „Das hat auch mit ihrem Interesse an Kommunikation zu tun. Frauen und Mädchen werden auch häufig hinsichtlich ihres Aussehens beleidigt. Diese Beleidigungen sind oft auch sexuell konnotiert.“

Fügt man noch die Komponente Fußball hinzu, sind Mädchen und Frauen, die öffentlich in sozialen Medien ihre Meinung äußern, besonders verletzlich, denn trotz vieler positiver Veränderungen in den vergangenen Jahren gilt der Fußball weiterhin als Männerdomäne.

Sophia hat schon oft erlebt, dass andere Twitter-User*innen ausfallend werden, weil sie es gewagt hat, den ein oder anderen Spieler des FC Bayern zu kritisieren.

„Auch als Frau hat man es schwer“, fügt sie hinzu. „Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft mir jemand schon sagte, meine Meinung sei irrelevant und dass ich in die Küche gehen soll. Viele Mädchen werden auch als ‚Fake Fans‘ bezeichnet. Angeblich würden wir nur Fußball schauen, da die Spieler gut aussehen. Ob ich bei der schlechten Internetleitung in unserem Dorf und dementsprechender Streaming-Qualität viel von dem Aussehen der Spieler mitbekomme, stelle ich einfach mal in Frage.“

Weiterhin sagt Sophia, dass die Menschen immer weniger respektvoll miteinander umgehen, besonders auf Social Media.

„Immer wieder hört man, ‚das ist doch nur meine Meinung‘. Freie Meinungsäußerung ist ein demokratisches Grundrecht, aber auch diese hat, wie ich finde, Grenzen. Und diese wird erreicht, wenn blanker Hass als Meinung getarnt wird.“

Beleidigungen, Hetze und Todesdrohungen

Ihre ersten Erfahrungen mit Cybermobbing musste Sophia schon während der Schulzeit machen, dennoch findet sie, dass es besonders auf Twitter zunehmend toxisch wird.

„Sobald man eine eher unpopuläre Meinung vertritt, hat man gewissermaßen verloren, vor allem wenn sich Accounts mit einer großen Anzahl an Followern einmischen“, sagt sie. „Da formen sich sehr leicht Parteien, und meist ist die Partei gegen einen selbst größer – auch wenn man unschuldig ist. Ich kenne viele Leute, die Todesdrohungen bekamen, und Beleidigungen und Hetze gegen die Familie.“

Auch Jessy wurde vor einem halben Jahr mit Cybermobbing konfrontiert – obwohl sie persönlich eher selten die Erfahrung macht, dass man ihr das Fußballverständnis abspricht, weil sie eine Frau ist. In ihrem Fall war es so, dass Jessy eine Meinungsverschiedenheit mit einer einzelnen Person hatte, doch es dauerte keine zwei Stunden, bis sich mehr als 50 Leute einmischten, die mit der eigentlichen Sache nichts zu tun hatten.

„Sie empfanden es als äußerst wichtig, mich grundlos zu beleidigen und zu bedrohen“, erinnert sie sich. „Es wurde ein bisschen viel für mich. Da gehen Fremde auf dich los, attackieren dich. Alles, was du in diesem Moment willst ist, dass es aufhört. Ich habe anschließend eine Twitter-Pause gemacht.“

In dieser Pause wurde Jessy allerdings bewusst, dass sie zu viele tolle Menschen auf Twitter kennengelernt hat, die sie nicht mehr missen möchte – und dass die anderen es nicht wert sind, das aufzugeben, und dass sie es auch nicht wert sind, solche Dinge zu nah an sich heranzulassen.

Sophia sagt über ihre Erfahrungen, dass es ihr sehr schlecht ging und sie sich hilflos gefühlt hat.

„Es ist so, als wäre die ganze Welt gegen dich“, erklärt sie. „Und egal was man dazu sagt, es hört nicht auf. Im Gegenteil, ein Statement dazu macht es meistens schlimmer. Leute machen sich über dich lustig. Wie soll ich aber bitte lachen, wenn jemand sagt, dass ich mich erhängen soll? Ich schäme mich nicht zu sagen, dass ich geweint habe.“

Hass gegen Spieler*innen

Cybermobbing richtet sich natürlich nicht ausschließlich gegen Mädchen und Frauen – auch Jungs und Männer sind betroffen, sowie Personen des öffentlichen Lebens. Im Bereich Fußball sind das in erster Linie die Spieler*innen, oft aber auch das Trainerteam oder die Schiedsrichter*innen.

„Mannschaften im Fußball und auch einzelne Spieler*innen sind für viele Fans Teil der Identität, oder auch ihre Vorbilder“, sagt Birgit Kimmel. „Genauso werden gegnerische Mannschaften oder einzelne Spieler*innen zum Feindbild. Häufig wird für ein verlorenes Spiel nach einem/r Schuldigen gesucht, der/die dann den Frust der Fans abbekommt. Für die einzelnen Spieler*innen sind das sehr schwierige und verletzende Aktionen, die oft die ganze Person, die Herkunft, die Religion und vieles mehr beleidigen, also den ganzen Menschen und nicht nur das Spielverhalten.“

Dies wiederum kann bei Spieler*innen zu großen emotionalen Belastungen führen, die sich auch in seelischen und körperlichen Symptomen zeigen, erklärt sie.

„Solche Attacken kann niemand alleine bewältigen, jeder braucht hier Hilfe, denn alleine schafft man das nicht. Die Betroffenen brauchen Unterstützung in Form von Gesprächen mit Vertrauenspersonen oder professionellen Berater*innen, sowie die Unterstützung des Vereins und der Mannschaft, die sich respektvoll hinter Spieler*innen stellen.“

Dass dies leider nicht immer funktioniert, haben einige Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit bereits gezeigt. So trat der damals 23-jährige Sardar Azmoun aus der iranischen Fußballnationalmannschaft zurück, nachdem er bei der Weltmeisterschaft 2018 kein einziges Tor erzielte und dafür online gemobbt wurde.

Der frühere Melbourne Victory Spieler Josh Hope aus Australien hängte im November letzten Jahres mit 22 seine Fußballschuhe an den Nagel, weil er mit dem konstanten Cybermobbing nicht mehr fertig wurde. Und der ehemalige Jugend-Nationaltorwart Englands Ted Smith beendete seine Karriere mit 24 Jahren aufgrund von zu hohem Belastungsdruck und Cybermobbing.

Auch die Profis des FC Bayern sind nicht immun gegen Online-Attacken und Hass im Netz. Stimmt die Leistung nicht, werden sie schnell zum Sündenbock gemacht. Heute ist es der Verteidiger, der das Gegentor nicht verhindern konnte, morgen der Spieler, der den entscheidenden Elfmeter nicht verwandelt, oder der Stürmer, der eine hundertprozentige Torchance vergibt.

„Im Fußball geht es ziemlich emotional zur Sache, aber viele Leute kennen leider die Grenzen nicht,“ sagt Jessy und fügt hinzu, dass es vielen Menschen leichter fällt, im Internet ihrer Wut und ihrem Frust freien Lauf zu lassen, da sie dort ihre Identität nicht preisgeben müssen.

„Mir fehlt da sehr häufig die Menschlichkeit. Mir blutet das Herz, wenn ich sehe, was hier Woche für Woche, Tag für Tag über und an einzelne Spieler geschrieben wird. Ist es die Annahme, dass diese es sowieso nicht lesen? Oder die Überzeugung, dass es sowieso keine Konsequenzen geben wird? Es sind zum Teil widerliche Dinge, die da über Menschen geschrieben werden.“

Sophia geht konkret auf den Fall David Alaba ein. Der Österreicher, der den FC Bayern aller Voraussicht nach im Sommer verlässt, wird von vielen für die Art und Weise kritisiert, wie er dies kommuniziert. Andere werfen ihm vor, er sei zu geldgierig. In den sozialen Netzwerken schlägt diese „Kritik“ aber sehr oft über die Stränge – viele werden ausfallend.

„Was in seinen Kommentaren zu lesen ist, auch von Bayernfans… mich wundert es ehrlich gesagt, dass er diese noch nicht deaktiviert hat,“ so Sophia. „Es ist eine Sache zu sagen, dass er momentan ein Schatten seiner früheren Form ist. Aber ihn rassistisch zu beleidigen, das geht gar nicht. Er ist immer noch ein Spieler unseres Vereins, und vor allem ein Mensch mit Gefühlen.“

Cybermobbing in der Pandemie

In Zeiten von COVID-19 hat das Thema Cybermobbing noch einmal eine ganz eigene Brisanz entwickelt.

„Einer kürzlich veröffentlichten Studie des ‚Bündnis gegen Cybermobbing‘ zufolge kam es in den vergangenen Monaten zu deutlich mehr Cybermobbing“, sagt Birgit Kimmel. „Mit Corona verlagern sich nicht nur […] die sozialen Kontakte ins Internet – sondern auch das Mobbing.“

Für Sophia hingegen ist COVID-19 einer der Gründe, warum sie trotz Cybermobbing und der hässlichen Seiten von Social Media noch nie ernsthaft daran gedacht hat, sich komplett davon zu verabschieden.

„Internetfreundschaften sind nicht zu unterschätzen, vor allem während der Pandemie, wo man sich öfter allein fühlt als sonst“, erkärt sie. „Es gibt auch genügend gute und respektvolle Menschen, die Twitter zu einem schönen Ort machen. Die schlechten stechen einfach nur heraus.“

Auch Jessy denkt nicht daran, den vielen netten Menschen, die sie über Social Media kennengelernt hat, den Rücken zu kehren.

„Social Media hat seine Schattenseiten und man muss lernen, damit umzugehen, aber für mich überwiegt das Positive“, sagt sie. „Manchmal wird es mir zu viel, dann lege ich eine Pause ein, aber dann ist es auch wieder gut.“

Jessy ist der Meinung, dass man seine Online-Aktivitäten so gestalten sollte, dass es eine vorwiegend gute Erfahrung bleibt: „Man geht schließlich auch im echten Leben Menschen aus dem Weg, mit denen man nichts anfangen kann, sofern es einem möglich ist, warum also nicht auch auf Social Media? Gerade Twitter bietet einem da viele Möglichkeiten, man kann User*innen blockieren und sogar ganze Begriffe stummschalten. Es sind am Ende des Tages fremde Menschen, und jeder sollte selbst entscheiden, was er tolerieren kann, was er lesen möchte.“

Wie auch im echten Leben schadet auf Social Media ein bisschen Selbstkritik nicht, findet Jessy, und schließt sich selbst mit ein.

„Mir unterlaufen hier auch manchmal Dinge, die ich an anderen kritisiere. Also schlage ich vor: Bei sich selbst anfangen und mit den Menschen umgehen wie man möchte, dass mit einem selbst umgegangen wird, und die Unbelehrbaren aus seinem Social Media-Erlebnis ‚entfernen‘, insofern Twitter es einem ermöglicht.“

Was tun, wenn man Opfer von Cybermobbing wird?

Sophia sagt, dass es ihr persönlich hilft, mit ihren Eltern oder nahestehenden Personen zu sprechen, wenn sie Beleidigungen oder Hetze im Internet ausgesetzt ist.

„Nachdem die erste Wut und Schmerz verfliegt, versuche ich rational weiterzumachen“, sagt sie. „Die Konsequenz, die ich gezogen habe, ist folgende: Ich kann mein eigenes Verhalten und meine Erwartungen nicht auf andere projizieren. Auch ich bin bei weitem nicht perfekt und habe meine Fehler, aber dennoch versuche ich, immer freundlich zu sein, selbst wenn es mir schwerfällt, da ich nicht weiß, was die Person hinter dem Bildschirm gerade durchmacht.“

Birgit Kimmel rät Betroffenen, alle technischen Möglichkeiten, die die meisten Plattformen wie Facebook, Twitter und Instagram bieten, zu nutzen, um sich zu schützen.

„Mit den richtigen Einstellungen hat jeder erst einmal einen Basis-Schutz“, erklärt sie. „Hilft der Diensteanbieter nicht weiter – kann man also nicht melden, oder blockieren – dann können Nutzer*innen sich auch an die beiden Internetbeschwerdestellen in Deutschland wenden: www.internet-beschwerdestelle.de und www.jugendschutz.net/hotline/. Diese können in vielen Fällen weiterhelfen, vor allem, wenn Inhalte entfernt werden sollen.“

Auch wenn man selbst nicht betroffen ist, so Birgit Kimmel, hilft es den Opfern von Cybermobbing, die oft wenig Unterstützung erhalten, sich an ihre Seite zu stellen.

„Viele bekommen mit, dass jemand gemobbt wird, aber handeln nicht, auch aus Angst, selbst zum Opfer zu werden“, erklärt sie. „User*innen, die Cybermobbing beobachten, können hier ihre Meinung sagen und eine respektvollen Umgang einfordern, anstatt still zu bleiben. Je mehr sich auf die Seite des Opfers stellen, desto besser.“

Dabei ist es wichtig, sich gewaltfrei zur Wehr zu setzen und nicht mit beleidigenden Kommentaren zu kontern, so Birgit Kimmel.

„Mobbing schädigt Menschen, oft noch lange danach. Es darf nicht toleriert und muss beendet werden – so schnell es geht,“ fordert sie. „Es kann sein, dass es noch mehr betroffene User*innen gibt, und diese werden vielleicht ermutigt, wenn sich Widerstand gegen (Cyber-) Mobbing rührt. Jedem muss klar sein, dass es schlimmer werden kann, wenn man nichts tut.“

Unter https://www.klicksafe.de/themen/kommunizieren/cyber-mobbing/ gibt es weitere Informationen zu dem Thema.