Nach Fast-Spielabbruch bei Hoffenheim: Distanzierung ist keine Lösung
Dieser Text erschien heute auf n-tv.de. Nach Absprache wurde mir genehmigt, ihn auch hier in unserem Blog zu teilen.
Geschämt habe sich Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandsvorsitzender des FC Bayern, am Samstagnachmittag. Was war passiert? Anhänger seines Klubs hatten zwei Banner hochgehalten, die Dietmar Hopp als „Hurensohn“ beleidigten. Die Fans, die dafür verantwortlich waren, werde man zur Rechenschaft ziehen, legte er nach. Hätte man nicht gewusst, worum es geht, wäre wohl kaum jemandem eingefallen, dass der Auslöser für seine Wut dieses Wort sein könnte.
Es war schon bemerkenswert, mit welcher Dringlichkeit sich alle handelnden Personen wie auch Medienvertreter plötzlich für eine bessere (Fußball-)Welt einsetzten. Ein Verhalten, das man sich in vergleichbaren, noch dringlicheren Fällen gewünscht hätte. Offensichtlich gab es vor diesem Spieltag aber eine klare Ansage seitens des DFB. Einer gut informierten Quelle nach wurden die Klubs jedoch erst kurz vor Anpfiff des Spieltags über das nun härtere Vorgehen informiert.
Das sogenannte Drei-Stufen-Modell gibt es beim DFB bereits länger. Es soll ab sofort aber häufiger zum Einsatz kommen. Stufe 1 sieht dabei eine Durchsage des Stadionsprechers vor. Bei Stufe 2 folgt eine Unterbrechung, bei der die Spieler das Feld verlassen, wie in Sinsheim gesehen. Stufe 3 wäre dann der Spielabbruch, der bei einer weiteren Aktion der Münchner Fankurve erfolgt wäre.
Die Kritik darf keine Einbahnstraße sein
Konsequent umgesetzt wurde dieser Plan vor diesem Wochenende nicht. Und genau das lässt Zweifel an der plötzlichen Härte des Durchgreifens zu. Die Fans, die Hopp beleidigten, haben dem FC Bayern damit gewiss keinen Dienst erwiesen, was womöglich auch die Härte der Reaktionen durch den Klub erklären könnte. Sie hatten es schlussendlich sogar in der Hand, einen sicheren 6:0-Erfolg ihrer Mannschaft und damit auch die Ziele in der Meisterschaft zu gefährden.
Aber genau das ist der Punkt. Da haben Menschen den Erfolg eines Klubs aufs Spiel gesetzt, der für sie einen beachtlichen Teil ihres Lebens einnimmt. Menschen, die ihr Team überall auf der Welt unterstützen und die ihrerseits einen großen Anteil daran haben, dass Rassismus kein noch größeres Problem in den Stadien Deutschlands ist. Die Frage danach, was diese Hardcore-Fans dazu bewegt, den Erfolg ihres Klubs derart zu gefährden, sollte deshalb nicht mit einer einfachen Distanzierung abgetan werden, bei der auf der einen Seite die Guten und auf der anderen die Idioten stehen. Dafür sitzt dieses Problem einfach zu tief. Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass es damit eine Legitimation dafür geben würde, Dietmar Hopp als einen „Hurensohn“ zu beleidigen. Es heißt aber sehr wohl, dass es in dieser Sache komplexer ist als einfaches Schwarz-Weiß-Denken.
Beleidigungen, Drohungen und Aggressivität haben im Fußball nichts verloren. Die Bayern-Fans haben hier eine Grenze überschritten. Aber in welchem Verhältnis steht die Reaktion des DFB und der Medienwelt? Das Fass, das an diesem Wochenende aufgemacht wurde, hätte man beispielsweise beim Rassismusskandal rund um Hertha-Profi Torunarigha öffnen sollen. Oder als Schalkes Clemens Tönnies rassistische Kommentare abließ. Oder aber, wenn Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus Sexismus ertragen muss. Und wenn wir schon dabei sind, so sei auch das ein oder andere sexistische Spruchband erwähnt, das es in den vergangenen Monaten in verschiedenen Fankurven gab. All diese Vorfälle zogen keine nennenswerten Konsequenzen nach sich. Sie wurden kurz medial angerissen, aber schnell wieder verworfen.
Whataboutism ist hier angebracht
Der Vorwurf des Whataboutism ist an dieser Stelle schnell gemacht. All diese Fälle sind aber allein deshalb vergleichbar, weil sie der DFB für eine klare Linie vergleichen muss. Dementsprechend ist es auch richtig, dass Karl-Heinz Rummenigge eine viel zu lange Zeit benannte, in der man nicht gehandelt hätte. Doch dass nun ausgerechnet rund um den Mäzen Dietmar Hopp ein Exempel statuiert wird, hat mindestens einen Beigeschmack. Es spiegelt sogar große Teile unserer Gesellschaft inklusive ihrer strukturellen Probleme wider.
Der Aufschrei darum, dass Dietmar Hopp als Sohn einer Prostituierten bezeichnet wird, hat am Samstag ein nie dagewesenes Ausmaß erreicht. Kai Dittmann kommentierte die Geschehnisse bei Sky so, als wäre er gerade Zeuge eines Attentats gewesen. Auch hier fehlten die Verhältnismäßigkeiten.
Die große Frage ist aber: Wird diese Energie in Zukunft auch dann da sein, wenn der nächste Rassismus- oder Sexismus-Skandal die Bundesliga einholt? Allein die Causa Tönnies lässt daran zweifeln. Auch da wich die Empörung irgendwann einer Serie an Solidarisierungen – interessanterweise für den mächtigen Funktionär. Konsequenzen? Drei Monate Urlaub und nun ist er zurück in alter Position.
Jedes Wochenende mehrere Abbrüche?
Der DFB hat jetzt einen Maßstab gesetzt, an dem er sich in den kommenden Monaten messen lassen muss. Was passiert, wenn Timo Werner mal wieder als „Hurensohn“ beschimpft wird? Die fast noch wichtigere Frage ist aber: Reagiert der DFB auch, wenn Fans andere Fans auf Bannern beleidigen oder gar sexistische Kommentare ablassen, wie es oft geschehen ist? Wo ist da die Grenze? Wo die Linie?
11Freunde-Chefredakteur Phillip Köster hat recht, wenn er auf Twitter schreibt, dass Beleidigungen und Schmähungen seit Jahrzehnten Alltag im Fußball sind. Man muss und sollte sie nicht gutheißen, aber wenn der DFB in Zukunft jedes Spiel abbricht, in dem Fans jemanden als „Hurensohn“ bezeichnen, wird es keinen geregelten Spielablauf mehr geben. Es ist richtig, den Kampf gegen Beleidigungen und Aggressivität endlich aufzunehmen, aber die Art und Weise sowie der Anlass dürfen stark hinterfragt werden. Und die nie dagewesene Energie des gestrigen Tages hätten andere Themen mehr gebraucht.
Zumal der Integrationsbeauftragte des DFB, Jimmy Hartwig, erst Ende Februar bezüglich der vielen rassistischen Vorfälle auf Twitter schrieb: „Wenn ihr im Stadion seid und hört diese Rufe, dann geht auf diese Leute zu und sagt: ‚Wir wollen Fußball schauen!’“ Was den Rassismus angeht, ist also eine Zurechtweisung durch das Publikum die Lösung? Das geht nicht mehr konform mit den Ereignissen des Wochenendes.
Verhärtete Fronten werden es verschlimmern
Es steht außer Frage, dass diese Entscheidungen im Kontext der Ereignisse in Gladbach und rund um die Fans von Borussia Dortmund zu werten sind. Doch der DFB vermittelt damit Stand jetzt ein Bild, das die vergleichsweise laschen Beleidigungen dieses Wochenendes über Rassismus, Sexismus und weitere, weitaus schlimmere Vorfälle stellt.
Eine unmittelbare Folge dieses Wochenendes wird vermutlich eine erneute Einschränkung der Freiräume von Fans sein, die damit nichts zu tun hatten. Darüber hinaus werden die Fronten weiter verhärtet. Statt den direkten Dialog zur Sache zu suchen, wird es auf beiden Seiten womöglich zu immer schärferen Maßnahmen kommen. Und so haben schließlich alle verloren. Die Fans, die dieses Fass aufmachen mussten, obwohl ihnen klar war, dass dieses Thema hochbrisant werden würde. Aber auch der DFB, der mal wieder nicht das richtige Maß findet, um damit umzugehen. Stattdessen statuiert er ein Exempel in der Causa Hopp, nachdem diese Gelegenheit bereits bei Mesut Özil, Tönnies und vielen weiteren Beispielen verpasst wurde.
Eine Deeskalation ist in den nächsten Wochen so jedenfalls nicht zu erwarten. Eher im Gegenteil. Das Aufwiegen von Beleidigungen und Diskriminierungen mag noch nie irgendjemanden weitergebracht haben. Aber der DFB hat die klare Aufgabe, sie zu gewichten, um eine Linie ziehen zu können. Stand jetzt wiegt die Beleidigung „Hurensohn“ um ein Vielfaches mehr als jeder Sexismus- oder Rassismusskandal der letzten Monate. Es liegt am DFB, den nun gesetzten Maßstab auch in den kommenden Wochen, Monaten und Jahren anzuwenden und unter Beweis zu stellen, dass hier nach Tönnies nicht einfach nur der nächste weiße, mächtige Mann in Schutz genommen wird, sondern ein ernsthaftes Interesse daran besteht, die Atmosphäre in den Stadien zu verbessern. Und selbst dann bleibt es höchst fraglich, ob die theoretisch an jedem Wochenende notwendigen Spielabbrüche der richtige Weg sind.