Hertha BSC – FC Bayern München 2:2 (0:1)

Felix Trenner 01.10.2017

Falls ihr es verpasst habt

Der FC Bayern startete mit einer Formation, die nach dem 0:3 in Paris erst einmal der Hauptkritik entgegenwirken sollte: Mit Ribéry, Robben, Müller, Hummels und Boateng stand das Quintett auf dem Platz, das in den letzten Tagen so häufig als „Gegner“ von Carlo Ancelotti dargestellt wurde. Interimstrainer Sagnol wollte dieser leidigen Diskussion wohl ein Ende setzen. Ein Nebeneffekt war, dass einige aus der Paris-Elf eine Pause bekamen.

Die Aufstellungen.

Ansonsten blieben die folgenden Konstanten auf dem Platz: Ulreich im Tor, der wieder komplett fitte Alaba als Links- und Kimmich als Rechtsverteidiger. Javi Martínez rückte erstmals seit langer Zeit wieder ins Mittelfeld, neben ihm spielte Tolisso. Die offensive Viererreihe bildeten die angesprochenen drei gemeinsam mit Lewandowski.

Die Hertha wechselte im Vergleich zur Niederlage in Östersund unter der Woche ganze acht Mal. Jarstein im Tor hatte eine Viererkette aus Weiser, Stark, Rekic und Plattenhardt vor sich. Skjelbred, Darida und Duda bildeten das zentrale Mittelfeld, die schnellen Leckie und Haraguchi sollten über die Flügel Druck machen. Im Sturmzentrum spielte Kalou für den gesperrten Ibisevic.

Die Anfangsphase gehörte den Bayern. Vom Anstoß weg kontrollierten die Münchner das Spiel, durch Ribéry und Hummels (nach Ecke) ergaben sich zwei Halbchancen durch Kopfbälle. Kurz darauf leitete Martínez mit einem Ballgewinn im Mittelfeld und einem Steilpass auf Lewandowski eine gute Chance durch Müller ein (6. Minute).

Den Führungstreffer besorgte nach zehn Minuten eine Ko-Produktion der Innenverteidiger. Nach einem Kimmich-Freistoß brachte Boateng den Ball aus dem Halbfeld gefährlich in den Strafraum. Hummels wurde dort von einer konfusen Hertha-Defensive sträflich allein gelassen und köpfte sehenswert aus etwa elf Metern ein.

Ein vollkommen verdientes 1:0, mit dem sich die Münchner für einen guten Start in die Partie belohnten.

Erst in der 18. Minute gab es den nächsten Aufreger: Nach einer starken Klärung von Martínez im eigenen Strafraum zeigte Schiedsrichter Osmers überraschenderweise auf den Punkt, nahm seinen Pfiff jedoch kurz darauf nach einem Blick auf den Fernseher wieder zurück. Die vermutlich richtige Entscheidung, die den FCB vor einem möglichen Ausgleich bewahrte.

Nach einer weitgehend ereignislosen Viertelstunde Mitte der ersten Halbzeit hatte die Hertha relativ aus dem Nichts eine gute Gelegenheit und konnte sich zum ersten Mal durch Kalou in den Strafraum der Bayern vorarbeiten, Ulreich parierte jedoch stark auf der Linie. Stark war auch nur wenige Sekunden später auf der anderen Seite eine Aktion von, wie passend, Niklas Stark, der Lewandowskis Lupfer auf der Linie klären konnte. Zwei Minuten später hätte Alabas Hereingabe von Links beinahe ein Eigentor der Hertha verursacht.

Bis zur Halbzeitpause hätten die Bayern durch Lewandowski und Hummels noch einmal nachlegen können, verpassten das 2:0 allerdings. Die ersten 45 Minuten waren keineswegs schlecht, doch verpassten die nicht immer einhundert Prozent fokussiert wirkenden Bayern es, nach der frühen Führung nachzulegen und ließen das Spiel somit offen.

Zumindest bis zur 49. Minute. Nach einem unspektakulären Zuspiel von Tolisso aus dem Halbfeld setzte sich Lewandowski gegen Stark durch und vollendete zum 2:0.

Wer dachte, das Spiel sei jetzt gelaufen, hatte sich jedoch geirrt. Mit der nächsten Aktion nämlich leitete die Hertha den Anschlusstreffer ein. Haraguchi wurde auf links gut freigespielt und zog in den Strafraum, wo er Boateng, Hummels und alle anderen roten Zuschauer umkurvte, querlegte und Duda vollendete.

Wer dachte, die Reaktion der Münchner würde nun prompt folgen, hatte sich jedoch schon wieder geirrt. Knapp fünf Minuten später schaffte Tolisso es nicht, einen Freistoß aus dem Halbfeld zu verteidigen, stattdessen gelangte der Ball aus der Mitte zu Kalou, der nur noch einschieben musste. Die Bayern hatten innerhalb von sechs Minuten eine klare 2:0-Führung aus der Hand gegeben.

Wer dachte, nun aber würden die Bayern sich wieder zusammenreißen, hatte sich zum dritten Mal geirrt. Das Spiel lief in der Phase nach dem Ausgleich auf ein Tor zu: Auf das von Sven Ulreich. Die Hertha kombinierte immer wieder gut und hatte durch Kalou die nächste gute Gelegenheit.

Erst ab der 70. Minute bestimmten die Bayern wieder das Spiel. Doch auch wenn mehr Ballbesitz und bessere Zweikampfführung mehr Kontrolle bewirkten, spielten sich die Münchner keine klaren Gelegenheiten heraus. Die Hertha, nun sehr defensiv gestaffelt, brachte das 2:2 über die Runden.

Die ersten zehn Minuten der Münchner waren sehr gut – dann folgten 80 teilweise durchschnittliche und teilweise erschreckende. Das 2:2 gegen Hertha war die zweite Bundesligapartie in Folge, in der der FCB ein Führung aus der Hand gab, der Rückstand auf die Tabellenspitze beträgt bereits fünf Punkte. Ein enttäuschender Sonntagnachmittag in Berlin.

Drei Dinge, die auffielen:

1. Strukturprobleme bleiben erhalten

Willy Sagnol hat in seinem ersten Spiel als Interims-Cheftrainer des FC Bayern das Rad nicht neu erfunden – wie auch. Ganze drei Tage hatte er Zeit, um die Mannschaft auf das Spiel einzustellen, er hat sie anscheinend vor allem für die Aufarbeitung der mentalen und weniger der taktischen Probleme genutzt. Und ist damit, so viel muss man leider festhalten, gescheitert.

Die strukturellen Probleme der vergangenen Wochen blieben auch gegen die Hertha weitgehend erhalten. Defensiv fehlte es vor allem in der ersten Halbzeit an Zugriff. Die Staffelung der Münchner war erschreckend schwach, vor allem auf der linken Abwehrseite hatte die Hertha immer wieder Gelegenheit für Vorstöße. Ribéry rückte vorne häufig ein, Alaba zog dann die Linie entlang – doch Tolisso konnte die entstandene Lücke nicht schließen.

Zu den grundsätzlichen Problemen gesellte sich in der zweiten Halbzeit eine fast schon peinliche Passivität. Haraguchis Dribbling vor dem Anschlusstreffer war der Höhepunkt des fehlenden Zugriffs. Der Japaner spazierte durch die Hintermannschaft und konnte sogar noch auf zwei seiner freien Mannschaftskollegen ablegen.

Die Defensive der Bayern war im Olympiastadion, wie schon in den Wochen zuvor, die Hauptproblematik. Dass eine solch fehlerbehaftete und unkoordinierte Hintermannschaft Erfolge in der Champions League in weite Ferne rückt, war die Lehre vom vergangenen Mittwoch. In Kombination mit einer uninspirierten und nicht zwingenden Offensive reicht es nun auch nicht mehr für Auswärtssiege in der Bundesliga. Das ist neu.

2. Martínez im Mittelfeld funktioniert so nicht

Javi Martínez im zentralen Mittelfeld aufzustellen hatten im Umfeld des FC Bayern bereits einige gefordert – und zwar seit langer Zeit. Die Grundidee ist klar: Tolisso und Martínez sollen die Löcher stopfen, die im Moment in der Hintermannschaft bestehen. Das Problem ist jedoch: Mannschaftstaktisch sind die Bayern derzeit so schlecht eingestellt, dass selbst eine zweikampfstarke Doppelsechs nicht helfen kann.

Um eines gleich vorneweg zu nehmen: Das Problem ist nicht Javi Martínez. Der Baske spielte am Sonntagnachmittag so, wie er im Mittelfeld spielen kann. Er hatte vier Tackles vorzuweisen, hatte einige wichtige Zweikämpfe geführt und den Großteil seiner Duelle (Sieben von Neun) gewonnen. Gleichzeitig hatte er 62 Ballberührungen und eine Passquote von 87 Prozent – deutlich schwächere Werte als Nebenmann Tolisso.

Javi Martínez ist keine Ballmaschine, sondern einer, der Lücken zumacht. Wenn jedoch seine Nebenleute im Mittelfeld keine offensive Durschlagskraft bzw. Kreativität entwickeln, kann er wenig ausrichten. Insofern scheiterte die Idee mit Martínez im Mittelfeld nicht an ihm, sondern an dem fehlenden System und den fehlenden Kombinationen um ihn herum.

Es wäre ein Fehler, den Basken nach dem Spiel gegen Hertha pauschal nicht mehr als möglichen zentralen Mittelfeldspieler anzusehen – die Lehre, dass er einen kreativen und passstarken Nebenmann a la Thiago oder Rudy braucht, muss jedoch ebenso gezogen werden.

3. Es brennt an allen Ecken und Enden

Die Partie gegen Hertha BSC war eine spieltaktische Offenbarung, sie war jedoch noch weitaus mehr. Es war ein Zeichen, dass es beim FC Bayern mehr Probleme gibt als nur die Personalie des Trainers, den man mittlerweile entlassen hat.

Man hatte eine Reaktion erwarten können. Wenn schon nicht spielerisch perfekt, standen eine Vielzahl an Kandidaten auf dem Platz, die ein Zeichen hätten setzen können. Müller als Kapitän, Lewandowski als Stürmer, Boateng als Innenverteidiger – sie alle hatten zu den Ancelotti-Kritikern gezählt und davon gesprochen, dass man sich zusammenreißen muss. Zu sehen war davon wenig, auch wenn die 90 Minuten einige Wendepunkte bereithielt, die zu einem Comback einluden.

Die Leistung der Bayern und die offensichtlichen mannschaftlichen Probleme zeigten sich auch nach dem Spiel, als kein Münchner für ein Interview zur Verfügung stand. Auch die „Königslösung“ Sportdirektor Salihamidzic hielt sich lange zurück. Es brennt an vielen Ecken und Enden und doch ist relativ offensichtlich, wie eine Vielzahl der Probleme behoben werden könnte: Mit einem neuen Trainer und einer überzeugenden, anderen Ausrichtung auf und neben dem Platz.

Der FC Bayern braucht dringend wieder mehr Selbstverständnis, auf und neben dem Platz. Die einzige gute Nachricht: Die Verantwortlichen haben in der Länderspielpause zwei Wochen Zeit, um erste Lösungen zu finden.

3.1: Gute Besserung, Franck Ribéry!

Hertha BSC – FC Bayern 2:2 (0:1)
Hertha BSC Jarstein – Weiser, Stark, Rekic, Plattenhardt – Darida (80. Lustenberger), Skjelbred – Leckie, Duda (75. Lazaro), Haraguchi (87. Esswein) – Kalou
Bank Kraft, Pekarik, Torunarigha, Stocker
FC Bayern Ulreich – Kimmich, Boateng (79. Süle), Hummels, Alaba – Martínez, Tolisso – Robben (59. Thiago), Müller, Ribéry (62. Coman) – Lewandowski
Bank Starke, Rafinha, James, Rudy
Tore 0:1 Hummels (10.), 0:2 Lewandowski (49.); 1:2 Duda (51.), 2:2 Kalou (56.)
Karten Tolisso, Kimmich
Schiedsrichter Harm Osmers (Hannover)
Zuschauer 71.212