100 Jahre vor Harry Kane: Englische Trainer beim FC Bayern München
Ein präziser Pass aus den Tiefen des Mittelfelds, ein gekonnter Abschluss in die untere Ecke des Tores. Was Harry Kane im ersten Halbjahr beim FC Bayern auf dem Spielfeld zeigt, verdeutlicht welche enorme Qualität der Engländer besitzt und wie er damit das Spiel der Münchner Offensive prägt.
Doch ist der rechte Fuß Kanes keineswegs der erste Importerfolg, der den Weg von der britischen Insel nach München findet. Bereits über 100 Jahre zuvor spielten Trainer aus England eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des Vereins zu dem, was wir heute als Erfolgsmaschinerie von der Säbener Straße kennen.
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Zu einer Zeit, als Aufstellungen meistens vom Mannschaftskapitän bestimmt wurden und Training in der Form wie wir es heute kennen ein Fremdwort war, versuchten ambitionierte deutsche Teams die Erfahrung englischer Trainer zu Nutzen.
Da in England bereits deutlich länger ein flächendeckender Spielbetrieb etabliert war, wurde dort früh die Wichtigkeit von Training und Trainer erkannt. Im Jahr 1911 versuchte auch der FC Bayern davon zu profitieren und orientierte sich an damaligen Erfolgsvereinen wie dem Karlsruher FV, die mit William Townley 1910 Deutscher Meister wurden – ein Name, der auch in München noch Anklang finden sollte.
Der Erste haupberufliche Trainer beim FC Bayern München
Der damals knapp 30-jährige Charles Griffiths sollte der erste hauptberufliche Trainer des FC Bayern München werden, wobei mit Thomas Taylor bereits zwischen 1906 und 1909 ein britischer Amateurtrainer in München war.
Griffiths war somit einer von mehreren englischen Trainern, die, auch bedingt durch die starke Konkurrenz in England, ihr Glück auf dem europäischen Festland suchten. Nachdem Bayern mit Griffiths 1912 die Bayerische Meisterschaft verpasste, wurde dessen Vertrag bereits ein halbes Jahr nach Antritt wieder aufgelöst, was jedoch nicht das Ende von englischen Trainern in München bedeutete.
In der Festschrift zum 25-jährigen Bestehen des FC Bayern wurde zum Thema englische Trainer festgehalten: „So sehen wir daher im Laufe der Jahre nun verschiedentlich englische Trainer mit wechselndem Erfolg bei der F.A. [Fußballabteilung] Bayern […].“. Dieser „wechselnde Erfolg“ zeigt die Kontroversen, die ein professioneller Trainer und die Umstellung des Trainingsalltags mit sich brachten.
Bedenken bei der Anstellung von englischen Trainern gab es wegen Vorbehalten zur Arbeitsmoral von ausländischen Übungsleitern, aber vor allem, weil vielen Spielern die Umstellung von circa zwei lockeren Trainingsspielen in der Woche auf fünf Trainingseinheiten nicht gefiel. Zum ersten Mal wurden nun, zumindest rudimentär, Vorgänger von modernen Trainingsmethoden, inklusive Taktik-, Kraft- und Ausdauerübungen systematisch eingesetzt, was zum Teil empörte Gegenwehr hervorrief.
Schottisches Flachpassspiel als Neuentdeckung
Meistermacher Townley stach vor allem durch seine Vermittlung von gruppentaktischen Grundprinzipien, wie dem Fokus auf gemeinschaftliches Passspiel, dem sogenannten Schottischen Flachpassspiel, hervor. Dies stand im krassen Kontrast zu dem damals praktizierten Fokus auf Eins-gegen-eins-Situationen. Was viele Jahre später Louis van Gaal in München wieder aufleben lassen sollte, wurde hier erstmals eingeführt.
Der ehemalige Spieler der Blackburn Rovers war neben Karlsruhe auch bei der SpVgg Fürth erfolgreich. Dies weckte auch beim FC Bayern Begehrlichkeiten und so wurde 1913 Townley der dritte englische Trainer in München. Trotz erster Erfolge sollte die Amtszeit in München keine langfristige werden, da 1914 mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs der Spielbetrieb weitgehend eingestellt wurde und auch Townley, aus Angst als Engländer in deutsche Gefangenschaft zu geraten, zurück in seine Heimat floh. Nach dem Krieg kehrte er zwar nochmals zum Verein zurück, jedoch etablierten sich nun auch in Deutschland mehr und mehr professionelle Strukturen, die auch immer mehr von heimischen Trainern getragen wurden.
Wenn heute Harry Kane mit Thomas Tuchel im Videoanalyseraum an der Säbener Straße die Grundlagen für seine Torflut legt, wird er sicherlich nicht an die Reihe von englischen Trainern denken, die vor über 100 Jahren den Fußball in Deutschland zu dem mitgestalteten, was er heute ist. Dennoch sollte in der langen Chronik der Bayerntrainer die Bedeutung der Pioniere aus England nicht unterschlagen werden.