FC Bayern stellt neuen Trainer vor: Das ist Alexander Straus
Es hat ein wenig gedauert, bis der FC Bayern einen Nachfolger für Jens Scheuer präsentieren konnte. Das hatte aber überhaupt nichts damit zu tun, dass es lange Unklarheit darüber gegeben hätte, wer auf den Meistertrainer von 2021 folgt. Einen Monat lang gab es mitunter wilde Spekulationen. Inka Grings (FC Zürich), Gabor Gallai (TSG Hoffenheim) und Sofian Chahed (bei Turbine Potsdam entlassen) waren nur drei Namen, die unterschiedlich stark kursierten.
Dabei war man sich intern schon lange sicher, wer es werden soll: Bereits im Mai gab es erste Kontakte zwischen dem FC Bayern und dem SK Brann. Damals bestätigte Geschäftsführer Christian Kalvenes beim norwegischen Fernsehsender TV 2 sogar, dass es eine Anfrage aus München geben würde und dass Alexander Straus sich mit einem etwaigen Angebot auseinandersetzen wolle.
Bayern stand also ganz offenkundig schon länger im Austausch mit dem Wunschkandidaten. Nun konnte Vollzug gemeldet werden. Dass das rund einen Monat dauerte, hing wohl auch damit zusammen, dass der SK Brann in der norwegischen Liga, die über ein Kalenderjahr hinweg ausgetragen wird, noch bis zum vergangenen Wochenende gefordert war. Am kommenden Mittwoch steht das letzte Spiel vor der Sommerpause an. Im Pokal-Achtelfinale tritt Brann gegen Arna-Bjørnar an.
Bianca Rech: Transfers des FC Bayern „standen schon seit Monaten fest“
An den bisherigen Sommertransfers des FC Bayern war Straus zumindest nicht maßgeblich beteiligt. „Die Transfers standen schon seit Monaten fest“, verrät Bianca Rech im Gespräch mit Miasanrot: „Wir haben aber einen intensiven Austausch mit Alexander bezüglich des Kaders gehabt und werden diesen weiterhin haben. Wir sind überzeugt, dass der Kader eine große Qualität hat.“
Die sportliche Leiterin hofft zugleich auf einen erfolgreichen Sommer der DFB-Auswahl: „Es wird wichtig sein, dass die Deutsche Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft erfolgreich abschließt und wir auf unsere Liga weiterhin aufmerksam machen, um weitere Top-Spielerinnen für die Bundesliga begeistern zu können.“
Die Situation auf dem Transfermarkt ist selbst für die beiden deutschen Top-Klubs VfL Wolfsburg und eben Bayern nicht so leicht. Dass es den Münchnerinnen dennoch gelang, mit Georgia Stanway eine talentierte Spielerin aus England zu verpflichten, war ein kleines Statement. Richtungsweisend für die Zukunft wird aber sein, dass der Trainer gut zum Kader passt.
Alexander Straus hat in Norwegen Geschichte geschrieben
Straus erreichte im Jahr 2021 Historisches: Erstmals in der Klubgeschichte wurde der Sandviken TF norwegischer Meister. Sandviken wurde anschließend vom SK Brann übernommen – ähnlich wie der 1. FFC Frankfurt in Deutschland durch die Eintracht. In der Meistersaison gewann der Sportklubben 17 von 18 Partien und holte ein Remis – norwegischer Rekord.
Vor seinem Engagement bei Sanviken beziehungsweise Brann arbeitete der Norweger unter anderem als Trainer der U23- und U19-Nationalteams der Frauen. Im Männerbereich war er zwischen 2014 und 2017 Co-Trainer bei Strømsgodset TF, die 2015 Vizemeister wurden und sich für die Europa League qualifizierten.
Bei all seinen Stationen zeichnete sich Straus durch eine offensive Denkweise aus. „Meine bevorzugte Spielidee ist, dass meine Mannschaften immer dominant auftreten“, verriet der neue Bayern-Trainer den Klubmedien: „Wir müssen bei Ballbesitz das Spieltempo kontrollieren und dabei immer mutig und offensiv nach vorne spielen.“
Alexander Straus: Offensives 3-4-3 mit viel Dynamik
Dieser Grundsatz war auch beim SK Brann zu erkennen. Sein Team dominierte die Liga mit hohen Ballbesitzwerten, schnellem und direktem Offensivfußball und hohem Pressing. Bevorzugt setzte Straus in den letzten Monaten auf eine 3-4-3-Grundordnung mit dem Ball.
Brann pflegte dabei ein sehr vertikales Passspiel und hielt sich nicht lange in der ersten Linie des Spielaufbaus auf. In der roten Zone arbeiteten die Norwegerinnen mit viel Rotation und Bewegung, weshalb das 3-4-3 allenfalls als Rahmen betrachtet werden kann. Die Zielsetzung: Den Gegenspielerinnen die Zuordnung erschweren. Je mehr sich vor allem die Sechserinnen und die beiden Halbraumspielerinnen bewegen, desto schwieriger wird es für die Außenspielerinnen des gegnerischen Teams, die richtige Position zwischen Außenbahn und Zentrum zu finden.
Wichtig ist dabei aber, dass die Abstimmung passt. Brann machte sich Zuordnungsprobleme bei Gegnerinnen meist durch schnelle Seitenverlagerungen oder zwei simple Pässe zunutze: Erst ins Zentrum und dann auf den Flügel. Von der Grundidee unterscheidet sich Straus also gar nicht so sehr von Vorgänger Scheuer: Es wird wohl weiterhin viele Angriffe über die Außenbahnen geben – allerdings könnte das Spiel im besten Fall an Dynamik und Kreativität gewinnen.
Unter Scheuer waren häufig Flanken das Mittel der Wahl. Auch der SK Brann arbeitet mit hohen Hereingaben, bereitet diese aber meist gut vor, indem Spielerinnen erst spät am zweiten Pfosten einlaufen und Gegenspielerinnen im Zentrum klug gebunden werden. Außerdem arbeiten die Spielerinnen in der Offensive des Sportklubben viel mit kreuzenden Bewegungen und Tiefenläufen, um Lücken für Steckpässe zu öffnen.
Etwas, was Bayern in den letzten Jahren nicht oft genug gemacht hat. Selbst Tempoangriffe über das Zentrum mündeten zu oft in Zuspielen in den weiten Halbraum und somit in schlechten Abschlusspositionen.
FC Bayern: Mehr Risiko unter Alexander Straus?
Brann agierte unter Straus mit mehr Risiko als die Bayern unter Scheuer. Der neue Cheftrainer der Münchnerinnen setzt auf kurze Abstände zwischen den Spielerinnen in Ballnähe, um ein schnelles Kurzpassspiel, aber auch einen guten Zugriff im Gegenpressing zu ermöglichen.
Im Pressing zeigten sich die norwegischen Meisterinnen flexibel. Straus möchte lange Phasen ohne Ball vermeiden, lässt aber dennoch nicht über 90 Minuten hoch anlaufen.
Vor allem die Offensivspielerinnen müssen viel Laufarbeit verrichten. Das liegt mitunter auch daran, dass die Flügelverteidigerinnen trotz Fünferkette nur selten aggressiv pressen. Dementsprechend steht die vordere Dreierreihe etwas breiter als in vergleichbaren 5-2-3-Pressingformationen. Das öffnet wiederum Räume im Zentrum, die vom Mittelfeld zugelaufen werden müssen.
Inwiefern das der Grundidee von Straus entspricht, oder nicht doch eher Anpassung an individuelle Stärken und Schwächen von einzelnen Spielerinnen des Teams ist, lässt sich von außen nur schwer beurteilen.
Alexander Straus: Wie mutig wird das Pressing des FC Bayern?
Dem Kader der Bayern könnte Straus durchaus ein noch aggressiveres Pressing zutrauen. Giulia Gwinn, Maximiliane Rall oder auch Hanna Glas sind prädestiniert dafür, hoch anzulaufen, wenn die Gegnerinnen auf ihre jeweilige Außenbahn eröffnen. Das würde auch den Raum verkleinern, die die beiden Sechserinnen abdecken müssen. Denn wenn die defensiven Außenspielerinnen vorrücken, können die äußeren Angreiferinnen etwas mehr einrücken und dort Passwege zustellen.
Brann hatte hin und wieder kleinere Probleme, wenn Gegenspielerinnen in die Halbräume vor der Fünferkette gelangten und aufdrehen konnten. Trotzdem ist hervorzuheben, dass das Team von Straus sowohl in der vergangenen Saison (50:6 Tore nach 18 Partien) als auch in dieser (39:9 Tore nach 14 Partien) viele Treffer erzielte und nur wenige kassierte.
Beim FC Bayern wird Straus automatisch auf mehr Optionen zurückgreifen können. Ob er bei seinem 3-4-3 bleibt oder ob er sich zunächst an einer Viererkettenformation versucht, ist noch unklar. Unter Scheuer hat das Team beides gelernt – wenngleich die Dreier- beziehungsweise Fünferkette deutlich defensiver interpretiert wurde.
FC Bayern: Kader könnte gut zu Alexander Straus passen
Die meisten Offensivspielerinnen im Kader des FC Bayern haben Stärken im Halbraum oder im Zentrum, was Straus ebenfalls helfen wird. Sydney Lohmann und Linda Dallmann spielen bevorzugt auf der Zehn oder als halbe Zehnerin, Neuzugang Georgia Stanway ist flexibel einsetzbar und hat ebenfalls einen großen Drang in Richtung Tor.
Klara Bühl ist gemeinsam mit Neuverpflichtung Emelyne Laurent schon eher auf den Flügeln zu Hause. Beide sind schnell und technisch stark, aber beide können auch in die Mitte ziehen. Maximiliane Rall und Giulia Gwinn sind zudem gut geeignet für eine offensive Flügelverteidigerinnenrolle. Insofern ist das 3-4-3 mit starkem Offensivfokus wohl einen Versuch wert.
Zumal die dritte Neuverpflichtung viel Dynamik und Vorwärtsdrang ergänzen könnte: Innenverteidigerin Tainara könnte von der Halbposition aus (entweder rechts oder links) mehr Tempo in den Spielaufbau bringen. Entweder durch kurze Dribblings oder durch schnelles Passspiel. Auch Saki Kumagai könnte von zwei Partnerinnen als Absicherung neben sich profitieren.
Alexander Straus und der FC Bayern: Wie lange dauert der Anpassungsprozess?
Es wird spannend zu sehen, wie Straus seine Ideen beim FC Bayern umsetzen wird. Gerade zu Beginn könnte es noch etwas dauern, bis sich die Spielerinnen an das neue Tempo gewöhnt haben. Selbst bei Brann gibt es nach gut zwei Jahren immer noch Situationen, in denen das Team zu schnell aufs Gaspedal drückt und den Ballbesitz damit unnötig herschenkt.
Der hohe Offensivfokus führt in seltenen Fällen dazu, dass nahezu alle Spielerinnen im zweiten und letzten Drittel in die Tiefe gehen und sich so von der ballführenden Mitspielerin entfernen. Kurzzeitig gibt es dann keine Kurzpassangebote und die Gegnerinnen können Druck auf den Ball ausüben.
Der Niveauunterschied auf individueller Ebene sollte dabei aber nicht unterschätzt werden. In München wird Straus mit vielen Top-Spielerinnen zusammenarbeiten. Gute Trainer:innen zeichnen sich dadurch aus, dass sie an ihren Aufgaben wachsen und ihre Philosophie an das jeweilige Niveau angleichen können.
FC Bayern: Balance aus Spielkontrolle und Tempo finden
Es ist dementsprechend zu erwarten, dass Straus bei den Bayern weniger taktische Kompromisse eingehen wird. Für ihn wird es wichtig sein, die richtige Balance aus Spielkontrolle und Tempo zu finden. Gelingt ihm das, könnten seine Prinzipien und Grundsätze vielleicht der Schlüssel zu einem neuen Selbstverständnis sein.
Gerade in den großen Spielen gegen Wolfsburg oder in der Champions League fokussierten sich die Bayern in den letzten Jahren zu oft darauf, wie sie die Stärken der Gegnerinnen minimieren können, statt sich auf die eigenen zu konzentrieren.
Straus ist nicht bekannt dafür, sich vor großen Herausforderungen zu verbiegen oder Grundlegendes zu verändern. „Ich habe allergrößten Respekt vor der Arbeit, die der vorherige Trainer Jens Scheuer und sein Stab hier geleistet haben“, sagte der Norweger über seinen Vorgänger in den Klubmedien: „Ich werde also sicher nicht alles auf den Kopf stellen, sondern versuchen, die Mannschaft Stück für Stück weiterzuentwickeln.“
Und genau das ist auch der richtige Ansatz. Scheuer ist eine gute Grundlagenarbeit gelungen. Er scheiterte vor allem daran, das Team offensiv variabler zu machen. Dieser Herausforderung stellt sich nun Straus. Sein bisheriger Arbeitsnachweis lässt sich zumindest sehen.
Transparenzhinweis: Die Eindrücke dieses Artikels entstanden aus Gesprächen mit Expert:innen aus dem norwegischen Fußball und der eigenen Sichtung des in Deutschland begrenzt verfügbaren Videomaterials zur norwegischen Liga.