Bayern-Rondo: Unruhe beim FCB? Scheinheilige Dreierketten-Debatte

Justin Trenner 25.02.2022

2:4 in Bochum, 1:1 in Salzburg und dann 0:1 hinten in der Halbzeitpause gegen Tabellenschlusslicht Greuther Fürth – auf dem sozialen Netzwerk Twitter war die Hölle los. Kein anderes soziales Medium ist so schnelllebig wie dieses, in keinem verändert sich die Welt innerhalb so kurzer Zeit.

Zur Halbzeitpause gab es erste Tweets, die Julian Nagelsmann infrage stellten. Manche ironisch, manche mit einem durchaus ernsten Unterton, viele davon emotionsgeladen und deshalb wenig zurechnungsfähig. Nach der Partie sah die Welt schon wieder etwas besser aus. Vier Tore, eine deutliche Leistungssteigerung und eine Woche vor der Brust, in der das Team in Ruhe trainieren kann.

Das wird wichtig sein für die Bayern. Denn angesichts der aktuellen Sorgen kommt ihnen der Spielplan wenig entgegen. Auswärts bei Eintracht Frankfurt, daheim gegen Bayer 04 Leverkusen und den FC Salzburg, dann auswärts bei der TSG Hoffenheim – nach diesen vier Partien ist etwas klarer, wohin die Reise für den Rekordmeister in diesem Jahr geht.

FC Bayern: Miese Stimmung in der Kabine?

Die jüngsten Ergebnisse und vor allem die fehlende defensive Stabilität soll auch in der Kabine ein großes Thema sein. Wie die Bild-Zeitung berichtet, soll es an drei Fronten Sorgen innerhalb des Teams geben: Taktik, Mentalität und Nebengeräusche bei Vertragsverhandlungen. Aber der Reihe nach: Im taktischen Bereich gebe es die Kritik an der offensiven Spielweise. Insbesondere die Verteidiger würden sich allein gelassen fühlen. Der konkrete Vorwurf: Man erziele vorne nicht signifikant mehr Tore und wäre hinten zu offen.

Sollte die Information des Boulevardblattes stimmen, dürfte Nagelsmann leichtes Spiel dabei haben, die Argumentation zu entkräften. 20,6 Abschlüsse, 2,77 expected Goals (xG) und 3,22 Tore pro Spiel stehen in dieser Bundesliga-Saison neun zugelassenen Abschlüssen, 0,97 expected Goals against (xGa) und 1,13 Gegentoren pro Spiel gegenüber. In der vergangenen Saison sahen die Zahlen so aus: 17,1 Abschlüsse, 2,23 xG, 2,91 Tore, 10,1 zugelassene Schüsse, 1,21 xGa und 1,29 Gegentore pro Partie.

Nimmt man diese Kennzahlen als wichtigste Marker, kann Nagelsmann von sich behaupten, dass er das Team in jedem Bereich besser gemacht hat. Ganz so einfach ist es aber natürlich nicht. Neben objektiven Erkenntnissen ist im Fußball nach wie vor sehr vieles subjektiv. Und die gefühlte Wahrheit ist insbesondere in dieser Saisonphase eine andere.

Flick: „Das hat man einfach mal“

Dass Spieler wie Lucas Hernández, Niklas Süle oder auch Dayot Upamecano regelmäßig alleingelassen fühlen, scheint zumindest nicht aus der Luft gegriffen zu sein. Sie erhalten die meiste und heftigste Kritik, obwohl sie nicht selten Situationen ausbaden müssen, die für jeden Verteidiger dieser Welt schwer zu lösen sind. Dass die Defensive allerdings schon ganz vorne und genauer genommen auch schon in Ballbesitz beginnt, wird oftmals ignoriert. Schon vergangene Woche analysierten wir, warum die Probleme der Bayern nicht ausschließlich auf individuelle Defensivfehler zurückzuführen sind.

Also ein Stimmungsproblem beim FC Bayern? Nach Miasanrot-Informationen ist das Team davon noch weit entfernt. Und auch die Bild schreibt im gleichen Bericht davon, dass die Spieler volles Vertrauen in den Trainer haben. Nagelsmann äußerte sich ebenfalls zum Vorwurf: „Die Meinung meiner Spieler ist mir sehr wichtig. Ich habe den Austausch gesucht und habe immer ein offenes Ohr für Ideen eines Kaders mit der Qualität wie unserer“, sagte er auf der Pressekonferenz vor dem Frankfurt-Spiel: „Das Feedback aus der Mannschaft ist, dass sie inhaltlich, taktisch zufrieden sind mit dem, wie der Weg gegangen wurde und wird mit der Ausrichtung.“

Viel Wind um nichts? So ist es dann wiederum auch nicht. Fakt ist, dass Nagelsmann die Probleme bald in den Griff kriegen muss. Kann er die Defensive nicht wieder stabilisieren, wird die Unruhe größer – und dann nicht nur von außen, sondern vielleicht erstmals auch intern.

Grund zur Panik gibt es beim FC Bayern aber noch nicht. In den vergangenen Jahren gab es immer Saisonphasen, in denen es für den Branchenprimus auch national schwer war, an die eigene Leistungsgrenze zu kommen. „Die Qualität der Mannschaft ist da, Julian ist ein fantastischer Trainer“, sagte Bundestrainer Hansi Flick unter der Woche bei Amazon Prime: „Die kommen wieder in die Spur. Jetzt läuft es vielleicht nicht ganz so optimal. Das hat man einfach mal.“ Wer sollte es besser wissen als er?

Dunkle Zeiten beim FC Bayern? Das geht vorbei, glaubt Bundestrainer Hansi Flick.
(Foto: Joosep Martinson/Getty Images)

Nagelsmann und seine Taktik: Scheinheilige Debatte

Womöglich Nagelsmann, der seit Wochen daran tüftelt, wie er das Problem in den Griff kriegen kann. Viel diskutiert wird medial über die Ausrichtung des FC Bayern. Dreierkette, Viererkette, ein Sechser, zwei Sechser – Nagelsmann experimentierte zuletzt etwas häufiger als noch in der Hinrunde. Aber ist das die Ursache der Mini-Krise?

Die Diskussion um die Dreierkette wird etwas scheinheilig geführt. In Bochum haben die Bayern beispielsweise mit vier Innenverteidigern gespielt und letztendlich trotzdem vier Gegentore kassiert. Sowohl dort als auch gegen Fürth lief es jeweils erst besser, als der Trainer auf Dreierkette umstellte. Letztendlich ist ein Team nicht deshalb stabiler, wenn es mit drei oder vier Verteidigern spielt, sondern wenn die Qualität und die Abstimmung auf dem Platz stimmen.

In Bochum war das Problem eher der Sechserraum, wo Joshua Kimmich auf sich allein gestellt war. Thomas Müller war als umtriebiger Achter noch der tiefste Spieler im Bayern-Mittelfeld – im Schnitt sogar etwas tiefer als Kimmich selbst. Den Münchnern fehlt im Zentrum ein echter Taktgeber, der es versteht, auch mal das Tempo rauszunehmen. Jemand wie Xabi Alonso es war. Oder so, wie Bastian Schweinsteiger im Champions-League-Finale 2013 den Wind aus Dortmunds Segeln nahm.

Taktik-Debatte: Dreier- oder Viererkette?

Die Bayern werden zu schnell hektisch, wollen zu schnell in die Offensive gehen. Das ist kein taktisches Problem, sondern eines der grundsätzlichen Einstellung. Es ist das Erbe, das Hansi Flick hinterlassen hat – mit all seinen spektakulären Vorzügen, aber auch mit einigen Nachteilen. Ein Gedankenspiel: Welche Ausrichtung ist defensiv stabiler und welche ist offensiv durchschlagskräftiger?

Dreierkette
Viererkette

Vorab: Ist diese Frage überhaupt zu beantworten? Rein von der Anordnung her fallen zumindest mal folgende Aspekte auf:

  • Die zentrale Absicherung im Defensivbereich ist bei der Dreierkette oben auf den ersten Blick besser. Drei Verteidiger können bei frühen Ballverlusten direkt absichern, unten sind es nur zwei. Je höher der Ballverlust stattfindet, desto schwieriger wird es sogar, weil über die Flügel ja Druck gemacht werden soll. Ballfern kann ein Außenverteidiger zwar absichern, aber auch der müsste erstmal Meter nach innen und nach hinten machen.
  • Der Aufbau insgesamt ist automatisch breiter, wodurch die Gefahr besteht, dass es schwerer wird, im letzten Drittel die Breite zu nutzen. Wer früh breit aufbaut, ermöglicht dem Gegner eine leichtere Antizipation im Verschieben.
  • Die Kritik, dass Spieler sich offensiv auf den Füßen stehen, ist eigentlich nichtig. Sowohl im 3-2-4-1 als auch im 4-2-3-1 ist die Offensive ähnlich besetzt. Man könnte eher noch unterstellen, dass es unten schwerer wird, über die Flügel in Eins-gegen-eins-Situationen zu kommen. Wegen der in Punkt 2 beschriebenen Problematik, aber auch weil Benjamin Pavard rechts mehr Offensivaufgaben übernehmen muss.

Zugegeben: Man kann das 4-2-3-1 auch defensiver interpretieren. Aber ist das beim FC Bayern eine Option? Eher nicht. Was aber aus der hier dargelegten Argumentation hervorgeht: Die Münchner haben kein System-, sondern ein Kaderproblem. Nagelsmann fehlen vor allem im zentralen Mittelfeld und auf den defensiven Außenpositionen Spieler, die sich nahtlos einfügen können. Marcel Sabitzer, Marc Roca, Bouna Sarr, Omar Richards, Corentin Tolisso – in der zweiten Reihe gibt es zu wenige Akteure, die der Stammelf wirklich Druck machen können.

Alle aus unterschiedlichen Gründen, aber die sind für das Urteil letztendlich nebensächlich. Denn der Status-quo sieht so aus: Bayern fehlt schon bei wenigen Ausfällen Qualität zum Nachlegen. Der Kader ist nicht balanciert genug. Und so ist jegliche Diskussion um Grundformationen eine scheinheilige. Denn Nagelsmann hat fast keine andere Wahl, als zu „experimentieren“. Selbst eine Rückkehr zu vermeintlich erprobtem ist dieser Tage ein Risiko – wie die Auftritte im 4-2-3-1 zeigten.

FC Bayern erwägt wohl neue Transferstrategie

Deshalb wird es für die Zukunft auch wichtig sein, die eigene Strategie auf dem Transfermarkt zu überdenken. Wie der kicker kürzlich berichtete, wollen die Bayern das jetzt auch angehen – und dabei ein ungeschriebenes Gesetz brechen. Unter der Führung von Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge wurde der Klub nicht müde, zu betonen, dass der Rekordmeister kein Verkaufsverein sei. Man war schließlich auch nie darauf angewiesen, Einnahmen durch Spielerverkäufe zu generieren.

Das soll sich nun ändern, wie das Fachmagazin schreibt. Und auch Julian Nagelsmann hätte damit offenbar kein großes Problem: „Ich sehe darin keine Gefahr, man muss das genau definieren“, so der 34-Jährige: „Vielleicht holt man einen 21-, 22-Jährigen, den man mit 25 noch mal verkaufen kann, um Geld zu generieren, statt bei einem 27-Jährigen mitzubieten.“

Man merke pandemiebedingte Auswirkungen und es wären „mehrere Faktoren, die es notwendig machen, über gewisse Dinge nachzudenken“, sagte der Trainer. Auch zu diesem Thema gab es viel Schnappatmung im sozialen Netzwerk Twitter. Wollen die Verantwortlichen jetzt die Borussiasierung des FC Bayern vorantreiben?

Ist Bayern bald das internationale Borussia Dortmund?

Nagelsmann grätschte dahingehend gleich dazwischen: „Es ist natürlich ein Unterschied ob du einen 16- oder 17-Jährigen verpflichtest, die drei Jahre ausbildest und zu Real Madrid verkaufst, oder ob man 22- oder 23-jährige Spieler zu einem noch vernünftigen Preis verpflichtet, die aber den Status haben, mit Bayern München alles zu gewinnen und dann nach drei, vier Jahren verkauft, um eine Refinanzierung zu generieren.“

Mit einem Lächeln in die Zukunft? Bayern hat wohl eine neue Strategie im Kopf.
(Foto: Matthias Hangst/Getty Images)

Zwischen den Zeilen wird also klar, dass die Bayern einfach eine weitere Option suchen. Die letzten Vertragsverlängerungen haben ohnehin gezeigt, dass die Münchner aktuell noch in der Lage sind, ihre Stamm- und Schlüsselspieler zu halten.

Die Umsetzung wird letztendlich darüber entscheiden, ob die Bayern damit erfolgreich sein können. Im Konzert der ganz großen Ablösesummen wollen sie nicht mitspielen, also suchen sie nach Alternativen. Vermutlich auch, weil sie bei David Alaba, Niklas Süle und jetzt wohl auch Corentin Tolisso gemerkt haben, dass es ganz schnell zu ablösefreien Transfers kommen kann.

Zwar liegt der Gedanke nahe, dass der BVB mit dieser Strategie in den letzten Jahren keinen Schritt vorwärts gekommen ist, doch ist die Situation bei den Bayern wohl eine andere. Eine komplette Entwicklung hin zum Ausbildungs- und Verkaufsverein wird es wahrscheinlich nicht geben. Das aber als optionalen Handlungsweg und Teil der Strategie zu integrieren, könnte für die kommenden Jahre durchaus sinnvoll sein. Wichtiger wird es aber ohnehin sein, die Balanceprobleme im Kader zu beheben.

Wochen der Wahrheit: Punktverluste gegen Angstgegner?

Weil die Situation aber ist, wie sie aktuell eben ist, sind die kommenden Wochen durchaus spannende. Zunächst geht es auswärts nach Frankfurt. Die letzten beiden Auswärtsspiele bei der Eintracht haben die Münchner verloren und auch das Hinspiel ging an die SGE. Nur drei der letzten sieben Gastauftritte in Frankfurt gingen siegreich für den Rekordmeister aus.

Zwar ist die Form der Mannschaft von Oliver Glasner nicht gerade eindrucksvoll, aber es gibt eben Teams, die liegen einem besser als andere. Borussia Mönchengladbach spielt eine wirklich schwache Saison und hat gegen Bayern dennoch dreimal nicht verloren.

In der Bundesliga geht es dann weiter gegen formstarke Leverkusener und anschließend nach Hoffenheim. Zwischen diesen beiden Spielen steht das Rückspiel gegen Salzburg in der Champions League auf dem Programm. Interessant: In einer Tabelle der Punkte gegen den FC Bayern seit der Saison 2014/15 steht Gladbach einsam an der Spitze. In 15 Begegnungen holten sie 23 Punkte. Dahinter stehen, ihr ahnt es schon: Hoffenheim (13 Punkte aus 14 Partien), Leverkusen (elf aus 14) und Frankfurt (acht aus 14).

Besorgniserregend? Wohl eher nicht. So beeindruckend das Ergebnis der Gladbacher auch ist, dahinter wird es schon deutlich enger mit achtbaren Erfolgen gegen den Serienmeister. Trotzdem zeigt die Tabelle, dass den Bayern nun schwierige Wochen bevorstehen.