FC Bayern: Raphaël Guerreiro als Lichtblick im Schatten des Augsburg-Spiels

Justin Trenner 25.01.2024

Lange verletzt, dann nur sporadisch eingesetzt und nun bereits mit seinem zweiten wichtigen Treffer für den FC Bayern München zur Stelle: Raphaël Guerreiro avanciert binnen weniger Tage zu einem Hoffnungsträger des Rekordmeisters.

Links hinten kam der Portugiese gegen Union Berlin für Alphonso Davies in die Startelf. Sein Treffer kurz nach Anpfiff der zweiten Halbzeit blieb der einzige des Abends. Der FC Bayern ist damit in der Bundesliga zumindest wieder auf vier Punkte an Bayer 04 Leverkusen herangerückt.

Doch bezahlt haben die Münchner diesen Sieg teuer. Dayot Upamecano (soll laut Sky ca. drei Wochen fehlen), Konrad Laimer (wohl sechs bis acht Wochen raus) und Joshua Kimmich (mindestens gegen den FC Augsburg keine Option) fallen zunächst aus. Bedeutet: Die Viererkette stellt sich im so wichtigen Auswärtsspiel am Samstag wohl von selbst auf. Tuchel gehen abermals die Optionen aus.

Warum Raphaël Guerreiro perspektivisch ein Hoffnungsträger für die Abwehr sein kann und welche Optionen den Bayern vor dem wichtigen Augsburg-Spiel noch bleiben.

FC Bayern: Raphaël Guerreiro mit erfrischendem Auftritt

Bei Guerreiro schien sich zuletzt eine Diskussion darüber einzustellen, wie er dem FC Bayern helfen kann. Der Liebling von Tuchel, der Leon Goretzka den Platz im Mittelfeld streitig gemacht, dort aber nicht unbedingt bessere Leistungen gezeigt hat. Tatsächlich war er trotz seiner technischen Fähigkeiten nicht in der Lage, das statische Spiel in der Offensive zu verbessern.

Gegen Union durfte der 30-Jährige nun auf seiner angestammten Position in der Linksverteidigung ran – und überzeugte auf Anhieb. Ein wichtiger Grund dafür: Seine klugen Laufwege. Im Zentrum schien Guerreiro nicht in der Lage zu sein, die richtigen Räume anzusteuern. Im eng gestaffelten Defensivblock der meisten Gegner wurde er von Tuchel zudem bereits sehr hoch positioniert. Sprich: Er stand bereits vorn und ließ sich ab und an mal etwas fallen.

Diese Rolle schien ihm allerdings nicht zu liegen. Guerreiro ist ein Spieler, der gern nachrückt und spät in die Offensive eingreift. Weniger gut ist er in Situationen, in denen er bereits in engen Räumen positioniert ist und dann aus dem Stand Lösungen finden muss. Als Linksverteidiger hat er mehr Freiheiten, sich aus tendenziell wenig Gegnerdruck heraus dynamisch in die Spitze zu bewegen.

Raphaël Guerreiro hilft dem FC Bayern mit Tiefenläufen

Gegen Union unterstützte er Linksaußen Kingsley Coman mehrfach mit guten Läufen in die Tiefe. Mal hinterlief er den Franzosen ganz klassisch, mal zog er die Gegenspieler seines Vordermannes aber auch klug ins Zentrum.

So wählte er mehrfach den diagonalen Weg in die Schnittstelle der Fünferkette im linken Halbraum. Damit band er für einen Augenblick zwei Gegenspieler und ermöglichte Coman Eins-gegen-eins-Situationen, die vor allem gegen Werder Bremen, mitunter aber auch gegen die TSG Hoffenheim fehlten.

Coman konnte so also selbst immer wieder entscheiden, ob er weiter zur Grundlinie geht oder in die Mitte zieht, wo Guerreiro durch seinen Lauf in die Tiefe ebenfalls Raum entlang des Strafraums ermöglichte. Viele nennenswerte Chancen sind daraus nicht entstanden, weil der Flügelstürmer keinen guten Tag erwischte.

Guerreiro aber brach selbst hin und wieder im linken Halbraum durch und bekam den Ball in seinen Laufweg gesteckt. Bayern hatte dadurch den einen oder anderen gefährlichen Moment. Dem Linksverteidiger fehlte es in der letzten Aktion allerdings etwas an Präzision.

Auch beim Absicherungsverhalten zeigte Guerreiro eine starke Leistung. Startete Goretzka in die Schnittstelle der Unioner Abwehr, schob Guerreiro schnell in den Halbraum nach. Einerseits bildete er so eine weitere Anspielstation für Coman, andererseits war er damit in Position, um bei einem Ballverlust sofort eingreifen zu können.

FC Bayern: Raphaël Guerreiro oder Alphonso Davies?

Seine intelligente Positionierung unterscheidet ihn grundsätzlich von Davies, der andere Stärken vorzuweisen hat. Guerreiro mag der schwächere Dribbler sein, ist im Kombinations- und Positionsspiel dafür aber stärker.

Das bedeutet nicht, dass Guerreiro insgesamt der bessere Linksverteidiger ist. Aber er bringt eine andere Note ins Spiel – eine, die Tuchel im Moment vielleicht dringender benötigt. Davies schaffte es zuletzt nicht, dem Spiel diese Sicherheit und diese Tiefe auf dem linken Flügel zu geben, wie es bei Guerreiro der Fall war.

Fängt sich Davies, ist er mit seinen Dribblings und seinem Tempo auf andere Art und Weise wichtig für das Bayern-Spiel. Auch er hat in der Vergangenheit gezeigt, dass er diese Läufe machen kann. Guerreiro hat hier das Rad nicht neu erfunden. Gleichwohl hat der Portugiese seine Mittel im Spiel nach vorn über die letzten Jahre perfektioniert. Sein Gespür für das richtige Timing und die richtige Schnittstelle ist bemerkenswert.

Klar ist auch, dass Guerreiro seine Form erst noch bestätigen muss. Das Spiel gegen Union steht bisher für sich. Doch gelingt ihm das, ist es eine legitime Option für Tuchel, Guerreiro statt Davies aufzustellen.

FC Bayern: Verletzungssorgen zwingen Thomas Tuchel erneut zur Umstellung

Mittlerweile aber klingt diese Umstellung wie ein Luxus. Nach den Verletzungen von Dayot Upamecano und Konrad Laimer sowie dem Ausfall von Joshua Kimmich steht Tuchel vor einer schwierigen Aufgabe beim FC Augsburg. Die am wenigsten schwierige Aufgabe dürfte dabei die Aufstellung der Viererkette sein. Denn die stellt sich fast von selbst auf.

Vermutlich wird Tuchel wieder auf seine alte Notfalllösung zurückgreifen: Goretzka als Innenverteidiger. Links müsste dann Davies wieder ran, weil Guerreiro im Mittelfeld gebraucht wird. Eric Dier kann erstmals zeigen, ob er es noch als Rechtsverteidiger drauf hat.

Natürlich ist das nicht die einzige Option. Tuchel könnte auf eine Dreierkette mit Goretzka, de Ligt und Dier setzen. Davies und Coman wären geeignete Flügelverteidiger. Er könnte auch Guerreiro auf der rechten Defensivseite verteidigen lassen, damit Dier und de Ligt als einzig gestandene Innenverteidiger auf ihrer Position spielen können.

Und ebenso wäre es eine Möglichkeit, Guerreiro links aufzustellen, Davies weiterhin auf der Bank zu lassen und dafür das Mittelfeld mit Thomas Müller und Jamal Musiala sehr offensiv aufzustellen. Das scheint aber weder Tuchel-typisch zu sein, noch wäre es klug, die Davies-Debatte bei einer derartigen Kadersituation weiter zu verschärfen. Dieses Signal wäre überraschend.

FC Bayern in Augsburg: Tiefenprobleme lösen

Bleibt die Frage, wie stabil all diese Varianten defensiv sein können. Umso mehr wird es gegen Augsburg darauf ankommen, mit dem Ball keine Fehler zu machen – und Probleme zu lösen, die zuletzt nicht maßgeblich von den fünf defensiveren Spielern ausgingen.

Gegen Union war wieder mehr Bewegung im Offensivspiel. Neben Guerreiros Dynamik trug auch Harry Kane mit seinen Läufen ins Mittelfeld dazu bei. Trotzdem gelang es den Bayern zu selten, hinter die Kette zu kommen. In Augsburg wird es wieder mehr gegenläufige Bewegungen brauchen. Insbesondere dann, wenn mit Aleksandar Pavlovic ein vergleichsweise unerfahrener Spieler im Zentrum agieren soll.

Es wird darum gehen, wieder häufiger in die grün markierte Zone zu kommen. Die Flügelspieler müssen zudem aktiver werden, den Weg in die Schnittstellen oder an der Abseitslinie entlang hinter die Kette suchen. Je statischer das Spiel ist und je weniger die Positionen vorn gewechselt werden, desto einfacher ist es für Gegner, Bayern zu verteidigen.

FC Bayern: Mittelfristige Guardiola-Lösung für Thomas Tuchel?

Während es gegen den FC Augsburg vorrangig darum geht, ergebnistechnisch wieder in die Erfolgsspur zu kommen – niemand dürfte dort ein Feuerwerk der Bayern erwarten –, muss Tuchel mittelfristig Lösungen finden, um Konterabsicherung und Dynamik im Offensivspiel auszubalancieren.

Eine Möglichkeit dafür wäre der mittlerweile fast schon klassische Guardiola-Ansatz: Einrückende Außenverteidiger. Davies wäre für diese Rolle nicht gemacht. Guerreiro hingegen wäre prädestiniert dafür mit seinem starken Positions- und Kombinationsspiel. Auf der rechten Seite ist Noussair Mazraoui jemand, der diese Rolle bei Ajax und auch unter Julian Nagelsmann schon spielte. Der Marokkaner wird jedoch noch eine Weile fehlen.

Für die kommenden Wochen käme hier nur Joshua Kimmich in Frage – wenn auch noch nicht in Augsburg. Der Vorteil dieser Variante: Mehr Zentrumspräsenz im Spielaufbau. Die Außenverteidiger könnten aktiv beeinflussen, wie breit der rot markierte Block sein soll. Will man ihn eher auseinanderziehen, arbeiten die Außenverteidiger mit Läufen von innen nach außen. So entstehen Schnittstellen für Pässe in die grüne Zone.

Es kann auch eine Option sein, ihn möglichst eng zu haben, um die Flügel zu öffnen. In beiden Fällen wäre es jedoch wichtig, die letzte Linie sehr breit zu gestalten. Ein rein auf das Zentrum fokussierte Spiel hat unter Nagelsmann eher mäßig funktioniert und auch unter Tuchel, gab es zuletzt das Problem, dass es so gut wie keine Verlagerungen gab.

Sané und Coman könnten von einer derartigen Ausrichtung profitieren, indem sie nach Verlagerungen immer wieder ins Dribbling gehen und den Gegner so unter Druck setzen. Aktuell müssen sie viele Dribblings aus dem Stand statt mit Tempo starten, weil die Gegenspieler sofort auf ihren Füßen stehen.

Möglicher Nachteil: Defensive Stabilität

Das Risiko, defensiv anfällig bei Kontern zu sein, ist aber trotz guter Struktur im Gegenpressing ein reales. Überspielt der Gegner die erste Pressinglinie, sind vor allem die Flügel offen. Hier gab es unter Nagelsmann beispielsweise einige Probleme, die mit Kimmich und Guerreiro nicht weniger werden dürften. Beide sind nicht als überragende Verteidiger bekannt.

Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob das Defensivrisiko mit einer derart gebeutelten Abwehr nicht ohnehin gegeben ist. Vielleicht ergäbe es also gerade Sinn, sich auf den eigenen Ballbesitz zu konzentrieren und vor allem offensiv wieder durchschlagskräftiger zu werden.

Vielleicht kommt auch alles ganz anders und die Bayern verpflichten doch noch einen Rechtsverteidiger. Dann gäbe es wieder andere Optionen. Doch Tuchel sollte seinen Ansatz für den eigenen Ballbesitz auch unabhängig von einzelnen Spielern überdenken.



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