Darum wäre Julian Nagelsmann die beste Alonso-Alternative für den FC Bayern
Julian Nagelsmann im Frühjahr 2023 zu beurlauben war ein Fehler. Zugegeben: Auf die nie so richtig funktionierende Ehe zwischen Thomas Tuchel und dem FC Bayern München zurückzublicken und darauf basierend dann von einem Fehler zu sprechen, ist einen Tick zu einfach. Es gab Argumente, sich von Nagelsmann zu trennen.
Richtig gute Phasen wechselten sich mit Phasen ab, in denen wenig lief und wo die Balance aus Offensive und Defensive komplett abhanden kam. Konstanz war unter Nagelsmann ein Fremdwort. Romantisieren muss man die Amtszeit des jetzigen Bundestrainers also gewiss nicht.
Und doch war vieles an der damaligen Entscheidung höchst seltsam. Auf Miasanrot titelten wir Ende März, dass sie viel zu früh kam. Sowohl aus der damaligen Perspektive, vor allem aber aus der jetzigen Perspektive heraus lässt sich also argumentieren, dass der FC Bayern einen Fehler gemacht hat. Einen Fehler, den der Rekordmeister jetzt korrigieren kann, vielleicht sogar muss.
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Julian Nagelsmann: Chronologie des vermeintlichen Scheiterns
Als Nagelsmann beurlaubt wurde, hatte er nach wie vor die Möglichkeit, um alle drei Titel zu spielen. Die 1:2-Niederlage in Leverkusen brachte das Fass damals zum überlaufen. Nach einem sehr starken ersten Halbjahr mit teils beeindruckenden Leistungen starteten die Münchner mit drei Unentschieden gegen Leipzig, Köln und Frankfurt in das neue Jahr.
Das Team fing sich einigermaßen, gewann seine Spiele immerhin in der Folge – wenngleich die große Überzeugung der Anfangsphase der Saison fehlte. Im Achtelfinale der Champions League konnte aber Paris Saint-Germain besiegt werden. Ein kleiner Achtungserfolg für Nagelsmann und ein Signal zur Trendwende.
In der Bundesliga blieb diese aber aus. Eine 2:3-Niederlage in Gladbach, dazu ein paar wackelige Auftritte wie beim 5:3 gegen Augsburg und schließlich eben das 1:2 bei der Werkself vor der Länderspielpause. Nagelsmann fuhr in den berühmten Skiurlaub und als er zurückkam, war er kein Bayern-Trainer mehr.
Mit Blick auf das anstehende Spitzenspiel gegen Borussia Dortmund, die Viertelfinal-Partien gegen Manchester City in der Champions League und das Pokal-Viertelfinale gegen Freiburg sahen die Verantwortlichen rund um Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic ihre Ziele gefährdet. Treibender Faktor war zudem, dass mit Thomas Tuchel ein Weltklassetrainer zur Verfügung stand.
Nagelsmann-Aus hat sich für den FC Bayern gerächt
Sicherlich gehört es erwähnt, dass Nagelsmann in seiner gesamten Zeit als Trainer des FC Bayern immer wieder solche teils unerklärlichen Phasen hatte. Ihn nur als Opfer von hektischen Entscheidungen zu inszenieren, wäre falsch. Im taktischen Bereich gab es offensichtliche Probleme, die er und sein Trainerteam nicht beheben konnten.
Ein Beispiel: Das sehr zentrumslastige Spiel wurde zu berechenbar. Auf den Flügeln gab es kein Nachrücken, teils überhaupt keine adäquate Besetzung, wodurch man sehr abhängig von den Einzelaktionen von Leroy Sané oder Jamal Musiala wurde. Als die in ein Formloch fielen und auch Eric Maxim Choupo-Moting nicht mehr so regelmäßig traf wie noch in der ersten Hälfte der Saison, wurde man im gesamten Spiel instabiler.
Die Grundidee aber, mit den vorhandenen Spielertypen den Fokus mehr auf die Halbräume und das Zentrum zu legen, ist nicht nur modern, sondern auch richtig. Denn einige Trainer vor Nagelsmann machten beim FC Bayern den Fehler, zu sehr auf das über Jahre erfolgreiche Spiel über die Außenbahnen zu setzen, ignorierten dabei aber, dass Arjen Robben und Franck Ribéry entweder nicht mehr da waren oder nicht mehr die Qualität auf höchstem Niveau hatten.
Die Änderung auf ein System, wie es Nagelsmann etablieren wollte, war überfällig und entsprach den Stärken von Spielern wie Serge Gnabry, Leroy Sané, Jamal Musiala, Thomas Müller und einigen anderen Offensivspielern. Es entspricht auch den Stärken von Spielern wie Mathys Tel oder Harry Kane. Will man zudem etwas von der Zukunft träumen, könnte es auch zu Florian Wirtz passen. Nagelsmann müsste vor allem darauf achten, dass er dennoch hin und wieder mehr Entlastung ins Flügelspiel bekommt als damals. Zuzutrauen ist ihm das allemal.
Der FC Bayern hat ein strategisches Problem
Dass das Nagelsmann-Aus der Anfang vom Ende für Kahn und Salihamidzic war, unterstreicht die Qualität, die der Trainer hatte – und dass die Kritik an ihm nicht immer gerechtfertigt war. Die Entscheidung für Tuchel entpuppte sich als falsch – obwohl der zweifellos zu den besten Trainern der Welt zählt. Die Mannschaft wurde verunsichert, verlor wichtige Spiele und gewann nur knapp die Meisterschaft. Auch mit einer entsprechenden Vorbereitung im Sommer gelang es Tuchel nicht, das Team zu stabilisieren. Ein weiteres Indiz dafür, dass die Verantwortung nicht immer nur beim Trainer zu suchen ist.
Der FC Bayern hat ein strategisches Problem. Bei allem Respekt vor Spielern wie Leon Goretzka oder Konrad Laimer war die Besetzung des Mittelfelds am vergangenen Wochen gegen Borussia Dortmund sinnbildlich für die fußballerische Entwicklung des Clubs. Technisch sauberer Fußball wurde durch Verpflichtungen von Spielern erschwert, die ihre Stärken eher im athletischen als im spielerischen Bereich haben. Das muss sich ändern.
Seit 2016 waren viele sehr namhafte Trainer mit ganz unterschiedlichen Ideen nicht erfolgreich. Irgendwann ist das Argument, dass die Ideen des Übungsleiters nicht gut genug wären, aufgebraucht. Es ist Zeit für ein strategisches Umdenken mit einem Trainer, der schon mal gezeigt hat, dass er es schaffen kann. Dafür braucht er allerdings noch mehr vom FC Bayern als die richtigen Spieler.
„Ich muss ehrlich sagen, dass es zuletzt von unserer Seite keine Geduld gab“, kritisierte Uli Hoeneß die damals Verantwortlichen jüngst im BR: „Wenn man sich Julian Nagelsmann anschaut, der entlassen wurde, als alle drei Titel noch möglich waren, dann ist das eigentlich etwas, was nicht zum FC Bayern passt.“
FC Bayern: Unter Nagelsmann fehlten Nuancen – unter Tuchel Welten
Tatsächlich ist fehlende Geduld beim FC Bayern ein großes Problem. Nach wie vor wird so gut wie alles an den Erfolgen zwischen 2009 und 2016 gemessen. Was in den ersten Jahren noch nachvollziehbar und wohl auch gerechtfertigt war, ist mittlerweile jedoch weit entfernt von der Realität. Um eine derartige Dominanz wiederzuerlangen braucht es mehr als einen passenden Trainer.
Um die Erfolge der vergangenen Dekade erzielen zu können, braucht es einen Entwicklungsprozess und vor allem auch das Vertrauen in die eigenen Entscheidungen einerseits und den Mut, diese auch in schwächeren Phasen gegen Widerstände zu verteidigen. Stattdessen, so das Gefühl, das nach außen drängt, reichen bereits zwei Unentschieden, um den kompletten Weg in Frage zu stellen und ihn bei der ersten Niederlage in eine gänzlich andere Richtung zu verändern.
Das muss aufhören. Die Ansätze stimmten mit Nagelsmann. Ein junger, gleichzeitig aber dennoch erfahrener Trainer mit klaren Ideen, einem Konzept und frischem Wind auf allen Ebenen. Einer, der sich auch nicht zu schade ist, unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Lange gab der FC Bayern vor, diesem Trainer Zeit geben zu wollen. Eine Entwicklung mit ihm zu starten und ihn dabei zu unterstützen.
Am Ende ließ man sich vom Druck von außen beeinflussen, ließ die Rückendeckung fallen und sorgte auch in der Kaderplanung eher dafür, dass Nagelsmann ins offene Messer lief. Bis heute hält sich die Geschichte, der Trainer selbst habe eingewilligt, ohne Mittelstürmer in die Saison zu starten. Wie die Gespräche genau abliefen, weiß niemand.
Aber: Hätte die hauptverantwortliche Leitung rund um Salihamidzic entschieden, Harry Kane oder eine vergleichbare Alternative ein Jahr früher nach München zu holen, wie wäre die Saison wohl gelaufen? Unter Nagelsmann fehlten trotz Inkonstanz nur Nuancen. Unter Tuchel sind es aktuell Welten.
Neuanfang mit Julian Nagelsmann – diesmal aber richtig!
Nagelsmann bringt alles mit, was es für einen echten Neuanfang mit dem FC Bayern braucht: Eine offensive und moderne Idee von Fußball, viel Erfahrung im Profibereich, mittlerweile auch ausreichend Erfahrung mit Starspielern – und Lernfähigkeit. Vermutlich ist das die größte Fähigkeit des 36-Jährigen.
Bei seinen bisherigen Stationen gab er sich immer selbstkritisch, in Interviews manchmal sogar etwas zu ehrlich. Doch das zeichnet ihn aus. Nagelsmann ist nicht festgelegt auf das, was bei ihm schon immer funktioniert hat. Denn ihm ist bewusst, dass das irgendwann nicht mehr funktionieren wird. Taktisch und auch im zwischenmenschlichen Umgang zeigt er sich flexibel und anpassungsfähig.
Beim DFB startete er durchwachsen in sein Amt als Bundestrainer, zeigte in der vergangenen Länderspielpause mit taktischen und personellen Wechseln aber, dass er in der Lage ist, schnell zu lernen. Warum sollte er also nicht in der Lage sein, aus seinen Fehlern beim FC Bayern zu lernen und es im zweiten Anlauf besser zu machen?
Auch der FC Bayern muss aus seinen Fehlern mit Nagelsmann lernen
Klar ist aber auch, dass das Lernen aus Fehlern keine Einbahnstraße ist. Im Umgang mit Nagelsmann hat der FC Bayern ebenso Fehler gemacht. Die fehlende Geduld ist ein Punkt. Ein viel entscheidender Faktor ist aber die Kaderplanung. Es gab in der Vergangenheit gute Gründe dafür, dass sich der FCB dazu entschieden hat, diese nicht zu sehr vom Trainer abhängig zu machen.
Einer ist die geringe durchschnittliche Amtszeit von Übungsleitern beim noch amtierenden Meister. Andersherum lässt sich verargumentieren, dass diese auch aus dem insgesamt geringen Vertrauen in die jeweiligen Trainer entstand. Es muss eine gesunde Balance aus Mitspracherecht in der mittel- bis langfristigen Planung und Sicherheiten für den Club geben.
Doch dass Nagelsmann bereit ist, mit Kompromissen umzugehen und mit dem zu arbeiten, was möglich ist, hat er nun mehrfach bewiesen. Wirklich unerfolgreich war er damit beim FC Bayern nicht. Im Schnitt holte Nagelsmann 2,31 Punkte pro Spiel. Damit steht er auf dem fünften Platz aller FCB-Trainer der Historie, die mindestens 10 Spiele an der Seitenlinie standen.
Mit Blick auf die unterschiedlichen Trainer in den Top-5 fällt auch eines der größten Probleme von Nagelsmann auf. Flick gewann 81,4 Prozent seiner Spiele, Heynckes (2017/18) 80,5 Prozent, Triple-Heynckes (2011–2013) 78,0 Prozent, Guardiola 77,0 Prozent. Nagelsmann kommt auf 71,4 Prozent. Nur 11,9 Prozent seiner Spiele als FCB-Coach hat er verloren. Das ist ein besserer Wert als der von Guardiola (13,0 Prozent), Triple-Heynckes (12,8 Prozent) und 2018er-Heynckes (12,2 Prozent). Nur Flick ist mit 9,3 Prozent besser.
Es sind also die Unentschieden, die Nagelsmann schlussendlich den Job kosteten. Zu viele enge Partien, die der FC Bayern nicht für sich entscheiden konnte und in denen eher mal das Gegentor nach einem Konter fiel als das entscheidende Tor vorn. Aufzuschlüsseln, wie groß sein Anteil daran ist und wie viel besser es mit einer Kaderplanung gelaufen wäre, die stärker auf ihn angepasst ist, ist unmöglich. Die Zahlen zeigen aber, dass nicht viel zu einer sehr erfolgreichen Amtszeit gefehlt hat.
FC Bayern kann seinen größten Nagelsmann-Fehler korrigieren
Den womöglich größten Fehler, den der FC Bayern mit Nagelsmann gemacht hat, kann er nun korrigieren. Während die erste Amtszeit immer aus einer Position der Schwäche heraus verlief, kann der Ex-Coach nun als starker Mann aufgebaut werden. Er ist längst nicht mehr der junge, vermeintlich zu unerfahrene Trainer, der 2021 in München anfing.
Nagelsmann folgte damals auf Hansi Flick, der eine in der Geschichte des Fußballs einmalige Phase hinlegte. 2020 war ein Jahr, das die Sinne beim FC Bayern zu vernebeln schien. Ein Ausreißer in einer Entwicklung, die längst von den Erfolgen alter Tage wegging. Ein Ausreißer, der ohne all die Umstände der Coronakrise vermutlich nie entstanden wäre.
Aber auch unter der Erwartungshaltung, das sei nun der Maßstab, litt Nagelsmann enorm. Diesmal wäre es anders. Seine Position wäre von Beginn an eine viel stärkere – intern und nach außen.
Julian Nagelsmann zum FC Bayern? „He knows the club“
Daran ändert auch der ursprüngliche Wunsch nichts, Xabi Alonso als neuen Trainer zu installieren. Nagelsmann wäre weitaus mehr als eine B-Lösung. Das hat er auch schon in seiner bisher einzigen Amtszeit bei den Bayern bewiesen.
Es gibt derzeit harte Kriterien, nach denen Max Eberl entscheiden muss – darunter Strategie, taktische Flexibilität, Erfahrung, zwischenmenschlicher Umgang oder auch nachhaltige Anpassungs- und Planungsfähigkeit. Nagelsmann dürfte hier viele Punkte einsammeln können. Sein vermeintlicher Misserfolg in der ersten Amtszeit kann sogar als Vorteil ausgelegt werden, weil beide Seiten genau wissen, was diesmal besser laufen muss, um es besser zu machen.
Doch auch die weichen Faktoren wie Sprache oder finanzielle Aspekte sprechen für ihn. Sein Vertrag beim DFB endet derzeit nach der Europameisterschaft im Sommer. Und wenn es dennoch letzte Zweifel daran gibt, dass der FC Bayern mit Nagelsmann eine neue Ära starten kann, dann muss eben das unschlagbarste aller Argumente her: Stallgeruch.
In England würde man sagen: „He knows the club.“
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