FC Bayern: Hooli-Kane wütet in Dortmund! Drei Dinge, die auffielen

Justin Trenner 05.11.2023

Das Westfalenstadion in Dortmund war verstummt. Nur der mitgereiste Auswärtsblock des FC Bayern machte gegen Ende der zweiten Halbzeit noch ordentlich Party. Wurde vor der Partie noch breit darüber diskutiert, ob diesmal der Tag gekommen ist, an dem der BVB seine Serie des Grauens gegen den FC Bayern beenden könnte, wüteten die Münchner auf allen Ebenen.

Am Ende des Tages, wie Karl-Heinz Rummenigge den Satz beginnen würde, stand ein weiterer deutlicher Sieg des Rekordmeisters auf der Anzeigetafel. In der Höhe absolut verdient. Die Kritik, die an Thomas Tuchel und dem Team unter der Woche aufkochte: Verstummt. Zumindest größtenteils. So schnell kann es gehen ‒ oder?

FC Bayern: Hooli-Kane wütet in Dortmund auf dem Platz

Harry Kane ist ein absolutes Phänomen. Während teilweise noch darüber diskutiert wurde, ob er im Münchner Spiel perfekt eingebunden ist oder nicht, erzielte der Engländer bereits 17 Treffer in 14 Pflichtspielen ‒ hinzu kommen noch sieben Assists. Überhaupt traf er bisher nur in drei Pflichtspielen, in denen er von Beginn an auf dem Platz stand, nicht: Gladbach, Freiburg, Kopenhagen. Wobei er gegen den SC Freiburg immerhin einen Assist beisteuerte.

Kanes Einbindung ist eine Scheindiskussion. Kommt ein Stürmer mal zu weniger Abschlüssen, gehen diese Diskussionen los. Was der 30-Jährige bisher erlebt hat, ist aber ganz normal. Dass es hier und da im einen oder anderen Spiel noch Anlaufschwierigkeiten geben würde, war absehbar. Diese halten sich jedoch in Grenzen.

Es ist Teil seiner Spielweise, sich in eine spielmachende Rolle fallen zu lassen. Auch gegen den BVB war das abermals zu sehen. Kane macht seine Mitspieler stärker, ist ein absoluter Teamplayer. Das unterscheidet ihn von anderen Superstars auf seinem Level. Bezeichnend dafür sein Querpass auf Jamal Musiala kurz vor dem 3:0. Hätte Kane nicht knapp im Abseits gestanden, hätte der 20-Jährige das dritte Bayern-Tor erzielt ‒ dank der Uneigennützigkeit seines Mitspielers.

Kane gibt sich auf und neben dem Platz wie einer von vielen und nicht wie der Topverdiener und Mittelpunkt des Teams. Seine kurzen Videos in den sozialen Netzwerken, in denen er kurz von seinen Erlebnissen und Spielen berichtet, haben ebenso etwas Nahbares wie seine Interviews. Kane hinterlässt nicht nur einen sympathischen Eindruck, er liefert auch noch sportlich ab. Ein Volltreffer für die Bayern. Ein Dreh- und Angelpunkt, wie ihn sich Julian Nagelsmann in der Offensive gewünscht hätte. Vielleicht schaute der Bundestrainer deshalb so grimmig auf der Tribüne des Westfalenstadions.

FC Bayern: Thomas Tuchel wütet in Dortmund neben dem Platz

Der Nagelsmann-Nachfolger sorgte in Dortmund ebenfalls für Schlagzeilen. Thomas Tuchel ließ es sich nicht nehmen, bei jeder Gelegenheit in Richtung Sky zu ätzen. Die Experten Dietmar Hamann und Lothar Matthäus hatten in den vergangenen Tagen und Wochen keine Gelegenheit ausgelassen, um den Bayern-Trainer zu kritisieren. Zerrüttetes internes Verhältnis, keine fußballerische Weiterentwicklung, es sei gar absehbar, dass der 50-Jährige nicht lange Trainer sein werde.

Schon weit vor dem Topspiel in Dortmund spitzelte Tuchel zurück. Er sehe bei Matthäus und Hamann ebenfalls keine Weiterentwicklung. Im Vorlauf des Spiels zeigte sich der Trainer schließlich komplett genervt. Im Interview mit Sky-Moderator Patrick Wasserziehr antwortete er kurz angebunden und sarkastisch: „Ich möchte nicht stören, wenn die Experten da vorne reden.“

Nach der Partie trieb er den Zoff auf die nächste Eskalationsstufe. Als Sebastian Hellmann ihm zum Sieg gratulierte, antwortete Tuchel: „Trotz Zerwürfnis in der Mannschaft mit dem Trainer, meinen Sie? Und trotz keiner Weiterentwicklung? Ja, war sehr überraschend alles.“ Und während sich Lothar Matthäus am Ende des Interviews für seine Meinung rechtfertigte, wollte Tuchel nur noch weg. „Heute haben wir 4:0 gewonnen, jetzt müsst ihr eine 180-Grad-Wende machen. Viel Spaß“, sagte er und zischte sauer ab.

Ein unerwartet dünnhäutiger Auftritt einerseits. Von einem Bayern-Trainer würde man sich mehr Souveränität erwarten, mehr Professionalität. Kritik an diesem Verhalten ist berechtigt. Zumal Tuchel es nicht bei einer oder zwei Spitzen beließ, sondern den ganzen Abend so weitermachte. Auf der Pressekonferenz ging das Spiel weiter. Statt über den tollen Auftritt seines Teams zu reden, geht ein Großteil der Aufmerksamkeit nun an diesem Streit verloren.

Dabei hatte auch Tuchel großartige Arbeit geleistet, den Gegner perfekt vorab analysiert und sein Team gut darauf eingestellt. Wie er die Stärken von Konrad Laimer und Leon Goretzka integrierte, war bemerkenswert. Die Bayern übergingen das zentrale Mittelfeld im Spielaufbau, verloren aber nicht an Dynamik in der Offensive oder an Sicherheit in der Ballzirkulation. Auch der noch stärkere Fokus auf das Gegenpressing tat dem Kader, wie er zur Verfügung stand, sehr gut. Tuchel hat alles richtig gemacht und gezeigt, warum er zu Recht zu einem der besten Trainer der Welt zählt. Den Auftritt danach hätte er nicht nötig gehabt.

Und doch hatte er einen Punkt. Die Experten von Sky ließen zuletzt wahrlich keine Möglichkeit aus, um recht eindimensional Kritik an Tuchel zu äußern. Auch im Vorlauf des Topspiels ging es kaum um etwas anderes als den vermeintlichen Fakt, dass der Trainer bisher wenig geleistet habe. Dabei wird alles ignoriert, was rund um Tuchel passiert ist: Kader, Verletzungen, strategische Fehlplanungen der letzten Jahre.

Tuchel strebt einen Philosophiewechsel an, will zurück zu einem kontrollierteren Fußball. Bei Sky spielte dieser Prozess in den letzten Wochen gar keine Rolle. Auf den ersten Blick wirkt das behäbiger, weniger dynamisch, weniger spektakulär. Langfristig kann es genau das sein, was die Bayern jetzt brauchen. Doch Kritik wird oftmals nur in der Aktualität geäußert. Umstände interessieren beim FC Bayern nicht. Dass einen Trainer das nerven kann, ist nachvollziehbar, gar menschlich. Tuchel hätte nur gut daran getan, seine nicht ungerechtfertigten Spitzen pointierter und weniger breit zu verstreuen. So kommen beide Seiten nicht gut aus der Nummer heraus.

Thomas Tuchel und Joshua Kimmich vom FC Bayern München.
Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images

FC Bayern: Social Media wütet gegen Joshua Kimmich

Ein Tor nach einer Ecke, ein defensiv vermeintlich stabiles Mittelfeld, starke Ballgewinne und ein deutlicher Sieg in Dortmund ‒ nicht dabei: Joshua Kimmich. In den sozialen Netzwerken wurden also alle gefundenen Äpfel und Birnen in einen Korb geschmissen, um das eindeutige Fazit zu ziehen: Ohne den 28-Jährigen sind die Bayern einfach besser dran. Zumal ja auch schon das 8:0 gegen Darmstadt ohne Kimmich erspielt wurde, weil der nach vier Minuten vom Platz flog.

Es ist tatsächlich ein sehr reaktionäres Fazit. Laimer und Goretzka sind plötzlich Helden, weil sie ein sehr starkes Spiel in Dortmund machten. Richtig ist auch, dass gerade Goretzka von der defensiven Absicherung Laimers profitierte und so erstmals seit langer Zeit in seiner Wohlfühlrolle als offensiver Achter agieren konnte, ohne sich um andere Dinge Gedanken zu machen. Doch wie lange würde das gut gehen?

Klar ist: Die Spiele gegen Darmstadt und Dortmund sind nicht repräsentativ für den bayerischen Alltag. Das BVB-Mittelfeld und deren wackliger Spielaufbau kamen den Stärken der gestrigen Mittelfeldbesetzung entgegen. Das trifft aber auch auf Kimmich zu, der das in der Vergangenheit oft genug gegen Dortmund bewiesen hat. Die Räume, die die Bayern im Umschaltspiel hatten sowie die Freiheit, den Spielaufbau am Sechserraum vorbei zu lenken? Hat der FCB quasi nie.

Dortmund hat es zudem nicht verstanden, sofort am Gegenspieler zu sein, wenn die Münchner einen zentralen Mann angespielt haben. Leverkusen und Leipzig machten das deutlich besser. Bei allem Lob für die Elf am Samstag sollte also nicht vergessen werden, warum das bayerische Mittelfeld in der Vergangenheit so viel Kritik abbekommen hat.

Sicher auch wegen Kimmich, aber keinesfalls ausschließlich. Tuchels Frustentladung hat entfernt auch mit der Unzufriedenheit darüber zu tun, dass er sich ein Stück weit machtlos sieht. Spielkontrolle ist nur möglich, wenn die Spielertypen dazu in jeder Situation bereit sind. Laimer und Goretzka mögen in vereinzelten Spielen wie die perfekte Lösung wirken. Doch in zu vielen Alltagssituationen haben die Bayern um Kimmich herum Spieler auf dem Feld, die nicht zu der Richtung passen, in die Tuchel den FCB entwickeln möchte.

Es ist eine derzeit populäre Schlussfolgerung, nach dem BVB-Auftritt Kimmich als Verlierer auszumachen ‒ oder gar als großes Problem dieses Teams. Bei aller Kritik, die sich der Nationalspieler für seine Form in den vergangenen Wochen verdient hat, wird Tuchel nach wie vor darauf angewiesen sein, dass die Kurve bei Kimmich bald wieder nach oben zeigt. Ein 4:0 in einem Ausnahmespiel sowie das 8:0 in Überzahl gegen Darmstadt ändern daran nichts.

Kimmich mag nicht in der Lage sein, das Spiel derart zu strukturieren und zu lenken, wie es einst Xabi Alonso oder Thiago taten. Doch auch Schweinsteiger war dazu beispielsweise weniger in der Lage, als es ihm retrospektiv unterstellt wird. Im Vergleich zu Kimmich hatte der aber das passende Umfeld ‒ taktisch, aber auch personell. Taktisch bewegt sich Tuchel in die richtige Richtung. Alles andere wird von der Kaderplanung abhängen. Kimmich nun wegen einer vermeintlichen Gegenprobe in Dortmund das Potenzial abzusprechen, einer der wichtigsten Spieler dieses Teams zu sein, greift deutlich zu kurz. Äpfel und Birnen eben.

Der Weg des FC Bayern unter Tuchel ist noch sehr weit. Weit genug, um nicht nach zwei gegensätzlichen Ergebnissen und zehn Bundesliga-Spieltagen ein grundlegendes Fazit zu ziehen.



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