Georgia Stanway und Lina Magull im Zweikampf.

FC Bayern: Mehr Höhen als Tiefen bei der EM 2022

Justin Trenner 02.08.2022

Sechs lange Wochen dauert es nach dem Finale der Europameisterschaft 2022, bis der FC Bayern München die neue Bundesliga-Saison in Frankfurt eröffnet. Und es wird eine sehr spannende Saison für die Vizemeisterinnen des Vorjahres. Mit Alexander Straus haben sie einen neuen Trainer verpflichtet, einige Neuzugänge wurden ebenfalls schon bestätigt.

Mit der Europameisterschaft und der Copa América fanden zwei große Turniere statt, bei denen sich nicht nur neue, sondern auch etablierte Bayern-Spielerinnen zeigen konnten. Wir ziehen eine Bilanz.

Ohne Bewertung bleibt Cecilía Rán Rúnarsdóttir. Die 19-jährige Torhüterin kam für Island nicht zum Einsatz, wurde von den Bayern aber nach einer halbjährigen Leihe fest verpflichtet. Aktuell fällt sie mit einem Fingerbruch aus.

FC Bayern: Hinter den Erwartungen zurückgeblieben

Aus Bayern-Sicht gibt es keine Spielerin, die sehr klar hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist. Es gab aber einige, die während des Turniers vom Glück verlassen wurden. Das präsenteste Beispiel ist Lea Schüller. Die 24-Jährige startete vielversprechend in die Europameisterschaft, traf zum Auftakt der DFB-Auswahl gegen Dänemark per Kopf. Anschließend erkrankte sie aber an Corona – glücklicherweise ohne Symptome.

Beim Turnier selbst entwickelte sich indes aber Alexandra Popp zum Star des deutschen Teams. An ihr gab es anschließend kein Vorbeikommen mehr. Ausgerechnet im Finale drehte sich das Schicksal aber nochmal. Popp fiel kurzfristig aus und Schüller musste nun einspringen. Eine Chance vergab sie überhastet und sonst fehlte ihr die Anbindung zum Spiel etwas. Ein unglückliches Ende für eine Spielerin, die sich mehr erhofft hatte.

Unglücklich verlief die EM auch für Hanna Glas. Die 29-Jährige wurde ebenfalls positiv auf das Coronavirus getestet, verpasste insgesamt aber nur ein Spiel. Im Halbfinale gegen England machte sie kein gutes Spiel, was womöglich mit der Erkrankung zuvor zusammenhing. In der Gruppenphase blieb sie jedoch ebenfalls häufig unter ihren Möglichkeiten. Gerade im Offensivspiel hinterließ sie einen unsicheren Eindruck. Für sie könnte es eine sehr wichtige Saison werden. Schon bei den Bayern hatte sie zuletzt ihren Startplatz nicht mehr so sicher wie noch im Jahr zuvor.

FC Bayern: Die Erwartungen erfüllt

Es wird der Leistung von Sarah Zadrazil eigentlich nicht gerecht, sie in eine so neutral umschriebene Kategorie einzuordnen. Allerdings sind die Erwartungen an sie auch einfach riesig und deshalb hat sie gewohnt stark abgeliefert. Ob mit oder ohne Schuh – Zadrazil schmiss sich in jeden Zweikampf und war der Motor der Österreicherinnen. Immer wieder trieb sie ihr Team an und zeigte selbst gegen Deutschland, dass sie zur Weltspitze gehört. Lediglich im Eröffnungsspiel gegen England lief das Geschehen etwas an ihr vorbei.

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Auch Carina Wenninger hat die Erwartungen erfüllt. Die an die AS Roma ausgeliehene Innenverteidigerin zeigte sich resolut im Zweikampfverhalten und sicher im Passspiel. Umschrieben werden könnte die Leistung mit „solide“. Etwas mehr als das konnte Linda Dallmann anbieten. Ihren ersten Startelf-Einsatz gegen Finnland nutze sie für eine beeindruckende Leistung. Ansonsten belebte sie das Spiel meist von der Bank und wusste mit gefährlichen Pässen, Läufen und Abschlüssen zu überzeugen. Nur das Tor war ihr nicht vergönnt, obwohl sie gegen Frankreich nah dran war.

Klara Bühl könnte man getrost auch eine Kategorie höher ansiedeln. Sie war für Deutschland bis zu ihrer Coronainfektion der Shootingstar. Es ist beeindruckend, wie mutig und selbstbewusst die 21-Jährige auftritt. Gleichzeitig muss sie an ihrer Präzision arbeiten. Im technischen Bereich, aber auch im Abschluss. Gerade weil Bühl schon bei den Bayern eine starke Saison hinter sich hatte, hat sie die Erwartungen an sie eher erfüllt – was in diesem Alter alles andere als selbstverständlich ist. Es hätte ihr Turnier werden können – doch leider fiel sie in der entscheidenden Phase aus.

Magull und Viggósdóttir auf hohem Niveau

Lina Magull durchlief hingegen eine wechselhafte Europameisterschaft. Dreimal erzielte sie das wichtige erste deutsche Tor: Zum Auftakt gegen Dänemark (4:0), zum K.-o.-Spiel-Auftakt gegen Österreich (2:0) und im Finale den zwischenzeitlichen Ausgleich gegen England (1:2 n. V.). Darüber hinaus führte sie das Pressing aus einer offensiven Mittelfeldposition heraus an. Gerade gegen Spanien und Frankreich, aber auch in der ersten Halbzeit gegen England gelang es ihr nicht, das Spiel an sich zu reißen.

Magull durchlebte dennoch eine für alle sichtbare Entwicklung während des Turniers. Allein wie sie im Endspiel das Zepter nach schwachem Start in die Hand nahm und Deutschland das Geschehen auch deshalb unter Kontrolle bekam, spricht für ihre enorme Qualität. Schafft sie es, diese Mentalität auch bei den Bayern regelmäßig auf den Platz zu bringen, wird die Kapitänin noch wertvoller für die Münchnerinnen.

Bei Glodis Viggósdóttir steht am Ende ebenfalls ein positives Fazit. Auch wenn Island die kleine Überraschung nicht gelungen ist und sie nach der Gruppenphase ausschieden, so spielte die Innenverteidigerin ein sehr starkes Turnier. Gegen sehr offensivstarke Teams (insbesondere Frankreich) verteidigte sie großartig. Bei den Bayern hatte sie die Erwartungen an sie bisher nicht ganz erfüllen können. Für die 27-Jährige steht eine wichtige Saison an.

FC Bayern: Die Erwartungen übertroffen

Eine der besten Isländerinnen war aber Karólína Lea Vilhjálmsdóttir. Die 20-jährige Offensivspielerinnen verzückte viele Fans in England mit ihrem selbstbewussten Auftreten. Sie verteilte die Bälle klug, ließ sich kaum von Gegnerinnendruck beeinflussen und sorgte für viel Torgefahr. In den drei Partien erzielte sie einen Treffer selbst und bereitete einen vor. Gegen Italien wurde sie allerdings auch zur tragischen Heldin, als sie den Siegtreffer verpasste und anschließend mit Tränen auf der Bank saß.

Nichtsdestotrotz ist Vilhjálmsdóttir eine der bayerischen Gewinnerinnen dieses Turniers. Ihre erfrischende Spielweise dürfte auch dem neuen Trainer gefallen. Dem dürfte auch die Leistung von Giulia Gwinn gefallen haben. Die Außenspielerin, bei Deutschland als Rechtsverteidigerin eingesetzt, war eine der besten Spielerinnen des Turniers. Offensiv gewohnt gefährlich mit Tempovorstößen und guten Laufwegen, defensiv nur selten unter Bedrängnis – das ist die neue Benchmark, die sie nun auch beim FC Bayern halten muss. Angesichts der über weite Strecken sehr guten letzten Saison dürften die Zweifel daran recht gering sein.

Zweifel gab es vor dem Turnier an Sydney Lohmann. In der abgelaufenen Saison fiel sie lange verletzt aus. Gegen Ende kam sie dann wieder zum Einsatz und wusste direkt zu überzeugen. Doch ihr war anzumerken, dass die Pause ihren Tribut gezollt hat. Bei der EM war deshalb nicht mehr drin als eine Jokerrolle. Die erfüllte sie aber mit Bravour. Ihre Einwechslungen belebten das deutsche Spiel jeweils deutlich. Gegen Frankreich war sie mit ihrer Verlagerung vor dem 2:1-Siegtreffer ein spielentscheidender Faktor. Lohmanns Talent scheint grenzenlos zu sein – aber auch ihre Wucht und ihre Einstellung zum Spiel sind bemerkenswert.

FC Bayern: Georgia Stanway ist Spielerin des Monats

Im Finale stand sie nicht mehr auf dem Platz, als Chloe Kelly das entscheidende 2:1 für England erzielte. Dass die Engländerinnen aber überhaupt Europameisterinnen geworden sind, liegt zu großen Teilen an Georgia Stanway. Die Mittelfeldspielerin, von uns als flexible Offensivkraft vorgestellt, bewies bei diesem Turnier ihre Vielseitigkeit.

Mittlerweile ist ihr Transfer nicht mehr nur als „kleines Zeichen“, sondern als „sehr großes Zeichen“ zu bewerten – ein absoluter Coup. Der Satz „an dieser Spielerin wird die Bundesliga noch viel Freude haben“ war während der deutschen Übertragungen einer der meist ausgesprochenen überhaupt.

Zu Recht. Stanway war eine sehr wichtige Unterstützung für die Sechserin Keira Walsh, weil sie sich immer wieder klug zwischen die Linien schob und dort die Dynamik des englischen Spiels überhaupt entstehen ließ. Ihre Dribblings, ihr Abschluss (Spanien träumt noch heute davon), ihre Ballsicherheit – der FC Bayern kann sich auf ein sehr großes Talent freuen – mit der Aussicht, dass sie schon sehr bald zu den besten der Welt zählt.

Dafür muss sie ihre Turnierleistung nun bestätigen. Bei den Bayern wird sie wahrscheinlich noch offensiver agieren. „An dieser Spielerin wird die Bundesliga noch viel Freude haben“.

Tainara gewinnt die Copa America – Hegering hinterlässt großes Erbe

Mit Tainara de Souza da Silva haben die Bayern noch eine weitere Turniersiegerin verpflichtet. Die Brasilianerin gewann als Stammspielerin die Copa America. In München sind die Verantwortlichen schon vor ihrem ersten Training sehr angetan von ihrer Athletik und ihrer Qualität.

Sie soll Marina Hegering ersetzen, die den FC Bayern in Richtung Wolfsburg verlässt. Und das ist dann vielleicht der kleine Wermutstropfen dieses Sommers: Hegering spielte eine sehr starke Europameisterschaft. Auch wenn ihre Fitnessprobleme am Ende kaum zu übersehen waren, so zeigte sie, dass sie in Top-Form eine Weltklassespielerin ist.

Tainara wird sie nicht allein ersetzen können, so viel ist klar. Gemeinsam mit Saki Kumagai und Viggósdóttir, die beide Schritte nach vorn machen müssen, wird sie aber ein wichtiges Puzzleteil sein. Eine weitere Innenverteidigerin soll nach Informationen von Miasanrot nicht kommen. Zumal mit Emilie Bragstad noch ein junges Talent aus Norwegen verpflichtet wurde.

Social-Media-Account des Monats: Jovana Damnjanović

Keine Bayern-Spielerin hat das Turnier mit so viel Enthusiasmus und Leidenschaft verfolgt wie sie – zumindest in den sozialen Netzwerken. Gut, nun waren viele ja auch selbst dabei, aber wie sich die Stürmerin beispielsweise für die TV-Übertragung in ihrem Land stark gemacht hat, verdient eigentlich noch mehr Aufmerksamkeit. Auf Instagram teilte sie, dass sie Kontakt zum ÖRR in Serbien aufgenommen hatte:

https://twitter.com/JustinKraft_/status/1547276026161631233?s=20&t=CUgzg5eWpo_Wh0tovc1ZTA

Aber auch mit ihrem trockenen Humor wusste sie zu glänzen:

https://twitter.com/JocaDamnjanovic/status/1553805339484557313?s=20&t=CUgzg5eWpo_Wh0tovc1ZTA

Auf Damnjanović können sich die Bayern auch in der kommenden Saison wieder verlassen – sportlich und auch zwischenmenschlich.