Der FC Bayern in der Nationalmannschaft
Wir wollen wenige Tage vor dem Auftakt der Europameisterschaft die Rollen der Bayern-Spieler in Jogi Löws Kader analysieren und dabei auch kurz auf die Spieler blicken, die mal Bayern-Spieler waren oder werden.
Manuel Neuer
Der Welttorhüter ist so unumstritten wie vielleicht keine andere Personalie im Kader. Speziell bei der WM 2014 untermauerte der ehemalige Schalker, weshalb das so ist. Jeder dürfte sich an das Achtelfinale gegen Algerien erinnern, als Neuer mit mehreren riskanten Ausflügen das Viertelfinale sicherte. Auch im weiteren Turnierverlauf konnte der 30-Jährige sich beweisen und avancierte zu einem der Spieler des Turniers. Schlussendlich gewann er nicht nur den Pokal für den besten Torhüter der WM, sondern wurde auch unter die besten drei bei der Wahl zum Weltfußballer des Jahres gewählt. Gerade in der Nationalmannschaft, wo die Defensive nicht so gut eingespielt sein kann wie im Verein, wird es auch auf die Torhüter ankommen. Manuel Neuer kann und muss dort den Unterschied machen. Auch und vor allem sein Aufbauspiel sowie seine für einen Torwart stark ausgeprägte Spielintelligenz werden der neuformierten Abwehr sehr helfen.
Jérôme Boateng und Mats Hummels
Zwar ist Mats Hummels zum jetzigen Zeitpunkt noch Spieler von Borussia Dortmund, doch lohnt es sich, ihn unter die Lupe zu nehmen. Dem ehemaligen und zukünftigen Bayern-Akteur wird wie schon bei der Weltmeisterschaft in Brasilien eine große Rolle zukommen. Zusammen mit Boateng bildete er schon damals das wohl beste Innenverteidiger-Duo mit dem Ball. Beide ergänzten sich so gut, dass man im gesamten Turnierverlauf nur vier Gegentore kassierte und vier Spiele zu Null absolvierte. Hatte der eine einen normalen Tag, wuchs der andere über sich hinaus. Boateng ist im Ballbesitz vor allem für die langen Bälle zuständig, während Hummels das Spiel mit gezielten Dribblings oder flachen, scharfen Pässen eröffnet. Beide werden das Spiel gestalten, den Takt bestimmen und darüber mitentscheiden, wie sauber die Ballzirkulation der deutschen Mannschaft sein wird. Gegen den Ball wird Boateng seinen Partner absichern müssen, wenn dieser aus der Vierer- oder Fünferkette stößt. In diesem Prozess harmonierten beide in der Vergangenheit immer sehr gut. Hummels antizipierte viele Spielzüge des Gegners, doch wenn er sich verschätzte, war sein Pendant zur Stelle um die Situation zu bereinigen.
Nicht nur Jogi Löw darf sich glücklich schätzen dieses Duo in seinen Reihen zu haben, sondern auch Carlo Ancelotti wird sehr genau hinschauen. Man könnte die EM auch als Generalprobe für die neue Saison verstehen, wenn man es mit dem FC Bayern hält. Es wird jedoch tatsächlich spannend zu sehen, ob beide an ihr Leistungsmaximum herankommen können. Boateng fiel fast die gesamte Bundesliga-Rückrunde aus und tastete sich zuletzt wieder an seine Normalform heran. Auch bei Hummels gibt es noch Fragezeichen. Im Pokalendspiel zog er sich einen Muskelfaserriss zu und wird so wahrscheinlich zum Auftakt fehlen. Der 27-Jährige muss dementsprechend im laufenden Turnier seine Form finden. Beide sind sehr erfahrene und wichtige Stützen für Löws Team, deshalb ist es unbedingt notwendig, dass das zukünftige Innenverteidiger-Duo rechtzeitig fit wird.
Thomas Müller
Auf Müller ruhen in diesem Turnier noch mehr Hoffnungen als in den Jahren zuvor. Miroslav Klose ist in den letzten Zügen seiner Karriere und steht nicht mehr zur Verfügung, während man bei Mario Gomez schauen muss, ob er an seine starke Europameisterschaft 2012 anknüpfen kann. Müller ist die einzige Konstante im Sturm. Zudem ist er sehr flexibel einsetzbar. Löw kann ihn in den Halbräumen, auf dem Flügel oder ganz vorne drin positionieren. Es ist weitestgehend bekannt, dass Thomas Müller einer für die großen Spiele ist. Wenn Deutschland weit kommen sollte, brauchen sie den 26-Jährigen in seiner Bestform, um auch die letzten Schritte zum Titel zu gehen. Auch neben dem Platz wird der Bayern-Stürmer wichtig sein. Einerseits, weil der Oberbayer für gute Stimmung sorgt, aber auch aus dem Grund, weil er mittlerweile eine große Erfahrung hat und diese an die jüngeren Spieler weitergeben kann. Müller ist zur Führungsfigur gereift und ist einer von ein paar Kapitänen in der Mannschaft, die sich die Verantwortung aufteilen.
Mario Götze
Für Götze wird die Europameisterschaft sehr spannend. Ihm droht eine ähnliche Rolle wie zur WM 2014, als er nur in wenigen Spielen gesetzt war. Auch bei seinem wichtigen Tor gegen Argentinien im Finale kam er nur von der Bank. Götze kann sich bei der EM beweisen und sich so mehrere Optionen erarbeiten. Eine davon ist der noch nicht endgültig ausgeschlossene Verbleib in München. Zwar deuten die Aussagen von Ancelotti und Rummenigge auf einen baldigen Abschied hin, doch der Allgäuer sprach selbst davon noch bei den Bayern bleiben zu wollen. Er betonte auch im Jahr 2015 dass er gerne „ein Gesicht“ beim Rekordmeister werden würde. Dazu fehlt jedoch noch sehr viel. Mit der Trennung von seinem Berater, sowie einigen hoffnungsvollen Aussagen, hat Götze jedoch die ersten Schritte nach vorn gemacht. Seine Rolle bei der Nationalmannschaft ist schwer zu deuten. Der 24-Jährige wird seine Spielzeit aber mit Sicherheit bekommen. Kann er dort überzeugen und seine Abschlussqualitäten einbringen, winkt ihm vielleicht sogar eine Schlüsselrolle in der Offensive.
Joshua Kimmich
Der Debütant in der Nationalmannschaft ist Joshua Kimmich. Seine Rolle zu bewerten fällt schwer. Wenn Jogi Löw das nötige Vertrauen in den 21-Jährigen hat, kann er durchaus die Lücke ein Stück weit schließen, die Lahm hinterlassen hat. Als Rechtsverteidiger könnte Kimmich der Mannschaft vielleicht sogar mehr helfen als Emre Can. Löw machte im Kicker bereits Andeutungen, dass er dort spielen könne. Kimmichs Rolle ist aber nicht nur von Löws Plänen mit ihm persönlich abhängig, sondern auch von der Grundausrichtung. Spielt der Bundestrainer mit einer Dreier- beziehungsweise Fünferkette, steigen die Chancen für einen Einsatz vielleicht. Als Halbverteidiger konnte Kimmich gegen die Slowakei zwar nur phasenweise überzeugen, doch gerade die Rolle als Flügelverteidiger könnte ihm entgegen kommen. Dort hat der gelernte Mittelfeldspieler viele Freiheiten nach vorn, kann aber zugleich seine defensiven Stärken einbringen. Außerdem wäre er in dieser Formation ausreichend abgesichert, um auch mal etwas ins Risiko zu gehen. Dass Jogi Löw sich gegen Sebastian Rudy und für Joshua Kimmich entschieden hat, zeigt jedenfalls, dass auch dem Bundestrainer das außergewöhnliche Talent des Debütanten nicht entgangen ist. Seine Rolle für das Turnier wird vor allem davon abhängen, wie er in dieses reinkommt. Bekommt er direkt Spielminuten, muss er sie nutzen. Kann er überzeugen, winkt ihm vielleicht der ganz große Schritt in die erste Elf. Es ist aber auch möglich, dass dieser für Löw zu früh kommt und Kimmich so wenige, oder gar keine Minuten sammeln wird.
Ex-Bayern-Spieler und ein Ausblick
Mit Toni Kroos, Bastian Schweinsteiger, Mario Gomez, Emre Can und Lukas Podolski sind zudem fünf weitere Spieler im Kader, die eine Vergangenheit beim FC Bayern haben. Letzterem winkt dabei eher keine große Gelegenheit sich noch einmal zu beweisen. Podolski ist natürlich ein wichtiger Bestandteil für die Stimmung in der Mannschaft, ein häufig unterschätzter Aspekt. Nebenbei hat der Stürmer von Galatasaray aber auch noch einige sportliche Qualitäten zu bieten, die ebenfalls von einigen unterschätzt werden. Podolski ist ein geradliniger Spieler, von dem sich Joachim Löw vielleicht als Joker noch etwas verspricht. Dass der Bundestrainer ihn nur als „Maskottchen“ mitgenommen habe, ist jedenfalls respektlos, wie der Stürmer in einer Pressekonferenz selbst zurecht anmerkte. Podolski besetzt einen der hinteren Kaderplätze und dass auf diesen nicht immer nach Leistung, sondern auch nach der Wichtigkeit fürs Mannschaftsgefüge sortiert wird, ist vollkommen legitim.
Auch bei Emre Can ist nicht ganz sicher welche Rolle er bekleiden kann und wird. Er ist einer der Konkurrenten von Kimmich für die größte Baustelle: die Rechtsverteidiger-Position. Für ihn gilt dasselbe wie für seinen Kontrahenten. Sollte Can das Vertrauen in der Gruppenphase bekommen und überzeugen, wird er vermutlich auch in der KO-Phase spielen. Die Situation von Mario Gomez ist hingegen einfacher einzuschätzen. Der Stürmer hat bereits mehrfach betont, dass er sich unterordnen wird. Schon 2013, als Bayern das Triple holte, machte er sich mit dieser Rolle vertraut. Gomez ist ein positiver Typ, der alles dafür tut, dass die Mannschaft erfolgreich ist und wenn das für ihn die Bank bedeutet, dann kann er das akzeptieren. Auch deshalb kommt Löw mit ihm deutlich besser zurecht als mit anderen Stürmern in der Vergangenheit. Gomez wird seine Einsätze bekommen, aber vermutlich auch mal nicht spielen, wenn der Bundestrainer eher die Notwendigkeit für einen flexibleren Sturm sieht.
Die letzten beiden im Bunde sind Toni Kroos und Bastian Schweinsteiger. Beide sind unumstritten beim Trainer. Kroos sorgt für Stabilität im Aufbauspiel und gibt den Verbindungsspieler zwischen Abwehr und Angriff, während Schweinsteiger – sofern er denn fit wird – überall auf dem Platz zu finden sein sollte. Gerade der 31-Jährige ist ein großes Fragezeichen. Seine Formkurve zeigte nach der WM 2014 steil nach unten, viele Verletzungen warfen ihn zurück. Er behauptet von sich selbst, dass er jetzt schon weiter ist als bei der Weltmeisterschaft in Brasilien zum selben Zeitpunkt. Auch wenn er sportlich nicht mehr das Level einiger jüngerer Akteure hat, ist er aber von großer Bedeutung für das Team. Ohne einen fitten Schweinsteiger wird es schwierig dieses Turnier zu gewinnen.
Auch deshalb sieht sich Deutschland vor einigen Problemen. Philipp Lahm hat ein riesiges Loch hinterlassen, Schweinsteiger ist nicht bei 100% und wird diese vermutlich auch nicht erreichen. Ob der Rest des Kaders in der Lage ist diese Lücke zu schließen und den doch recht großen Umbruch zu vollziehen, wird sich zeigen. Deutschland ist zwar einer der großen Favoriten, doch Frankreich und Spanien sowie einige weitere Mitfavoriten haben ihren Umbruch bereits hinter sich gebracht oder er steht noch bevor. Bei der Elf von Jogi Löw wird man jedoch das Gefühl nicht los, dass dieser noch lange nicht vorbei ist.