FC Bayern Frauen: Herr Scheuer, warum die Umstellung?

Justin Trenner 23.03.2022

„Es ist immer schön, in der Allianz Arena zu treffen“, sagte Klara Bühl als wäre es ihr hundertster Treffer dort gewesen. Ihre Stimme war hörbar angeschlagen, musste sie mit ihren Mitspielerinnen vor rund 13.000 Zuschauer:innen diesmal doch etwas lauter kommunizieren.

Die 21-Jährige war nicht nur eine der besten Spielerinnen auf dem Platz, sondern sorgte mit ihrem Freistoßtreffer in der 83. Minute auch für große Hoffnung beim FC Bayern München. Auch dank der abgeschafften Auswärtstorregel hat das Team von Jens Scheuer so noch gute Karten auf das Halbfinale.

„Wir haben ein fantastisches Spiel abgeliefert. Wir waren vielleicht in der einen oder anderen Situation in der ersten Halbzeit etwas zu hektisch, aber wir haben das Spiel über weite Strecken dominiert“, analysierte der Bayern-Trainer und stellte fest :„Wir haben gegen eine Mannschaft gespielt, die absolutes europäisches Spitzenniveau hat.“

Insofern überwog auch der Stolz auf die Leistung seiner Spielerinnen. An einem glücklicheren Tag wäre das Spiel anders ausgegangen, befand Scheuer ob der beiden Aluminiumtreffer.

Hier kommt ihr zu unserem Spielbericht und unserer ersten Analyse nach Abpfiff.

Bayern kontrolliert, aber über weite Strecken nicht druckvoll

Bei 15 zu acht Abschlüssen und einem Ballbesitzverhältnis von 55 zu 45 Prozent können die Bayern mit ihrer Leistung durchaus zufrieden sein. Im Spielaufbau machten sie kaum große Fehler. Lina Magull und Sarah Zadrazil bestätigten im Mittelfeld ihre zuletzt gute Form, boten sich immer wieder in den Zwischenräumen auf den Halbpositionen an und drehten dort mehrfach klug auf. 

Allerdings lief Paris auch nur selten druckvoll an. Statt Bayern weiter vorn unter Druck zu setzen, warteten sie in einer tiefen Position auf Fehler, die sie anschließend für ihr schnelles Umschaltspiel nutzten. Dafür war das Aufbauspiel dann vor allem in der ersten Halbzeit wiederum nicht immer schnell und mutig genug.

Sowohl Carina Wenninger als auch Glodis Viggosdottir spielten nicht übermäßig oder schwerwiegende Fehlpässe, sie spielten aber auch nur wenige, die gleichbedeutend mit einem großen Raumgewinn waren. Im Mittelfeld tat sich zudem Saki Kumagai schwer damit, Vertikalität ins Spiel zu bringen.

Scheuer erklärt seine Umstellungen

„Mit Carina Wenninger wollten wir einfach eine physisch starke Spielerin reinbringen, weil wir um die Kopfballstärke von Paris wussten“, erklärte Scheuer auf Miasanrot-Nachfrage seine Umstellungen im Defensivbereich: „Da wollten wir gerade bei Standards eine Spielerin dagegenstellen, die eine gute Physis mitbringt.“ Bei diesem Satz musste er kurz verlegen lachen. Schließlich fielen beide Gegentore nach Standardsituationen.

So richtig aufgegangen ist der Plan nicht. Wenninger gewann nur eines ihrer fünf Kopfballduelle und wirkte auch darüber hinaus ab und an etwas überfordert. Ihre letzte Partie über 90 Minuten absolvierte sie Ende Februar beim 9:1-Sieg über Jena im Pokal. Aber auch das Mittelfeld spielte in den Gedanken Scheuers eine Rolle.

„Deswegen haben wir Saki (Kumagai, Anm. d. Red.) dann auf die Sechs gezogen, auch als ballsichere Spielerin“, analysierte er: „Ich denke, Saki tut uns da auch gut, obwohl heute nicht ihr bester Tag war.“ Die Japanerin brachte zwar 91 % ihrer Pässe zu einer Mitspielerin, verlor den Ball aber auch mehrfach in sehr ungünstigen Positionen.

Paris mit „Überzahl im Zentrum“ bespielen

Dass die Bayern vor allem über die rechte Seite angriffen, sei indes kein besonderer Teil des Matchplans, sondern eher eine Folge der Aufstellung gewesen. „Wir haben halt unterschiedliche Spielertypen am Flügel“, erklärte Scheuer die starke Asymmetrie: „Viviane Asseyi ist eher die Spielerin, die die Halbräume nutzt. Klara (Bühl, Anm. d. Red.) ist eine Spielerin, die einen klassischen Flügelstürmer darstellt.“ Deswegen habe man verstärkt Druck über die rechte Seite erzeugt.

Unzufrieden mit der linken Seite war der Trainer aber nicht. „Giulia Gwinn ist als Außenverteidigerin immer wieder mal auf die Sechs gegangen und ist von den Halbpositionen gekommen, weil Paris im Mittelfeld mit nur einer Sechs gespielt hat und da wollten wir die Überzahl nutzen im Zentrum“, sagte Scheuer. Tatsächlich verteidigten sie tiefstehend oft mit einer Doppelsechs, in höheren Pressingphasen war es die von ihm angesprochene alleinige Sechs.

Potential nach oben sah er beim letzten Ball, der einerseits besser gespielt werden müsse und wo andererseits im Strafraum die Besetzung nicht immer optimal gewesen sei. Da müsse das Team körperlich noch stärker und „gnadenloser“ werden.

Bayerns Struktur mit Stärken und Schwächen

Strukturell brachte die Asymmetrie in der Formation tatsächlich einige gute Durchbrüche auf der rechten Seite. Bis zur Einwechslung von Sydney Lohmann in der 61. Minute war dieses Muster aber zu berechenbar. Verlagerungen wie vor dem 1:0 gegen Eintracht Frankfurt am letzten Freitag blieben fast gänzlich aus, weil links eben zwei Spielerinnen mehrfach gleichzeitig einrückten.

Was im Pressing, im Gegenpressing und manchmal auch in der Ballzirkulation wertvoll ist, weil das Team kompakt bleibt, kann auf Dauer einem Gegner in die Karten spielen, der tief verteidigt. Paris stellte sich zunehmend darauf ein, musste nicht mal viel Laufaufwand betreiben, um Bayern auf der rechten Seite oder im Zentrum zu stellen.

Im sortierten 4-4-2 konnten sie sowohl Kumagai auf der Sechs als auch Magull und Zadrazil auf den Achterpositionen zu oft mit Überzahl abdecken. Das gleichzeitige Einrücken von Gwinn und Asseyi machte es PSG einfach, horizontal kompakt zu bleiben. Stattdessen wäre es in mehreren Situationen gut gewesen, die gegnerische Formation auseinander zu ziehen, indem mindestens eine Spielerin deutlich breiter steht. Erst mit Lohmann kamen alternative Handlungsmuster ins Spiel, weil sie deutlich dynamischer und weniger berechenbar agierte.

Länger durfte Scheuer sie aber nicht einsetzen. Das sei eine Vorgabe der medizinischen Abteilung gewesen. Dennoch ist es fraglich, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, mit Linda Dallmann auf der Zehn zu beginnen. Eigentlich war die 27-Jährige zuletzt gut in Form und vermutlich wäre so von Anfang an mehr Druck im Spiel nach vorn entstanden.

Das Problem der fehlenden Verlagerungen hätte sich damit aber wahrscheinlich auch nicht gelöst. Zwar spielen Frauen insgesamt deutlich weniger lange Verlagerungen als die Männer und auch ihr Spiel ist häufig grundsätzlich enger angelegt, aber trotzdem fehlte den Bayern eine Option, sich vom rechten Flügel zu befreien und links den großen Raum mit Tempo zu nutzen.

Paris einfach schneller als die Bayern

Tempo ist ohnehin ein Thema dieses Spiels gewesen. Selbst die schnellsten Spielerinnen der Bayern hatten mitunter große Probleme, den Gegenspielerinnen zu folgen. PSG machte insgesamt nur selten einen guten Eindruck, wenn es um fußballerische Grundqualitäten wie Pass- oder Laufspiel ging, aber sobald sie ihr Tempo ausnutzen konnten, wurde es gefährlich.

Wie beim Freistoß, der zur Ecke führte, die wiederum das 0:1 zur Folge hatte. Dass Asseyi dieses taktische Foul aufgrund der Überzahlsituation nicht begehen muss, ist die eine Geschichte in der Entstehung. Die andere ist, dass Kadidiatou Diani fast 60 Meter am Flügel davonlaufen konnte.

Im Gegenzug fiel es den Bayern in der eigenen Offensive wiederum schwer, einen Tempovorteil gegen Paris zu erzeugen. Fußballerisch waren sie dennoch das bessere Team, was ihnen die Hoffnung gibt, den Rückstand im Rückspiel nochmal zu drehen.

Scheuer selbstbewusst: Rückspiel „werden wir gewinnen“

Zumal spätestens jetzt klar ist, worauf sie besonders Acht geben müssen. Das schien ihnen auch in der Gruppenphase zu helfen, als das Hinspiel gegen Lyon auf enttäuschende Art und Weise verloren wurde, man im Rückspiel aber überzeugte und mit 1:0 gewann. Ein Ergebnis, das jetzt für die Verlängerung reichen würde.

Beide Gegentore fielen nicht nur nach Standards, sondern auch in Spielphasen, die klar an die Bayern gingen. Dass sie sich davon nicht negativ beeinflussen ließen und jeweils zurück zu ihrem Spiel fanden, ist ein positives Zeichen. Das Ergebnis mag ernüchternd sein. Die Leistung aber war es trotz einiger Probleme keinesfalls.

„Es ist Champions League und es gibt zwei Spiele. Das eine haben wir jetzt verloren und das andere werden wir gewinnen“, sagte Scheuer selbstbewusst. Klara Bühl, die schon 2019 vor Rekordpublikum im Wembley einen Siegtreffer für Deutschland erzielte, sorgte mit ihrem Tor und ihrem insgesamt starken Auftritt dafür, dass diese Aussage nicht übermütig, sondern einfach nur realistisch klingt. Und vielleicht darf sie dann ja sogar schon im Halbfinale bestätigen, dass es immer schön ist, „in der Allianz Arena zu treffen.“ Sie wäre dann wohl endgültig die Frau für die ganz großen Spiele.