EM-Blog, Tag 30: Der FC Bayern bei der EM – Ein Zeugnis

Daniel Trenner 14.07.2024

Heute kehren wir zum Ursprungswesen von Miasanrot zurück und ordnen die Europameisterschaft aller Bayern-Profis ein.

Deutsche EM-Fahrer

Manuel Neuer

Vor dem Turnier noch der umstrittenste deutsche Spieler, konnte Neuer ab dem zweiten Spiel die Gunst der Nation zurückgewinnen. Gute Paraden gegen Ungarn, eine starke Flugshow gegen Xhakas Weitschuss, ein wenig beachtetes Top-Spiel gegen Dänemark, gute Entschärfungen gegen Spanien, insbesondere bei einer Chance von Williams aus spitzem Winkel.

Wenig beachtet von deutschen Medien waren allerdings immer wieder seine kleineren Wackler. Gegen Ungarn verschuldet er kurz vor Schluss fast ein Gegentor bei einer fallengelassenen Flanke, Joshua Kimmich musste auf der Linie retten. Im letzten Spiel ließ er einen Weitschuss weit nach vorne prallen. Manch einer unterstellt ihm sogar, sich beim schweizer Führungstor verspekuliert zu haben am letzten Gruppenspieltag.

Es ist diese Dichotomie, die Neuers letzte Wochen umschreibt: Stabile Weltklasse wechselt sich immer wieder mit dem einen unvorhergesehenen Fehler ab. Manuel Neuer wurde schon viele Male zu früh der Abgesang aus der Spitzenklasse unterstellt, aber wahrscheinlich ist er nun tatsächlich an seinem Karriereherbst angekommen.

Joshua Kimmich

Der nominelle Mittelfeldspieler hat zum Außenverteidiger-Boom bei dieser EM beigetragen, die einstige Problemposition im Weltfußball wurde Zeuge von wirklich vielen exzellenten Interpreten. Kimmich begann die EM extrem stark mit einer Top-Leistung im Eröffnungsspiel als spielgestaltender Rechtsverteidiger mitsamt anderthalb Vorlagen. Im Rest der Gruppenphase flachte es allerdings etwas ab, gegen Ungarn verspekulierte er sich gleich in der allerersten Minute, zwang Neuer zu einer riskanten Klärungsaktion, gegen die Schweiz verkannte er wie seine Partner Rüdiger und Tah die Gefahr bei der Schweizer Führung.

In den K.o.-Spielen wurde es allerdings viel besser, mitsamt einer absoluten Weltklasse-Leistung gegen Spanien, die wir bereits am Spieltag ausgiebig lobten.

Kimmichs beste Leistungen rechts hinten erfolgten auch bei dieser EM, wenn er nicht ganz nach vorne schieben musste, sondern ins Mittelfeld abkippen konnte. Er ist nunmal tatsächlich ein Sechser, kein Rechtsaußen.

Jamal Musiala

Achtung, Hot Take: Jamal Musiala spielte in Katar beim Vorrundenaus ein besseres Turnier. Das mutet perplex an, doch dort war Musiala ein einsamer Hurrikan, suchte jedes Dribbling, gewann die unmöglichsten, klebte förmlich am Ball. Am Ende hatte Musiala vier erfolgreiche Dribblings (19) mehr als Lionel Messi auf dem Konto, bei vier absolvierten Partien weniger. Nur Kylian Mbappé gelangen mehr in Katar mit 25, doch auch der erreichte ja das Finale.

Das einzige Problem Musialas: Er machte die Dinger nicht. Vorbeikommen ist das eine, aber am Ende muss das Runde im Eckigen landen. Symbolhaft, als Niclas Füllkrug ihm gegen Spanien den Ball förmlich klaute, um das Geschoss in den Winkel zu nageln. Leider so nur in Katar passiert.

Bei der Heim-EM war Musiala nicht ganz so unbespielbar. Er gewann nicht praktisch jedes einzelne Dribbling, hatte auch wirklich blasse Minuten.

Mit einem feinen Unterschied: Diesmal nagelte er die Dinge rein.

Dass Musiala überhaupt einen Vollspann besitzt, fiel beim FC Bayern nur äußerst selten auf. Er war bislang kein Torjäger und wenn, dann legte er die Bälle gefühlvoll ins kleine Netz. Bei der EM versuchte er es neuerdings mit brachialer Gewalt, seine Tore gegen Schottland und Ungarn hätten auch im Orbit landen können.

Es bleibt abzuwarten, inwieweit diese EM eine Anomalie in Musialas Karriere darstellt und er beim FC Bayern bald wieder zum herausragenden Dribbler mit Abstrichen im Ertrag verkommt, oder ob es eine neue Stufe in der Entwicklung Musialas zur einer nun torgefährlicheren Version seiner selbst ist.

KEINEN ARTIKEL MEHR VERPASSEN – JETZT UNSEREN WHATSAPP-KANAL ABONNIEREN!

Leroy Sané

Leroy Sané spielte praktisch die gesamte Rückrunde mit einer Schambeinentzündung. Diesen Fakt gilt es niemals außer Acht zu lassen, wenn man seine Leistungen einordnet. Hätte man nur auf seine Gesundheit geachtet, hätte er in diesem Jahr kein Spiel in der Champions League gemacht und auf die Europameisterschaft verzichtet.

Eine Heim-EM kommt aber nur einmal in der Karriere (es sei denn man ist Engländer) und so biss sich Sané noch ein letztes Mal auf die Zähne, schluckte mutmaßlich noch ein paar dutzend Schmerztabletten und belog augenscheinlich die Öffentlichkeit, indem er die Verletzung zu 100% überwunden bezeichnete. Dass er keine drei Tage nach dem Aus sich einer Operation unterzog, spricht Bände.

Wie war Sané nun rein nüchtern betrachtet sportlich? Nun, nicht gut, um es abzukürzen.In seinen Joker-Einsätzen gegen Schottland und Ungarn wollte er zu sehr das besondere erzwingen, nahm einige Male noch ein letztes Dribbling mit, anstatt den Pass zu spielen. Ab dem Schweiz-Spiel spielte er nüchterner, mannschaftsdienlicher. Die Vibes des “Mannes auf einer Mission”, die er gegen Arsenal und Real Madrid in der Champions League auspackte, konnte er aber nicht replizieren.

Hoffentlich gibt der Verein ihm genug Zeit, sich diesmal wirklich auszukurieren.

Thomas Müller

Thomas Müllers Einwechslung in der Allianz Arena beim Eröffnungsspiel war einer der schönsten deutschen EM-Momente. Ein ganzes Stadion, dass sich erhebt und einer Legende frenetisch zujubelt. Solche Momente bietet das notorisch griesgrämige deutsche Publikum selten. Die breite deutsche Öffentlichkeit respektierte Müllers Verständnis seiner neuen Rolle. Als Vorbild aller Spieler ging er auch ohne Einsatzzeiten jeden Tag voran.

Wäre Nagelsmann bei seinem ursprünglichen Plan geblieben, ein Stamm-Team aus gut 14 bis 16 Spielern das Turnier bestreiten zu lassen, wäre Müller wahrscheinlich auch noch gegen Ungarn und der Schweiz eingewechselt worden. Doch der Bundestrainer revidierte sein Vorhaben und versuchte sein Wechselkontingent auf so viele Spieler wie möglich aufzuteilen. Müller blieb daher nur noch das Viertelfinale als weiteren Einsatz, indem er fleißig wuselte und sich beinahe einen zweiten Assist einheimste, doch Wirtz verzog leider in der Verlängerung. Als Kroos die letzten Kräfte versagten, wurde er zum Ende seiner Nationalmannschaftskarriere sogar noch so etwas wie ein Sechser.

Vom Ende kann man sprechen, weil Müller offenbar aus der Nationalelf zurücktritt. Ein großer Spieler tritt ab, gerade bei Weltmeisterschaften. Bei Kontinentalwettkämpfen blieb Müller leider torlos.

Übrigens: Am 14. Oktober empfängt Deutschland in München die Niederlande. Womöglich ein allerletzter Moment für stehende Ovationen?

Die Franzosen

Kingsley Coman

Kingsley Coman bleibt in der Nationalmannschaft vom Unglück verfolgt. Wann immer ein großes Turnier bevorsteht, ist er entweder verletzt oder im Formtief. Den Weltmeistertitel 2018 verpasste er ganz, 2022 hätte er eigentlich in der Stammelf stehen müssen, doch durchlief er ausgerechnet dann sein wahrscheinlich schwächstes Halbjahr beim FC Bayern, war wieder nur Joker. Auch 2024 konnte er nur auf den letzten Drücker auf den EM-Zug aufspringen, war er doch noch Mitte März an den rechten Adduktoren verletzt.

Coman kämpfte sich heran, wurde nominiert… und spielte dann insgesamt gerade einmal 15 Minuten. In dieser einen Viertelstunde gegen die Niederlande war er sogar richtig gut, konnte ordentlich wirbeln. Doch es ist schwer Deschamps für sein weiteres Ignorieren Comans zu kritisieren, wahrscheinlich war er ähnlich wie Sané und ein gewisser Engländer, auf den wir gleich noch zu sprechen kommen, nur semi-fit. Andernfalls wirft Deschamps Nibelungentreue in den wie gewohnt schwachen Dembélé nur noch mehr Fragen auf.

Dayot Upamecano

Dayot Upamecano ist DIE positive Bayern-Story bei diesem Turnier. Beim FC Bayern verlor er Stammplatz und Reputation, war nach seinem Platzverweis-Double bei Verein, Trainer und Fans unten durch, doch der Nationalmannschaftsfußball tickt anders. Deschamps waren seine Leistungen in weißrot wurst, ihm ging es um die Leistungen in weißblau. Hat man sich einmal in der Nationalelf einen Stammplatz mit guten Turnierleistungen erkämpft, behält man ihn oft auch in stürmischen Zeiten, Lukas Podolski lässt grüßen.

Upamecano rettete seine Weltklasse-WM, als er der beste Verteidiger des Turniers war, vor der Konkurrenz aus Konaté und seinem früheren Bayern-Kollegen Pavard. Und Upamecano zahlte das Vertrauen zurück, bildete mit Saliba das Herz des besten Abwehrverbundes des gesamten Turniers.

Vor dem Halbfinale wurde ja mit Recht immer wieder über den Mangel an geschossenen Toren aus dem Spiel heraus gelästert. Weit weniger beachtet wurde dabei allerdings der ebenso vorhandene Mangel an kassierten Toren aus dem Spiel heraus. Nur Lewandowskis Elfmeter überwand Maignan, ehe Lamine Yamal zum Weitschuss ansetzte. Zugegebenermaßen verursachte diesen Elfmeter tollpatschig Upamecano selbst, was einer der Gründe darstellt, wieso sein Partner Saliba das noch bessere Turnier spielte, doch auf der Habenseite war die völlige Neutralisation Lukakus im Achtelfinale, sowie der Rettung ins Elfmeterschießen vor Portugals kleineren Sturmlauf.

Ist Upamecano einfach der klassische Nationalmannschaftsfußballer, der für sein Land stärker ist als im Verein? Ist es das höhere Vertrauen seines Trainers, das ihn stabilisiert? Oder sind es schlichtweg die besseren defensiven Mitspieler? Frankreichs Außenverteidiger bleiben öfter hinten als Bayerns, noch dazu spannen sie vor der Kette noch mindestens zwei Ochsen vom Typ Zerstörer, auf. Da brennt hinten automatisch weniger an.

Es bleibt zu hoffen, dass Upamecano diese Leistungen endlich auch konstant im Verein bestätigen kann, bis dahin darf er sich über die inoffizielle Auszeichnung als bester Bayern-Spieler des Turniers freuen.
(Foto: Dean Mouhtaropoulos / Getty Images)

Die Einzelkämpfer

Matthijs de Ligt

Oh Matthijs, was hat die Welt nur gegen dich? Beim FC Bayern will man dich verkaufen, bei Oranje setzt Ronald Koeman auf den ungelenken van Dijk und schwankenden de Vrij. Und das trotz herausragender Leistungen in der Rückrunde, es ist ein Rätsel.

Wahrscheinlich wird der nominelle Erfolg über den Halbfinaleinzug die holländischen Abwehrwackler in wirklich allen Spielen überstrahlen, aber eigentlich sollte Oranje spätestens jetzt seine Defensive um Matthijs de Ligt aufbauen. Der FC Bayern übrigens auch.

Konrad Laimer

Konrad Laimers Turnier ist das am schwierigsten zu greifende eines Bayern-Profis. Man würde meinen, Laimer wäre absoluter Fixpunkt im Rangnick-System, ist er doch nach all den Verletzungen mit Sabitzer der letzte übrig gebliebene Star dieser Mannschaft. Doch dann kommt er im besten Spiel gegen die eben besprochene Niederlande nur von der Bank und wird gegen die Türkei nach einer Stunde dem Sturmlauf geopfert.

Vielleicht ist es aber auch dieser Wechselwille, der Österreich am Ende das Turnier gekostet hat, Österreich konnte nie eine echte Achse bilden mit Laimer als Mittelfeldmotor. Vielleicht haben sie auch deshalb sechs Tore in vier Spielen schlucken müssen.

João Palhinha

Den besseren Motor hatte Portugal dabei. Nachdem er gegen die mauernden Tschechen nicht gebraucht wurde, kam Bayerns Neuzugang mit dem zweiten Spiel in die Mannschaft und überzeugte dort als defensiver Ausputzer. Insbesondere gegen Frankreich waren seine Grätschen wertvoll.

Für mich war Palhinha nach Pepe der beste Portugiese im Turnier, schon allein deshalb weil man beiden auf ihren Positionen die beiden größten Probleme Portugals nicht vorwerfen konnte: Weder suchten sie mit jedem Pass Cristiano Ronaldo, noch verweigerten sie Tiefenläufe, weil sie andere Aufgaben im Team hatten. Fernandes, Vitinha und wie sie nicht alle hießen allerdings, pflegten ein anderes Verständnis und sind deshalb ein Grund wieso einer der drei besten Kader des Turniers nie diese Qualität zeigen konnte.

Harry Kane

Als Bayerns Rekordtransfer gegen Real Madrid in den letzten Minuten ausgewechselt wurde und anschließend die finalen beiden unbedeutenden Bundesligaspiele verpasste, dachte ich mir eigentlich nichts dabei. Es schien keine ernsthafte Verletzung, sondern mehr Schonung gewesen zu sein. Nie hätte ich gedacht, dass Kane zwei Monate später immer noch kraftlos und unfit über die Europameisterschaftsrasen traben würde. In der ersten Halbzeit im Halbfinale wirkte Kane erstmals wirklich spielfit und ansatzweise wie der alte. Davor war er nur körperlich anwesend, schleppte sich durch das Turnier. Kein Wunder, dass England seit Wochen über die Verbannung Kanes auf die Ersatzbank diskutiert, doch Southgate ist schon alleine die Präsenz seines Kapitäns zu wichtig.

Der FC Bayern dürfte dieses Treiben mit sehr viel Argwohn beobachten, was England mit dem Bundesliga-Torschützenkönig macht, kann unmöglich gesund sein. Gut möglich, dass Kane nach dem Turnier erstmal für längere Zeit ausfällt. Hoffentlich ist er bei seiner Rückkehr dann nur wieder derselbe.

Trotz allem kann Harry Kane sich heute verewigen und als Kapitän und Torschützenkönig den EM-Pokal in die Lüfte strecken. Nur das Durchbrechen seines Titelfluchs war doch genau der Grund für den Wechsel nach Deutschland, wäre es da nicht jammerschade, wenn er mit einem anderen Team diesen Fluch exorziert?

Hier weiterlesen

♥ Artikel teilen

Jetzt teilen!

Jetzt teilen!