Einwurf: Leon Goretzka – Farbe bekennen

Katrin Trenner 29.02.2020

Wir leben in einer Welt, in der immer mehr Menschen der Meinung zu sein scheinen, dass es vollkommen in Ordnung ist, öffentlich rechtes Gedankengut zu verbreiten und zu befürworten, in der man fast täglich mit Neuigkeiten zu rassistischen, sexistischen und homophoben An- und Übergriffen auf unsere Mitmenschen konfrontiert wird, und in der Fußballfans in den Stadien die Spieler auf dem Feld aufgrund ihrer Hautfarbe massiv beleidigen. 

Ich persönlich lebe in einer Welt, in der ich auf der Straße als „Mulattin“ beschimpft werde, und in der ich bereits öfter dazu aufgefordert wurde, auf der rechten Seite des Bürgersteigs zu laufen, da wir ja hier schließlich in Deutschland sind, und wieder dahin zurückzugehen, wo ich hergekommen bin (ich denke nicht, dass der ältere Herr, der mir dies kürzlich an den Kopf warf, damit meine Geburtsstadt Frankfurt am Main meinte).

Da dies selbstverständlich nicht die Welt ist, in der ich leben möchte, ist es mir wichtig, diesem Trend so gut ich kann entgegenzuwirken. Wenn ich aber auf Twitter sage, dass Rassismus weder in den Fußballstadien noch sonst irgendwo was verloren hat, dann erreiche ich damit 1000 Followers, die wahrscheinlich ohnehin die gleiche Meinung haben wie ich, denn sonst würden sie mir nicht folgen. 

Spricht sich allerdings jemand wie Leon Goretzka für Toleranz und Gleichberechtigung aus, sieht die Sache natürlich anders aus. Fußballer haben eine riesige Reichweite und oft auch eine Vorbild-Funktion. Nicht jeder fühlt sich wohl in dieser Rolle. Leon Goretzka aber nimmt sie an – und büßt dabei nichts an Authentizität ein. Wenn er also in Interviews sagt, dass er die jüngsten Erfolge der AfD in Deutschland mit großer Sorge beobachtet, und dass ein Besuch in einem ehemaligen Konzentrationslager Pflicht sein sollte, dann hat das eine ungemeine und nicht zu unterschätzende Tragweite. 

Leon Goretzka erntet für sein Engagement nicht nur Lob und Anerkennung – dies sieht er auch als einen Grund dafür an, warum seine Profikollegen sich oft davor scheuen, klar Stellung zu beziehen; aber die Angst davor, „extremen Gegenwind“ zu bekommen oder zu polarisieren, hält ihn selbst zum Glück nicht zurück. Ich würde mir wünschen, dass noch viel mehr Spieler seinem Beispiel folgen.  

„Entscheidend is‘ aufm Platz“, hat der ehemalige Fußballspieler- und Trainer Adi Preißler mal gesagt. Dieser inzwischen legendäre Spruch ist natürlich richtig, wenn es um den Fußball an sich geht. Inzwischen aber is‘ für viele Spieler auch neben dem Platz entscheidend, ob gewollt oder nicht.

Es gibt noch einen anderen Grund, warum ich Leon Goretzkas Offenheit so schätze. Im November letzten Jahres sagte Bayer Leverkusens Abwehrspieler Jonathan Tah und Mannschaftskollege von Leon Goretzka bei der Nationalelf in einem Interview mit dem Spiegel, dass wir damit aufhören müssen, „dass nur dunkelhäutige Spieler sich gegen Rassismus wehren.“ 

Er sprach mir damit aus der Seele. Dass sich deutsche Spieler mit Migrationshintergrund gegen Rassismus aussprechen, ist beinahe schon eine Selbstverständlichkeit, da leider viele von ihnen selber schon schlechte Erfahrungen machen mussten, und sie bei jedem neuen Vorfall wieder ins Rampenlicht rücken. Dass Thomas Müller und Manuel Neuer in ihrem bisherigen Leben wahrscheinlich eher selten rassistischen Anfeindungen ausgesetzt waren, versteht sich von selbst. Dennoch brauchen wir ihre Stimmen, ihre Empörung und ihre lautstarke Unterstützung. Leon Goretzka hat das erkannt und gehandelt.

Das Recht auf Gleichberechtigung und Gleichheit gehört zu unseren demokratischen Grundwerten. So gesehen sollte es im Idealfall überhaupt nicht nötig sein, sich öffentlich zu diesen Werten zu bekennen zu müssen – und sich dann zu allem Überfluss auch noch einem „Shitstorm“ gegenübersehen. Solange der Idealfall aber mehr Wunschdenken als Realität ist, begrüße ich alle Leon Goretzkas mit Handkuss.