Die vermeintliche wirtschaftliche Verantwortungslosigkeit des Profifußballs

Alexander Trenner 22.04.2020

Als Kernargument führen sie dabei die fehlende allgemeine Verfügbarkeit von Covid-19-Schnellstests ins Feld, bei deren Gewährleistung die Bundesliga keine Sonderrolle einnehmen und in Konkurrenz zu anderen gesellschaftlichen Bereichen treten dürfe, bei denen eine schnelle Durchführung von Tests deutlich wichtiger sei.

Darüber hinaus prangern die Fanszenen den Profifußball als ein krankes System an, das es versäumt habe, in den letzten Jahren trotz immens hoher Umsätze ausreichend hohe Rücklagen für Notsituationen wie die aktuelle zu bilden und in dem es an Solidarität zwischen den großen und kleinen Vereinen mangele.

Ich finde die Stellungnahme der Fans in großen Teilen nachvollziehbar und schlüssig, aber ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich an dieser Stelle einmal ganz explizit gegen den auch in ihrem Beitrag wiederholt bedienten Tenor vom “kranken” oder “kaputten” “System Profifußball” zu äußern.

In einem zweiten Schritt möchte ich mich einmal ganz grundsätzlich gegen den in diesen Tagen so viel proklamierten Gegensatz von “Wirtschaft” und “Mensch” wenden  (“Menschenleben sind wichtiger als die Wirtschaft” u. ä.).

Wirtschaftet der Profifußball unverantwortlich?

Um sämtlichen eventuellen Unklarheiten direkt zu begegnen, möchte ich vorab sagen, dass ich mich nicht für eine Sonderrolle des Profifußballs stark mache.

Falls eine baldige Wiederaufnahme des Spielbetriebs in den Bundesligen zwingend regelmäßige präventive SARS-Cov-2-Tests voraussetzt und falls es nicht genügend Test-Kapazitäten gibt und auch weitere notwendige Vorbedingungen nicht ohne in Konkurrenz zu anderen Wirtschaftszweigen treten zu müssen gewährleistet werden können, sehe ich keinen Grund, warum der Fußball eine Vorzugsbehandlung bei der Ermöglichung der Wiederaufnahme seines Geschäftsbetriebs bekommen sollte.

Er hat meines Erachtens genauso viel und genauso wenig Anspruch auf eine faire und gleiche Behandlung wie alle anderen Wirtschaftszweige auch. 

Das Kernproblem, das viele, die über das kaputte System Profifußball sprechen, ausgemacht zu haben scheinen ist, dass es die Vereine trotz milliardenhoher Umsätze (ca. 4 Mrd. Euro in der 1. BL und 0,8 Mrd. in der 2. BL im Geschäftsjahr 2018/19) versäumt hätten, ausreichend hohe Rücklagen zu bilden um auf eine Situation wie die aktuelle, in der wie aus dem Nichts der Spielbetrieb von heute auf morgen eingestellt wird und ein Saisonabbruch nach ⅔ der Spielzeit droht, finanziell vorbereitet zu sein.

Ich halte diesen Vorwurf für vollkommen unberechtigt und er ist für mich nur mit ziemlicher ökonomischer Kenntnislosigkeit zu erklären.

Zur Veranschaulichung dieses Arguments werfe ich im Folgenden einen Blick auf die Einnahmenseite, die Ausgabenseite und den Aspekt der verantwortlichen Geschäftsführung im Profifußball und versuche darzulegen, warum er sich in der Vergangenheit geschäftlich eher rational und verantwortlich als riskant und leichtfertig verhalten hat.

1. Die Einnahmenseite

Spielertransfers außen vor gelassen hat der Profifußball drei relevante Einnahmeklassen: Die Einnahmen aus der medialen Vermarktung, die Einnahmen aus dem Spielbetrieb und die Einnahmen aus Werbung, Sponsoring und Merchandising.

Als direkte Konsequenz der Coronavirus-Pandemie sind die Einnahmen aus den ersten beiden Einnahmeklassen (TV-Vermarktung und Spielbetrieb) von heute auf morgen zu quasi 100% weggebrochen. Nicht zu 10% oder zu 20%, sondern zu 100%. In Worten: Vollständig.

Gleichzeitig liegt auf der Hand, dass die Fußballvereine in dieser Zeit auch bei Werbung und Sponsoringverträgen je nach Vertragsgestaltung Mindereinnahmen werden verzeichnen müssen, weil Promotion-Veranstaltungen nicht mehr stattfinden können und Werbebanner und Bandenwerbung im Stadion nicht mehr zu sehen sind. Unter der jetzt geringeren weltweiten medialen Präsenz der Marken und Logos der Fußballvereine dürfte zudem auch das Merchandising-Geschäft leiden, ebenso wie unter der geringeren Kaufbereitschaft der Fans für Fanartikel in der Krise.

Der Einnahmeverlust liegt in diesem Bereich natürlich nicht bei 100%, aber dürfte je nach Vertragsgestaltung mit den Werbepartnern bzw. Konsumneigung der Kunden nennenswert zurückgehen. Summa summarum lässt sich also festhalten, dass die Fußballvereine in der Corona-Krise als Wirtschaftsunternehmen einen Großteil ihrer gesamten Einnahmebasis verloren haben.

Unter diesen Bedingungen kann kein Wirtschaftsunternehmen langfristig existieren, nicht nur das “kranke System Profifußball” nicht. Denn aussagekräftig ist hier nicht etwa die Profitabilität eines Unternehmens oder die absolute Höhe seines Umsatzes, sondern seine Liquidität. Ist die Liquidität nicht mehr gegeben, d. h., kann ein Unternehmen seine laufenden Ausgaben nicht mehr aus seinen laufenden Einnahmen und seinen liquiden Reserven stemmen, droht unmittelbar die Insolvenz.

Welches Unternehmen ist in der Lage, seine Liquidität verlässlich zu gewährleisten, wenn ihm plötzlich und unvorhersehbar ein Großteil seiner Einnahmen wegbricht? Die wenigsten. Die Medien quillen über mit Berichten über Unternehmen, die wegen des plötzlichen Wegbrechens ihrer Einnahmen Kurzarbeit beantragt haben oder andere staatliche Hilfen in Anspruch nehmen möchten, vom großen DAX-Konzern bis hinab zum kleinen Solo-Selbständigen. Ich kann nicht erkennen, dass der Fußball in dieser Beziehung besonders “krank” sein soll.

2. Die Ausgabenseite

Es ist von essentieller Bedeutung für das Funktionierens eines Wirtschaftskreislaufs, dass das von den an ihm beteiligten Akteuren eingenommene Geld auch wieder ausgegeben wird. Im Kern ist Geld nichts anderes als die abstrakte symbolische Repräsentation konservierter wirtschaftlicher Aktivität. Soll ein Wirtschaftssystem funktionieren, können die einzelnen Wirtschaftssubjekte keine Dagobert Ducks sein und ihr Geld in einem großen Geldspeicher horten. Denn wenn ein Wirtschaftssubjekt Geld “auf die hohe Kante” (in den Geldspeicher) legt, entzieht es damit die durch dieses Geld repräsentierte wirtschaftliche Aktivität unmittelbar dem Wirtschaftskreislauf und sorgt dafür, dass es an anderen Orten zu weniger wirtschaftlicher Tätigkeit in entsprechender Höhe kommt.

Des Einen Ausgaben sind des Anderen Einnahmen und gespartes Kapital steht anderen Wirtschaftssubjekten allerhöchstens über die Aufnahme von Krediten zur Verfügung.

Dieser Zusammenhang von Einnahmen, Ausgaben und wirtschaftlicher Effizienz gilt logischerweise auch für Fußballvereine. Das Geld, was reinkommt, geht wieder raus. Es muss wieder rausgehen, damit das System insgesamt funktionieren kann. In einer idealen Welt gäbe es keine Rücklagen, sondern sämtliches Geld befände sich ständig im Umlauf, d. h. das gesamte wirtschaftliche Potenzial einer Volkswirtschaft wäre ständig mobilisiert. In der realen Welt müssen Unternehmen natürlich gewisse Rücklagen bilden, um plötzliche geschäftliche Risiken abfedern zu können ohne Gefahr zu laufen, insolvent zu werden. Aber es findet eine ständige feine Gratwanderung zwischen zu vielen und zu wenigen Rücklagen statt. Zu viele und das Unternehmen verschenkt wirtschaftliche Aktivität und zieht zudem das Wirtschaftssystem insgesamt in Mitleidenschaft, zu wenige und es droht bei plötzlich eintretenden Geschäftsrisiken in Existenznot zu geraten. 

Natürlich kann man sich grundsätzlich darüber unterhalten, ob die Verteilung der Ausgaben eines Fußballvereins in ihrer aktuellen Form wünschenswert ist, in der ein Großteil des eingenommen Geldes in den Spielerapparat fließt, aber diese Verteilung hat ja kein Diktator oder böser Geist von oben so diktiert, sondern ist als Ergebnis ganz normaler marktwirtschaftlicher Prozesse im Zeitablauf so entstanden.

Rein marktwirtschaftlich betrachtet hat sich die jetzige Allokation der Ressourcen im Sinne der effektiven Zielerreichung der Fußballvereine im Wettbewerb untereinander als der effizientestmögliche Zustand ergeben.

Den Fußballvereinen jetzt vorzuwerfen, sie hätten zu kurzsichtig oder fahrlässig agiert indem sie in einem monströsen Ausmaß zu viel Geld in ihre Spieler (letztendlich die Produktionsmittel ihrer Produkte) und bei weitem nicht genug in ihre wirtschaftliche Sicherheit investiert hätten, verkennt, wie marktwirtschaftliche Abwägungsentscheidungen im Wettbewerb funktionieren. Eigentlich haben die Fußballvereine ihre Zahlungsströme nach vollkommen rationalen Gesichtspunkten optimiert. Wer die im Weltmaßstab besten Produkte herstellen möchte, braucht die besten Produktionsmittel und Ressourcen. Das gilt für ein Industrieunternehmen genauso wie für einen Fußballverein.

Wenn ein weltweiter Konkurrenzkampf um das Produktionsmittel “Profispieler” herrscht und die Verfügbarkeit begrenzt ist, müssen eben die Mitstreiter um die höchste Qualität des knappen Guts preislich ausgestochen werden (sowohl bei Transfers als auch beim Unterhalt), wenn man das Ziel hat, ein Weltklasseprodukt, sprich den weltbesten Fußball, herzustellen. Unter diesen Vorzeichen wirtschaftlich inaktive Rücklagen in unter Normalbedingungen niemals benötigter Höhe zu bilden, wäre wirtschaftlich vollkommen ineffizient.

Aber halt! Wäre die Bildung von Rücklagen in ausreichender Höhe um einer Ausnahmesituation der Kragenweite einer Virus-Pandemie zu begegnen, tatsächlich falsch bzw. ineffizient gewesen?

3. Die “Good governance” / “responsible business conduct”-Seite

Natürlich kann man jetzt im Nachhinein schlau sagen, dass die Vereine oder die DFL in deren Auftrag doch Rücklagen hätten bilden müssen und es ein Armutszeugnis sei, dass sie in der jetzigen Situation nicht einmal drei Monate ohne Einnahmen überleben könnten.

Ich widerspreche entschieden. Das Gegenteil ist richtig. Wenn die Fußballvereine jetzt ausreichend Rücklagen hätten, um die aktuelle Situation einfach so ohne weiteres überbrücken zu können, würde ich den Geschäftssinn der verantwortlichen Personen im Management der Vereine und bei der DFL dringend hinterfragen wollen. Das Dilemma von Rücklagen grundsätzlich habe ich gerade beschrieben. Rücklagen sind im Prinzip totes Geld, sprich tote wirtschaftliche Tätigkeit. Es ist also sowohl im Interesse eines einzelnen Unternehmens als auch der Wirtschaft insgesamt, dass Rücklagen in einem vernünftigen Maße gebildet werden und nicht um ihrer selbst Willen. Dagobert Duck ist kein guter Geschäftsmann.

Aber haben es die Fußballvereine bzw. die DFL nicht versäumt, Rücklagen in eben einer solchen “vernünftigen” Höhe zu bilden? Die Antwort ist ein klares nein. Denn erstens siehe Punkt 1. Den Profifußball als Geschäftstätigkeit trifft gerade auf breiter Front ein nahezu totaler Einnahmenverlust. Zweitens laufen gleichzeitig wesentliche Teile seiner Ausgaben unverändert weiter. Bei Profifußballvereinen gibt es hohe Fixkosten für laufende Gehälter, Mieten, Pachten, Zinsen und Tilgung, Unterhalt der Infrastruktur, Steuerzahlungen usw. Diese können im Gegensatz zu den Einnahmen nicht einfach so von heute auf morgen auf Null heruntergefahren werden.

Drittens – und dieser Punkt ist wesentlich – ist die Covid-19-Pandemie kein absehbares oder im Sinne einer verantwortungsvollen Geschäftsführung vernünftigerweise kalkulierbares Risiko, auf dessen Eintreten man sich im Vorhinein im Zuge einer vorausschauenden Risikoprävention besonders hätte vorbereiten müssen. Noch im Dezember war von einer weltweiten Virus-Pandemie nicht einmal im Ansatz etwas zu erahnen und nur gut drei Monate später steht praktisch die gesamte entwickelte Welt wirtschaftlich still. Ein solcher “Schwarzer Schwan” taucht in niemandes Risikopräventionsplan auf (oder wenn, dann nur abstrakt als eben solcher, als “Schwarzer Schwan”, auf den man sich nur sehr begrenzt vorbereiten kann).

Gleichzeitig ist es so, dass meines Erachtens die Profifußballvereine im Durchschnitt nicht übermäßig schlecht auf plötzlich eintretende und ihre Liquidität bedrohende Geschäftsrisiken vorbereitet sind. Die durchschnittliche Eigenkapitalquote (= Eigenkapital/Bilanzsumme) der Vereine der 1. Bundesliga beträgt 47,7%, ein im Vergleich mit anderen mittelständischen Unternehmen sehr guter Wert. Auch hinter DAX-Konzernen muss sich der Fußball damit nicht verstecken.

Wohlgemerkt ist das Eigenkapital eines Unternehmens nicht gleichbedeutend mit kurzfristig verfügbaren liquiden Mitteln. Das Eigenkapital ist die Summe, die übrig bleibt, wenn man die Verbindlichkeiten eines Unternehmens von seinem Vermögen abzieht. Ist dieser Wert größer Null, hat ein Unternehmen auf dem Papier mehr Vermögen als Schulden. Natürlich ist nicht jede Vermögensposition liquide oder unmittelbar liquidierbar, könnte also in einer Aunahmesituation wie der aktuellen zur Gewährleistung der Liquidität dienen. Besitze ich irgendwo ein altes Schloss, bin ich möglicherweise unfassbar vermögend, aber kurzfristig zu Geld machen um damit meine laufenden fixen Kosten decken zu können lässt es sich wohl kaum.

Das Vermögen der Fußballvereine der 1. Bundesliga besteht zu größten Teilen aus dem Spielerkader, der Vereinsinfrastruktur (Trainingsgelände, Stadion) und offenen Forderungen. Auch wenn diese Vermögenspositionen nur sehr begrenzt bis gar nicht unmittelbar liquidierbar sind, kann den Vereinen ihre relativ anständige Eigenkapitalquote sehr dabei helfen, kurzfristig liquide Mittel zu akquirieren, beispielsweise über die Aufnahme eines Kredits mit dem Immobilienvermögen als Sicherheit. Bei einer durchschnittlichen Eigenkapitalquote von annähernd 50% wird man es den Vereinen nicht als Kurzsichtigkeit vorwerfen können, wenn sie davon ausgehen auf plötzlich auftretende Geschäftsrisiken schnell reagieren zu können – solange diese in einem normalen Rahmen bleiben.

Selbstverständlich ist mir bewusst, dass ich hier Durchschnittszahlen referiere, die Profifußballvereine in Deutschland aber finanziell bei weitem keine homogene Einheit bilden, sondern höchst unterschiedlich stark aufgestellt sind. Der FC Bayern steht finanziell bestimmt besser da als der FC Schalke 04. Da es zwar für das Gesamtsystem Profifußball kein Problem ist, wenn ein oder zwei Vereine insolvent werden, aber sehr wohl, wenn es 13 der 36 Profivereine trifft, kann ich mich der Forderung der organisierten Fans nach Solidarität zwischen den Vereinen nur anschließen. Kein Verein profitiert davon, wenn es zu großen Verwerfungen in der Vereinslandschaft bis hin zum Einstellen des Bundesligawettbewerbs insgesamt kommt, weil es nicht mehr ausreichend wettbewerbsfähige Teilnehmer gibt.

Sind die Profifußballvereine blauäugig in die Krise geschlittert?

In der Kombination dieser drei Faktoren Einnahmensituation, Ausgabensituation und verantwortliches Geschäftsgebaren gilt, dass kein vernünftig agierendes Unternehmen ohne absehbaren Anlass (!) Geld in solchen Dimensionen zurücklegt, wie es sie im Falle eines dauerhaften, nahezu totalen Einnahmeverlusts bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung wesentlicher Anteile der laufenden Ausgaben für ein mehrmonatiges Überleben benötigen würde. Das wäre vollkommen abenteuerlich und kein Aufsichtsrat würde jemals einen so handelnden Vorstand länger als einen Tag im Amt lassen. Dies gilt für Fußballvereine gleichermaßen. Bei ihnen kommt noch hinzu, dass sie durch ihre im Durchschnitt relativ anständige Eigenkapitalquote jederzeit in der Lage sein sollten, kurzfristig diejenigen liquiden Mittel zu mobilisieren, die es ihnen ermöglichen, beim Eintreten vernünftigerweise planbarer Geschäftsrisiken kurz- bis mittelfristig liquide zu bleiben.

Beim kleinen Blumenhändler um die Ecke, der über Nacht vor dem wirtschaftlichen Aus steht, weil er von heute auf morgen keine Einnahmen mehr hat, aber seine Miete und vielleicht einen Angestellten weiter bezahlen muss und für diesen Fall keine besonderen Rücklagen gebildet hat, finden wir es alle total gerechtfertigt und vernünftig, dass diesem Menschen finanziell geholfen wird wie und wo immer es geht (mich eingeschlossen. Ich will auch, dass diese Leute überleben). Bei der Luftfahrt- und der Autoindustrie sehen wir das genauso. Wer will schon, dass Millionen von Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren. Aber bei einem Fußballverein, der letztendlich wirtschaftlich nach keinen anderen Prinzipien kalkuliert hat als der Blumenhändler um die Ecke oder die Lufthansa, finden wir es plötzlich empörend, dass er “nicht mal drei Monate überbrücken” kann. 

Der falsche Gegensatz von “Mensch” und “Wirtschaft”

Jenseits des Fußballs möchte ich noch einen grundsätzlicheres Phänomen ansprechen, das mich in den vergangenen Wochen zunehmend irritiert hat. Es geht um das Ausspielen der Wirtschaft gegen den Menschen, was bei uns in Deutschland immer en vogue zu sein scheint, aber gerade jetzt in der Corona-Krise noch einmal deutlich an Konjunktur gewonnenen hat: “Leben retten statt Wirtschaft retten”, “Die bösen Konzerne scheffeln doch nur Geld, das Leben der Menschen ist wichtiger”, und so weiter und so fort. 

Bei allem Respekt, aber wer so etwas sagt hat einfach keine Ahnung, wie Wirtschaft funktioniert. Die Wirtschaft sind wir alle. Jeder einzelne von uns, der arbeitet, sei es als Angestellter, Freiberufler, Selbständiger oder sonstwas, ist “die Wirtschaft”.

Die Wirtschaft als Funktionssystem einer Gesellschaft ist elementar für die materielle Reproduktion der Menschen, sprich uns allen. Nur eine funktionierende Wirtschaft, in der ein Großteil der Bevölkerung produktiv tätig ist, ermöglicht überhaupt unser aller materielle Existenz und unseren Wohlstand. Jeder Arbeitnehmer, Freiberufler oder Selbständiger trägt dazu bei, dass es ihm und anderen Menschen materiell gut geht (über sein Einkommen und seinen Konsum) und dass der Staat die notwendigen Ressourcen hat, seinen öffentlichen Aufgaben nachzugehen, Krankenhäuser und Straßen zu bauen und Schulen zu betreiben (über seine Steuern). Das gilt für den kleinen selbstständigen Blumenhändler um die Ecke ebenso wie für den Angestellten im transnationalen Großkonzern. Es ist ja nicht so, dass bei den “gierigen Konzernen” irgendwelche zigarrerauchenden Oberbösewichte Hände reibend in ihren holzgetäfelten Chefetagen säßen und sich das ganze Geld, welches die armen kleinen Arbeiter am Band erwirtschaften, in ihre eigenen gierigen Taschen schaufeln würden. Nein, beim kleinen Blumenhändler ebenso wie beim Großkonzern fließt das eingenommene Geld zu allergrößten Teilen in die Gehälter der Angestellten (also von uns allen) und in Vorleistungen oder Ressourcen von anderen Unternehmen (also die Gehälter ander Menschen von uns allen).

Auch wenn es in Anbetracht der absoluten Gehaltshöhen anders wirkt, ist der Anteil dessen, was die “gierigen Bosse” an persönlichem Gehalt im Vergleich zum gesamten Personalaufwand ihres Unternehmens einstreichen, in aller Regel verschwindend gering. Der Unterschied zwischen dem “bösen Konzern” oder “der Wirtschaft” und dem freundlichen Blumenhändler um die Ecke ist nur der, dass dieser Prozess der Schaffung der Lebensbasis für uns alle bei erstgenannten deutlich abstrakter und weniger konkret nachvollziehbar ist als bei dem Blumenhändler um die Ecke. Beide erfüllen aber in unserer Gesellschaft die wesentlichen Bedingungen der materiellen Reproduktion des Menschen gleichermaßen.

Wer auf “die Wirtschaft” schimpft oder “das Leben nicht dem Interesse der Wirtschaft opfern” möchte, hat diese Zusammenhänge einfach nicht begriffen oder ignoriert sie. Daher ist es auch zu kurz gesprungen, die unmittelbare Lebensbedrohung durch das Coronavirus gegen die mittelbare Lebensbedrohung durch den Wegfall der wirtschaftlichen Existenz der Menschen auszuspielen. Beide Lebensbedrohungen sind real, die eine ist nur unmittelbarer und konkret greifbar, wohingegen die andere längerfristiger Natur und abstrakt ist.

Am Coronavirus sterben heute konkret bennenbare Menschen, an einem Zusammenbruch der Wirtschaft sterben irgendwann in der Zukunft diffus viele Menschen, weil sie sich dann (im zugespitzten Extrem formuliert) nichts mehr zu essen kaufen können, weil die Landwirtschaft aufgehört hat zu existieren oder weil sie ihre eigentlich harmlose Krankheit nicht mehr behandeln lassen können, weil es in der Apotheke keine Medikamente mehr gibt oder gleich gar keine Pharmaunternehmen mehr, die diese Medikamente herstellen. 

Ich möchte also dafür plädieren, sowohl was den Fußball im speziellen als auch die Wirtschaft als Bedingung der Möglichkeit der materiellen Existenz der Menschen im allgemeinen angeht, bei der Beurteilung der strittigen Sachverhalte eine informiertere und überlegtere Auseinandersetzung mit der Materie ohne fehlgeleitete Ressentiments oder moralische Kurzschlussurteile zu führen, als es in letzter Zeit in der Öffentlichkeit so häufig der Fall zu sein scheint.

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  1. Ganz ausgezeichneter Beitrag, lieber Alex.
    Es ist regelrecht erfrischend in Zeiten in denen der Konformitätsdruck wie ein Alp auf der Gesellschaft lastet, jemanden noch eigenständige Gedanken verfertigen zu sehen.

    Antwortsymbol2 AntwortenKommentarantworten schließen
    1. Vielen Dank für die Blumen! Freut mich, dass dir der Artikel gefallen hat.

      1. Ich möchte mich Jo anschließen.
        Sehr gut und sachlich analysiert.

  2. Vorweg: Toller, weil schlüssig argumentierter Artikel. Ich muss deine Meinung nicht komplett teilen, um den Artikel gut zu finden. Diese Perspektive halte ich für sehr wichtig und man muss sich damit auseinandersetzen. Und ich bin auch in sehr vielen Punkten d‘accord.

    Zu zwei Aspekten möchte ich mich dennoch äußern (und das hier im Blog, weil ich das insgesamt für eine interessante Debatte halte). Ich sage vorweg, dass nicht alles als Kritik am Artikel zu werten ist. Dafür beziehe ich mich zu oft auf eine allgemeine Wahrnehmung:

    1. Ich gehe mit deinem Fazit nicht ganz konform. Das hatte ich dir ja auch schon geschrieben.

    Ich plädiere dafür, den Fußball in seiner Bedeutung für Wirtschaft und Leben nicht zu überhöhen. Meine These ist, dass die Menschheit sowie die Wirtschaft auch dann mit gutem Standard überleben können (was ist das schon in Zeiten einer Pandemie?), wenn der Fußball nicht im Mai oder Juni wieder startet. Ich stimme dir für die Wirtschaft im Allgemeinen, nicht aber in allen Punkten für den Fußball im Speziellen zu. Ich halte es weiterhin für Wahnsinn, mit welcher Dreistigkeit Tests schon jetzt beansprucht werden (es ist trotz erhöhter Kapazitäten alles andere als einfach, an Tests zu kommen + man sollte hier nicht national, sondern international denken. Das Virus kennt keine Grenzen) und den Fans wird vermittelt, dass man für sie wieder starte. Das ist eben einfach nicht wahr. Und das hat der „Fußball“ auch genauso geäußert an anderer Stelle. Es ist und bleibt für mich moralisch mehr als fragwürdig, was dort passiert. Dann sollen sie es wie Kalle vor ein paar Wochen sagen: Es geht eben doch ums Geld. Das muss man nicht verwerflich finden, aber man kann es durchaus mal hinterfragen, warum der Fußball da bereits jetzt eine Sonderstellung hat (hast du ja auch getan, vielleicht aber nicht klar genug). Wenn der Fußball sich als Retter der Gesellschaft inszeniert und dann auch noch als (ein) zentraler Pfeiler des wirtschaftlichen Lebens, dann ist mir das zu Bedeutungsschwanger, tut mir Leid. Und ja, du schreibst explizit, dass es dir da am Ende nicht mehr nur um den Fußball geht. Das ist auch ok. Mir ist diese Ergänzung meinerseits aber wichtig.

    Der zweite Punkt ist die Frage, ob man das eine (Moral/Menschlichkeit …) mit dem anderen (Wirtschaft) vermengen sollte. Ich finde, dass man das tun kann. Denn es gibt diese beiden Punkte nun mal und sie sind nicht unabhängig voneinander. Wenn das „Geldscheffeln“ moralisch fragwürdig ist, dann halte ich die Kritik daran für notwendig. Da hätte es dem Text auch gut getan, diese Meinung nicht zu diskreditieren (man habe dann „keine Ahnung“). Selbstverständlich möchte ich deiner Schlussfolgerung hier nicht widersprechen, dass die Wirtschaft nicht durch die Maßnahmen komplett zerbrechen sollte. Aber es ist dennoch ein spürbarer und wichtiger Kompromiss, der einzugehen ist: Wie viel Wirtschaft können wir am Laufen halten, ohne die Gesellschaft durch die Pandemie noch weiter zu gefährden? Und was ist andererseits dafür wirklich notwendig und worauf können wir verzichten?

    Und eben weil wir alle über dieses Virus zu wenig wissen und selbst die ForscherInnen noch dabei sind, alles zu erforschen, muss man da sehr, sehr vorsichtig sein, wenn man die Maßnahmen kritisiert – wozu ich auch die Pause des Fußballs zähle. Im Zweifelsfall – und mehr Zweifesfall geht ja kaum – sollte man eher den Weg der Vorsicht einschlagen als den des Muts (oder retrospektiv vielleicht des Wahnsinns).

    Das sind meine zwei Cent dazu. Wie gesagt: Nicht alles auf dich bezogen, sondern viel davon als weiterführende Gedanken zu verstehen. Danke für deinen Anstoß.

    Antwortsymbol8 AntwortenKommentarantworten schließen
    1. Ich möchte mal was generelles zum Thema “Wirtschaft” äußern. “Wirtschaften” stellt die Basis einer jeden menschlichen Gesellschaft dar. Die Unternehmen, gleich welcher Größe sind nicht nur Geldproduktionsmaschinen, sondern insbesondere soziale Gebilde, in denen Menschen interagieren, ihre sozialen Bedürfnisse nach Gemeinschaft ebenso befriedigen wie das Bedürfnis nach Anerkennung und Entlohnung. Ohne diese “Wirtschaft” kann ich mir kein wie auch immer geartetes erfolgreiches Miteinander in der Gesellschaft vorstellen. Ich halte es für existenziell, da die Wirtschaft jedem Individuum hilft, unterschiedlichste Bedürfnisse zu erfüllen und da meine ich neben dem Thema Geldverdienen vor allem soziale Aspekte wie Anerkennung, Sinnsuche, Gemeinsinn. Dies alles sollten wir also in die Diskussions-Waagschale werfen, wenn es darum geht, das Thema Verhältnismässigkeit von Massnahmen zu diskutieren. Und nicht einfach die “Wirtschaft” als etwas bezeichnen, was vorrangig geldinduziert ist.

      1. Sehr guter Punkt. Danke für die Ergänzung.

      2. @Justin

        Bei keinem Aspekt können wir die Wirtschaft außen vor lassen. Um es kurz auf den Punkt zu bringen finanziert die Wirtschaft das Gesundheitssystem, welches erst die Leben retten kann. Weiter will man sich nicht vorstellen welche Auswirkungen eine große wirtschaftliche Depression auf die eigene Gesellschaft hat. Arbeitslosenquoten von 30% und mehr mögen für den einen oder anderen weit hergeholt sein, kann aber auch schneller Realität werden als einem lieb ist.

        Ähnliches sah man ja auch schon bei der Finanzkrise 2008. Unser Wirtschaftsleben beruht vor allem auf Vertrauen und wenn das weg ist sieht die Welt sehr düster aus. Verlorenes Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit des Kunden, Staates oder des Geldes selbst.

        Daher sind solch kompromisslose Lösungen wie die Schließung aller Läden nicht nur Gift für die Wirtschaft sondern auch über kurz oder lang für die Gesellschaft selbst.

        Da habe ich aber noch gar nicht mit dem Aspekt argumentiert, welche Auswirkungen ein wirtschaftlicher Stillstand wie aktuell für die Wirtschaften und Gesellschaften in Afrika und Asien hat, welche die Produkte herstellen die wir tagtäglich kaufen. Die Tagelöhner dort leben tatsächlich von der Hand in den Mund und ihnen wurde durch unseren Stillstand jegliche Existenzgrundlage genommen, sie bekommen nichts mehr zu beißen.

        Letztlich liegt deren Schicksal ebenso in unserer Verantwortung. Der Virus wird in weiten Teilen der Welt so oder so auf wenig Widerstand stoßen, da schlicht nicht die Mittel gegeben sind um so viele Menschen erfolgreich zu therapieren wie es uns hier in der westlichen Welt vielleicht gelingen könnte. Der leere Teller ist dort ein viel offensichtlicheres und akuteres Problem als ein Virus, welche welches 1 von 100 Menschen umbringt. Tögliche Krankheiten, keine große Lebenswerwartung und die tägliche Bedrohung des eigenen Ablebens gehören wohl für mindestens der Hälfte aller Menschen auf diesem Planeten zum Alltag. Man kann sich durchschlagen, aber den meisten Menschen auf dieser Erde geht es gerade wie dem Fußball. Da kommt nichts mehr rein, so gehts nicht weiter.

      3. Aber ich sage ja auch nicht, dass man sie außen vor lassen sollte. Das wäre ja Wahnsinn. Man muss eben abwägen.

    2. @Justin: Vielen Dank für Deinen Hinweis, dass dein Beitrag keine direkte Replik auf mich darstellen soll, sondern weiterführende Gedanken. Denn sonst hätte ich mich in einigen Punkten doch von dir missverstanden gefühlt. Die Diskussion um die Sonderstellung des Fußballs, ob selbst oder von dritten zugeschrieben, erwähne ich ja nur einleitend am Rande (und übrigens Dir zustimmend). Darum ging es mir gar nicht. Natürlich geht es dem Fußball ums Geld. Das hört sich immer so negativ an. Aber es geht ja KHR nicht darum, sein privates Vermögen zu mehren. Auch in Fußballvereinen und ihren Zulieferindustrien arbeiten Menschen, die abends ihren Kindern ein Abendessen auf den Tisch stellen wollen und mit deren Steuern der Staat die Daseinsvorsorge für uns alle gewährleistet.

      Wenn bei einem Unternehmen die Geschäftsgrundlage wegbricht, bricht auch das Unternehmen weg und damit auch ein Stück des materiellen Wohlstandes unserer ganzen Gesellschaft. Deswegen muss jede Branche, der Fußball nicht ausgenommen, daran interessiert sein, seinen Geschäftsbetrieb so schnell und so friktionslos wie möglich wieder aufzunehmen bzw. aufrechtzuerhalten. Das hat mit moralisch fragwürdigem Geldscheffeln nichts zu tun. Etwas überhöht könnte man sogar sagen, dass es eigentlich im Gegenteil die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung ist, wenn KHR sich für eine Wiederaufnahme des Fußballs so schnell wie möglich einsetzt (wobei ich natürlich, bevor Beschwerden kommen, alle anderen Faktoren wie Testkapazitäten usw. bewusst gleichsetzte).

      Aus demselben Grund ist auch die Frage, wie viel Wirtschaft können wir uns leisten, ein falscher Gegensatz. Selbstverständlich stirbt zunächst einmal keiner, wenn ein Großteil der Unternehmen in einer VWL einige Monate stillliegt. Aber auf Dauer geht das nicht. “Die Wirtschaft” ist ja keine Spaßveranstaltung, die man hobbymäßig betreibt, weil man Spaß daran hat, aber damit aufhört, wenn es eng wird, sondern sie ist für unser aller Leben und Überleben notwendig ist. Wir sind die Wirtschaft. Da gibt es keinen Gegensatz.

      1. Ein einfaches Beispiel: Drosten meinte heute zum Lockern der Maßnahmen, dass er befürchte, man würde den guten aktuellen Stand nun in eine unkontrollierte Situation führen. Grund u. A.: Volle Shoppingmalls. Teil der Wirtschaft. Warum sollte man dann nicht abwägen, was jetzt davon in welcher Form notwendig ist? Warum sollte man nicht die Frage stellen dürfen, wie viel jetzt hochgefahren werden kann und wann es eben too much ist, weil es die Situation gefährdet. Der Vorwurf, man dürfe die Wirtschaft nicht aus moralischen Gründen ignorieren, funktioniert auch in die andere Richtung: Man kann für das Wohl der Wirtschaft nicht alles andere hintenanstellen. Es muss eben ausbalanciert werden und gerade weil die Situation sich aufgrund der großen Wissenslücken nicht so einfach einschätzen lässt.

      2. Ich glaube, ich habe mich unglücklich oder nicht klar genug ausgedrückt, denn eigentlich haben wir bei der Frage der notwendigen Abwägung zwischen unmittelbarem Coronavirus-Schutz und Aufrechterhaltung der Wirtschaft gar keinen Dissens. Ich stimme dir ja vollkommen zu, dass es da kein Handeln nach dem Motto alles-oder-nichts geben kann. Es wäre ja geradezu halsbrecherisch, um dein Beispiel der Shopping Malls aufzugreifen, diese wieder vollständig zu öffnen, wenn dadurch ein erhöhtes Risiko bestünde, dass die aktuell handhabbaren Neuinfektionszahlen wieder in unbeherrschbare Sphären hochschießen.

        Ich wollte eigentlich auf einen grundsätzlicheren Punkt jenseits der Corona-Krise hinweisen, nämlich dass die Wirtschaft meines Eindrucks nach häufig als das böse andere gesehen wird, was den Menschen in seiner Lebensentfaltung behindert, so dass es einen fundamentalen und nicht überbrückbaren Gegensatz zwischen “Mensch” und “Wirtschaft” gibt. Was dem einen nützt, schadet dem anderen und umgekehrt. Je mehr Wirtschaft, desto weniger Mensch. Profitiert die Wirtschaft, leidet der Mensch. Ich halte diese Betrachtungsweise für grundsätzlich falsch und wollte mich dafür stark machen zu erkennen, dass die Wirtschaft wir alle sind und dass sich jeder, der sich gegen eine funktionierende Wirtschaft wendet, letztlich auch gegen sich selber und sein ganz persönliches Leben wendet.

      3. D’accord. Danke für deine Ausführung. Wie gesagt: Manches von mir beruht auch auf einer allgemeinen Wahrnehmung.

  3. Ach, herrlich!
    Danke!

  4. Ich bin schon seit geraumer Zeit Supporter eures Blogs und schätze die Qualität eurer Beiträge. Gerne verfolge ich auch die Diskussionen als stiller Mitleser. Nun werde ich mal aktiv.
    Das ist einer der besten Beiträge, die ich zu dem Themenkomplex Coronalockdown gelesen habe. Ich für meinen Teil glaube, daß man die wirtschaftlichen Auswirkungen erst in den nächsten Jahren richtig spüren wird. Ich möchte nur noch mal in anderen Worten anmerken, wenn man für seinen Lebensunterhalt keine Einnahmen erzielen kann, kann es genauso tödlich enden wie wenn man sich mit dem Coronavirus angesteckt hat.
    Was richtig oder falsch ist, werden wohl erst die Historiker im Nachhinein beurteilen können.

  5. Deine Ausführungen zum Fussball teile ich vollkommen. Ich glaube, dass die Forderung nach “Rücklagen” dem weit verbreiteten Fehlschluss entspringt, ein Unternehmen müsste man so führen wie den eigenen Haushalt. Da kann man Regeln, die auf der einen Ebene sehr sinnvoll sind, eben nicht einfach so übertragen. Wenn die Umsätze wie auch die Spielerpreise rasant steigen, macht es absolut keinen Sinn, Geld zu Minimalzinsen zu bunkern. Ich denke auch, dass durch die Ausweitung der Testkapazitäten niemandem etwas weggenommen würde, wenn der Spielbetrieb wieder losgeht.

    Den Gegensatz zwischen wirtschaftlichen und humanitären Beweggründen kann man hingegen nicht ganz von der Hand weisen. Vorab, natürlich sind beide Sphären eng miteinander verknüpft, wie Du schreibst. Aber momentan wird der Politik eine Entscheidung zwischen beiden Prinzipien abverlangt, die sich an der konkreten Frage zuspitzt, wann die Quarantänemassnahmen aufgehoben werden sollen. Und da haben verschiedene Bevölkerungsgruppen schon fundamental entgegengesetzte Interessen, teils wegen der unterschiedlichen Anfälligkeit, aber nicht zuletzt auch wegen ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse. Als Pensionär wären mir sicher längere Restriktionen lieber, als Saisonarbeiter kürzere. Als Hotelier habe ich ohne physische Bewegungsfreiheit kein Geschäft, als Professor kann ich Studenten auch aus der Ferne unterrichten. Diese Nuancen werden zum Glück auch in der momentanen Debatte berücksichtigt – die extreme, fundamentalistische Zuspitzung “Wirtschaftskollaps oder Massensterben” habe ich zumindest hierzulande eigentlich nicht erlebt, also sollten wir auch nicht suggerieren, dass das die Trennlinien sind.

    Anders schaut es leider aus, wenn die Krise zu einem ideologischen Schlachtfeld wird. Wenn in den USA libertäre Gruppen absichtlich medizinische Ratschläge unterlaufen, oder wenn in China westliche Regierungssysteme als lasch und ineffizient gebrandmarkt werden. Wenn auf beiden Seiten versucht wird, das Virus dem jeweils anderen in die Schuhe zu schieben. Verglichen damit haben wir in Deutschland zum Glück eine gemässigte, rationale Debatte, und wie es zumindest aussieht, als Ergebnis dann auch eine Politik, die eine vernünftige Abwägung zwischen wirtschaftlichen und humanitären Aspekten trifft. Wie sich das im Fussball niederschlägt, wird man sehen. Wahrscheinlich in einer technisch komplizierten Anordnung, bei der Teams unter ständiger medizinischer Kontrolle und strenger Abriegelung ihre verbleibenden Spiele absolvieren. Das wird sicher teils ins Absurde abrutschen, die gern bemühte Folklore unterlaufen und den mühsam kaschierten Graben zwischen Kommerz und Identität in dieser Branche offenbaren. Aber letztendlich ist es auch nur ein weiterer Kompromiss zwischen widersprüchlichen Motiven, wie wir Menschen sie ständig machen.

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    1. Beim Thema Rücklagen reicht es die aktuelle Situation ins Verhältnis zu setzen um zu sehen, dass es quasi unmöglich ist ein solches Ereignis einzupreisen.

      Bayern macht einen Umsatz von 700 Mio, Tendenz steigend. Jetzt brechen für x Monate nahezu 100% der Einnahmen weg. Soll Bayern als Vorsichtsmaßnahme nun also 700 Mio auf einem Konto bunkern im Falle das sowas erneut passiert?

      Noch deutlicher wird es wenn man Volkswagen nimmt. Da lag der Umsatz letztes Jahr bei rund 250 Mrd. Völlig realitätsfern anzunehmen dass es möglich bzw. sinnvoll ist eine solche Summe zu bunkern um einen vielleicht niemals kommenden Umsatzeinbruch von 100% über 12 Monate abzufedern.

      Wenn du oder ich 1 Jahresgehalt für schlechte Zeiten auf dem Sparbuch haben ist das eine ganz andere Sache wie du schreibst.

    2. @Horst Mohamed: Danke für deinen sehr gescheiten Kommentar. Du hast absolut recht, es herrscht zwar über die Totalperiode betrachtet im Leben eines Menschen kein essentieller Gegensatz zwischen humanitären und materiellen Aspekten (aus Sicht des Todes ist es egal, ob er wegen einer Krankheit oder wegen Verhungerns eingetreten ist), aber kurzfristig, im praktischen Alltag gibt es hier natürlich sehr wohl ein Spannungsverhältnis. Ich wollte auch keine scharfe Trennlinie zwischen Extrem A (Massensterben wegen materieller Not) und Extrem B (Massensterben wegen Covid-19) ziehen, mir ging es nur darum, grundsätzlich zu verdeutlichen zu versuchen, dass es fundamental, im tiefsten Kern, keinen Gegensatz zwischen Dingen, die dem Menschen nützen und Dingen die “der Wirtschaft” nützen gibt. Dies ist eine grundsätzliche Wahrheit, die weit jenseits von Covid-19 gilt und auch unabhängig davon betrachtet werden sollte.

      Was deine Einschätzung zur Wiederaufnahme des Fußballs angeht, bin ich mal gespannt. Aus Perspektive der reinen praktischen Durchführung der Tätigkeit als solcher sehe ich da eigentlich kein Problem, aber ob die Politik das Szenario ungewollter Menschenansammlungen vor den Stadien oder heimlich in Gruppen zu Hause zum gemeinsamen Fußballgucken sowie die politische Symbolik hinter der Ermöglichung des Profifußballs als die ultimative Ausprägung der Spaßgesellschaft während Zuhause die Menschen in ihren Wohnungen hocken und die Kinder nicht auf den Spielplatz dürfen, scheut? Ich könnte es mir gut vorstellen.

  6. Guter Artikel und noch bessere Diskussion im Nachgang durch die meiner Ansicht nach hervorragenden Beiträge der bisherigen Forenteilnehmer.
    Wie bereits angeklungen, geht es um das Finden des richtigen Kompromiss zwischen vertretbarem Lockern der Beschränkungen und beibehalten der Verbote, bzw. wenn nötig deren Verschärfung.
    Leider gibt es hierzu kein Patentrezept, da diese Sanitärkrise so noch nicht in der modernen Zeit stattgefunden hat. Die Situation in Deutschland ist hier sicher nochmal anders zu bewerten als in Italien und Spanien. Justin hat zwar recht, dass das Virrus international ist, die Spiele würden jedoch erstmal nur in Deutschland stattfinden. Ich denke es ist legitim sich auch jetzt schon Gedanken zu machen, wann und unter welchen Bedingungen der Spielbetrieb wieder aufgenommen werden kann. Das gilt natürlich auch für andere Branchen, die in einer ähnlichen dramatischen Lage sind (Tourismus, Reisebranche, usw.).
    Ich kann nicht beurteilen, inwieweit die Testkapazitäten eingeschränkt sind, aber auch hier gibt es verschiedenen Lösungen. Wir haben in unseren Unternehmen gestern, alle Mitarbeiter (auf freiwilliger Basis) testen lassen. Das war nicht der klassische Labortest mit Mundabstrich, sondern eine Blutanalyse mit Prüfung verschiedener Antikörper. Dieser Art von Test wird von den(italienischen) Behörden nicht anerkannt (angeblich weil nicht gesichert ist, dass die Tests funktioniern) und steht dadurch nicht in Konkurrenz zu den Laborkapazitäten, außerdem gingen die Kosten zu lasten des Unternehmens.
    Nur ein Beispiel, dass es mehr Möglichkeiten gibt, um der Gegebenheiten angemessen zu begegnen ohne das der Eindruck entsteht, der Fußball wolle sich eine Sonderstellung sichern.

  7. Danke für den aufschlussreichen Artikel und die ebenso guten Kommentare!!
    Miasanrot kann zum Glück immer noch Qualität liefern…

    Nochmal zum Thema Geisterspiele, weil ich gerade folgendes laß:

    https://www.manschaftsbus.de/borussia-dortmund/dortmund-fehlt-jetzt-der-titel-trumpf

    Find ich total lächerlich. Als ob die Qualität der BVB-Spieler nicht ähnlich hoch wie die unserer Jungs wäre und ihre noch ausstehenden Heimspiele nicht auch ohne die Fans ihrer Stehtribüne gewinnen können…

    Vielmehr denke ich, dass es kleinere Vereine wie Union, Paderborn, Düsseldorf ohne ihre Fans schwerer haben werden gegen Bayern, den BVB und Red Bull zu punkten, weil individuelle Qualität und die Klasse eines Kaders bei Geisterspielen noch mehr zum Tragen kommen wird.

    Wie seht ihr das?

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    1. Ich sehe das tatsächlich so, dass dem BVB die fehlenden Fans im Stadion mehr weh tun werden als uns.

      Wieso: in der aktuellen Heimtabelle hat der BVB ein Spiel weniger als wir und trotzdem einen Punkt mehr als wir. Auswärts dagegen liegen sie fünf Punkte hinter uns – trotz einem Spiel mehr. Letzte Saison war der BVB auch die heimstärkste Mannschaft und hat die Meisterschaft auch auswärts vergeigt.

      Die Heimstärke der Borussia verbuche ich schon zu einem Teil unter dem Faktor “Fans”. Lächerliches kann ich an der Aussage also nix finden. Den kleinen Vereinen wird das fehlende eigene Publikum sehr weh tun, da bin ich bei Dir.

      Und da wir wohl unbestritten die höchste individuelle Qualität und die Klasse in der Liga haben, sehe ich in den Geisterspielen (wenn sie denn kommen, ich glaube da noch nicht daran) tatsächlich einen Bonus für uns.

    2. Wird sicher ein wichtiger Faktor sein.
      Wichtig ist sicherlich auch der Fitnesszustand der Spieler bzw die Fähigkeit den erfolgreichen Fußball ohne Rhythmus auf das Spielfeld von 0-100 zu bringen.
      Und da haben es die top Teams mMn einfacher!
      Wir werden es ja bald sehen- hoffentlich!

    3. Ich glaube auch, dass der Einnahmeblock “Einnahmen aus Eintritt” kleineren Vereinen im Verhältnis viel mehr fehlen wird, einfach weil der Anteil an Merchandise bei Paderborn (vermutetes Beispiel ohne Zahlenhintergrund) weniger hoch sein wird, als beim FCB oder der internationalen Marke BVB.
      Dies wird in unteren Ligen noch verstärkt auftreten.

      Der Vorwurf der Fans dürfte eher dem Fakt geschuldet sein, dass man vermutet, dass die Liga aus wirtschaftlichen Gründen weitergespielt werden soll und hier einen Ausnahmetatbestand zum Lockdown und seinen Vorschriften zur Geltung bringen soll. Gerade das ist meiner Meinung nach die Crux an der ganzen Sache.
      Ich kann meine Eltern nicht sehen, weil die Ausgangsbeschränkung das verbietet, aber die Liga soll weitergehen. So polemisch gesprochen kann ich den Hader der Fans schon verstehen und fühle ihn auch selber.

  8. Herzlichen Dank, Alex. Ein wunderbarer, anregender Text. Ich hatte mich nach unserer Slack-Diskussion auch versucht, hätte diese Einordnung jedoch nicht so präzise machen können, wie du es hier betreibst.

    Erfrischende BWL Perspektive und wie schon zu lesen, gibt es viele weitere Ansatzpunkte & diskussionwürdige Unterschiede zwischen uns allen!

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    1. Lieber Jan! Ganz herzlichen Dank für deine warmen Worte. Ich fühle mich geschmeichelt. Allerdings bin ich mir sicher, dass du natürlich keine Probleme hast, deine Gedanken schlüssig zu Papier zu bringen. In diesem Fall war ich einfach nur schneller. ;-)

  9. Der Fußball und der Kommerz – so wie es ja schon die Vereinigung der Fanszenen geschrieben hat.
    Aber das Ganze ist nicht nur ein zweischneidiges Schwert, sondern hat leider Gottes noch mehr Facetten.
    Der böse Kommerz, die Geisterspiele und das Fernsehgeld – da geht es dann schon los. Es gibt Vereine – und da gehört mit Sicherheit der FCB dazu – die würden auch einen Saisonabbruch “überleben”. Und es gibt Vereine, die jetzt schon die ausstehenden Fernsehgelder verpfändet haben.
    Bei wem ist jetzt der Kommerz schlimmer – der eine hat neben den Fußballern rund 1000 Angestellte, die auch diese Krise überstehen werden. Und der andere wird ohne die Fernsehgelder zahlungsunfähig und unter Umständen 600 Mitarbeiter entlassen müssen. Kann man das 1:1 vergleichen?

    Abgesehen von den finanziellen Folgen für die Vereine – Spieler , Vereinsführung, Angestellte völlig außen vor – was ist denn mit all den anderen, die vom Wirtschaftsfaktor Fußball profotieren/ mit auf ihn angewiesen sind.
    Was ist denn mit den Ticketshops, den Imbissbuden in und um Stadien, den Betrieben, die die Massen zu den Stadien transportieren und wieder weg, den Busunternehmen die die Auswärtsfans fahren, und, und, und, die Hotels, die Fans und auch die Mannschaften beherbergen.
    Man kann ja einmal diese Randbereiche, die ja eigentlich mit dem Fußball direkt nichts zu tun haben zusammenzählen – ja, die haben erst mal von Geisterspielen überhaupt nichts! Das bringt denen doch überhaupt nichts! Richtig! Im Moment nicht.
    Aber wenn es den Verein XY erwischt und der in der nächsten Saison nicht mehr existiert – dann bringt er denen auch künftig nichts.
    Man kann die Zuschauerzahlen, die auf der Basis der entsprechenden Ligazugehörigkeit erhoben werden ja mal vergleichen. Wenn dem Verein XY dank der nicht mehr vorhandenen Liquidität plötzlich eine Ligazugehörigkeit drei Stufen tiefer oder noch tiefer blüht, dann bedeutet das im Regelfall auch Zuschauerrückgänge im nicht unerheblichen Bereich.
    Und in den Niederungen der “Kleinunternehmer” spielt dann das Fehlen einer vielleicht fünfstelligen Zuschauerzahl pro Heimspiel als zahlungskräftige Kundschaft schon mal eine existentielle Rolle.
    Das geht allerdings dann bei der Betrachtung der Vereine meist unter. Aber das gehört auch zur Wirtschaft.
    Und für den Kleinunternehmer sind die am Wochenende nicht verkauften 5.000 Bratwürste und 1.000 l Bier eben keine Kleinigkeit. Und der Kleinunternehmer, der statt der fünf Fanbusse nur noch einen braucht, findet das auch nicht lustig. Genau wie der Ticketshop, dem plötzlich jede Woche ein paar hundert Ticketverkäufe fehlen.
    Bahn- und S.Bahn-Tickets geschenkt. Die paar hundert fehlenden Übernachtungen und deren Verzehr – auch geschenkt. Und so kommt eins zum anderen – nur wenn dann das plötzlich alles wegfällt, dann fällt es plötzlich auf.
    Wir reden von knapp 20 Mio Zuschauern in der letzten Saison – da kann man sich mal ausrechnen, was das an Einnahmen nicht für die Vereine sondern für all die anderen bedeutet, wenn davon ein vielleicht großer Teil wegbricht – bis hin zum Fan-Club, der sich jedes Wochenende zum Sky-Gucken in der Stammkneipe trifft, aber nur solange der Verein des Fanclub in der entsprechenden Liga spielt.

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    1. Du hast absolut Recht, auch abseits vom Fußballfeld leben tausende Menschen von der Bundesliga. Aber wenn ein Verein wegbricht, sei es durch Pleite oder jedes Jahr wiederkehrend ganz profan durch Abstieg, rückt ein anderer nach. Und dort ernährt der Spieltag dann ähnlich viele Menschen. Es verlagert sich bloß.
      Geht Schalke Pleite, dann spielen Hamburg oder Stuttgart in der Bundesliga, ohne den Zwangsabstieg der Löwen wäre Paderborn in Liga 4 abgestiegen und nicht ein Jahr später in die zweite Liga aufgestiegen. Wie viel weniger Leute rund um Paderborn würden dann heute ihr Geld mit dem Fußball verdienen?
      Corona ist eine Ausnahmesituation und da kann es halt auch einen Bundesligaverein zerlegen, genauso wie den vielbeschworenen Blumenhändler um die Ecke. Irgendwo freut sich ein Verein, dass er unverhofft in die Bundesliga kommt und sobald die Menschen wieder Blumen kaufen, eröffnet um die Ecke wieder einer einen Blumenladen.
      So hart die Einzelschicksale sind, das ist auch der Lauf des Lebens.
      Wenn wir das alles verhindern wollen, müssen wir die Bundesliga nach Corona zur geschlossenen Gesellschaft machen, ohne Auf- und Abstieg.

      1. Das bestimmte Unternehmen (und ich bezeichne Fußballvereine jetzt einmal als solche) pleite gehen und verschwinden und andere neu entstehen ist ein ganz normaler Prozess in einer Marktwirtschaft und Teil des wirtschaftlichen Alltags. Produkte überholen sich, Wettbewerber konnen etwas günstiger anbieten, die Nachfrage bricht ein, neue Unternehmen mit einer clevereren Idee treten auf den Plan – was auch immer. Es wäre absolut fortschrittsfeindlich, diesen Prozess zu unterbinden und es wäre auch wirtschaftlich überhaupt nicht sinnvoll (geschweige denn dauerhaft möglich), sämtliche einmal gegründeten Unternehmen für immer am Leben zu halten, auch wenn ihre Geschäftsgrundlage wegfällt oder Konkurrenten dasselbe Produkt tausendmal effizienter herstellen können.

        Für den Fußball trifft das im Prinzip genauso zu. Entscheidend ist hier nur, dass die Bundesliga ein quantitativ sehr kleiner Wettbewerb ist, bei dem die Wettbewerber paradoxerweise gleichzeitig in einem Verdrängungswettbewerb stehen und auf die Anwesenheit fast jedes einzelnen Konkurrenten angewiesen sind. Ohne ausreichend viele Teilnehmer keine Spiele, ohne Spiele keine Bundesliga, ohne Bundesliga keine Geschäftsgrundlage für den Profifußball. Jeder einzelne Teilnehmer profitiert unmittelbar von der Anwesenheit ausreichend vieler Konkurrenten.

        Wenn jetzt ein oder zwei oder drei Vereine gleichzeitig insolvent werden und verschwinden, lässt sich das wahrscheinlich noch problemlos kompensieren, andere rücken nach. Natürlich kommt es dann lokal zu den Folgewirkungen, die @Anton beschreibt, aber insgesamt stimme ich @wolfarth zu. Es kann immer passieren, das einzelne Vereine verschwinden und das ist nun einmal Teil eines normalen wirtschaftlichen Lebenszyklus. Nur wenn es zu viele Vereine auf einmal trifft, gerät irgendwann der ganze organisierte Profifußball insgesamt in Gefahr. Und daher wäre aus meiner Sicht die Bundesliga gut beraten, einen Solidarfonds zu errichten, damit sie in Zukunft nicht Gefahr läuft, bei Insolvenz zu vieler Vereine gleichzeitig ihre komplette Geschäftsgrundlage zu verlieren.

      2. @wohlfarth

        Du erkennst ja ganz richtig, dass Corona gerade eine Ausnahmesituation darstellt.

        Auch mit den Marktmechanismen stimme ich überein. Ein kommen und gehen.

        Das tiefer liegende Problem derzeit ist aber, dass wir eine wirtschaftliche Depression verhindern müssen, mit allen Mitteln. Du sagst das so einfach daher, aber in einer wirtschaftlichen Depression eröffnet nicht mal eben ein neuer Blumenladen nachdem der eine erst pleite gegangen ist. Eine wirtschaftliche Depression bedeutet Arbeitslosigkeit, Insolvenzen und den vollkommenen Zusammenbruch der Nachfrage. Im Fußball wird das wunderbar verdeutlicht werden. Da sollte es einen nicht wundern, wenn die Transferumsätze um mindestens die Hälfte einbrechen. Je nachdem wie sich die Krise weiter entwickeln wird werden wir die Summen aus den letzten Sommern für Jahre nicht mehr sehen. Die Lust von Milliardären ihr Geld in Fußballklubs zu versenken dürfte unter Null fallen. Wirtschaft und Investitionen beruhen auf Vertrauen und Sicherheit wie ich oben schrieb und wenn Menschen Angst haben halten sie ihr Geld zusammen oder denkst du z. B. gerade darüber nach dir einen Neuwagen zu kaufen, obwohl sie dich gerade in Kurzarbeit geschickt haben?
        In der Geschichte bedeuteten wirtschaftliche Depressionen zumeist, dass das Wohlstandslevel für Jahrzehnte nicht mehr erreicht werden kann, oftmals auch mit Kriegen in der Folgezeit verbunden.

      3. Diese Untergangsszenarien sind mMn total unangebracht.
        Wir reden von einer Ereigniskrise die schnell gekommen ist und genauso schnell wieder geht.
        Die unter Druck geratenen Asset Werte werden sehr schnell wieder steigen.
        Nicht nur Aktien.
        Alle die die eine riesige jahrzehntelange Depression ausrufen werden wieder falsch liegen.
        Auf Ablösen bezogen werden wir schon nächsten Sommer wieder Normallevel sehen.

      4. @systemrelevant:
        Ich sag das nicht so einfach daher. Keiner will und braucht eine wirtschaftliche Depression. Wenn aber deine schlimmsten Befürchtungen eintreffen, dann sind selbst 18 Pleite gegangene Bundesligavereine ein kleines Problem.
        Und zum Thema Auto, ich überlege momentan echt ob ich mir einen Neuwagen kaufe. Meine Tochter wird 18, kaufen wir einen neuen und schaffen einen Wert für die nächsten Jahre oder lieber einen alten und sehen zu, wie das Geld auf dem Konto wertlos wird?
        Schwierige Zeiten.

    2. @Anton
      Ein Hauptproblem der sogenannten Fanszenen ist das es scheint das ihr Gesellschaftsbild sehr wenig mit unserer sozialen Marktwirtschaft und den damit verbundenen Mechanismen gemein hat. Und dann abgeleitet auf den Profifußball sehr wenig mit den Mechanismen im Profifußball.Sicherlich sind Auswüchse bzw. Fehlverhalten immer zu korrigieren und zu sanktionieren aber Einzelfälle eben nicht der Grund das gesamte System über den Haufen zu werfen. Die jetzige Phase wird aufgrund der wie sehr plastisch von Alex dargelegt automatisch dazu führen das die Clubs die überzogen haben sehr stark korrigieren müssen bzw dazu gezwungen werden.

      Die Einschätzung das sich dauerhaft Ablösen und Gehälter limitieren lassen kann ich nicht teilen. Spätestens ab der nächsten Sommertransferperiode werden die Schleifspuren größtenteils verschwunden sein.
      Man kann aber gleichzeitig nur hoffen das das FFP konsequent durchgezogen wird auch wenn man jetzt einige Dinge zeitweise begrenzt lockert. Die Strafen für MCFC etc müssen Bestand haben unabhängig von der gegenwärtigen Situation.
      MMn wären Clubs wie Barca Juve Atlético Inter auch ohne Covid in eine schwierige Überschuldungssituation gelaufen die jetzt nicht verdeckt werden darf.

      Zum Abschluss nur nochmal zur Erinnerung der letzte offizielle UEFA Report belegt eindeutig wie auch die KPMG Deloitte etc Reports das bedingt durch die jahrelangen FFP Vorschriften ein überwiegender Teil der Proficlubs inzwischen profitabel wirtschaften und ein riesiger Teil der Schulden abgebaut wurde.
      Dies belegt eindeutig das der organisierte Profifußball kein krankes System ist.

  10. @Alex
    Dachte schon Du bist in der Versenkung verschwunden- Deine Beiträge sind hier, was die wirtschaftlichen Zusammenhänge angeht, mMn sehr wichtig um eine ausbalancierte Sicht der Dinge zu gewährleisten.

    Hervorragend faktisch dargelegte Argumentation mit mMn entsprechend treffender Konklusion. Sehr geschickt am Ende weil die schlüssige Folgerung eben nunmal die Fortsetzung der Saison der DFL Profifussballligen mit Geisterspielen bedeutet. Vorausgesetzt natürlich das das Konzept der DFL vom RKI und Politik als angemessen beurteilt wird dh in Abwägung Gesundheit/Spielbetrieb eine positive Beurteilung aus heutiger Sicht möglich ist.
    Und so wie sie bei Öffnung gewisser Betriebe möglich ist so muss sie natürlich auch bei den „Betrieben“ der DFL Clubs sprich 1. und 2. Liga möglich sein.
    Die Voraussetzungen sind ja von der Regierung umrissen worden insbesondere der Ansatz testing tracing isolation.
    Wir kennen natürlich das Konzept der DFL nicht aber wenn es aus heutiger Sicht als richtig und machbar vom RKI und Entscheidungsträgern beurteilt wird dann sollten mMn die Geisterspiele auch solange stattfinden wie sich die Ausgangslage nicht signifikant ändert.
    D.h. aber auch im Umkehrschluss das wenn man im Juni eine neue Welle befürchten muss auch natürlich wieder wie wahrscheinlich in allen anderen Bereichen gegengesteuert und konsequenterweise dann wohl abgebrochen werden muss.

    Zum Abschluss zu den Tests. Und das müssen und können wir zzt wie alle anderen auch nur national sehen.
    Wir haben natürlich genug TestKapazitäten.
    Diese wurden erst kürzlich wieder mit 750.000 pro Woche angegeben ( nicht die der Maschinen sondern die der durchführbaren Tests dh unter Berücksichtigung der Reagenzien und Arbeitskräften). Insgesamt wurden in D bisher nur 1,7 Mio Tests durchgeführt. In den letzten 7 Tagen sogar nur ca. 300.000 Tests. In anderen Worten wenn jetzt noch jemand auf einen Test warten muss liegt es nicht an der realen Kapazität sondern an dem Flaschenhals Bürokratie sprich Gesundheitsamt.
    Darüberhinaus sind auch viele der hunderten Privatlabors nicht ausgelastet. Ich kann heute auf meine Rechnung für 150 Euro einen Test machen und bekomme ein Ergebnis spätestens 24 Stunden später.
    Die DFL bzw. die Clubs bzw. deren Praxen werden inzwischen sicherlich die kleineren Maschinen wie zB von Bosch oder Siemens angeschafft haben um Testen zu können ohne notwendige Tests für das Gesundheitswesen zu beeinträchtigen.
    Ansonsten würde sicherlich weder das RKI noch die politischen Entscheidungsträger einer Aufnahme des Spielbetrieb zustimmen(können).

    P.s. mdB zukünftig wieder mehr Beiträge von Alex im Blog sehen zu können

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    1. @918: Danke für die warmen Worte. Ob du aber in Zukunft “wieder mehr Beiträge” von mir wirst lesen können, da möchte ich dir keine Versprechungen machen. Genau genommen habe ich bisher sowieso erst drei oder vier Texte für Miasanrot geschrieben, wo siehst du da das “wieder”? ;-)

      Ich habe kürzlich gehört, die Bayern wollen jetzt Perisic fest verpflichten. Gute Idee, findest du nicht? ;-)

      1. Darauf habe ich gewartet!!
        Point taken.
        Aber wir haben natürlich jetzt eine etwas andere Situation in der ich persönlich weder Boa noch Javi abgeben würde.
        Bei Perisic würde ich versuchen die Ausleihe zu verlängern ansonsten sind 10-15 Mio auch vertretbar.
        Also alles zusammenhalten ist sicherlich nicht verkehrt bis auf Coutinho natürlich.

        Wirklich nur 3-4 Beiträge! Na dann streichen wir ‚wieder’ und ersetzen es mit ‚hoffentlich mehr‘. Deine Beiträge sind mMn wichtig weil sie das Big Business Fußball gut beleuchten.

        Es kommen interessante Monate auf uns zu mit den ohnehin an der Grenze verschuldeten auf Rille gefahrenen Barca Juve Atletico Spurs Inter …..

        P.S. Die Jahresabschlüsse für AG und Konzern hätten schon Ende März Anfang April veröffentlicht werden sollen…….:
        Müssten täglich im BR eingestellt werden

      2. @918: Stimme dir in Sachen Kaderplanung zu. Wahrscheinlich dürfte in der jetzigen Situation die Priorität auf dem Zusammenhalten des Vorhandenen und erst in zweiter Linie auf Ergänzungen welcher Art auch immer liegen. Perisic ist dabei für mich ein no-brainer. Unbedingt halten den Mann.

        Ich werde mir Mühe geben, auch in Zukunft hin und wieder Artikel zu schreiben, die dein Plazet finden. ;-)

        Ich darf mich doch sicherlich darauf verlassen, dass du es mich bestimmt wissen lässt, sobald der Jahresabschluss im BR veröffentlicht worden ist? ;-)

  11. Seiffert hat eine top PK hingelegt.
    Sehr überzeugendes Konzept.
    Dann hoffen wir mal auf den 9.5. und das schnell die TV Einnahmen sprudeln.

  12. Alexander, ein großes Lob für deinen Artikel.

    Diese Sachlichkeit wünsche ich mir bei den Fachartikeln der öffentlich rechtlichen Sender oder Fachmagazinen wie dem Kicker.
    Im Kicker wird übrigens heute berichtet das es in Deutschland nachweislich ein größeres Potenzial an nicht genutzten Testkapazitäten gäbe.
    Ich gebe es ehrlich zu und setze mich jetzt hier auch in die Brennesseln: Ich bin unter bestimmten Voraussetzungen für Geisterspiele.
    Eine davon ist ohne Frage die Sicherheit und das Tests für den Fußball nicht anderen “weggenommen” werden dürfen.

    Dennoch habe ich medial das Gefühl das manch ein sogenanntet Experte jetzt die Stunde der Abrechnung mit dem Fußball als gekommen sieht. Zweifellos werden im Fußball immens hohe Gehälter gezahlt. Jetzt scheinen die Neider die Chance nutzen zu wollen und prangern dies lautstark an.

    Ich bin mindestens genau so gespannt wie es in den anderen Ligen weiter geht.
    In England, Spanien, Frankreich und Italien sieht es ja leider noch schlimmer aus als bei uns.
    Könnt Ihr hier vllt. einmal Vergleiche recherchieren!?

    Meines Wissens wird in Spanien beispielsweise in den Vereinen anteilig am Umsatz noch deutlich mehr für Gehälter ausgegeben.
    Wie sieht die Lage in den anderen Ligen aus? Dort müssten doch noch mehr Insolvenzen drohen.
    Entgegensetzt soll in England beispielsweise das TV-Geld trotz Ausfall/Verlegung der Spiele weiter gezahlt werden.

  13. […] Die vermeintliche wirtschaftliche Verantwortungslosigkeit des Profifußballs | Alex […]

  14. Interessanter Artikel, auch wenn ich einige Punkte relativ stark anders sehe. Mir geht es dabei gar nicht um den Fußball, den ich als absolutes Luxusprodukt halte und klar gegen Spiele in naher Zukunft bin, aber das ist ein anderes Thema. Sorry falls mein Beitrag evtl. etwas chaotisch wird.

    Unsere Wirtschaftsform ist nunmal der Kapitalismus, der wie wir alle wissen mehr als nur ein paar kleinere Probleme hat. Ich weiß was du meinst, aber der Artikel ist teilweise leider etwas rosarote Theorie. Das Vorstände viel besser verdienen mag gerechtfertigt sein oder eben nicht und auch statistisch gering sein, aber die Gehälter der einfachen Mittelschicht sind seit 20 Jahren kaum gestiegen. Das ist in Deutschland so, in UK und in den USA. Ich verdiene heutzutage nicht sonderlich mehr als wenn meine Mutter vor 20 Jahren einen Job angefangen hat. Das Problem liegt in diesem System. Nicht die Wirtschaft an sich ist kaputt, sondern der Turbokapitalismus in unserer westlichen Welt. Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer und das schon seit mindestens 2 Jahrzehnten. Wirtschaftlich betrachtet ist unsere Welt ungerechter denn je. In Deutschland kommt noch hinzu, das unsere Bildungsdurchlässigkeit für einen westlichen Industriestaat am unteren Ende liegt, was die genannten Probleme noch mal verstärkt.

    Die Wirtschaft ist natürlich wichtig, aber der Kapitalismus hat soviele Probleme, die wir auch alle schon vor der Krise kannten, das wir daran dringend etwas ändern müssen. Mindestlohn kam zu spät und ist immer noch viel zu niedrig. BGE wäre toll, aber dürfte es im konservativem Deutschland wohl in den nächsten 2 Jahrzehnten nicht geben. Menschen sind nicht von Grund aus faul, nur weil sie eine Grundsicherung haben. Natürlich könnte man Krankenschwestern 3500€ netto geben aber wer macht das denn? Niemand, weil Kapitalismus. Schlechte Bezahlung heißt auch das sich viel weniger Schulabgänger für solche Berufswege entscheiden. Wir haben massig private Krankenhäuser, die auch alle nur kostenorientiert dachten. Die CDU hatte die tolle Idee mit ihren schwarzen Null, die natürlich immer schon Quatsch war, weil man in guten Zeiten bspw. in Schulen etc investieren sollte und nicht sparen.

    Wir brauchen eine Umverteilung der Gelder in der Wirtschaft zu den Menschen am unteren Ende der Nahrungskette. Unser System ist kaputt. Ich möchte nicht, dass alles so wird wie vorher. Diese Krise bietet die perfekte Möglichkeit für große Veränderungen. Selbst es nicht immer rational begründet sein mag, kann ich große Teile der Bevölkerung sehr gut verstehen, wenn große Unternehmen Staatshilfen bekommen, damit sie ihren Arbeitgebern weiterhin nur 2000€ in guten und normalen Zeiten zahlen können. Das die Zukunft nicht in der 40h Woche liegt und wir in 30h fast genauso produktiv sind, bei zudem deutlich gestiegener Lebensqualität in Anbetracht der neu gewonnenen Freizeit. Wir könnten auch nur 4 Tage die Woche arbeiten und unsere Produktivität wäre quasi gleich.

    Warum machen wir das alles nicht? Weil der Kapitalismus und seine Unternehmen das nicht möchten. Wir könnten das alles locker umsetzten. Die Wissenschaft hat die Erkenntnisse seit 20 Jahren. Kapitalismus heißt Profitmaximierung um jeden Preis. Solange das BPI steigt ist alles gut, egal wie. Gebe ich meinem Arbeitnehmer deswegen 1.5% mehr bei 5% Inflation? Vermutlich nicht. Das kann nicht die Lösung sein für das 21. Jahrhundert und wird es auch nicht da die Klimakrise 50x schlimmer wird als dieses mickrige Coronading. Das große Unternehmen gierig sind ist ein Fakt, weil es immer nur um mehr mehr geht. Mehr Umsatz, mehr Gewinn, steigende Aktienkurse. Was bleibt davon beim kleinen Mann übrig? Nicht viel. Das kannst du nicht abstreiten. Frag doch mal den Callcenter Mitarbeiter bei der Telekom was er bekommt.

    Der Fußball ist auch Kapitalismus in Reinform. Die Schere arm und reich wird in einem wahnsinnigen Tempo größer und größer und kleinere Clubs werden regelrecht aufgeschluckt, da sie keine Chance haben in der Nahrungskette. Unternehmen in der Größenordnung wie Facebook, Amazon und Google können auch nur im Kapitalismus existieren. Der Kapitalismus bevorteilt “die da oben” ganz massiv und führt zu sehr starker Monopolbildung. Kein Mensch der Welt braucht 50 Milliarden Dollar auf dem Konto. Aber sein Unternehmen braucht natürlich Steuerschlupflöcher in der Karibik um Kosten zu sparen.

    Wir brauchen eine Umverteilung der Gelder. Der Kapitalismus ist ein krankes und kaputtes System. Menschen sind wichtiger als Aktienkurse.

    Rant over.

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    1. Sorry aber das trifft auf deinen rant zu

      “aber der Artikel ist teilweise leider etwas rosarote Theorie“

      Get real

      1. Einfach mal lesen wäre eine Idee oder? Ich habe selbst geschrieben, dass ich davon ausgehe das sich bei unserer konservativen Politik in naher Zukunft hinterher gar nix ändern wird.

    2. @moris1610: Vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar, gerade auch weil du anderer Meinung bist. Nur im Widerstreit der Argumente können sich in einer Debatte neue Erkenntnisse überhaupt nur bilden.

      Es würde viel zu weit führen, wenn ich auf jeden deiner Punkte im dem Detailgrad eingehen würde, den er verdient. Dafür ist das Thema viel zu komplex und wir wären wahrscheinlich Weihnachten noch nicht fertig. Erlaube mir daher bitte nur, kurz und knapp einige Stichpunkte als Gedankenanstoß in den Raum zu werfen zu den Thesen von dir, bei denen ich am deutlichsten eine andere Auffassung habe.

      1. BGE:
      (1) Ich habe bei weitem nicht ein so optimistisches Menschenbild wie du. Ich bin überzeugt, dass sobald jeder Bürger monatlich einen Betrag Geld auf sein Konto überwiesen bekommt, mit dem er seinen Lebensunterhalt einigermaßen auskömmlich bestreiten kann, ein nennenswerter Teil der Bevölkerung aufhören wird, ihrer regulären Arbeit nachzugehen, worunter dann auch das gesamtgesellschaftliche Wohlstandsniveau insgesamt leiden wird.
      (2) Wer soll das bezahlen?
      (3) Warum soll ein gutsituierter Arzt oder Topmanager eigentlich ein Grundeinkommen erhalten?

      2. Die Reallohnentwicklung
      (1) Die Reallöhne sind in den letzten Jahrzehnten in den meisten Jahren im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, siehe https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/03/PD20_110_623.html;jsessionid=D8421EE0272BA1D2CA89A62071A581DC.internet8721. Die heutige Erwachsenengeneration hat also sehr wohl ein absolut gesehen hören Wohlstand als ihre Eltern.
      (2) Selbst wenn die Reallöhne in Deutschland im den letzten Jahrzehnten nicht gewachsen _wären_, darfst du zwei Sachen nicht vergessen: 1. Die öffentliche Infrastruktur und die allgemeinen verfügbaren öffentlichen Güter sind heute von viel höherer Qualität als noch vor 20 oder 30 Jahren. Auch ohne einen einzigen Cent Reallohnzuwachs bekommst du heute eine bessere Behandlung beim Arzt, genießt bessere Straßen, hast ein besseres Lehrniveau an den Schulen und so weiter. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. 2. Dasselbe gilt für die von dir privat gekauften Konsumgüter. Selbst ohne einen einzigen Cent Reallohnzuwachs ist die durchschnittliche Qualität jedes Gutes, dass du heute kaufen kannst, viel höher als noch vor 20 oder 30 Jahren. Für denselben realen Euro bekommst du heute viel bessere Computer, viel bessere Turnschuhe, viel bessere Autos, viel bessere Wohnungen, viel bessere Medikamente – und so weiter bis in alle Ewigkeit.

      3. Die Höhe des Gehalts der Krankenschwester: Wie bildet sich denn das Gehalt einer Krankenschwester? Legt das irgendein böser Diktator fest? Oder ist es zumindest in Teilen auch einfach ein Produkt von Angebot und Nachfrage. Ganz offenkundig ist das aktuelle Gehaltsniveau hoch genug, um so viele Menschen zu motivieren Krankenschwestern zu werden, wie es gerade gibt. Ganz viele Menschen fühlen sich also offenkundig nicht von dem aktuell vorherrschenden Gehaltsniveau davon abgeschreckt, Krankenschwester zu werden. Für die scheint das hoch genug zu sein. (Das gilt übrigens analog für alle anderen von dir als zu tief angesprochenen Gehälter auch.)

      3. Produktivität: Ja, vielleicht wäre unsere Produktivität hoch genug, damit wir uns eine Viertage-Woche ohne große Wohlstandsverluste leisten könnten. Aber Deutschland ist ja nicht die Welt. Wenn ein Land bewusst seine wirtschaftliche Tätigkeit reduziert (also weniger arbeitet und weniger forscht und weniger entwickelt usw.), alle andern aber nicht, fällt dieses Land im Vergleich im Laufe der Zeit immer weiter zurück. Irgendwann wird es technologisch vollkommen abgehängt sein und dann kommen die weltbesten Industriemaschinen und die weltbesten Autos und die ganzen Hidden-Champions-Produkte eben nicht mehr aus Deutschland, sondern aus anderen Ländern, weil die uns in Sachen Innovation und technischer Fortschritt und Produktivität etc. abgehängt haben. Wenn du diesen Gedanken logisch fortspinnst, landen wir irgendwann auf dem Niveau eines Entwicklungslandes. Das würdest Du sicher auch nicht wollen.

      4. Monopolbildung: Google, Facebook, Amazon und Apple Malton deshalb stark zu Monopolbildung, weil bei ihnen sogenannte Netzwerkeffekte zum Tragen kommen. Zum Beispiel ist theoretisch die optimale Anzahl an sozialen Netzwerken genau eins, bei dem nämlich alle angemeldet wären und miteinander kommunizieren könnten. Bei Amazon ist es ähnlich. Je größer der Dienst ist, desto mehr Händler zieht er an, desto mehr Produkte kann er anbieten und desto bequemer ist es für den Nutzer, dort einzukaufen. Jeder einzelne Nutzer profitiert von der Anwesenheit anderer. Genau von diesem sog. Netzwerkeffekt profitieren Plattformen wie Facebook und Google. In den allermeisten Wirtschaftsbereichen gibt es diesen Effekt aber nicht, so dass es dort auch nicht so sehr zu Monopolbildung kommt. Du hast dir also im Prinzip ein verzerrendes Beispiel zum Beleg deiner These herausgegriffen.

      Einigen anderen deiner Punkte, die ich hier jetzt nicht explizit aufführe, stimme ich im Kern durchaus zu. Nochmals danke für deinen Input!

      1. Ich muss moris jetzt doch mal beiseite springen. Leider gehen viele Argumente von einer wirtschaftswissenschaftlichen Theorie aus, die eine Theorie ist, deren Grundlage sich immer wieder als falsch erwiesen hat (der Mensch handelt nicht rational nach rein finanziellen Kosten-Nutzen-Abwägungen). Alleine das Gehalt von Krankenschwestern bildet sich nicht aufgrund von Angebot und Nachfrage; nicht einmal bei Ingenieuren ist das der Fall. Und bei Krankenschwestern sei noch erwähnt: Das Personal wurde in den letzten 20 Jahren in der Pflege in den Krankenhäusern massiv eingespart (habe das selbst bei meiner Frau erlebt, als sie noch im KH arbeitete). Da hat man einfach weniger Leute mehr Arbeit machen und mehr Patienten betreuen lassen. So kann man dann auch dem Nachwuchsmangel eine Weile begegnen. Und die (dann doch meistens) Frauen nehmen den Beruf nicht auf, weil sie finanzielle Kosten-Nutzen-Rechnungen anstellen, sondern weil sie Menschen helfen möchten. Deswegen fordern sie dann auch nicht vehement mehr Geld. Aber nach über 20 Jahren “Ökonomisierung” sehen wir nun das Ergebnis namens Pflegenotstand. Da hat der Kapitalsmus aber mal so richtig versagt, weil es heute zu wenig Personal gibt – unabängig von der aktuellen Pandemie. Und bei Ingenieuren, die ja angeblich auch so schlimm fehlen, sind die Einstiegsgehälter in den letzten 10-20 Jahren jenseits der Inflation auch nicht dramatisch angestiegen. Insofern funktioniert Kapitalismus in der Praxis eben doch anders als von Wirtschaftswissenschaftlern (insbesondere BWLern) gedacht – warum sollte man sonst auch Werbung schalten und Marketing betreiben, wenn der Mensch ach so rational ist? Aber selbst solcher logischer Inkonsistenzen sind sich die Meisten ja nicht einmal bewusst.

        In Sachen BuLi: Warum sollte man für den Fussball eine Ausnahmegenehmigung erteilen, wenn die meisten Vereine den topbezahlten Angestellten, die mehr Personalkosten verursachen als der gesamte Rest der Belegschaft, diese Gehälter noch weiterbezahlen kann?

        Und in Sachen Wirtschaft (Achtung, jetzt kommt eine mit Absicht pointierte Formulierung): Warum sollten wir nun Unternehmen Geld geben, damit sie weiter arbeiten können? So ist Kapitalismus. Man möchte wenig Staat, also sollte der Staat sich auch jetzt raushalten. Gerade bei steuervermeidenden Großkonzernen. Oder man ist halt bereit, sich für die Zeit danach auch anderen Regeln (Steuern, Mindestlohn, Sozialstandards etc.) klaglos zu unterwerfen. Wer gerettet werden möchte, sollte dem Retter (also dem Staat) auch entsprechend Dankbarkeit zollen. Wenn alles mit allem zusammenhängt, der Mensch mit der Wirtschaft und umgekehrt, dann sollte man überlegen, ob die Forderungen aus der Wirtschaft immer ganz oben stehen sollten. Die Einführung des Mindestlohns hat ja wunderbar bewiesen, dass die Unkenrufe aus der Wirtschaft eine dreiste Lüge waren, denn Arbeitsplätze sind dadurch ja nicht verschwunden.

      2. @Herrispezial: Ich fürchte, wir sind uns in vielen Fragen einiger als du vielleicht denkst.

        Beim Thema der Ökonomiesierung des Gesundheitswesens bin ich vollkommen deiner Meinung. Die Entscheidung für einen Arztbesuch oder einen Krankenhausaufenthalt funktioniert nicht nach dem Prinzip Angebot und Nachfrage (vielleicht ist Aunahme von ein paar Schönheitsoperationen ;-). Es ist meines Erachtens auch wenig sinnvoll, als Beispiel einem Chefarzt einen Bonus für das Erreichen bestimmter quantitativer Operationsziele zu geben. Ab der 1000. Hüfte gibt’s dann noch Mal ein Plus auf dem Konto. Macht nicht wirklich viel Sinn. Ich bin daher grundsätzlich, auch bei anderen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge, der Auffassung, dass sie ganz generell nicht primär nach dem Kriterium der Profitmaximierung beurteilt werden sollten, sondern danach, ein für die Bedürfnisse der Menschen angemessenes, durch die Politik festzusetzendes Leistungsniveau zu vernünftigen Kosten abzuliefern. Klar geschieht das dann vielleicht nicht in jedem Einzelfall stets so effizient wie möglich, aber der oberste Maßstab beim Betrieb des Gesundheitssystems, der Grundversorgung mit Strom, Wasser, Gas, Internet etc., des Bildungssystems usw. sollte meines Erachtens in einem hochentwickelten Land wie dem unsrigen ruhig etwas kosten dürfen, wenn dafür die Qualität stimmt – was dann natürlich auch z.b. das Vorhandensein ausreichend vieler Pfleger und Krankenschwestern wie deine Frau in Praxen und Krankenhäusern einbezieht.

        Deine Meinung, viele Unternehmen, die vorher vom Staat nichts wissen wollten, dürften jetzt in der Krise nicht um Hilfe bitten, ist etwas unfair, weil es sich um eine unvorhergesehene Krise dramatischsten Ausmaßes handelt, auf die sich kein Unternehmen, auch nicht das staatsfreundlichste, hätte vorbereiten können. Da hat ein staatsfernes Unternehmen nicht per se mehr falsch gemacht als ein staatsfreundliches und die jetzige Misere sollte ihnen daher meines Erachtens auch nicht als besonderes Versagen ausgelegt oder als Druckmittel gegen sie eingesetzt werden.

        Was den Mindestlohn angeht, kann ich deine Empörung intellektuell nachvollziehen, aber ich würde doch statt von Lüge etwas wohlwollender von Befürchtung sprechen. Das Konzept der Lüge impliziert ja, dass man im Vorhinein _weiß_, dass man etwas falsches oder wahrheitswidriges sagt und es trotzdem bewusst tut. Bei der Diskussion um den Mindestlohn vor seiner Einführung hatten seine Gegner aber lediglich die _Befürchtung_, dass er der Wirtschaft schaden würde. Sie haben nicht bewusst und vorsätzlich die Unwahrheit gesagt. Das ist ein qualitativer Unterschied.

        Die Gehälter der Angestellten bei den Fußballvereinen sind übrigens genau wie bei jedem anderen Arbeitnehmer auch vertraglich festgelegt. Da kann man nicht Mal eben so einfach was kürzen. Das müssen diese Personen schon freiwillig selber tun. Du würdest dir ja auch verbitten, dass dir dein Arbeitgeber einfach so das Gehalt kürzt.

      3. @Alexander: Ja, der komplette Bereich der Daseinsfürsorge darf nicht wie ein Wirtschaftsbetrieb ausgerichtet werden (sehr wohl sollte natürlich auch dort aufs Geld geachtet werden).

        Was die Unternehmen angeht, die nicht nach staatlicher Unterstützung rufen dürfen: Wenn sie sich denn den Staaten “unterwerfen” würden, hätte ich kein Problem damit. Aber wenn ich mir das Agieren der Banken nach der Krise 2008/09 anschaue oder auch jetzt als nur eines von vielen Beispielen Daimler (die einerseits Kurzarbeitergeld beanspruchen, andererseits jetzt noch Dividenden in Milliardenhöhe zahlen werden), dann läuft da etwas genau so, wie es im Kapitalismus eben läuft: alles mitnehmen, was geht. Doch wenn man jemanden um Hilfe bittet (vom dem man sonst nie etwas wissen möchte), dann sollte es eigentlich klar sein, dass man für die Hilfe ein Entgegenkommen zeigt. In unserem Wirtschaftssystem darf ein Arbeitgeber Mitarbeiter entlassen, die (unverschuldet) länger krank werden – obwohl auch hier der Staat schon nach 6 Wochen einspringt und Krankengeld zahlt. Nun ist das gesamte Wirtschaftssystem unverschuldet in Problemen und möchte Unterstützung vom Staat. Bitte verstehe mich nicht falsch: ich bin dafür, dass der Staat einspringt, weil die sozialen Folgen sonst möglicherweise noch dramatischer werden als ohnehin schon. Aber wenn man eben jetzt nach einem Helfer ruft, der sonst gerne verpönt wird, dann sollte da sowohl in der aktuellen Lage mehr Demut herrschen und auch ein dauerhaft anderes Verhalten Einzug halten. Wer sagt denn, dass (sobald die Krise hoffentlich bald überstanden ist) in 10, 15, 20 oder auch 50 Jahren eine vergleichbare Situation nicht wieder entsteht? Wer Absicherung möchte, muss sie eben auch bezahlen (ich muss meine Hausratsversicherung auch selbst bezahlen) und nicht Steuern vermeiden, wo es geht. Da gefällt mir Dänemark sehr, das Firmen keine Staatshilfe gewährt, die ihren Sitz oder Teile des Unternehmens in Steuerparadise verlegt haben.

        Hinsichtlich der Gehälter im Fussballvereinen: Natürlich sind die vertraglich festgelegt. Doch wenn es um das Überleben des Arbeitgebers geht, dann müssen alle ihren Beitrag leisten – je nach Leistungsfähigkeit. Und die Kosten eines Vereins bestehen zu einem sehr wesentlichen Teil in den Gehaltskosten sehr weniger Personen. Da kann man also sehr schnell sehr viel Geld einsparen, indem man wenigen Personen wehtut. Und an der Stelle denke ich dann eben ganz klar im System (des Kapitalismus): hier können erhebliche Kosten eingespart.

        Irgendwie finde ich es schon spannend, wie Personen, die den Kapitalismus vertreten (damit meine ich jetzt nicht Dich), dessen Prinzipien ganz schnell vergessen, wenn es um eigene Vorteile geht. Und da wünsche ich mir schon mehr Konsequenz: Wenn Kapitalismus, dann auch richtig. Oder wir hegen ihn ein, aber dann dürfen nicht diejenigen die Regeln bestimmen, die ohnehin schon die Mächtigen im System sind (man schaue sich nur einmal den Krisenstab vom Laschet an, in dem kein Arbeitnehmervertreter sitzt, aber dafür viele Leute der “Wirtschaft”).

      4. @herrispezial: Ich kann deine Sichtweise voll nachvollziehen, aber vielleicht lohnt es sich doch, einen etwas differenzierteren Blick auf das Thema zu werfen. Bei dir ist der Begriff “Kapitalismus” sehr eng umgrenzt und äußerst negativ konnotiert. Das kan man so machen, aber dann finde mal einen Wirtschaftssystem irgendwo auf der Welt, das an deinem hohen Standard von was anständig und was verwerflich ist nicht scheitert. Kapitalismus ist ja ein interpretationsfähiger Begriff, der ein breites Spektrum von Ausprägungen abdeckt und den realen Kapitalismus von heute kann man sicherlich nicht mehr mit dem Manchester-Kapitalismus des 19. Jahrhunderts gleichsetzen. Deswegen finde ich grundsätzliche Systemkritik immer etwas schwierig. Was ist schon Kapitalismus?

        Nicht umsonst würden viele Politiker und Ökonomen in Bezug auf das Wirtschaftssystem in Deutschland auch nicht von Kapitalismus sprechen, sondern von einer sozialen Marktwirtschaft. Diese Begrifflichkeit liegt auch mir deutlich näher und ich finde sie für das, was wir in Deutschland real haben, auch viel passender.

        Inhaltlich gebe ich dir im Einzelnen bei vielen Punkten recht. Egal wie man das System nennt, es gibt immer die Gefahr von Auswüchsen oder opportunistisch eigennützigem Verhalten einzelner Akteure. Typischerweise gilt natürlich, dass je mächtiger sie sind, desto größer tendenziell auch die sozialen Auswirkungen ihres Fehlverhaltens.

        Aber nicht immer ist die Situation direkt offensichtlich eindeutig. Wenn du dir z.b. die Frage der Dividenden der Automobilkonzerne etwas näher anguckst, dann wirst du feststellen, dass bei BMW z.b. die Prämien an die Mitarbeiter an die Dividendenausschüttung an die Eigentümer gekoppelt sind. Auch sind Dividenden grundsätzlich vergangenheitsbezogen. Die jetzt ausgeschütteten Dividenden beziehen sich auf das Geschäftsjahr 2019. Ich gehe ganz fest davon aus, dass im Jahr 2020 die Automobilkonzerne keine Dividenden (oder zumindest nur dramatisch reduzierte) ausschütten werden. Ich halte dieses Handeln also nicht prinzipiell für verwerflich oder einen dramatischen Auswuchs des Kapitalismus in seiner finsteren Endstufe, sondern für rational nachvollziehbar – auch wenn ich dir natürlich Recht gebe, dass das öffentliche Signal verheerend ist und man die Situation auch geschickter hätte lösen können (durch Verschiebung der Ausschüttung und Abkoppeln der Prämienzahlungen an die MA beispielsweise).

        Wenn du mir einen theoretischen Gedanken erlaubst: Auch wenn es sich blöd anhört, aber wenn ein Unternehmen gleichzeitig Staatshilfen beantragt und Dividenden oder Boni ausschüttet, dann ist das aus Sicht des Unternehmens ein vollkommen rationales und wirtschaftlich im Prinzip auch das einzig vernünftige Handeln. Es muss das Interesse jedes Unternehmens sein, für seine Eigentümer im Rahmen des gesetzlich Erlaubten das Maximum an Profit herauszuholen. Dabei ist es quasi verpflichtet, sämtliche Möglichkeiten, die ihm der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang gewährt, auszunutzen. Es ist die Aufgabe des Gesetzgebers, den Spielraum der Unternehmen zu definieren. Wenn der Staat beispielsweise nicht möchte, dass in Krisensituationen oder bei Inanspruchnahme von Staatshilfe Dividenden ausgeschüttet oder Boni gezahlt werden, muss er das gesetzlich untersagen. So hat im großen Gesamtsystem “Gesellschaft” jeder seine Rolle. Die Unternehmen sind dafür da, die Gesellschaft mit maximalmöglichem materiellen Wohlstand zu versehen unter Inanspruchnahme aller dafür zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, und der Gesetzgeber ist dafür da, die dafür geltenden Parameter im Hinblick auf das übergeordnete soziale Wohl der Gesellschaft insgesamt zu definieren und durchzusetzen.

        Und rein wirtschaftlich gesehen ist in der Theorie der insgesamte wirtschaftliche Output in einer Gesellschaft dann am größten, wenn jedes einzelne Unternehmen seinen eigenen Profit maximiert. Das kann man auch mathematisch zeigen. Somit ist es streng genommen auch im Interesse des Staates bzw. der Gesellschaft insgesamt (also von uns allen), wenn Unternehmen genau so verfahren wie Daimler und BMW es jetzt tun (Staatshilfen + Dividendenausschüttung).

        Ich weiß, dass sich das jetzt extrem kalt und fast schon schauerlich unmoralisch anhören mag, weil natürlich globale Optima (das Wohl der Gesellschaft insgesamt) nicht immer zwingend mit lokalen Optima (das Wohl der Mitarbeiter von BMW oder Daimler) zusammenfallen müssen. Im Gegenteil. Häufig ist es sogar so, dass globale Optima lokal zu ganz schönen Verwerfungen führen können. Hier ist der Start dann gefordert und muss regulierend und ausgleichend eingreifen – und damit wären wir wieder bei der sozialen Marktwirtschaft, in der ja genau das vorgesehen ist. ;-)

        Soweit die nackte Wirtschaftstheorie. Bevor jetzt ein Sturm der Entrüstung über mich einbricht – natürlich ist das nur eine ausgewählte Perspektive. Wirtschaftliche Macht geht oft einher mit sozialer und politischer Macht, da gibt es viele Überschneidungen und Verzerrungen, die selbstverständlich real sind und in der Gesamtwürdigung einer Volkswirtschaft berücksichtigt werden müssen. Aber ich bin jetzt hier ohnehin schon zu lang. Nächstes Mal. ;-)

        Ich glaube, zu den Spielergehältern und ob und wie man sie begrenzen könnte und sollte, mache ich vielleicht mal einen Artikel.

      5. @Alexander: Vielen Dank für Deine ausführlichen Antworten. Es macht Spaß, so zu diskutieren.

        Was Daimler und Co. angeht: Wenn absehbar ist, dass die Einnahmen sinken, ist es (auch betriebswirtschaftlich) eigentlich falsch und unsinnig, unnötig Geld auszugeben. Das gilt sowohl für Dividenden als auch für (freiwillige) Boni an die Mitarbeiter. Meine Befürchtung (Achtung Spekulation!) ist, dass die Mitarbeiter zum Verzicht sogar noch eher bereit sind als die externen Aktionäre (weil die einen langfristige Interessen haben, die anderen eher kurzfristige Gewinnerwartungen). Da kommt dann wieder die Frage nach der Macht ins Spiel.

        Zu den globalen und lokalen Optima: In der Rechnung fehlen natürlich noch die Kosten, die sich nicht unmittelbar beziffern lassen. Wie teuer wäre wohl ein Produkt, wenn man die (sozialen und ökologischen) Folgekosten mit bezahlen müsste? Die werden komplett externalisiert. Bestes Beispiel dafür ist der Atomstrom, der erst mit Milliardenkosten subventioniert wurde, um ihn zu ermöglichen, und nun mit Milliardenkosten nochmals subventioniert wird, weil man die Kosten für die Entsorgung auch nicht dem Energieversorgern komplett überantwortet. Die Gewinne zwischendrin durften die Unternehmen natürlich behalten. Das gilt für die Zerstörung der Natur an anderer Stelle genauso (man denke nur an die Gewinnung der Rohstoffe für Autobatterien in Südamerika, wo ganzen Gegenden jetzt schon vollkommen verdörrt sind). Das alles bleibt bei rein marktwirtschaftlichen Berechnungen außen vor.

        Und was die Kritik am Kapitalismus angeht: auch eine soziale Marktwirtschaft ist letztlich kapitalistisch. Damit habe ich auch erst einmal kein Problem. Ich will auch den Kapitalismus an sich nicht abschaffen. Aber ich habe Thomas Piketty gelesen. Und in dem kommt ja schon sehr deutlich zum Ausdruck, dass Politik Einfluss nehmen kann auf die Wirtschaft ohne sie zu schädigen. Im 20. Jahrhundert hatten wir es erreicht, dass die Verteilung des Wohlstands nicht so stark auseinander lag wie zuvor und auch danach – weil die Politik Rahmen gesetzt hat (meine persönliche Meinung dazu: der Westen musste zeigen, dass er ökonomisch und menschlich das bessere System ist und hat deswegen den Kapitalismus eingehegt). Und darauf verzichtet die Politik mehr und mehr (weil sie von Interessen aus der Wirtschaft dazu gedrängt wurde). Wenn sie es mal nicht tut, passiert nicht so Schlimmes wie befürchtet (s. Mindestlohn). Und nun kommt “die Wirtschaft” um die Ecke und ruft nach dem Staat, der zuletzt immer weiter zurückgedrängt wurde. Deswegen bin ich sehr für eine “soziale Marktwirtschaft” – aber eben für eine, in der das “sozial” nicht nur formal aufgeklebt ist und das “Soziale” faktisch immer mehr abgeschafft wird. Hartz IV ist da nur ein Beispiel, mir fallen sofort die Spitzensteuersätze, die Erbschaftssteuer, die Besteuerung von Börsenumsätzen, die Besteuerung von digitalen Großkonzernen etc. Immer mehr Kapital wird immer weniger besteuert.

        So nun wurde es etwas grundsätzlicher. Dafür bitte ich um Entschuldigung. Aus meiner Sicht müssen wir uns neu darüber verständigen, was der Staat leisten soll. Und wenn er in einer Lage wie jetzt Unternehmen retten soll, dann müssen wir zusehen, dass wir die Mittel für die Rettung irgendwoher bekommen. Da geht nur über ein System, in das alle Unternehmen und auch deren Beschäftigte genügend einzahlen. Genau da beisst sich halt die kapitalistische Grundidee mit dem Solidaritätsprinzip, das eben nicht auf den individuellen Vorteil achtet, sondern eben für Absicherung bei denen sorgt, die sie aktuell brauchen. Einige werden diese Absicherung nie benötigen, müssen sich aber eben auch daran beteiligen, da das System ansonsten nicht klappt.

      6. Erstmal danke @Herri und moris, ihr habt einiges formuliert, was mir beim Lesen dieses Beitrags auch durch den Kopf ging.

        @Alexander:
        In Bezug auf die Grundaussage des Artikels bin ich absolut bei dir: die Wirtschaft ist nichts Abstraktes, sondern die Grundlage unseres Wohlstands, letztlich sind wir alle Teil davon. Das ist allerdings eine eher banale Erkenntnis, und: sie trifft nicht zu 100% auf das zu, was i.a. als “Wirtschaft” bezeichnet wird. Ohne Produktion, Handel, Dienstleistungen ginge es uns allen schlechter. Ohne Spekulation mit lebenswichtigen Gütern, ohne Aktienleerverkäufe, ohne Handel mit Optionspapieren ginge es uns garantiert nicht schlechter, eher im Gegenteil. Aber das nur am Rande. Massiv irritiert hat mich folgende Bemerkung in einem Kommentar:

        “Und rein wirtschaftlich gesehen ist in der Theorie der insgesamte wirtschaftliche Output in einer Gesellschaft dann am größten, wenn jedes einzelne Unternehmen seinen eigenen Profit maximiert. Das kann man auch mathematisch zeigen. Somit ist es streng genommen auch im Interesse des Staates bzw. der Gesellschaft insgesamt (also von uns allen), wenn Unternehmen genau so verfahren wie Daimler und BMW es jetzt tun (Staatshilfen + Dividendenausschüttung).”

        Mathematisch zeigen kannst du allenfalls, daß das innerhalb des gewählten Modells zutrifft. Ein mathematisches Modell zu bauen, das dieses Ergebnis bringt, ist ebenso banal wie die Erkenntnis oben. Das Interessante ist aber, ob dieses Modell die Realität abbildet. Und diese Frage ist relativ offensichtlich zu beantworten: es tut es nicht. Das Modell ist einfach falsch. Selbst wenn man es irgendwie schafft, alle Folgekosten mit einzubeziehen (ein Einwand, den Herri schon gebracht hat), selbst dann bleiben Modell und Behauptung falsch. Denn in einer menschlichen Gesellschaft entstehen Gefangenendilemmata immer wieder (überall da, wo es um die Nutzung begrenzter Ressourcen geht, zwangsläufig), was die obige Behauptung ganz prinzipiell ad absurdum führt. Und auch, wenn man diese Fragen über Gesetzgebung gelöst hat, bleibt die Frage der Nachhaltigkeit: Profitmaximierung geschieht immer kurzfristig (geht ja auch nicht anders) – nur ist für Staat und Gesellschaft ausschließlich die langfristige Perspektive interessant. Und zu guter Letzt: selbst wenn irgendjemand es schafft, die langfristigen gesellschaftlichen Gesamtkosten korrekt zu prognostizieren und damit jetzige Entscheidungen zu beeinflussen, selbst dann taugt das Modell, das du hier zitierst, immer noch nichts. Denn es misst ja den einzigen Meßwert, den die Wirtschaft hat: den finanziellen Gewinn oder Verlust. Es ist aber so, daß der freie Markt notorisch unzuverlässig ist, realen Werten einen Geldwert zuzuweisen. Teilweise sind diese Wertzuweisungen sogar komplett irrational, sowohl kurzfristig (Tulpen…) als auch langfristig (Gold bspw.)

        Mithin: dieses Modell, und damit auch die darauf basierende These, ist einfach falsch. Dennoch werden derartige Behauptungen in den Wirtschafts”wissenschaften” aus (vermutlich) opportunistischen Gründen weiterhin aufgestellt. Und das gibt der Ökonomie den schlechten Ruf, den sie in Teilen der Bevölkerung im Moment hat – obwohl Ökonomie durchaus ein wichtiger Bestandteil ist, wenn es darum geht, eine bessere, nachhaltigere, gerechtere Gesellschaft zu erreichen. Ich verstehe, ehrlich gesagt, auch nicht warum: der Lamarckismus in der Biologie, die Steady-State-Theorie in der Physik, alles Theorien, die der Realität, also der wissenschatlichen Überprüfung, nicht standgehalten haben. Also sind sie verworfen worden. Warum schafft das die Ökonomie nicht? Ähnliches ließe sich zum von Herri genannten “homo oeconomicus” sagen. Wenn der existieren würde, wäre unsere Gesellschaft schon längst zusammengebrochen. Trotzdem taucht der in Debatten wie dieser immer wieder auf, bei dir z.B. in deiner Begründung dafür, daß BGE abzulehnen (wobei ich keine Ahnung habe, ob das BGE funktonieren würde, aber dein Argument halte ich für falsch).

        Zu dieser Debatte würden mir noch mehr Dinge einfallen, aber das ist hier sowieso schon zu lang. Deshalb: “Dividende und Staatshilfe” mag aus Unternehmer-Sicht zweifellos optimal sein, aus staatlicher und gesellschaftlicher Sicht ist es das nicht. Auch nicht, wenn man das anders kommuniziert, auch nicht, wenn man die Ausschüttung verschiebt, auch nicht, wenn man das Scheinargument, daß sich die Dividende auf 2019 bezieht, vorschiebt.

        Das alles geht nicht gegen dich, Alexander. Deinen Positionen kann ich halt in (großen?) Teilen nicht zustimmen. BTW: ein netter Zeitvertreib während der Krise ist z.B. der Film “The Corporation”. Hier wird gezeigt, daß sich Großunternehmen in ihrer Eigenschaft als “juristische Personen” (eine der dümmsten Gesetzgebungen, die sich die Menschheit jemals ausgedacht hat) prinzipiell wie Psychopathen verhalten. Und wenn Psychopathen beginnen, ihr eigenes Wohlbefinden zu optimieren, geht das nicht immer gut für alle aus… ;)

      7. @Herrispezial und @JP: Einmal mehr danke für eure ausführlichen Beiträge. Wir sind nicht die ersten, die solche wirtschaftlichen Grundsatzdiskussionen führen, und wir werden nicht die letzten sein und wir werden den heiligen Gral auch nicht finden. Ich finde eure Sichtweise extrem valide und nachvollziehbar und oft hängt es ja auch nur davon ab, aus welcher Perspektive man einen bestimmten Punkt beleuchtet, zu welchem Ergebnis man kommt.

        Den Aspekt, dass man wirtschaftliche Aktivität nur dann sinnvoll quantitativ messen und steuern kann, wenn alle ihre relevanten Tätigkeiten und Auswirkungen auch zahlenmäßig abgebildet sind – also es z.B. einen Preis auf den CO2-Austoß gibt, wenn sein Ausmaß ein relevanter Entscheidungsparameter ist – habt ihr beide angesprochen. In dem Punkt sind wir uns vollkommen einig. Relevante Externalitäten müssen internalisiert werden, wenn man zu “richtigen” Entscheidungen kommen möchte. Für mich ist dies das genuine Spielfeld des Gesetzgebers. Der Staat (in Vertretung von uns allen) muss definieren, welches Verhalten er allgemein – auch jenseits der Wirtschaft – in einer Gesellschaft haben möchte und entsprechende Regeln und Anreize setzen, vom strikten Gesetz bis hinunter zur wohlwollenden Aufforderung. Ich möchte mich in einem Land nicht darauf verlassen müssen, dass etwa ein Braunkohleunternehmen von sich aus auf die Idee kommt, eine freiwillige CO2-Abgabe zu leisten, weil vielleicht der Vorstandsvorsitzende gerade meint, dass das eine gute Idee sei. In diesem Zusammenhang ist es die Aufgabe des Staates, Verbindlichkeit herzustellen, und die Aufgabe der Unternehmen, in dem staatlich gesetzten Rahmen in ihrem eigenen Sinne optimal zu agieren.

        Bei der Frage einer angemessenen Risikoprävention und den Pflichten und Rollen von Staat und Unternehmen darin, bin ich auch der Auffassung, dass man nach dem Ende der Corona-Pandemie vieles noch einmal neu wird überdenken müssen. Allerdings ist es zumindest in der Theorie vorstellbar, dass sich gerade das jetzige Maß an Unvorbereitetsein auf das Virus bezüglich der gesamtgesellschaftlichen Kosten im Nachhinein als effizienter herausstellt als alles andere. Denn es gilt ja bei einem Risiko immer die Abwägung zwischen Ausmaß des Schadens und seiner Eintrittswahrscheinlichkeit. Klar, beim Coronavirus ist die Schadenshöhe jetzt extrem hoch, aber wie wahrscheinlich war das Eintreten der aktuellen Krise in diesem Ausmaß? Unabhängig von Corona kann es grundsätzlich bei einer Risikokalkulation sogar gesellschaftlich insgesamt billiger sein, man bereitet sich auf ein bestimmtes Risiko gar nicht gesondert vor (wenn man es überhaupt absehen kann), sondern nimmt es im Eintrittsfall frontal hin, als vorher etwa Jahrzehnte wirtschaftliche Aktivität zu blockieren für ein Risiko, das vielleicht niemals Realität wird.

        @JP: Vermutlich ohne es zu wissen und zu beabsichtigen, hast du bei deinen Ausführungen selber schon eine ganz entscheidende Differenzierung vorgenommen: Die zwischen Theorie und Modell. Eine Theorie versucht eine korrekte, anhand der Realität überprüfbare Erklärung für ein bestimmtes Phänomen zu liefern. die von Dir angeführten Beispiele aus der Physik und Biologie sind Beispiele für eine solche Theorie. Lamarck (oder die Lamarckisten) glaubten zum Beispiel, dass sich die langen Hälse von Giraffen über Generationen dadurch entwickelt hätten, dass sich die Tiere im Laufe der Jahrtausende immer höher hätten strecken müssen, um noch an frische Blätter an den Bäumen zu kommen. Diese Dehnung hätte sich dabei in ihrem Erbgut festgesetzt und sei so von Generation zu Generation weitergegeben worden. Das ist die Theorie. Eine Erklärung für einen bestimmten Sachverhalt, deren Korrektheit man in der Realität überprüfen kann. Theorien kann man überprüfen und Lamarcks Theorie ist widerlegt worden, genau wie du schreibst.

        Der Homo oeconomicus ist keine Theorie des Menschen, er ist ein Modell. Mittels des Homo oeconomicus wird versucht, ein extrem komplexes und von einer unüberschaubaren Anzahl sich wechselseitig beeinflussender und voneinander abhängiger Parameter wie das Wirtschaftssystem auf ein für vernünftige und rationale Entscheidungen zugängliches Maß herunterzubrechen – und zwar nicht irgendwie, sondern so, dass es zumindest halbwegs realistisch ist. Natürlich ist dieses Modell extrem vereinfacht und der Mensch handelt natürlich nicht immer vollständig rational und unter Abwägung aller relevanten Faktoren. Vermutlich sogar nur in den wenigsten Fällen. Aber der Anspruch eines Modells ist nicht eine korrekte oder überprüfbare Erklärung der Realität (Theorie) zu liefern, sondern eine handhabbare, zweckgerichtete Abbildung eines realen Sachverhalts, die in ihren wesentlichen Aspekten einigermaßen gut mit den Ausschnitt der Realität, den man modellieren möchte, übereinstimmt. Auf Annahmen des Homo oeconomicus basierende volkswirtschaftliche Berechnungen haben natürlich viele Unzulänglichkeiten, aber im Großen und Ganzen bilden sie das wirtschaftliche Handeln in einer Volkswirtschaft in seinen wesentlichen Parametern relativ gut ab und haben daher eine eindeutige Daseinsberechtigung in der wirtschaftlichen Entscheidungsfindung und wirtschaftspolitischen Gestaltung von gesamtgesellschaftlichem Ausmaß.

        Bevor du jetzt glaubst, ich würde dir komplett widersprechen wollen, nein, das möchte ich gar nicht! Bei vielen Problemen muss man weit über den Homo oeconomicus und darauf basierende Modelle und Annahmen hinausgehen, aber das kann man eigentlich immer nur konkret im Einzelfall tun und nicht als generelle Richtschnur für die gesamte Volkswirtschaft. Als Faustregel gilt: Je komplexer und umfangreicher der zu modellierende Sachverhalt, desto relativ abstrakter notwendigerweise das Modell, wenn es handhabbar und nutzbar bleiben soll. Wenn du es schaffst, ein Modell der Wirtschaft zu entwickeln, welches jeden einzelnen Akteur in seinen sämtlichen Facetten originalgetreu abbildet und gleichzeitig berechenbar bleibt, dann sind dir die nächsten paar Wirtschaftsnobelpreise in Serie sicher.

      8. Nun, der Unterschied zwischen These bzw Theorie und Modell ist mir in der Tat bewußt. Ein Modell kann dabei helfen, Thesen zu stützen bzw zu widerlegen. Wobei du hier einerseits sagst, daß es nicht der Anspruch eines Modells ist, Theorien zu erklären, andererseits benutzt du ein Modell dazu, die These vom gesamtgesellschaftlichen Nutzen der privaten Profitmaximierung als mathematisch beweisbar zu bezeichnen. Wenn man Modelle lediglich als Abstrahierungen sieht, die gewisse Prognosen zulassen, dann sind sie als Basis für Beweise grundsätzlich nicht geeignet. Wie du siehst, stört mich deine obige Formulierung mit dem “mathematischen Beweis” ziemlich stark, und wenn du deine eigenen Ausführungen zu Modellen ernstnimmst, dann solltest du mir da zustimmen. Wenn überhaupt, dann könnte man von einem Hinweis sprechen, der die These stützt, und auch das ist halt noch abhängig davon, inwiefern das Modell die Realität überhaupt abbildet.

        Und letzteres ist ja mein Hauptkritikpunkt. Ich weiß ja nicht mal genau, wie das Modell, das zum “Beweis” dieser These führt, überhaupt aussieht. Der Punkt ist, daß das aus meiner Sicht völlig egal ist – allein die allfälligen Gefangenendilemmata zeigen, daß die These falsch ist, so daß ein Modell, das die These bestätigt, offenbar auch unbrauchbar ist. Und zwar nicht unbrauchbar im Sinne von “zu ungenau”, sondern unbrauchbar im Sinn von “inhaltlich grundlegend falsch”. Und dieses Festhalten an unbrauchbaren Modellen ist das, was mich an dem Konstrukt Wirtschafts-“Wissenschaften” am meisten stört.

        Das trifft übrigens auch auf den “homo oeconomicus” zu. Du relativierst selbst eine ganze Menge (“viele Unzulänglichkeiten”, “bilden relativ gut ab”, “im Großen und Ganzen”), ich bin auch davon nicht wirklich überzeugt. Dieses Modell als Grundlage für langfristige gesellschaftliche Weichenstellungen, oder für tagesaktuelle wirtschaftspolitische Eingriffe zu verwenden, kann nur auf rein zufälliger Basis zu wünschenswerten, nachhaltigen Ergebnissen führen. Für mehr ist es zu ungenau, zu platt, ein zu kleiner Ausschnitt der vielen menschlichen Motive und Ziele. Eine “eindeutige Daseinsberechtigung” ist für mich dafür nicht gegeben.

        Wie auch immer, ich bin bei diesem Thema eher pessimistisch unterwegs. Es sieht bis jetzt nicht so aus, daß die globale, vernetzte Wirtschaftswelt dazu führt, daß sich Soziale Marktwirtschaft ausbreitet, eher im Gegenteil. Wir werden sehen.

        Und zum Abschluß sag ich endlich mal wieder was zum Blog-Thema: BL-Start am 09.05. halte ich aus mehreren Gründen für sehr verfrüht. Ich glaube auch nicht, daß es so kommt. Und ehrlich gesagt: im Moment vermisse ich den Fußball quasi überhaupt nicht. Es wird spannend sein, nach der Krise zu sehen, was und wieviel von der ganzen Show übriggeblieben ist.

      9. Ich hatte gehofft, dies könnte vielleicht eine der wenigen Diskussionen sein, bei der sich am Ende alle Beteiligten nicht anfangen über einzelne Begriffe zu streiten. Jetzt ist es leider soweit.

        Ich habe nicht von mathematischen Beweisen gesprochen, sondern davon, dass man etwas mathematisch zeigen kann, also einen gegebenen Sachverhalt in der Sprache der Mathematik ausdrücken. Das ist für mich ein Unterschied.

        In einem mathematischen oder logischen Modell ist ein Beweis nur im Rahmen der zugrundeliegenden Axiome möglich, und er gilt entsprechend auch niemals darüber hinaus. Also hängt die Beweisbarkeit einzelner Thesen von den ursprünglich angenommen Prämissen ab. Keineswegs behaupte ich, dass man mit mit einem Modell irgendetwas vermeintlich allgemeingültiges mathematisch beweisen kann. Thesen, die auf dem Homo oeconomicus beruhen, gelten nur im Rahmen dessen begrenzter Prämissen. Sie können im übrigen natürlich oft auch zahlenmäßig ausgedrückt werden und entsprechend kann man bestimmte Dinge mathematisch zeigen, warum auch nicht? Das wird ja auch ständig gemacht.

        Im Gegensatz zu dir finde ich den Homo oeconomicus zur Modellierung grundsätzlicher wirtschaftlicher Zusammenhänge durchaus sinnvoll.

        Ich hoffe, ich konnte dein Unbehagen bezüglich meiner Formulierung etwas entkräften. Wollen wir es dabei bewenden lassen? Es war so schön friedlich bis hierhin… ;-)

      10. Ja, das habe ich dann offensichtlich mißverstanden. Insofern können wir es dabei bewenden lassen, zumal ich das Gefühl habe, daß wir ein wenig aneinander vorbei reden (auch so ein typisches Phänomen von Online-Diskussionen). Wobei wir inhaltlich halt auch einigermaßen weit auseinanderliegen, so daß das leicht passiert. An irgendeiner Form von Streit oder Eskalation bin ich eh nicht interessiert :)

      11. @Alex
        Nicht überraschend stimme ich eher deinen Ausführungen zu als denen der anderen beiden.
        Der Staat hat wie Du es sagst eine wichtige Lenkungsfunktion dort wo es nötig ist. Wichtig ist das wo er eingreift es idealerweise nur in dem Masse bzw Art und Weise macht das es unter dem Strich sinnvoll ist.
        Bei uns sind zB die indirekten Abgaben viel zu hoch und die vielen Vorschriften zu restriktiv was einen optimalen Wettbewerb im internationalen Vergleich behindert.
        Gleichzeitig ist der Staat aber auch manchmal zu naiv bzw. nicht präsent genug wenn es um die Sicherung nationaler Interessen geht.

        Das Thema ist viel zu komplex und umfangreich als das es in so einem Forum diskutiert werden kann.
        Auf Fußball bezogen muss man auch nicht so weit ausschweifen.
        Clubs bzw. deren in Kapitalgesellschaften ausgegliederte Profibetriebe unterliegen strengen nationalen und internationalen Lizensierungsbedingungen die über Jahre zu einer überragenden Gesundung der tendenziell überschuldeten Clubs geführt hat. Auch die größten Fussballbetriebe die ja Teil der Entertainmentindustrie sind, sind im Vergleich eher kleine Lichter.

        Natürlich haben diese kleinen Lichter wie alle anderen auch das Recht sich zu überlegen wie man wirtschaftlich diese Ereigniskrise überleben kann. Dazu sind Geisterspiele nunmal notwendig und unter den im DFL Konzept benannten Kriterien richtig und werden mMn auch deshalb politisch befürwortet.

        Deshalb werden wir wenn die Situation nicht exponentiell entgleitet im Mai eine Fortsetzung des Spielbetriebs sehen. Was ja auch offensichtlich die meisten befürworten.

        Diejenigen die die jetzige schwierige Lage benutzen um den aus ihrer Sicht kranken Profifußball abzuschaffen werden sich natürlich zurecht nicht durchsetzen.

        Was die meisten offenbar nicht verstehen ist das die Clubs ja auch überhaupt kein Interesse an übermäßigen überzogenen Ablösen Handgeldern Gehältern Spielerberaterprovisionen haben.

        Aber solange die EU Gesetze keine Obergrenzen erlauben bzw Fifa und Uefa dort wo sie sie sehen könnten ( Provisionen Handgelder) es aber nicht tun, wird es unmöglich etwas zu verändern, und schon garnicht auf nationaler Ebene.

        Ein Artikel hierzu wäre sicher spannend.
        Nationale Alleingänge würden allerdings wohl nicht nur gegen EU Recht verstoßen sondern auch extremen Vortrieb für eine schnelle Realisierung einer Superliga leisten.

  15. Tolle Diskussion hier. Gefällt mir sehr gut. Und eines sollte man vielleicht auch nicht vergessen. Bei aller Kritik am deutschen Wirtschafts- und Sozialsystem, das man natürlich “gerechter” gestalten kann. Ich habe viele Jahre international gearbeitet mit zahlreichen Auslandsaufenthalten. Nach meiner Erfahrung gibt es nicht viele Länder auf der Welt, die in der Summe gesellschaftlicher Errungenschaften (medizinische Versorgung, Arbeit, Bildung, Sozialstandards, politische Teilhabe, Meinungsfreiheit etc.) vor Deutschland liegen und ich im Krisenfall leben möchte. Natürlich ist auch bei uns nicht alles optimal, aber ich bin froh, hier zu leben.

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    1. Absolut. Wir haben es hier richtig gut, das verdanken wir auch dem Kapitalismus, der aber gezähmt werden muss, denn ansonsten sieht es so aus wie in den USA oder UK. Und ich möchte lieber Skandinavien.

      1. Klar, Deutschland gehört in Bezug auf Lebensqualität und soziale Absicherung immer noch zu den absoluten Topadressen in der Welt. Wir müssen aber ernsthaft aufpassen, daß das auch so bleibt. Ich würde das vielzitierte “Race to the Bottom” ungern miterleben. Ich würde viel lieber sehen, wenn sich Entwicklungsländer unseren Standards annähern, statt umgekehrt. Aber daran wird leider viel zu selten wirklich gearbeitet (“Entwicklungshilfe” läßt sich viel zu oft als “Wirtschaftshilfe für die eigene Exportwirtschaft” übersetzen).

  16. […] Nicht immer ist diese Kritik sachlich gerechtfertigt, aber in der Tat weist der Profifußball einige ökonomische Besonderheiten auf, die ihn in der aktuellen Corona-Krise anfälliger machen als andere Wirtschaftszweige. […]

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