Die Lage der Bundesliga – Teil 3
Im ersten Teil der Serie widmeten wir uns der finanziellen Seite und fanden heraus, dass die Bundesliga im internationalen Vergleich noch mächtiges Wachstumspotential hat. Die ligainternen Budgetunterschiede sind zudem kaum zu beheben, da Kollektiveinnahmen bereits sehr fair und gleichmäßig verteilt werden.
Teil zwei nahm einen nüchternen Blick auf die tatsächlichen Erfolge und Punkteabstände. Auch hier konnte festgestellt werden, dass die Liga noch längst nicht ihr Maximum erreicht hat. Zudem gibt es eindeutige Beweise dafür, dass zwei Mannschaften der Liga enteilen und ein historisches Niveau erreicht wurde.
Der dritte und letzte Teil soll sich einem eher subjektiven Thema widmen. Denn während das Geld nur eine Grundlage darstellt und Resultate nicht immer gerecht sind, so darf die taktische und strategische Ausrichtung wohl trotz der Subjektivität als fairer Gradmesser der Wirklichkeit betrachtet werden.
Leider hat Subjektivität ab einer gewissen Schwelle einen zu großen Einfluss auf das Geschriebene. Stark tendenziöse Artikel können und werden nicht unser Anspruch sein. Aus diesem Grund haben wir uns dafür entschieden, einen Großteil dieser Analyse auf die Meinungen ausgewählter Personen zu fußen, die in unseren Augen sehr kompetent und geeignet sind. So freuen wir uns über die Unterstützung der Spielverlagerung-Autoren Tobias Escher und Rene Maric, des Sportjournalisten Alex Truica und des (heftigst unterbewerteten) Fußballhistorikers Lukas Tank, die die Bundesliga unter internationalen und historischen Gesichtspunkten bewerten – und hierbei zu sehr ähnlichen Ergebnissen kommen.
Frage 1 – Wie ist die aktuelle Lage der Bundesliga?
Dies ist wohl eine Schlüsselfrage in der gesamten Diskussion. Ist die Liga wertvoll oder wertlos? Darüber könnte man sich stundenlang streiten. Tobias Escher zum Beispiel kritisierte das große Leistungsgefälle. Demnach brauchen sich die deutschen Topteams vor keiner Liga verstecken, die zweite Reihe hingegen ist vergleichsweise schwach:
„Auf den Plätzen 5 – 10 kann [die Bundesliga] nicht mit Spanien, Italien und England mithalten. In der Champions League waren deutsche Mannschaften in den vergangenen Jahren erfolgreicher als in der Europa League. “ – Tobias Escher
Der Vorteil dieser Schwäche wird jedoch auch schnell deutlich, da die Unterschiede zwischen Platz 6 und Platz 18 doch eher gering sind, was ja unter anderem zu einer starken Unvorhersehbarkeit führt. Darüber hinaus wird die Bundesliga von allen Beteiligten als „Pressingliga“ bezeichnet, wohl einer der Gründe, warum Escher von einem „Einheitsbrei“ spricht. Lukas Tank hingegen findet zu diesem Begriff eine etwas gnädigere Einordnung:
„An und für sich ist eine Spielweise mit gutem Pressing und Gegenpressing ja keine schlechte Sache. [Die Defizite sollten] einen nicht dazu bringen, die eigenen Stärken ganz unter den Tisch fallen zu lassen.“ – Lukas Tank
Der regelmäßige Miasanrot-Gastautor Alex Truica sieht diesen Begriff jedoch mitunter weniger positiv und äußert klare Kritik am extremen Pressingfokus:
„Das Spiel gegen den Ball hat höchste Priorität, das Spiel mit dem Ball wird vernachlässigt. Gegen Teams, die hinten drin stehen, tun sich alle außer Bayern und Dortmund äußerst schwer, weil ihnen Plan und Mittel fehlen.“ – Alex Truica
Wie man merkt, gab es durchaus Redebedarf in Bezug auf die taktischen Ideen in der Bundesliga, weshalb noch ein detaillierter Blick hierauf folgen wird. Die ursprüngliche Frage nach der aktuellen Lage der Bundesliga beantwortet Rene Maric zielsicher:
„Wie steht es um die Bundesliga aktuell? Im Bezug darauf, was im Fußball alles möglich wäre, schlecht. Verglichen mit (fast) allen anderen Ligen der Welt: Sehr, sehr gut.“ – Rene Maric
Frage 2 – Hat sich die Bundesliga in den letzten Jahren verbessert?
Eine Bewertung der aktuellen Lage kann nicht isoliert von der jüngeren Vergangenheit betrachtet werden. So dürfte die ordentlich aufgestellte Premier League momentan wesentlich selbstkritischer sein als die auf einem ähnlichen Niveau agierende Serie A, wenn man die Verfassung der jeweiligen Ligen vor 5-10 Jahren in Betracht zieht.
Alle vier Gesprächspartner bewerten die Entwicklung der Bundesliga als grundsätzlich positiv. So verweist Lukas Tank zum Beispiel auf die erhöhte Leistungsfähigkeit deutscher Vereine im europäischen Fußball. Zudem wird die taktische und strategische Lernfähigkeit gelobt:
„Auch haben inzwischen die allermeisten Bundesligisten einen taktischen Plan, was sie auf dem Platz so anstellen wollen.“ – Lukas Tank
„Die Entwicklungen sind enorm. Freiburg 2012/13 hätte sich – Zeitmaschine vorausgesetzt – vor zehn Jahren problemlos auf Platz 1 oder 2 [der Bundesliga] gesetzt.“ – Rene Maric
Einigkeit gibt es in einem Punkt zwischen Truica und Maric: Die Bundesliga profitierte auch von der eher schwachen Entwicklung Englands, wo mit schlechter Arbeit ein großer Vorsprung verspielt wurde. Tobias Escher sieht die Dinge nicht durchweg positiv, er bedauert den fehlenden Fortschritt der letzten fünf Jahre:
„Seit Klopp das Gegenpressing und das Pressing perfektioniert hat, ist die Liga doch in vielen Bereichen gleichförmig geworden.“ – Tobias Escher
Frage 3 – Welche taktische Ausrichtung definiert die Bundesliga?
Die Antwort auf diese Frage war wohl etwas zu offensichtlich, da sie schon zu Beginn lautstark beantwortet wurde. Die beliebtesten Begriffe waren hier Pressing, Gegenpressing und Kompaktheit – eine nahezu perfekte Beschreibung der aktuellen Bundesliga. Lukas Tank hebt einen großen Pluspunkt der Pressingliga hervor: Fehler des Gegners werden inzwischen aktiv provoziert. Dennoch bleibt das Grundkonzept des Reaktionären:
„Zwei Viererketten, Mittelfeldpressing, riskanter Pass nach Ballgewinn, Gegenpressing. Und das Ganze wieder von vorne. Die Hälfte aller Teams spielen – mal mehr, mal weniger – nach diesem Schema.“ – Tobias Escher
Die nahezu religiöse Verehrung dieser „Musterlösung“ trifft vor allem bei Alex Truica einen wunden Punkt. Er verfasste hierzu einen Text, der auch als eigenständiger Artikel veröffentlicht werden könnte. Es folgen ausgewählte Zitate:
„Die Frage, die ich mir immer stelle, ist: Warum predigen alle immer das Spiel gegen den Ball? Der Ball ist das wichtigste Instrument im Fußball – sollte man also nicht eher zuerst einen Plan entwickeln, wie man mit ihm spielt, und erst dann austüfteln, wie man sich verhält, wenn die Kugel im gegnerischen Besitz ist? […] Der 1. FC Köln und Hertha BSC sind Sinnbilder für die begrenzte Kreativität: unglaublich unangenehm zu spielen, da sie tief stehen, geschlossen verteidigen und per Gegenstoß aus wenig viel machen. Diese Taktik führt traditionell besonders auswärts zu beachtlichem Erfolg, doch in Heimspielen wird ihr begrenzter Einfallsreichtum deutlich. […] Man muss gar nicht Fußball spielen können, um oben an die Top-4 heranzukommen. Rigides Zerstören samt gelegentlichen Kontern reicht. Eine beispielhafte wie besorgniserregende Entwicklung. Während Guardiola und nun Tuchel also hauptsächlich mit dem Ball spielen lassen, spielen 16 andere Teams erst einmal dagegen. ZEIT-Autor Oliver Fritsch hat es mal schön auf den Punkt gebracht: ‚Deutscher Fußball ist die offensivste Form von Defensivfußball‘.“ – Alex Truica
Auf der nächsten Seite bewerten die Experten die taktischen Innovationen, die Trainer und die internationale Stellung der Bundesliga.