Den Übergang umarmen
Der Sieg gegen Leverkusen tat gut. Nach dem Schlusspfiff war den Spielern die Erleichterung anzumerken. Die Niederlagen gegen Dortmund und Rostow hatten am Selbstbewusstsein der Mannschaft genagt. Das war am Samstag-Abend vor allem rund um den Leverkusener Ausgleich zu spüren. Als die Gäste zum Jubeln abdrehten schauten die meisten Bayern zu Boden. Kaum Aufmunterung. Kaum Kommunikation. Kein gutes Zeichen. Und doch stand am Ende der Sieg und die Gewissheit, dass auch eine nicht optimale Leistung gegen ein Top5-Team der Bundesliga zu drei Punkten reichen kann. Diese Erkenntnis ist wichtig für den weiteren Saisonverlauf.
Alles was wir in den letzten Wochen vom Rekordmeister gesehen haben schreit nach Übergangssaison. Philipp Lahm (33) und Xabi Alonso (35), die Ancelotti gegen Leverkusen etwas überraschend zusammen ins Mittelfeld beorderte, hatten sichtbar Schwierigkeiten Tempo und Physis von Kampl und Aranguiz zu kontern. Ein Wunder ist das nicht. Mit dem Ball sind beide meistens immer noch überdurchschnittlich. Ohne wird es im Moment und wohl auch in der Zukunft grenzwertig. „Ich muss mich im Moment jeden Monat, jede Woche hinterfragen, ob es noch reicht. Ob ich auf dem Niveau noch mithalten kann. Das ist keine Frage von Jahren sondern von Wochen“, sagte Lahm vor kurzem auf die Frage, ob er seinen Vertrag bis 2018 erfüllen will. Eine Aussage, die zeigt wie realistisch er sein momentanes Leistungsvermögen einschätzt.
Trio auf der letzten Schleife
Auch Robben (32) und Ribéry (33) (der seinen Vertrag am Sonntag noch einmal bis 2018 verlängert hat) sind in einem Alter, indem dribbelstarke Flügelspieler auf diesem Niveau zunehmend eher Jokerrollen einnehmen, als das Spiel ihrer Mannschaft dauerhaft zu prägen. Die vielen Verletzungen mal gar nicht erwähnt. Der Kader des FC Bayern ist immer noch sehr gut, aber auf Schlüsselpositionen eben älter und damit volatiler als in den Vorjahren. Kommt die ein oder andere Verletzung und Formschwankung hinzu wie bei Boateng oder Müller zuletzt, verliert man schnell mit 2:3 gegen Rostow.
Finanzchef Jan Christian Dreesen hat am Freitag-Abend überragende Zahlen präsentiert. Rund um die Hoeneß-Messe wurde auch angedeutet, dass Gewinne des Vorjahrs vor allem in die Mannschaft investiert werden sollen. Es ist absolut realistisch, dass der FC Bayern im kommenden Sommer 100 Millionen und mehr in neue Spieler investieren wird (so wie der BVB in dieser Saison). Ein Star, zwei bis drei hochveranlagte Talente, plus ein Rollenspieler. In der Offensive, im zentralen Mittelfeld und auf der Außenverteidiger-Position. Das ist ungefähr das Beuteschema für die kommenden zwei Jahre. Im Hintergrund wird daran bereits heftig gearbeitet. Das ist die Zukunft ab dem nächsten Sommer.
Die Gegenwart sieht anders aus. Der FC Bayern und vor allem das Umfeld müssen sich daran gewöhnen, dass die Zeit zwischen 2012 und 2016, als der Verein zum ersten Mal seit Jahrzehnten den wohl modernsten und taktisch hochklassigsten Fußball der Welt spielte vorbei ist. Kann der FC Bayern auch unter Ancelotti besser spielen als in der zweiten Halbzeit gegen Leverkusen? An richtig guten Tagen bestimmt. Wird er unter Ancelotti in der Lage sein die Top-Mannschaften der Liga spielerisch so zu dominieren wie regelmäßig in den Jahren zuvor? Nein. Von dem Top-Mannschaften der Champions League ganz zu schweigen. Das ist eine bittere Erkenntnis, aber das ist die Realität. Es bringt nichts darauf zu hoffen, dass sich die Mannschaft nur einspielen müsse. Die Vorgaben und auch Ancelottis Résumé als Trainer sind nicht geeignet eine solch dominante Maschine zu kreieren wie wir sie den Vorjahren erlebt haben. Isch over. Punkt. Time to move on.
Und das ist das entscheidende. Wer in der vergangenen Woche mit Bayern-Fans gesprochen hat, merkt wie schwer es vielen fällt den ständigen Vergleich mit der spielerischen Qualität der Vorjahre hinter sich zu lassen. Auch hier im Blog ist das manchmal zu spüren. Dabei ist es Zeit den Schalter umzulegen. Der Sieg gegen Leverkusen ist dafür ein sehr gutes Beispiel. Die Mannschaft muss Wege finden Spiele zu gewinnen. Das ist das entscheidende. Darauf kommt es jetzt, da die taktische Überlegenheit weg ist, umso mehr an.
Das kann gegen schwächere Gegner mal ein Sturmlauf von der ersten Minute sein. Das kann aber eben auch ein Kopfball nach eine Ecke sein. Oder Javi Martinez, der sich in jeden Ball schmeißt, der sich dem eigenen Tor nähert. Oder die obligatorische Robbery-Gala alle drei, vier Wochen. Oder ein Fernschuss von Douglas Costa. Egal. Es geht für eine Mannschaft, die zum überwiegenden Teil aus gestandenen, fertigen Spielern besteht, darum Wege zu finden, um Spiele zu gewinnen.
Manchester 2011 als Beispiel?
Klar ist: Ancelotti muss der Mannschaft mehr helfen. Durch eine bessere Balance im Pressing, durch eine Umstellung auf das natürlichere 4-2-3-1, durch passendere Spielerkombinationen im zentralen Mittelfeld oder das Vertrauen in eine Dreierkette. Aber Mannschaft und vor allem auch die Fans des FC Bayern müssen anfangen diese Phase des Übergangs anzunehmen. Es ist die wohl letzte Saison eines der besten Bayern-Spielers aller Zeiten. Es ist die absolute Zielgerade für Robben und Ribéry, die die größte Saison der Vereinsgeschichte so maßgeblich geprägt haben. Aus solchen Konstellationen kann auch großes entstehen, wenn man es richtig anpackt. Manchester United hat 2011 mit einer Mischung aus alten Haudegen wie van der Sar, Giggs, Scholes oder Ferdinand, jungen Wilden wie Chicharito und Spielern im Zenit ihrer Leistungsfähigkeit wie Rooney, Evra oder Carrick die Meisterschaft gewonnen und das Champions League-Finale erreicht. Schön war dieser Fußball nicht immer. Aber schlau, wuchtig und abgezockt.
Vielleicht wird der FC Bayern der Saison 2016/2017 wieder der FC Bayern, der erfahrener und schlauer ist als die anderen. Der Leipzig, Dortmund oder Atlético durch kluge, aber weniger riskante Passstafetten laufen lässt, kompromisslos aus dem Strafraum fernhält, einen guten Torwart hat und am Ende eine Flanke zum 2:1 einnickt. Also so wie meistens zwischen 1997 und 2009. Nur mit besserem Kader. Wer weiß. Möglichkeiten gibt es mit dieser facettenreichen Mannschaft immer noch viele.
Entscheidend aber ist, dass nicht nur die Mannschaft, sondern auch das Umfeld und vor allem die Fans diesen Moment leben und etwas daraus machen. Nichts wäre schlimmer als einfach weiter so Fußball spielen zu wollen wie in den letzten Jahren, obwohl die taktische Basis dafür fehlt. Das produziert Frustration und am Ende wohl auch Niederlagen. Den Übergang umarmen. Mit aller Konsequenz. Das wäre auf jeden Fall ein Anfang.