CL-Auslosung: Halbfinale gegen Atletico Madrid
Trotz des Ausscheidens des FC Barcelona war schon vor der Auslosung klar, dass die Bayern im Halbfinale der Champions League auf einen ebenso interessanten wie gefährlichen Gegner treffen würden. So waren die drei verbleibenden Gegner im Lostopf allesamt hochklassige Mannschaften, welche den Münchnern durchaus auf Augenhöhe begegnen können. Am Ende wurde es ein Halbfinalduell, das sich viele Experten und Neutrale gewünscht hatten: Der FC Bayern gegen die Europapokalsieger-Besieger, Atletico Madrid.
Historie
Das gemeinsame Geschichtsbuch dieser beiden Vereine ist dünn, jedoch äußerst gewichtig. So gab es diese Paarung bisher nur im Europapokalfinale 1974. Hier tat sich der FCB schwer, ein 40-Meter-Verzweiflungsschuss von Katsche Schwarzenbeck in der letzten Minute der Verlängerung brachte den Ausgleich und rettete die Münchner in ein Wiederholungsspiel. Zwei Tage später präsentierte man sich stark verbessert, jeweils zwei Tore von Gerd Müller und Uli Hoeneß führten zu einem ungefährdeten 4:0-Sieg und dem ersten Landesmeistertitel der Bayern. Atletico schaffte es erst 40 Jahre später in ein weiteres Europapokalfinale. Auch hier, im Lokalderby gegen Real Madrid, kassierte man erst in den letzten Sekunden den Ausgleich und war anschließend in der Verlängerung chancenlos. Den Mentalitätsmonstern von Diego Simeone wird dieser Tag als weitere Motivation dienen, wobei man bezweifeln darf, ob diese Mannschaft überhaupt Motivationsprobleme haben könnte.
Der Gegner im Kurzportrait
Seit der Einstellung von Simeone als Trainer im Dezember 2011 hat sich Atleti von einer respektablen Mannschaft auf Europa-League-Niveau zu einer der besten Mannschaften Europas entwickelt. So beendete man in der Saison 2013/14 die Dominanz von Barca und Real in der spanischen Liga. Noch beeindruckender ist diese Entwicklung, wenn man auf die Transferaktivitäten des Vereins blickt. Zwar liegen die Ausgaben der letzten fünf Jahre mit ca. 380 Mio. € weit über denen der Bayern, diese wurden aber komplett durch Erlöse finanziert. Nur der FC Porto konnte in diesem Zeitraum höhere Transfereinnahmen generieren, mit dem Verkauf von Jackson Martinez nach China durchbrach man die „Schallmauer“ von 400 Mio. € (zum Vergleich: die Bayern haben in dieser Zeit etwa 130 Mio. € eingenommen). Simeone und Sportdirektor Jose Caminero gelingt es mit einmaliger Präzision, ständige Kaderbewegungen und den Verlust zahlreicher Schlüsselspieler aufzufangen. Frei nach Jürgen Klinsmann wird bei Atletico gefühlt jeder Spieler jeden Tag besser.
Der Star ist in Madrid der Trainer und sein System. Die kollektive Defensivstärke Atleticos ist international berühmt und gefürchtet. Jeglicher Druck des Gegners wird mit Leichtigkeit abgewehrt und in tödliche Konter umgewandelt. Diego Simeone ist es gelungen, einen weit verbreiteten Ansatz in die Nähe der Perfektion zu bringen.
Die Viererabwehrkette bilden zur Zeit die drei Routiniers Felipe Luis (30), Diego Godin (30), Juanfran (31) und das Jungtalent Lucas Hernandez (20), im Tor steht der slowenische Nationaltorhüter Jan Oblak. Das Herz im Mittelfeld besteht aus Kapitän Gabi (32) und dem flexiblen Koke (26), der wohl auch schon vom FCB umworben wurde. Komplettiert wird es zumeist durch den jungen Allrounder Saul Niguez (21), der nahezu alle Mittelfeldpositionen spielen kann, und Yannick Carrasco (22) als offensiver Flügelspieler.
Der unumstrittene Stammspieler im Angriff ist Alleskönner Antoine Griezmann (25), sein Partner in eher klassischer Stürmerrolle ist zumeist der wiedererstarkte Fernando Torres (32). Griezmann stand im Sommer übrigens auch beim FC Bayern lange weit oben auf der Liste. Taktisch agiert Atletico Madrid in einem 4-4-2, welches ohne jegliche Probleme in eine 4-3-3-Formation transformiert werden kann.
Unsere Einschätzung
Wenn man in einem Champions-League-Halbfinale noch von einem Hammerlos sprechen kann, dann ist es für den FC Bayern eben dieses Atletico Madrid. Die Mischung aus defensiver Stärke, kreativen Kontern und körperlicher Überlegenheit macht die Spanier zum vermeintlichen Kryptonit des Guardiola-Stils.
Von einer Favoritenrolle spricht hier nur der, der den Fußball nicht aufmerksam verfolgt. Dies ist die große Bühne für die Spieler und vor allem für den Trainer. Schafft es Pep Guardiola, dieses taktische Bollwerk zu knacken, dann sollten auch die letzten Zweifler verstummen. Bis dahin ist es aber noch ein sehr langer Weg. Uns erwarten äußerst unangenehme 180 Minuten.