Bayern stibitzt einen Punkt von Atlético

Daniel Trenner 02.12.2020

Falls Ihr es verpasst habt

Die Aufstellung 

Vier Champions-League-Spiele, vier Champions-League-Siege. Durch die Schwäche von Gegner Atlético war man dadurch nicht nur qualifiziert, man konnte sogar den tabellarischen Platz an der Sonne nicht mehr abgeben. Grund genug für Hansi Flick also einem großen Teil seines Teams frei zu geben. Robert Lewandowski, Leon Goretzka und Manuel Neuer blieben gleich ganz in München, Thomas Müller, Jérôme Boateng, Benjamin Pavard, Serge Gnabry und Kingsley Coman machten es sich zunächst auf der Madrider Bank gemütlich.

Genau einhundert Tage nach dem Triumph in Lissabon blieb aus der Siegerstartelf bei Bayerns Rückkehr zur iberischen Halbinsel somit nur noch der Kapitän des Abends David Alaba übrig, und selbst der spielte auf ungewohnter Position.

Im Tor kam Alexander Nübel nicht nur zu seinem Champions-League-Debüt für den FC Bayern, sondern wenn man ehrlich ist, auch zu seinem wahren Debüt bei seinem neuen Verein. Der 1. FC Düren hatte als Fünftligist nun nicht wirklich die Offensivpower um Nübel zu testen.

Nicht nur von den Spielern, auch taktisch wurde alles davor umgeschmissen, denn zum ersten Mal in der Saison packte Hansi Flick die Dreierkette aus, mutmaßlich um seine defensiv anfälligen Außenverteidiger zu stützen. Alaba gab den tiefen zentralen Defensivmann, Süle und Hernández flankierten ihn. Sarr verteidigte rechts hinten, links kam es zur faustdicken Überraschung: Bright Arrey-Mbi bekam seine Chance!

Das war insbesondere erstaunlich, weil er diese Saison in der 3. Liga bislang kaum überzeugen konnte. Diese Belohnung hatte er sich eigentlich schwerlich verdient. Besonders bitter dürfte das für Angelo Stiller sein, der letztjährige beste Spiele der gesamten 3. Liga durfte trotz Totalrotation nicht beginnen, Martínez begann neben Jamal Musiala. Die offensive Dreierreihe bestand aus Costa, Sané und Choupo-Moting.

Im Gegensatz zu den Bayern ging es Atlético international um alles, insbesondere nachdem Salzburg zuvor Lokomotive Moskau schlagen konnte. Es begann somit die beste Elf voller internationaler Topspieler. Vor dem derzeit wohl zweitbesten Torwart der Welt Jan Oblak reihten sich die Männer von Diego Simeone im gewohnten 4-4-2 auf; die Abwehrkette bildeten Trippier, Savić, Gimenez und Hermoso. Im Mittelfeld begegneten die Bayern ihrem alten Nemesis Saúl Ñíguez, dazu der sich derzeit in bestechender Form befindende Koke. Flankiert wurden sie von Carrasco und Llorente. Und das obwohl der ehemalige Rekordeinkauf Thomas Lemar am Wochenende einer seiner wenigen Ausrufezeichen im Trikot Atlétis senden konnte. In Ermangelung von Luis Suarez und Diego Costa konnte Simeone nur zwei kleine, wendige Stürmer aufbieten. Ángel Correa startete neben dem weltweit vielleicht besten Offensivspieler der bisherigen Saison, João Félix.

1. Halbzeit

Bayern begann untypisch für Hansi Flick, durch die Dreierkette spielten die Bayern gut 15 Meter tiefer als sie es gewöhnlich tun, auch Atlético wirkte zunächst überrascht hiervon. In den Anfangsminuten gab es es einige blinde Zuspiele in die Spitze, die so nur gegen Bayerns gewöhnliche ultra-hohe Linie hätten funktionieren können. Bayern nahm zwar gut teil an der Partie, doch Atlético beanspruchte die Spielkontrolle für sich. Durch Correa, Koke und Llorente kam Atléti immer wieder zu ordentlichen Chancen. Bayerns Defensive hielt zunächst, doch in der 26. Minute war es dann doch der Fall: Nach einem Einwurf fand sich Bright Arrey-Mbi als Schweinchen in der Mitte wieder, mühelos wurde er ausgespielt, Llorente rannte im Strafraum bis an die Grundlinie und legte den Ball scharf zurück in die Mitte, wo Félix einen Fuß vor Süle war, 1:0.

An Bayerns Spiel änderte sich zunächst wenig, in den gegnerischen Strafraum gelangen sie noch immer nicht, so gehörte den Colchoneros auch die nächste Großchance: Félix trieb einen Gegenstoß weit vor Bayerns Tor, legte nach links zu Carrasco, der nach einem kurzen Dribbling flach in die Mitte zu Llorente gab, Arrey-Mbi war hier ein wenig zu weit vom Geschehen entfernt, nur mit Glück konnte Bayern einen höheren Pausenrückstand vermeiden.

2. Halbzeit 

Ohne Wechsel kamen beide Teams aus der Kabine, am Spiel änderte sich auch weiterhin nichts. Auch die nächste Großchance gehörte dem Heimteam. Hernández verlor gleich zwei Duelle, das um den Ball und um den Schiedsrichterpfiff, als Clement Turpin nicht auf seine dreiste Schwalbe reinfiel, Félix nagelte Sekunden später den Ball mit voller Kraft gegen Querbalken (59.).
Flick reagierte und brachte Richards, Gnabry und Müller für Sarr, Arrey-Mbi und Martínez, Sané war nun linker Flügelverteidiger, Musiala rückte noch ein wenig tiefer. Offensivfreudiger wurde es trotzdem kaum, in der 76. Minute war der Abend für Angelo wenigstens kein Stiller mehr, er kam für Musiala. Flick stellte nun wieder auf das gewohnte 4-3-3 um, aber die Experimente blieben, denn Gnabry war nun Achter.

Das Spiel verflachte nun endgültig, Alético war mit dem 1:0 völlig zufrieden, Bayern fiel gar nichts ein. Bis es auf einmal dann doch ging. Süle drehte überraschend auf, stolzierte nach vorne, gab weiter auf Gnabry, der nicht minder nach vorne stürmte und kaum war der Ball bei Müller angekommen, wurde dieser auch kurzerhand von Felipe gelegt (85.). Fast aus dem nichts kam Bayern zur unverhofften Ausgleichschance und alles erinnerte an den verhängnisvollen Strafstoß vier Jahre zuvor. Der Ball lag auf dem Elfmeterpunkt, Jan Oblak befand sich im Tor, wieder versuchte Thomas Müller ihn auszugucken, wieder scheiterte er dabei, doch diesmal platzierte er den Schuss dafür trotzdem im Tor, 1:1!

Dabei blieb es auch, Bayern entführt ziemlich schmeichelhaft einen Punkt aus Madrid, am Samstagabend empfangen die Bayern RaBa Leipzig.

Dinge, die auffielen

1. Zwiespältige Dreierkette

Hansi Flick überraschte alle indem er nicht nur bei der Aufstellung kräftig durchrotierte. Die Dreierkette hatte einen klaren defensiven Hintergedanken, zusammen mit einer allgemein tiefer stehenden Mannschaft und einem Mittelfeldpressing, sollte sie Bayerns Abwehrspieler entlasten und ihnen auch mal Fehler verzeihen.

Das klappte soweit auch ganz ordentlich, immer wieder wurden kleinere Stellungsfehler von Arrey-Mbi oder Sarr aufgefangen und auch individuell gingen die Innenverteidiger in einigen Szenen wirklich in ihr auf. Niklas Süle und David Alaba waren bislang in der Saison immer wieder für den einen oder anderen Blackout gut, heute zogen sie weitgehend konzentriert ihr Spiel durch. Alaba erinnerte in der Zweikampfführung zum Teil sogar an seine letzte Saison, während Süle wohlwissend, dass er ein Sicherheitsnetz hinter sich hat, sich hin und wieder zu sehenswerten und erfolgreichen Vertikaldribblings hinriss.

Und doch lässt sich nicht aus der Welt diskutieren, dass Atlético Madrid gleich eine ganze Reihe an Großchancen, wie überhaupt ein deutliches Chancenplus hatte.

Hier sind nun zwei Interpretationsmöglichkeiten valide: Man kann absolut sagen, dass die defensive Ordnung mit der Dreierkette heute ein Fehlschlag war. Man kann aber auch einfach die simple Tatsache anerkennen, dass dies eine ziemlich wild zusammengewürfelte Mannschaft war, die nicht gegen irgendwen spielte, sondern gegen einen sich unter Druck befindenden de facto Tabellenführer der spanischen Liga, sprich gegen einer der besten Mannschaften der Welt. Und dafür waren schon einige Situationen defensiv wirklich gelungen.

2. Magischer Musiala im Mittelfeld

Ob sich Diego Simeone und Koke zwischenzeitlich wohl an Andrés Iniesta erinnert fühlten? Wir werden es wohl nie erfahren, aber wie geschmeidig fließend Jamal Musialas Bewegungen aussehen, wenn er einen Gegenspieler mit einer Drehung aussteigen lässt und einen zweiten im Dribbling düpiert, erinnert schon frappierend an den großen spanischen Meister.

Natürlich sind qualitativ solche Vergleiche unangebracht, aber in seiner Spielanlage war eine gewisse Ähnlichkeit durchaus vorhanden. Musiala war bislang meistens ein Flügelstürmer und vom Skillset ist er dort auch gut aufgehoben, ist er doch flink, schnell und dribbelstark. Doch zusammen mit seiner Wendigkeit und Kombinationsstärke wird aus ihm ganz schnell ein absoluter Rohdiamant eines offensiven Achters.

Gerade in der ersten Halbzeit, als er mit Martínez im Rücken noch etwas weiter vorne spielen konnte und Bayern allgemein etwas mutiger im Angriff war, hatte er einige wirkliche Highlightszenen und das gegen ein Mittelfeld aus Koke und Saúl!

Vielleicht haben wir heute hier den Durchbruch eines Talents gesehen, auch wenn er in Zukunft wieder mehr von der Bank kommen dürfte, sollte er sich heute an einigen Spielern vorbei gespielt haben … 

3. Neuzugänge stottern weiter

… Denn einige der Neuzugänge bleiben weiterhin die Sorgenkinder des FC Bayerns.

Zunächst erstmal der positivste von allen: Bouna Sarr. Klar hatte er schlechte Szenen im Spiel, klar haben Carrasco und Félix ihn hin und wieder komplett stehen gelassen, aber das sind nun einmal nicht irgendwelche Spieler, sondern eben Yannick Carrasco und João Félix. Und Sarr hatte auch einige wirklich gute Sequenzen, Félix’ Elastico-Versuch hatte er etwa brillant antizipiert. Sarr bleibt sich treu: Licht und Schatten, aber dass Bayern am Deadline-Day keinen weltklasse Rechtsverteidiger verpflichtet hatte, war auch vorher klar.

Alexander Nübel erlebte einen etwas gemischten Abend, er startete sehr gut in das Spiel, war regelrecht ein echte Light-Version von Manuel Neuer, was explizit positiv gemeint ist. Sein Passspiel und seine Antizipationen waren richtig gut und auch auf der Linie konnte er in den Anfangsminuten stark gegen Correa nicht nur parieren, sondern den Ball auch festhalten.

Mit der Zeit wurde er aber schwächer, seine gute Antizipation verließ ihn kurz vor Ende der ersten Halbzeit, als ein Ausflug vor sein Tor die Situation eher ver- als entschärfte. Zum Ende des Spiels verließ ihn auch vollkommen sein Spielaufbau, kaum ein längerer Ball kam mehr an.

Wirklich bedenklich wird es aber in der Offensive. Leroy Sané und Douglas Costa erlebten einen Abend zum Vergessen. Sané konnte wenigstens punktuell mit gutem Defensivverhalten glänzen, doch wenn die besten Spielszenen eines eigentlichen Stürmers Verteidigungsaktionen sind, sagt das nichts gutes über sein Angriffsspiel aus.

Douglas Costa wirkt wie eine vergessen geglaubte Fata Morgana seines zweiten Jahres bei den Bayern. Er nahm kaum am Spiel teil und wenn er es tat, verhedderte er sich in unsinnigen Dribblingversuchen. So sollte Musiala in Zukunft deutlich vor ihm stehen.

Choupo-Moting erlebte einen bemitleidenswerten Abend. Bayern erspielte sich kaum Chancen, also konnte Choupo-Moting auch nichts verwerten, was nicht da ist. Und doch war er gerade auch unsichtbar beim Spiel mit dem Ball. Wenn vorne der Ball hätte festgemacht werden müssen, schaffte er es zu selten, dies auch zu schaffen. So bleibt durchaus die Frage, ob ein junges Talent wie Zirkzee nicht auch eine identische Leistung bieten könnte.