RSC Anderlecht – FC Bayern 1:2 (0:0)
Falls ihr es verpasst habt:
Wie nicht anders zu erwarten, nutzte Heynckes die Gelegenheit, um merklich zu rotieren. So formierte sich eine Bayern-Elf, die man so kaum erwarten konnte und vermutlich auch so schnell nicht wieder sehen wird.
Die Viererkette bildeten Kimmich, Boateng, Süle und der junge Friedl, der überraschenderweise den Vorzug vor Juan Bernat erhielt. Der Spanier nahm neben Martínez und Hummels auf der Bank Platz.
Dort fand sich auch James Rodriguez wieder – was im Umkehrschluss bedeutete, dass der FCB nominell mit vier zentralen Mittelfeldspielern auflief. Tolisso und Rudy bildeten die Doppelsechs, Vidal orientierte sich davor.
Thiago kam eine Sonderrolle zu, die er in dieser “klassischen” Form auch noch nicht eingenommen hatte: Er spielte als Counterpart zu Robben auf Linksaußen. Lewandowski gab wie gewohnt den grauen Star im Sturmzentrum.
Die Belgier hatten auf der anderen Seite im Vergleich zum Hinspiel Anfang September einen wesentlichen Wechsel vollzogen: statt René Weiler saß mit Hein van Haezebrouck ein neuer Trainer auf der Bank. Nominell ergaben sich kaum Unterschiede, erneut sollte ein dichtes Mittelfeld in Kombination mit den offensiven Hanni und Teodorczyk zum Erfolg führen.
Von Anfang an war zu spüren, dass es in Wahrheit für beide Mannschaften um wenig ging. Anderlecht ergriff in der ersten halben Stunde dennoch die Initiative und kam gegen eine extrem passive rote Defensive zu einigen hochkarätigen Chancen.
Boateng lud in der achten Minute Teodorczyk ein, in der 17. schloss Appiah gefährlich aus halbrechter Position ab. Sven Ulreich parierte mehrmals überragend, zehn Minuten nach Appiahs Chance hechtete jedoch auch er unter einer Flanke vorbei und Spajićs Kopfball verfehlte das Tor nur knapp.
Teodorczyk hatte in der Folge noch drei weitere hundertprozentige Gelegenheiten, auf der Gegenseite kam Bayern nur durch Rudy und Lewandowski zum Abschluss. Den Münchnern fehlte in der ersten Halbzeit offensichtlich jegliche Motivation, mehr als nur das Allernötigste zu machen.
Gepaart mit einigen individuellen Fehlern, allen voran vom fahrigen Tolisso und dem weiterhin nicht sicher wirkenden Boateng führte das zu der mit Abstand schwächsten Halbzeitleistung unter Jupp Heynckes. Das i-Tüpfelchen auf sehr schlechten 45 Minuten war die Verletzung von Thiago in der 43. Minute.
Die zweite Halbzeit begann so, wie die erste endete: mit einer ärgerlichen Verletzung. Arjen Robben verletzte sich nach einem Foul vermutlich am Muskel und musste in der 48. Minute ausgewechselt werden. Für ihn kam Javi Martínez, Tolisso rückte daraufhin auf die Rechtsaußen-Position.
Prompt hatte der Franzose seine beste Aktion im Spiel: Nach Zuspiel von James legte er im Strafraum perfekt für Lewandowski auf, der nur noch einschieben musste. Die Bayern führten in der 51. Minute nach ihrer ersten echten Kombination.
Danach jedoch wurde bei Weitem nicht alles besser. Sogar Joshua Kimmich ließ sich nun zu schwachen Klärungen hinreißen und auch der an sich sehr sichere Friedl patzte: Nach einer Flanke aus dem linken Halbfeld verlor der 19-Jährige sein Kopfballduell, Hanni musste am Fünfmeterraum nur noch vollenden.
In der Folge reagierten die Münchner dann doch und drückten etwas mehr aufs Gas. Es ergab sich zwar keine Fülle an Chancen, aber immerhin etwas mehr Spielkontrolle und weniger Kontergelegenheiten für den Gegner. Zwar hätte Anderlecht in der 76. Minute erneut durch Teodorczyk in Führung gehen können – doch kurz darauf besorgte Tolisso mit einem Kopfball nach Kimmich-Flanke das 2:1.
In der Schlussphase hätten beide Mannschaften noch einen Treffer erzielen können, doch Bayern verpasste durch Tolisso und Lewandowski das 3:1. Anderlechts Ausgleich wurde wegen Abseits zurückgepfiffen.
Mit dem 2:1-Sieg setzten die Münchner trotz einer weitestgehend schwachen Vorstellung ihre Siegesserie fort. Dass sich die Heynckes-Elf in der zweiten Halbzeit steigern konnte, sollte angesichts der unheimlich enttäuschenden ersten Hälfte nicht überbewertet werden.
Drei Dinge, die auffielen:
1. Keine Empfehlungsschreiben
Die umkämpften Positionen beim FC Bayern liegen im zentralen Mittelfeld – und genau dort ergab sich vor dem Spiel in Anderlecht eine interessante Konstellation. Martínez wurde geschont und Thiago, an und für sich gesetzt, rückte nach außen – somit entstand Platz für eine Mittelfeld-Kombination aus drei Konkurrenten.
Arturo Vidal, Sebastian Rudy und Corentin Tolisso staffelten sich immer wieder unterschiedlich und lieferten vor allem in der ersten Halbzeit keine Argumente für weitere Auftritte. Es war fast schon beeindruckend zu sehen, wie wenig man aus einem Startelfeinsatz machen kann.
Corentin Tolisso, der in den vergangenen Wochen nur selten zum Zug gekommen war, enttäuschte bis zur verletzungsbedingten Umstellung besonders: Erneut schaffte er es nicht, sich so neben Arturo Vidal zu positionieren, dass sich die beiden nicht mehrheitlich auf den Füßen standen. Sicherlich muss man hier auch dem Chilenen eine Mitschuld geben, der jedoch immerhin im Spiel nach vorne den ein oder anderen Impuls geben konnte. Relativ solide spielte Sebastian Rudy als kreativster der drei Zentralen.
Auch in der Innenverteidigung konnten sich weder Boateng noch Süle auszeichnen. Mit teilweise banalen langen Bällen ließ sich das Duo überspielen und überließ der Anderlechter Dreier-Offensive komplett die Räume. Die defensive Struktur erinnerte stark an eine graue Phase Ende September und verbesserte sich erst mit der Hereinnahme von Martínez ein wenig.
Dass keiner aus dem Trio der Konkurrenten um einen Mittelfeldplatz irgendeine Art von Bewerbungsschreiben abgeben konnte, war enttäuschend zu sehen. Arturo Vidal, Sebastian Rudy und Corentin Tolisso lieferten trotz zweier Torbeteiligungen des Franzosen in erster Linie Argumente für Javi Martínez.
2. Friedls Premiere gelingt insgesamt
Mit Marco Friedl bot Jupp Heynckes beim fröhlichen Rotieren in Belgien eine echte Überraschung auf – immerhin saß mit Juan Bernat ein Linksverteidiger auf der Bank, der nach einer langen Verletzungsphase durchaus Einsatzminuten bräuchte. Und doch bot sich die Partie gegen Anderlecht für eine Friedl-Premiere an.
Der junge Österreicher machte ein sehr vernünftiges Spiel, erst recht wenn man sich die Situation seiner ersten Vorstellung vor Augen führt: Thiago vor ihm konnte sich mit der Linksaußen-Position nicht wirklich anfreunden und auch der Rest der Mannschaft gab ihrem jungen Kollegen kein wirkliches Sicherheitsgefühl.
Somit beschränkte sich Friedl weitestgehend auf die Defensive und machte sich dort ordentlich. Vier geklärte und drei abgefangene Bälle stehen am Ende auf dem Datenblatt, dazu 81 Ballkontakte (10 mehr als Boateng bzw. Süle). Auch die Passquote von knapp 90 Prozent kann sich sehen lassen.
Es war ein ordentliches Debüt, das nur ein wenig von dem Stellungsfehler beim Kopfballduell vor dem Ausgleichstreffer getrübt wird. Aber genau wegen solcher Aktionen war es richtig, Friedl eine Chance bei den Profis zu gewähren. Denn wie oft eine solche Gelegenheit noch vorkommt, dürfte vor allem von Alabas und Bernats Gesundheit abhängen. Jupp Heynckes weiß nun, dass er sich im Notfall auch auf einen 19-Jährigen verlassen kann.
3. Thiago und Robben werden fehlen
So unwichtig die 90 Minuten in Anderlecht im Hinblick auf das Abschneiden in der Champions League war, so ärgerlich waren die Verletzungen von Thiago und Robben. Der Spanier musste nach einer unglücklichen Aktion in einem Zweikampf vom Feld – und fluchte laut und deutlich. Ersten Meldungen zufolge verließ er das Stadion auf Krücken, was leider auf eine schwerwiegende Verletzung hindeuten könnte.
Ohne zu viel spekulieren zu wollen: Ein langfristiger Thiago-Ausfall wäre mehr als ärgerlich. Wie wichtig er als kreative Schaltzentrale im Mittelfeld ist, muss man angesichts der schwachen Mittelfeld-Leistung gegen Anderlecht nicht noch einmal hervorheben.
Auch Arjen Robben erkannte kurz nach der Halbzeit schnell, dass es für ihn nicht weiterging. Kurz nachdem er über die Grätsche von Spajic gesprungen war, deutete er einen Wechsel an und fasste sich an den Oberschenkel – anhand der Fernsehbilder lässt vieles auf eine muskuläre Verletzung schließen.
Bei beiden Verletzungen gibt es einen kleinen Silberstreif: Sie kommen vielleicht zur bestmöglichen Gelegenheit. Einerseits, weil Thomas Müller und Kingsley Coman kurz vor ihrer Rückkehr stehen, andererseits, weil neben dem Spiel gegen Gladbach am Wochenende sowie den Auftritten gegen PSG Anfang Dezember und den BVB kurz vor Weihnachten keine echten Härtetests mehr anstehen.
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RSC Anderlecht – FC Bayern 1:2 (0:0) | |
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RSC Anderlecht | Sels – Appiah, Spajic, Kara, Deschacht – Dendoncker, Kums, Trebel – Gerkens (65. Onyekuru), Teodorczyk (82. Harbaoui), Hanni (71. Bruno) |
Bank | Boeckx, Josué, Beric, Sambi Lokonga |
FC Bayern | Ulreich – Kimmich, Boateng, Süle, Friedl – Rudy, Vidal (87. Hummels) – Robben (48. Martínez), Tolisso, Thiago (44. James) – Lewandowski |
Bank | Starke, Bernat, Martínez, Dorsch |
Tore | 0:1 Lewandowski (52.); 1:1 Hanni (63.); 1:2 Tolisso (78.) |
Gelbe Karten | Spajic, Trebel / Boateng, Lewandowski |
Schiedsrichter | Anthony Taylor (England) |
Zuschauer | 20.000 (ausverkauft) |