FC Bayern München: De Zerbi für den Scherbenhaufen?
Update: Diverse Medien berichten, dass Roberto De Zerbi nicht Trainer des FC Bayern wird. Der Artikel ging quasi eine Sekunde vor diesen Nachrichten online. Ersetzt den Namen De Zerbi in diesem Artikel mit eurem Lieblingstrainer und die Kernaussage ist immer noch relevant.
Der FC Bayern München beendet die Saison standesgemäß auf dem dritten Tabellenplatz. Standesgemäß, weil der alberne Auftritt in Sinsheim zur ebenfalls albernen Trainersuche passt. Der Rekordmeister hat sich bereits neben dem Platz auf die Knochen blamiert, als er unter der Woche abermals unterstrichen hat, dass er sich selbst in seinen Entscheidungsprozessen lähmt.
Keine drei Monate ist Max Eberl Sportvorstand des FCB, da muss er bereits feststellen, dass sein hochrangiger Posten wenig wert ist, wenn die Altherrenrunde im Aufsichtsrat und Vorstand etwas zu beanstanden hat. Allen voran Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge geben den Ton in der Trainersuche an.
KEINEN ARTIKEL MEHR VERPASSEN – JETZT UNSEREN WHATSAPP-KANAL ABONNIEREN!
Zwei, die sich aus dem operativen Geschäft heraushalten wollten, es de facto aber nicht tun. Zwei, die sicher mit gutem Willen das tun wollen, was sie ihr Leben lang sehr erfolgreich getan haben: Dem FC Bayern helfen. Zwei, die damit aber genau das Gegenteil bezwecken.
Sie lähmen die Entscheidungsprozesse. Natürlich ist es die Aufgabe des Aufsichtsrates, weitreichende Entscheidungen zu kontrollieren, zu debattieren und letztlich vor allem die Wirtschaftlichkeit der Prozesse im Blick zu behalten. Allerdings, und das wird immer deutlicher, spielen keine Argumente der Vernunft eine Rolle, sondern Bauchgefühl und Emotionen. Es ist das Hauptproblem des Rekordmeisters. Und solange dieses besteht, ist fast egal, wer Trainer wird.
- Roberto De Zerbi: Die beste Alonso-Alternative
- Thomas Tuchel wäre die beste Lösung gewesen
- MSR336: Trainersuche: Das Ende vom Kreis
Roberto De Zerbi: Chancen und Risiken für die Bayern
Auf der Liste der Wunschtrainer ist man mittlerweile so weit unten angelangt, dass man gar nicht mehr bewerten kann, ob Roberto De Zerbi jetzt die E-, F- oder gar M-Lösung wäre. Sein Arbeitsverhältnis mit Brighton jedenfalls wird beendet. Das gab der Klub am Samstag offiziell bekannt. Schon in den Stunden davor wurde mehrfach berichtet, dass De Zerbi wieder in den Fokus der Münchner gerückt ist.
Eine Lösung, die schon qua Entscheidungsprozess keine Begeisterung auslöst. Aber nüchtern betrachtet eine, die neben den offensichtlichen Risiken auch Chancen bietet. Offensichtliche Risiken sind neben weichen Faktoren wie Sprache und Erfahrung bei Spitzenklubs vor allem der Grad der Komplexität in seiner taktisch-strategischen Ausrichtung sowie die Kompromisslosigkeit des 44-Jährigen.
Von The Athletic wurde De Zerbi am Freitag wie folgt zitiert: „Wenn ich sage, dass es keinen Verein gibt, der meine Idee ändern kann, dann bin ich immer ehrlich gewesen.“ Dass ein Trainer überzeugt von seiner Philosophie ist, ist nicht verwerflich. Gerade in der Rückrunde mit Brighton wurde aber auch deutlich, dass De Zerbi die Fehlentwicklungen auch deshalb nicht in den Griff bekam, weil er nicht dazu bereit war, pragmatischer zu agieren.
Eine Fähigkeit, die beim FC Bayern sehr wichtig sein könnte. Sollte De Zerbi übernehmen, wird er nicht von jetzt auf gleich seine Idee etablieren können. Das wäre ein Himmelfahrtskommando. Stattdessen würde es eher darum gehen, seinen Fußball sukzessive zu etablieren und mit einer Übergangsphase in der Entwicklung zu beginnen. Kann er das? Schwer vorherzusagen.
Finale Dahoam 2.0 sollte den FCB nicht hauptsächlich antreiben
Den Traum vom Finale Dahoam 2.0 sollte der FC Bayern allerdings vorerst einen Traum sein lassen. Eine weitere Saison mit Pragmatismus und einem „Hauptsache Champions-League-Finale“ zu verschenken, wäre fatal. Es braucht einen Reset. So schnell wie möglich. Strukturell ist dafür eigentlich alles da: Eine neue sportliche Leitung, die längst mehrheitsfähige Erkenntnis, dass der Kader einen neuen Anstrich braucht – und bald ein neuer Trainer. Also vielleicht. Wenn sich jemand erbarmt.
Und genau da liegen die Chancen mit De Zerbi. Auf der Liste der Tuchel-Nachfolger war er von Beginn an der Trainer, der Xabi Alonso fußballphilosophisch am meisten ähnelt. Ballbesitzfußball, taktische Tiefe, klare Abläufe mit und ohne Ball, Fokus auf Kurzpassspiel – De Zerbi ist lediglich radikaler. Während Alonso – ähnlich wie Tuchel – sehr großen Wert auf Kontrolle und Pragmatismus legt, also das Risiko eher scheut, dreht De Zerbi die Risikoregler gern voll auf.
Schonungslosigkeit und Risikobereitschaft können allerdings genau richtig sein für ein Team, das sich in dieser Saison im Zweifelsfall zu zögerlich, zu nachdenklich und zu zurückhaltend präsentierte. De Zerbi ist ein guter Trainer, das steht außer Frage. Seine Ideen versprechen zumindest Spannung und es wird interessant sein, zu beobachten, wie schnell eine Handschrift zu erkennen ist.
FC Bayern würde mit Roberto De Zerbi ausnahmsweise progressiv handeln
Unter den verbliebenen Alternativen gibt es ohnehin keinen Trainer mehr, bei dem keine Zweifel angebracht wären. Immerhin würde der FC Bayern mit De Zerbi keine vorhersehbar scheiternde Stallgeruchlösung präsentieren, sondern einen spannenden, aufstrebenden Trainer. Eine Lösung, die für einen derart konservativ geführten Klub auch eine mutige, gar eine progressive wäre.
WhatsApp-Community: Roberto De Zerbi ist jetzt der beste Mann für den Job
Aber genau an der Stelle schließt sich auch der Kreis zum Einstieg des Artikels: Es ist fast egal, welche Trainerlösung letztendlich präsentiert wird. Viel wichtiger ist, dass der Kader endlich auf den jeweiligen Trainer abgestimmt wird und genau das auch zu erkennen ist.
Der FC Bayern muss Geld in die Hand nehmen und investieren. Das bedeutet keinesfalls, dass er wirtschaftlich unvernünftig agieren sollte, aber es bedeutet, dass man die sportlichen Ebenen wieder miteinander synchronisieren muss: Kader, Trainerteam und sportliche Leitung sollten eine Sprache sprechen. Das wird eine Aufgabe von mehr als nur einer Saison sein.
Aber nur wenn man De Zerbi oder einem anderen Trainer einen Entwicklungsprozess einerseits zugesteht – natürlich im Rahmen der eigenen Ansprüche. Und andererseits auf dessen Ideen eingeht, hat man eine Chance, dass es funktionieren kann.
FC Bayern: „False Balance“ in der Führungsetage
Dafür gibt es eine sportliche Leitung. Wird deren Kompetenz aber weiterhin durch die Befindlichkeiten des Patriarchen beschnitten, führt das ewige Suchen nach unnötigen Kompromissen zu dem, was der FC Bayern derzeit ist: Ein Klub ohne Identität und Struktur.
Im Wissenschaftsjournalismus gibt es den Begriff „false balance“ – übersetzt in etwa „falsche Ausgewogenheit“. Dieser spielt auf die Verzerrung an, die dann auftritt, wenn einer gegensätzlichen Minderheitenmeinung trotz überwiegendem Konsens ungebührlich viel Raum gegeben wird. Wenn also ein Artikel impliziert, dass beide Seiten gleich große Berechtigung hätten.
Ganz als Analogie auf den FC Bayern übertragen lässt sich das nicht. Doch Hoeneß und der ihm größtenteils gehörige Aufsichtsrat haben in den letzten Jahren mehrfach bewiesen, dass ihre Überzeugungen teils aus der Zeit gefallen sind. Insofern ist es gewiss eine „false Balance“, wenn Hoeneß und Co. die Entscheidungen blockieren, die die sportliche Leitung trifft.
Es ist in der Zeit für einen Neuanfang beim FC Bayern. Mit De Zerbi könnte dieser durchaus gelingen, wenn auch der Kader entsprechend angepasst wird. Wenn also Christoph Freund und Max Eberl einerseits mit De Zerbi (oder einem anderen Trainer) entsprechend zusammenarbeiten. Oder noch besser formuliert: Wenn sie mit ihm zusammenarbeiten dürfen.
Vielleicht wird der Auftritt des FC Bayern in der kommenden Saison dann etwas weniger albern.
Hier weiterlesen