Matthijs de Ligt: Verkaufen oder behalten? Die Konkurrenz im Check
Ein Artikel von Jonathan Brandis. Jonathan hat sich bei Miasanrot beworben.
Die Liste an Errungenschaften des Matthijs de Ligt ist lang: Mit 19 Jahren Kapitän von Ajax Amsterdam gegen Real Madrid. Im gleichen Jahr Champions-League-Halbfinale. Erster und einziger Verteidiger, der den Award „Golden Boy“ gewinnen konnte, Meister in den Niederlanden, Italien und Deutschland. Dabei ist er immer noch erst 24 Jahre alt – wenn Kaderplanung ein Lego-Set wäre, würde sich der FC Bayern genau einen Spieler wie ihn bauen.
Doch nach einer Saison als Leistungsträger und Leader ist er in dieser Spielzeit von Verletzungen geplagt und unter Thomas Tuchel nur dritte Wahl. In diese alles entscheidende Rückrunde startet Matthijs de Ligt wackelig und wieder angeschlagen. Gegen den Ball sind seine Qualitäten trotzdem weiterhin unumstritten, aber im Spiel mit dem Ball sieht der Übungsleiter Kim und Upamecano vor dem Niederländer. Er wählt zu oft die sichere Variante.
Jetzt verdichten sich die Anzeichen, dass sich sowohl der FC Bayern als auch Matthijs de Ligt einen Transfer vorstellen können. Der Kader ist aber bekanntermaßen defensiv sehr dünn besetzt, daher steht ein Winterabgang nicht im Raum. Ein Wechsel im kommenden Sommer scheint aber keineswegs undenkbar. Gerade aus der Premier League wird Interesse berichtet.
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Wie ersetzt man einen Weltklasseinnenverteidiger?
Doch sollte der Niederländer den FC Bayern wirklich im Sommer verlassen: Wer könnte ihn dann ersetzen? Diesen Winter kam bereits Eric Dier. Aktuell werden auch Trevoh Chalobah und vor allem Nordi Mukiele als weitere Verstärkungen gehandelt.
Doch de Ligt ist ein Innenverteidiger aus der obersten Kategorie, den der FC Bayern wohl nur wegen seines Spielaufbaus ziehen lassen würde. Um ihn zu ersetzen, muss deshalb jemand kommen, der sich defensiv mit de Ligt messen und im Spielaufbau mehr bieten kann.
Der FC Bayern wurde in den vergangenen Wochen vor allem mit zwei Namen in Verbindung gebracht, die dafür in Frage kämen: Ronald Araújo und Jonathan Tah. Doch würde der Spielaufbau dieser beiden Spieler Thomas Tuchel besser gefallen?
Das Spiel mit dem Ball – geht das Araújo besser?
Ronald Araújo ist beim FC Bayern intern wohl ein ganz heißer Name. Er würde sich einreihen in die Liste an spektakulären Transfers, die der FC Bayern auf der Innenverteidigerposition in den vergangenen Jahren gemacht hat. In der Defensive des FC Barcelona spielt er eine tragende Rolle. Eine Defensive, die den Katalanen vergangene Saison überragend zur Meisterschaft verhalf – diese Saison aber nicht mehr so dominiert.
Dennoch: Dass Ronald Araújo defensiv etwas kann, weiß ganz Europa. Gerade deshalb wäre Barcelona wohl auch nur ungern bereit, ihn ziehen zu lassen. Doch wäre er im Spielaufbau ein Upgrade seinem niederländischen Pendent gegenüber?
Hier liefert FBref einige interessante statistische Anhaltspunkte. Im Passspiel hat allgemein eher de Ligt die Nase vorne: Araújo spielte in den letzten 365 Tagen mit 4,7 einen ganzen progressiven Pass weniger pro 90 Minuten als Matthijs de Ligt mit 5,7. Progressive Pässe sind solche, die den Ballbesitz mindestens zehn Meter in Richtung des gegnerischen Tores verschieben.
Auch was lange Bälle angeht, schneidet de Ligt besser ab. Er bringt fast 74% seiner Versuche an den Mann, bei dem uruguayischen Nationalspieler sind es weniger als zwei Drittel.
Nur mit dem Ball am Fuß kann Araújo das ein wenig kompensieren. Er gewinnt mit dem Ball am Fuß 157 Meter pro 90 Minuten in Richtung gegnerisches Tor, de Ligt kommt nur auf 130 Meter. Eine mögliche Schlussfolgerung ist, dass Araújo häufiger andribbelt. Eine Eigenschaft, die Tuchel offenbar aktiv von seinen Innenverteidigern fordert.
Der Spielaufbau – gibt es Tah Verbesserungsbedarf?
Jonathan Tah hat sich in dieser Spielzeit bei Leverkusen in die oberste Kategorie der deutschen Innenverteidiger gespielt. In der Überfliegermannschaft von Xabi Alonso ist er Leistungsträger und Leader. Das hat ihn auch zurück in die deutsche Nationalmannschaft katapultiert.
Kein Wunder also, dass sich auch der FC Bayern näher mit ihm beschäftigt. Und vielleicht kann er ja das heiß ersehnte Element mit dem Ball liefern, schließlich hat Leverkusen gerade in dieser Hinsicht eine beeindruckende Hinrunde gespielt.
Blicken wir also auf die Zahlen: Die sagen, dass Tah zwar weniger macht, das aber dafür besser. Er spielt nur 3,3 progressive Pässe pro 90 Minuten, deutlich weniger als de Ligts 5,7. Dafür legen seine Pässe 397 Meter zurück – damit überbrückt er eine ähnliche Distanz wie der Niederländer (403 Meter).
Ähnlich verhält es sich mit dem Ball am Fuß. Tah dribbelt seltener an, dafür aber insgesamt mit mehr Raumgewinn. Was bei dem Deutschen besonders ins Auge fällt, ist seine Effizienz bei Pässen von über 30 Metern. Mit einer Quote von 81 Prozent kommen bei ihm mehr solcher Pässe an als bei 97% aller Innenverteidiger in Europas Top-5-Ligen.
Was bei Araújo noch unumstritten war, ist hier allerdings ein Fragezeichen: Ist Jonathan Tah tatsächlich auf einem Niveau mit Matthijs de Ligt, was die Defensivarbeit angeht?
Zahlen, Zahlen, Zahlen – wo sind die Emotionen?
Matthijs de Ligt ist ein guter Verteidiger. Ronald Araújo und Jonathan Tah sind auch gute Verteidiger. Keiner der drei ist der perfekte Legoverteidiger, wie Thomas Tuchel ihn bei sich in der Spielzeugkiste hat.
Doch kommen Ronald Araújo oder Jonathan Tah nah genug heran, um einen Matthijs de Ligt zu ersetzten? Die Statistik spricht nicht unbedingt dafür. Gerade Araújo scheint im Passspiel wenig zu bieten, was de Ligt nicht auch leisten kann.
Tahs Zahlen sehen vielversprechend aus, aber er ist in den Leverkusener Aufbau weniger eingebunden als er es beim FC Bayern wäre. Zudem hat er mit seinen inzwischen 27 Jahren noch nie bewiesen, dass er über längeren Zeitraum auf hohem Niveau verteidigen kann. Etwas, das man sowohl von de Ligt als auch von Araújo schon behaupten kann.
Die Zahlen weisen hier also eine Tendenz auf, die aber natürlich mit Vorsicht zu genießen ist: Mannschaften spielen unterschiedlichen Fußball, deshalb performen Spieler bei verschiedenen Vereinen anders. Trotzdem können uns die Statistiken wichtige Hinweise geben.
Vergleich der drei Kandidaten mit Innenverteidigern in Europas Top-5-Ligen
Und eine Fähigkeit, die sich in Zahlen gar nicht erst abbilden lässt, sind die Führungsqualitäten von de Ligt. Einen lautstarken Abwehrchef, der für sein Leben gern verteidigt, suchen die Bayern eigentlich seit dem Abgang von David Alaba. Wenn man schon einen in den eigenen Reihen hat, sollte man ihn nicht ohne Weiteres ziehen lassen.
Was für Außenstehende schwer zu beurteilen ist, sind die finanziellen Faktoren, die in eine solche Entscheidung mit einfließen. Wie viel Ablöse und Gehalt würden Araújo und Tah beziehen? Wie viel kann man für de Ligt bekommen? Für eine solch tiefgreifende Kaderveränderung sollte das Gesamtpaket schon attraktiv sein. Am Ende wird eben dieses Gesamtpaket aus Spiel mit und ohne Ball, Führungsqualitäten, Finanzen und Zukunftsperspektive entscheidend sein.
Bis zum Sommer gibt es aber immerhin noch eine Rückrunde zu spielen. Eine Rückrunde, deren Anfang ohne Leistungsträger Kim Min-Jae stattfindet, der mit Südkorea bei den Asienmeisterschaften ist. Zeit genug also, damit der Niederländer seinem Trainer noch zeigen kann, dass man den Miasanrot-Spieler-der-Saison nicht einfach verkauft.