Einwurf: Alaba, Boateng, Martínez – das Ende (m)einer Ära
Als Jupp Heynckes im Sommer 2012 den defensiven Mittelfeldspieler Javi Martínez für 40 Millionen Euro nach München holte, fragte ich mich zunächst: Javi, wer? Ich hatte zu jenem Zeitpunkt noch nie von ihm gehört. Meine eigene Unwissenheit hat mich allerdings nicht davon abgehalten, mich innerhalb der nächsten Jahre vollends in den Spieler Javi Maschinez und den Menschen Javiiii zu verlieben.
Nun ist es also an der Zeit, Javi ziehen zu lassen. Und obwohl dies nichts weiter als den normalen Lauf der Dinge in der Karriere eines Fußballers widerspiegelt, trifft mich diese Nachricht mitten ins Herz. Denn es ist nicht nur Javi, der den Verein verlässt. Mit ihm gehen auch David Alaba und Jérôme Boateng.
Ich hatte und habe vier erklärte Lieblingsspieler beim FC Bayern: Bastian Schweinsteiger, Jérôme Boateng, Javi Martínez und David Alaba. Natürlich bin ich eigentlich ein Fan der gesamten Mannschaft und hege auch tiefe Sympathien für andere Spieler, aber diese vier genießen bei mir einen Sonderstatus – das hat sich in den vergangenen Jahren (Jahrzehnten) so entwickelt und wird sich wohl auch nicht mehr ändern.
Warum aber hat man Lieblingsspieler, und nach welchen Kriterien sucht man sich diese, bewusst oder unbewusst, aus?
Es gibt ganz unterschiedliche Gründe, warum man diesen oder jenen Fußballspieler besonders ins Herz schließt. Die sportliche Komponente ist sicherlich eine ausschlaggebende, aber vielleicht auch eine selbstverständliche – unermüdlichen Einsatz und besondere Fähigkeiten auf dem Platz sollten im Idealfall schließlich alle Spieler zeigen, die beim FC Bayern angestellt sind.
Oft spielt auch das Verhalten eines Spielers abseits des Fußballplatzes eine wichtige Rolle: Ich persönlich finde es hervorragend, wenn Spieler soziales Engagement zeigen, empfinde es aber als sehr unangenehm, wenn sie beispielsweise auf Twitter in wüste Schimpftiraden gegen Journalisten ausbrechen, sich ihrer Vorbild-Funktion nicht bewusst sind oder diese bewusst ignorieren.
Meine „Fantastischen Vier“ des FC Bayern
Am meisten ins Gewicht fallen am Ende natürlich die eigenen Emotionen, das Wahrnehmen eines Spielers auf persönlicher Ebene. Mit Bastian Schweinsteiger hatten die Fans einen Spieler, der wie kein anderer den FC Bayern verkörperte (inzwischen hat Thomas Müller diese Rolle übernommen). Dass er neben seinen Höhen auch ebenso viele Tiefen hatte, machte ihn umso menschlicher und deswegen zugänglicher. Ich habe mit ihm gelitten, gelacht und bitterlich geweint – nie wieder habe ich das bei einem Spieler so intensiv erlebt.
Mal ganz davon abgesehen, dass Jérôme Boateng zu seinen Glanzzeiten einer der besten, wenn nicht der beste, Innenverteidiger der Welt war, fühle ich mich ihm auch aufgrund seiner Biografie stark verbunden – er ist einer, mit dem ich mich identifizieren kann, einer, der sich nicht verbiegt, ganz gleich, ob er dadurch in Kritik gerät oder dafür gefeiert wird. So hat er sich beispielsweise schon gegen Rassismus ausgesprochen, bevor es in Mode gekommen bzw. zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist.
David Alaba ist und bleibt für mich einfach der grundsympathische, gut gelaunte Bub aus Österreich mit dem strahlenden Lächeln, selbst nach Eigentoren und selbst nach suboptimal verlaufenen Vertragsverhandlungen. Hier werden sich die Geister scheiden, und auch ich gebe zu, dass ich ein wenig enttäuscht war über die Art und Weise, wie sich diese Verhandlungen in der Öffentlichkeit dargestellt haben; trotzdem hat diese Angelegenheit nicht im Geringsten dazu beigetragen, meine Sympathien für ihn zu schmälern.
Was ich an Javi Martínez, unserem Mr. Zuverlässig, so mag und schätze, habe ich bereits an anderer Stelle in diesem Blog ausführlich erklärt. Er ist immerhin der einzige Spieler, für den ich jemals einen Love-O-Meter entworfen habe. Auch die Tatsache, dass dies schon der dritte Artikel in meiner recht kurzen Zeit als Autorin für Miasanrot ist, in dem Javi eine Hauptrolle spielt, dürfte für sich sprechen.
Fanliebe macht sicherlich auch blind – da schließe ich mich selbst mit ein. Wenn ein Video von Bastian Schweinsteiger auftaucht, in dem er einen BVB-Schmähgesang zum Besten gibt, oder in dem Film „Die Mannschaft“ Sepp Blatter huldigt, schäme ich mich kurz fremd und hake die Sache danach ab.
Geht Jérôme Boateng nach den Spielen nicht mehr in die Fankurve, habe ich gleich ein paar Ausreden für ihn parat und bin mehr als bereit, seine Entschuldigung ein paar Monate später sofort zu akzeptieren.
Konstruktive Kritik an David Alabas Entscheidung, den Verein zu verlassen – und besonders das wie– nehme ich hin und muss auch zähneknirschend zugeben, dass sie durchaus berechtigt ist. Wenn er aber auf Social Media wüst beschimpft und beleidigt wird, bin ich die erste, die ihn wutentbrannt verteidigt.
Denke ich aber an Javi, fällt mir überhaupt nichts Negatives, sondern ausschließlich Positives ein. Das muss auch erstmal jemand schaffen.
Für immer #TeamTriple
Meine „Fantastischen Vier“ beim FC Bayern repräsentieren natürlich auch eine besonders erfolgreiche Ära des Vereins, die mit dem Triple-Gewinn im Jahr 2013 unter (meinem Lieblingstrainer) Jupp Heynckes ihren ersten Höhepunkt fand. Erst kurz vorher war es in Indonesien, wo ich damals wohnhaft war, möglich geworden, die Bundesliga live im Fernsehen zu verfolgen: Es war also auch eine Zeit, in der ich mich endlich wieder intensiv mit Verein und Team auseinandersetzen konnte, und in der meine Wochenenden fortan ausschließlich für den Fußball reserviert waren.
Dieser unglaubliche Erfolg wurde im Jahr 2020 sogar noch einmal wiederholt, und zwar in einer Zeit, in der der Fußball für viele aufgrund der Pandemie die einzige Ablenkung war, die einzige Beschäftigung, der man Woche für Woche entgegenfieberte, und die einem ein Lächeln ins Gesicht zauberte.
Der Weggang von Alaba, Boateng und Martínez am Ende der Saison bedeutet das Ende einer Ära – aber nicht nur einer Ära und Generation des Clubs, sondern auch einer der wichtigsten Phasen in meinem Fan-Dasein. Klar, es werden neue Spieler nachkommen, und sicherlich wird es auch den ein oder anderen geben, den ich als besondere Bereicherung empfinde, aber wie es nun mal so ist bei einer besonders schönen und emotionalen Beziehung, die nach Jahren zu Ende geht: Man weiß, dass es an der Zeit ist, einen Schlussstrich zu ziehen, aber hat trotzdem ein großes Problem damit, loszulassen.
Es ist wahnsinnig schade, dass die drei Spieler – und auch Hansi Flick – aufgrund von COVID-19 keinen vernünftigen Abschied von den Fans in der Allianz Arena bekommen können. Aber immerhin gehen sie mit einem weiteren Bundesliga-Titel im Gepäck und dem Gefühl, eine der erfolgreichsten Perioden des Clubs maßgeblich geprägt und mitbestimmt zu haben.
Ich jedenfalls werde auch noch als 80-jährige Omi von ihnen erzählen: „Damals, da gab es beim FC Bayern dieses österreichische Allround-Talent David Alaba, Abwehrkönig Jérôme Boateng und einen ganz großartigen Spieler und Menschen namens Javi Martínez…”