Vorschau: Paris Saint-Germain – FC Bayern München
„Wenn wir uns wünschen könnten, dass das Spiel genauso abläuft“, so Thomas Müller in Bezug auf das Hinspiel, und man ein bisschen Kaltschnäuzigkeit hinzunehme, dann wäre das das Rezept, mit dem ein Weiterkommen am Dienstagabend noch möglich sei. In einem Freakspiel haben die Bayern die erste Halbzeit des K.-o.-Duells mit Paris Saint-Germain verloren. Eigentlich klar besser und mit mehr Chancen ausgestattet, stehen sie letztlich mit einem 2:3 da. Der Hauptgrund: Die eigene Chancenverwertung. 31 zu 6 Abschlüsse und 3,1 zu 1,5 expected Goals haben nicht gereicht.
Im Prinzip ist die Analyse fürs Rückspiel also sehr simpel: Geht raus und spielt Fußball wie im Hinspiel. Doch Müller ist nicht nur erfahren, sondern auch selbstkritisch genug, um zu wissen, dass das nicht alles ist. „Aber klar geht es auch darum, in Detailsituationen vielleicht die besseren Entscheidungen zu treffen“, sagt er. Man habe sich „einige Dinge“ angesehen, die sowohl vorn als auch hinten nicht optimal gelaufen sind. Gerade im Defensivverbund wird es für den amtierenden Champions-League-Sieger darauf ankommen, weniger einfache Fehler zu machen.
Dazu zählt aber ebenso ein konzentriertes Auftreten mit dem Ball. Beim 0:1 ist es Joshua Kimmich, der das offensive Umschalten der Pariser durch einen leichtfertigen Ballverlust einleitet. Gerade in Zeiten von Geisterspielen ist gut zu hören, wann Kommandos erfolgen und wann nicht. In dieser Situation sind die Münchner nachlässig darin, ihrem Taktgeber Anweisungen zu geben. Sonst hätte er sich vielleicht anders zum Ball stellen können.
Wie kommt Bayern noch weiter?
Solche Momente sind es wohl, die Müller mit den „Dingen“ meint, die man sich nochmal angesehen habe. Doch auch das Verhalten danach ist nicht optimal. Sowohl beim 0:1 als auch beim 2:3 verlieren die Bayern zwar ohne große Not den Ball, aber im Verteidigungsprozess haben sie jeweils eine klare Überzahl gegen Paris. Dennoch bekommen sie keinen Druck auf den Ball und vergessen jeweils ballferne Räume, die Paris für sich nutzt. Beim zwischenzeitlichen 0:2 schalten die Bayern kurzzeitig sogar komplett ab. Neymars Pass ist zwar absolute Weltklasse, aber dass Marquinhos zwischen so vielen Gegenspielern zum Abschluss kommen kann, ist eines Champions-League-Teilnehmers nicht würdig. Übersicht, Abstimmung, kollektives Verteidigen, maximale Konzentration – das sind Basics, die in Paris zu einer besseren Defensivleistung führen sollen und können.
Immerhin: Flick kann auf Leon Goretzka, Lucas Hernández, Jérôme Boateng und Kingsley Coman zählen, die allesamt fraglich waren, am Dienstagabend aber zur Verfügung stehen. Somit dürfte der Ausfall von Robert Lewandowski das größte personelle Problem sein. Wobei unklar ist, ob Goretzka bereits von Anfang an spielen kann. Spekuliert wird, dass Flick David Alaba ins Mittelfeld vorzieht und Hernández an seiner Stelle verteidigt. Somit wäre auch der Weg für den offensiveren Alphonso Davies auf der linken Bahn frei.
Im Hinspiel hat Paris trotz des Ergebnisses nicht gerade Angst und Schrecken verbreiten können. Dennoch ist nur schwer abzusehen, inwiefern es möglich ist, dass Flick die ständigen defensiven Aussetzer (mal individuell, mal gruppentaktisch) in den Griff bekommt.
Einfache Rechnung: Drei Tore sollten es mindestens sein
„Ganz normal“ gehe man in dieses Spiel, so Müller. Ganz normal bedeutet konkret: Fokus auf die Offensive. Und prinzipiell gibt das Hinspiel den Bayern auch recht. Wäre der Abend halbwegs dem Spielverlauf entsprechend verlaufen, würde heute wohl kaum jemand darüber diskutieren, dass die Münchner den einen oder anderen Angriff gegen Paris zugelassen haben. Immerhin ist das die Champions League und Neymar, Mbappé sowie di María über 90 Minuten komplett in den Griff zu bekommen, ist nahezu unmöglich.
Paris konnte sich auch deshalb in München so wenig entfalten, weil die Bayern offensiv eine gute Leistung zeigten. Einzig die Auswahl der Abschlusspositionen und der Abschlussspieler war nicht immer optimal. So hatten Alaba (5) und Pavard (3) schon 8 der insgesamt 31 Versuche. Choupo-Moting (5 Abschlüsse) ist zwar Stürmer, aber die Chancenverwertung zählt nicht zu seinen großen Stärken. Deshalb werden Müller und Goretzka noch stärker in die Verantwortung rücken. Beide haben bereits wichtige Tore für die Bayern erzielt. Beide sind an einem guten Tag dazu in der Lage, Lewandowskis Abschlussstärke als Team zu ersetzen. Auch Leroy Sané (im Hinspiel 2 Abschlüsse) sollte noch häufiger in Position gebracht werden. Dann ist es nicht unwahrscheinlich, dass es der Flick-Elf gelingt, nochmal zurückzukommen.
Prinzipiell müssen die Bayern mindestens drei Tore schießen und das Spiel gewinnen. Etwas, was ihnen schon 19-mal in dieser Saison gelungen ist. Angesichts der dürftigen Leistung, die Paris im Hinspiel gezeigt hat, ist es also kein Ding der Unmöglichkeit für die Münchner, das 2:3 nochmal umzudrehen.
Die Spielanlage ist besser, aber auch die Köpfe?
Dabei gehe es auch um „Risikoabwägung in den einzelnen Situationen“, sagt Müller, der in der Champions League bereits mehrfach erlebt hat, was passiert, wenn die Entscheidung zu früh forciert wird. Das prominenteste Beispiel: Die deutliche Niederlage im Rückspiel gegen Real Madrid 2014. Müller und die Bayern wissen, dass sie ganze 90 Minuten haben, um die drei Tore zu erzielen. Darüber hinaus vielleicht sogar noch 30 mehr, um einen Auswärtstorevorsprung herzustellen.
Die Bayern werden demnach von Beginn an druckvoll agieren, aber eben nicht sofort mit der Brechstange. Champions-League-K.-o.-Spiele sind auch sogenannte „Mindgames“. In solchen Duellen gehe es um die vielen, kleinen „kritischen Momente“ und diese „Schlüsselmomente“, so Müller, wolle man auf die Seite des FC Bayern ziehen. „Etwas zu verlieren, ist für den Menschen immer ganz schlimm. Etwas, was man meint, schon sicher zu haben und deshalb wollen wir diesen Moment erzwingen, in dem die Pariser Spieler in diese Situation kommen.“
Im Hinspiel hat sich gezeigt, dass die Bayern die bessere Spielanlage haben und dass sie über die Qualität verfügen, einen Gegner wie Paris zu schlagen. Auch deutlich. Das Rückspiel aber wird geprägt sein von vielen psychologisch anspruchsvollen Momenten. Die vielen kleinen Dinge, die vielen kleinen Situationen auf dem Platz sind es, die in der Vielzahl über den Ausgang entscheiden können. Für Müller gehe es darum, mehr richtige Entscheidungen zu treffen als der Gegner.
Es braucht eine normale Bayern-Leistung
Flicks Aufgabe ist es demnach auch, seiner Mannschaft bei jedem Spielstand klar zu machen, dass noch nichts vorbei ist. Selbst wenn die Bayern wieder mit 0:1 oder gar 0:2 in Rückstand gehen sollten: An der Ausgangslage ändert das nur marginal etwas. Kassieren die Münchner kein Gegentor, reichen zwar auch zwei eigene Tore, aber darauf verlassen sollte sich die Mannschaft nicht. „Kontrollierte Offensive“ ist eine Phrase, die gern benutzt wird. Müller bezeichnet die Herangehensweise für Dienstagabend jedoch als „ganz normal“.
Nach dem Hinspiel sollten die Bayern nicht den Fehler machen, vor etwas in Ehrfurcht zu geraten, was eigentlich gar nicht das große Problem war. Respekt vor den Fähigkeiten eines Neymars, Mbappés oder auch anderen Pariser Spielern ist wichtig, aber mehr auch nicht. Müller gibt die Marschroute richtig vor.
Es braucht keine „kleine Überraschung“, wie Flick es auf der Pressekonferenz nannte. Es braucht keine „Sensation“ oder gar ein „Wunder“. Im Prinzip braucht es eine ganz normale, konzentrierte Leistung des amtierenden Champions-League-Siegers. Dann stehen die Chancen gar nicht mal so schlecht, dass trotz des 2:3-Rückstands nicht Paris, sondern die Bayern im Halbfinale der Königsklasse stehen.