Vorschau: Lazio Rom – FC Bayern München
Es gibt im Moment ganz sicher deutlich mehr Dinge auf der Welt, die eine größere Überraschung darstellen, als eine Niederlage des FC Bayern bei Eintracht Frankfurt in der aktuellen Situation. An dieser Stelle soll auch die abermalige Wiederholung der vielfältigen Gründe dafür ausbleiben. Diese könnt ihr beispielsweise hier oder hier nochmal nachlesen.
Vor Kritik an den ersten 25 Minuten der Partie in Frankfurt schützen aber selbst die besten Gründe nicht. Bayern begann abermals schläfrig in der Defensive und viel zu hektisch mit dem Ball. Als wäre nicht bekannt gewesen, wie stark Frankfurt im Pressing agiert und wie sehr es ihnen in die Karten spielt, wenn sie sich in der gegnerischen Hälfte festsetzen können.
In der Anfangsphase gab es kaum Szenen, in denen die Bayern auch nur Ansatzweise mit dem Ball länger als eine Minute für Entlastung sorgen konnten. Stattdessen flogen die Pässe nur so übers Spielfeld und schon waren die Münchner wieder im Defensivmodus.
Rückblick: Bayerns Niederlage in Frankfurt
Frankfurt hatte das erste Drittel der Partie mehr oder weniger im Griff, weil die Bayern in allen drei von uns in der Vorschau angesprochenen Punkten keinen Zugriff bekamen: Erstens ließen sie sich im Zentrum den Schneid abkaufen. Das lag sicherlich auch daran, dass mit Marc Roca und Eric-Maxim Choupo-Moting zwei Spieler aufliefen, denen es spürbar an für das Team wichtigen Abläufen mangelt. Die größte Verantwortung hatte aber das Aufbaudreieck bestehend aus Jérôme Boateng, David Alaba und Joshua Kimmich. Drei erfahrene Spieler, die sich untereinander und die Abläufe kennen, dem Pressing des Gegners aber zunächst nichts entgegensetzen konnten, was nur annähernd für Ruhe gesorgt hätte. Stattdessen erfolgten viele lange und unkontrollierte Bälle in die Füße der Frankfurter oder vorhersehbare Pässe in die Pressingfallen auf den Außenbahnen. Frankfurt isolierte Bayerns Außenverteidiger mit vielen Mannorientierungen vom Rest der Mannschaft und erzwang damit recht simple Ballgewinne.
Zweitens schafften es die Münchner lange Zeit nicht, ihre horizontale Kompaktheit in längeren Verteidigungsphasen stabil zu halten. Immer wieder ließen sich Spieler aus ihren Positionen ziehen, verloren dabei den Blick auf andere Gegenspieler. Bayern zeigte erneut, dass sie in längeren Verteidigungsphasen entweder zu passiv oder zu aktiv sind, während sich Frankfurt über Filip Kostić und Amin Younes zu Chancen kombinierte, als hätten sie keinen echten Gegnerdruck.
Der wichtigste Punkt ist aber vielleicht drittens, dass die Bayern in der ersten Halbzeit insgesamt keinen Druck auf Frankfurt ausüben konnten. Sie kamen schlicht nicht ins Pressing. Einerseits, weil der Ball nur ganz selten in Frankfurts Hälfte war, um mal das hohe Gegenpressing aufzuziehen. Die Wege waren schlicht zu weit nach langen Bällen, weil die Eintracht mit den Bayern das machte, was die Bayern eigentlich mit der Eintracht hätten machen sollen: Den Gegner hinten reindrücken. Andererseits schien man großen Respekt vor den langen Bällen der Eintracht zu haben. An diesem Abend entpuppte sich die tiefe und passive Herangehensweise jedenfalls als Eigentor.
Was war dann besser?
In der zweiten Halbzeit kam dann Leon Goretzka und mit ihm einige kleinere Anpassungen im Bayern-Spiel. Vor allem setzte Flick dann auf ein engeres Positionsspiel, um die in der Breite gut ausbalancierte Grundformation der Eintracht ein bisschen zusammenzuziehen. Goretzka war dafür neben Kimmich im Zentrum deutlich präsenter als Roca zuvor, andererseits kam Süle eine wichtige Rolle zu. Der Aushilfs-Rechtsverteidiger positionierte sich sehr konsequent im tiefen Halbraum, statt in Aufbauphasen breit und leicht höher als die Abwehrkollegen zu stehen.
Damit bezweckte Süle, dass Kostić einen längeren Anlaufweg hatte – sowohl auf Süle als auch bei Pässen in seinen Rücken, wo Leroy Sané dann mehr Raum bekam. Über das Dreieck Süle-Sané-Goretzka fanden die Bayern zu mehr Ruhe und Kontrolle im Spiel nach vorn. Frankfurt gab das ganz hohe Pressing irgendwann auf und konzentrierte sich auf die Verteidigungsarbeit – weil sie die Führung im Rücken hatten, aber auch, weil Bayern jetzt ohnehin deutlich besser in der Partie war und man ihnen mit höherem Anlaufen unnötig Räume geöffnet hätte.
Am Ende der Partie wäre ein Unentschieden durchaus verdient gewesen. Bayern reagierte klug und gelassen auf die schwache Anfangsphase, verpasste es aber, die Chancen zu nutzen. Nach Expected Goals (StatsBomb) hätten die Bayern dieses Spiel sogar mit 1,1 zu 2,0 gewonnen. In der Realität ist es genau umgekehrt.
Gegen im Moment sehr formstarke Frankfurter war es relativ klar, dass die Bayern es schwer haben würden. Umso höher ist die Reaktion auf die erste Halbzeit einzuschätzen. Umso ärgerlicher ist jedoch auch der komplett unnötige Punktverlust gegen Bielefeld. Es ist ein Stück weit bezeichnend, dass den Münchnern neben allen anderen Sorgen auch das Spielglück ein Stück weit abgeht. Gerade die zweite Halbzeit in Frankfurt machte aber Mut für die kommenden Wochen – und ganz besonders für das Champions-League-Achtelfinale gegen Lazio Rom.
Lazio Rom: Himmelblaue Hölle für die Bayern?
Am Dienstagabend spielen die Bayern das Hinspiel in Italien. Lazio steht in der Serie A aktuell auf einem guten fünften Platz mit 43 Punkten und zehn Punkten Rückstand auf Tabellenführer Inter Mailand. Wie der Journalist und Experte Marius Soyke uns im Podcast-Gespräch mitteilte, ist das in etwa die Tabellenregion, in der Lazio zuhause ist.
Zwar zählen die Weiß-Himmelblauen zu den namhaften Teams in Italien, aber mit den ganz großen können sie traditionell nicht mithalten. Das liegt maßgeblich daran, dass sie regelmäßig dann Punkte lassen, wenn sie das Spiel selbst in die Hand nehmen müssen.
Gegen den FC Bayern wird es dazu nicht kommen. Lazio kann seine Stärken also voll einbringen und die sind denen der Frankfurter verdächtig ähnlich. Im athletischen, physischen und taktischen Bereich bringen sie alles mit, was es gegen die Münchner braucht. Umso mehr taugt die Niederlage der Bayern in Frankfurt als Blaupause für Lazio.
Kompaktes Zentrum, Druck auf die Flügel
Bis auf kleine Unterschiede ist das Defensivverhalten beider Mannschaften recht ähnlich. In tieferen Verteidigungsphasen sichert hinten eine Fünferkette die Breite ab, deren Flügelverteidiger allerdings in vielen Situationen des Spiels ballnah herausschieben, um Druck auf den Außen zu erzeugen. Dann pendeln die restlichen vier Verteidiger zur Absicherung nach.
Vor der Fünferkette ist Lazio wie die Eintracht darauf bedacht, das Mittelfeld sehr kompakt und eng zu halten. Dafür nutzen sie jedoch eine andere Staffelung. Statt zwei Sechsern und zwei Zehnern hinter einer Spitze setzt Simone Inzaghi auf drei zentrale Mittelfeldspieler hinter zwei Angreifern.
Die beiden Angreifer stehen meist sehr eng, um den Spielaufbau des Gegners auf die Flügelpositionen zu lenken. Dahinter schieben die drei Mittelfeldspieler schnell in die jeweilige Eröffnungsrichtung. Der ballnahe Flügelverteidiger unterstüzt, sobald eine Situation erkannt wird, in der ein Ballgewinn wahrscheinlich wird.
Bayerns Lösungsmöglichkeiten gegen Lazios Pressing
Diese taktischen Abläufe funktionieren bei Lazio meist sehr präzise und druckvoll. Eröffnen die Bayern wie in der ersten Halbzeit gegen Frankfurt zu vorhersehbar auf breit positionierte Außenverteidiger, drohen ähnlich schnelle Ballverluste auch gegen Rom.
Mit dem enger und tiefer positionierten Süle hatten die Bayern bereits einen guten Ansatz, der auch am Dienstagabend funktionieren könnte. Ein großer Vorteil ist, dass es nicht zu 2-gegen-2-Situationen im Spielaufbau zwischen den Innenverteidigern und den gegnerischen Angreifern kommen würde. Außerdem könnten Kimmich und sein Partner im Mittelfeld die Positionen im Sechserraum besser halten, weil durch Süles tiefe Position kein Abkippen erforderlich wäre.
Diese leicht verschobene 3-2-Staffelung könnte ausreichen, um zunächst mal die Kontrolle zu erlangen und Lazio zu signalisieren, dass sie mit höherem Pressing nicht zum Erfolg kommen werden. Gerade in der Anfangsphase wird das ein wichtiger Baustein sein. Danach wird es darum gehen, den Block der Italiener zu knacken. Ohne Thomas Müller fehlte im Zentrum hier zuletzt jemand, der die Ketten des Gegners in den richtigen Momenten auseinanderzieht. Choupo-Moting machte das nicht schlecht, aber auch nicht ausreichend gut. Musiala kam in den letzten Partien wenig zum Einsatz, bringt aber nach wie vor mehr Qualitäten in engen Räumen mit, die gerade ohne Müller wichtig werden könnten.
Flick wird hier einen von vielen Kompromissen eingehen müssen. Choupo-Moting ist eine recht leistungsstabile Option, die solide Leistungen verspricht, wenn alles um ihn herum funktioniert. Dafür liefert er von sich aus kaum Momente, in denen er die Offensive anschieben kann. Bei Musiala liegt das Problem eher in der Arbeit gegen den Ball, dafür hat er aber schon mehrfach bewiesen, dass er eine Offensive beleben kann. Gerade gegen physisch starke Mannschaften hatte er aber immer wieder Probleme.
Lazio ist nicht nur Immobile
Und genau das ist Lazio. Ein Team, das den Bayern in vielen Bereichen des Spielfelds ständig auf den Füßen stehen wird. Doch die Weiß-Himmelblauen bestehen nicht nur aus gut organisierter Defensivarbeit. Die Italiener wissen genau, wie sie nach Ballgewinnen mit wenigen Kontakten hinter die Abwehr des Gegners kommen. Im Zentrum helfen spielstarke Spieler wie Luis Alberto oder der stark unter dem Radar laufende Sergej Milinkovic-Savic. Beide sind technisch sehr begabte Fußballer, die sich auch aus hohem Druck zu befreien wissen. Kommen die Bayern hier wie im ersten Durchgang gegen Frankfurt nicht in ihr Pressing, haben sie die Qualität, das zu bestrafen.
Zumal auf den Flügeln viel Tempo vorhanden ist, das Milinkovic-Savic und Alberto zu bespielen wissen. Vorn stehen Inzaghi dann verschiedene Spielertypen zur Verfügung, die sich sehr gut ergänzen. Allen voran ist hier natürlich Ciro Immobile zu nennen, der in der vergangenen Saison mit 36 Treffern Torschützenkönig in der Serie A wurde und auch in dieser Spielzeit bereits in 26 Pflichtspielen 19-mal netzte. Der 31-Jährige ist womöglich in der Form seines Lebens und braucht nicht viele Kontakte, um ein Tor zu erzielen.
Dabei hilft ihm meist ein sehr wendiger und temporeicher Sturmpartner, der die Räume für den Torjäger öffnet. Meist war das in den letzten Wochen Joaquin Correa, der zwischen der bayrischen Defensive und dem Mittelfeld der Flick-Elf für Furore sorgen könnte. Ähnlich wie Amin Younes, der für Frankfurt einer der Matchwinner war, könnte Correa zum Schlüssel für die Italiener werden.
Wird Lazio zur Eintracht?
Doch wie schon gegen Frankfurt sind die Bayern gut beraten, sich nicht auf einen Spieler zu fokussieren. Lazio hat eine Elf der vielen Qualitäten. Milinkovic-Savic mag beispielsweise ein sehr guter Spielgestalter sein, aber zugleich bringt er gegen den Ball große Robustheit mit und weiß bei seinen Vorstößen als Passempfänger zwischen den gegnerischen Linien zu überzeugen. Er kann Bälle halten, abschirmen und verteilen. Auch wenn er in den letzten Jahren aufgrund der Spielweise seiner Mannschaft ein wenig stagnierte, zählt der 25-Jährige nach wie vor zu den interessantesten Mittelfeldspielern.
Bayern sollte deshalb als Team dafür sorgen, dass möglichst wenige der Qualitäten, die Lazio hat, zum Vorschein kommen. Borussia Dortmund kann aus der Champions-League-Gruppenphase berichten, wie unangenehm die Italiener sein können.
Für Flick und seine Mannschaft ist diese Partie nicht nur für das Weiterkommen in der Champions League wichtig. Auch psychologisch ist sie von hoher Bedeutung. Nach dem 3:3 gegen Bielefeld und der Niederlage in Frankfurt braucht es ein Erfolgserlebnis, um in der Liga ebenfalls schnellstmöglich zurück in die Spur zu finden. Neben der zweiten Halbzeit in Frankfurt ist auch die bald anstehende Rückkehr von Thomas Müller ein Lichtblick. Der Angreifer fehlt den Bayern in allen Phasen des Spiels.
Gegen Lazio wird er erneut nur aus der Quarantäne zuschauen können. Für die Bayern ist es die große Möglichkeit, sich ein Stück weit zu rehabilitieren. Andererseits besteht das Risiko, in eine „Krise“ zu rutschen – zumindest wäre das dann wohl der allgemeine Tenor. Historisch gesehen sind solche Momente stets jene, in denen der FC Bayern das Blatt wenden kann. Doch in dieser Saison scheint alles möglich zu sein. Ein Selbstläufer dürfte es jedenfalls nicht werden. Dafür präsentierte sich Lazio in den vergangenen Wochen nicht nur zu stabil, sondern insgesamt auch zu ähnlich zu Eintracht Frankfurt. Eine Mannschaft, die mit ihrer Spielweise perfekt zu den aktuellen Problemen des Rekordmeisters passt.