Gibt es Platz für Alaba im Münchner Pantheon?
Mit 265 Bundesliga- und 409 Pflichtspielen für den deutschen Rekordmeister knabbert David Alaba in beiden Kategorien an der vereinsinternen Top-15. Der österreichische Nationalspieler hat bereits mehr Spiele im roten Trikot absolviert als Vereinslegende Paul Breitner oder der aktuelle Sportdirektor Hasan Salihamidzic. Mit zwei Triple-Siegen, neun Meisterschaften und insgesamt 20 Titeln schwebt er selbst beim historisch erfolgreichen FC Bayern in elitären Sphären. Ein Franz Beckenbauer beispielsweise liegt bei lediglich 13 Titeln.
Doch wo ist dieser David Alaba, sollte er im Sommer den Verein verlassen, in der Legenden-Reihenfolge des FC Bayern anzusiedeln? Das Problem an der Persona David Alaba – immerhin der letzte Jugendspieler, der sich nachhaltig bei den Herren durchsetzen konnte – liegt schlichtweg daran, dass er in einer Zeit mit vielen anderen prägenden Spielern oft nur einer unter vielen war.
Aufstieg in die Weltklasse
Seine Karriere ist vielleicht in fünf Abschnitte einzuteilen. Phase Eins: Zunächst war da der Newcomer David Alaba, der von Louis van Gaal zuerst ins kalte Frankfurter Wasser geworfen und dann in Hoffenheim per Leihe geparkt wurde. Nach seiner Rückkehr entwickelte er sich vor allem dank der persönlichen Fürsorge von Franck Ribéry zu einem versierten Linksverteidiger mit starker offensiver Ausprägung, einem vernünftigen Passspiel und einer soliden Defensive.
In Phase Zwei entfaltete sich der immer noch junge Alaba unter den Schleifern Heynckes und Guardiola zum kurzzeitig besten Linksverteidiger der Welt. Sein persönliches Optimum erreichte Alaba, als er gefördert und gefordert von Guardiola zum Halbraumlibero wurde, der durch seine Spielintelligenz, Dribbelfähigkeiten und Pässe eine Mini-Reinkarnation von Franz Beckenbauer darstellte. Doch selbst zu diesem absoluten Peak spielte er in einem von Weltstars gespickten Team nicht die erste Geige. Zwischen Neuer, Lahm, Boateng, Ribéry, Robben, Müller und Lewandowski war er einer unter vielen. Der Kern des Teams waren andere.
In diese Zeit fallen auch die von Alaba lange gehegten Ambitionen auf eine zentrale Rolle im Bayern-Mittelfeld, wie er sie bereits bei der österreichischen Nationalelf bekleidete. Allerdings konnte er sich im Maschinenraum des Münchner Aufbauspiels nicht gegen die zahlreiche und namhafte Konkurrenz durchsetzen. Die Limitationen in seinem Spiel wurden deutlich. Alaba war und ist kein 360-Grad-Spieler, der das Geschehen vor und hinter sich wahrnehmen kann, wie dies Lahm, Thiago oder Alonso beherrschten. Dementsprechend traf er oft falsche Entscheidungen, hielt Bälle zu lange und entwickelte kein Gefühl für Druck von allen Seiten. Spätestens nach der missglückten EM 2016 mit Österreich legte er das Thema endgültig ad acta.
Wechselhafte Jahre
Diese EM ist dann auch der Startschuss für die dritte Phase, die nur als massiver Rückschritt bezeichnet werden kann. Ohne persönliche Förderung verkam Alaba unter Ancelotti und Kovač zu einem Schatten seiner selbst. Zu diesem Zeitpunkt war sogar sein Stammplatz im Team streckenweise in Gefahr, wobei zu seinem Glück der Herausforderer Juan Bernat just in dem Moment in dem er durch starke Leistungen den Nachteil des großen Namens aufgeholt hatte anfing einen “Scheißdreck zusammen zu spielen” (O-Ton eines Wurstfabrikanten).
Der erneute Aufschwung und damit die vierte Phase begann erst unter Hansi Flick, der die begrenzten Auftritte von Alaba unter Guardiola genauesten studiert hatte und dem Österreicher den Posten als Abwehrchef neben dem gealterten Boateng, Neuling Pavard und Youngster Davies anbot. Die Entwicklung des Letztgenannten hatte Alaba, hier scheiden sich die Geister, für höhere Aufgaben freigespielt oder auf seiner angestammten Position überflüssig gemacht. Jedenfalls blühte Alaba in alter Rolle auf, spielte ein fantastisches Champions-League-Turnier und wurde erstmals zu einem der Leader der Mannschaft – wohl auch neben dem Platz. Im kleinen Machtvakuum nach dem Abgang der Leader des ersten Triples konnten Alaba und auch Lewandowski aufsteigen. Die Chancen des immer noch erst 28-Jährigen, in der Liste der Bayern-Legenden zu klettern, schienen ausgezeichnet.
Doch mit der Rückkehr aus Lissabon begann die fünfte Phase, die geprägt ist von einem Zerwürfnis mit dem Verein. Getrieben von zweifelhaften Beratern verscherzte es sich Alaba mit den Kluboberen, bis diese ihr Angebot zurückzogen. Gleichzeitig verfiel Alaba auf dem Platz in alte Muster und wurde regelmäßig zu einer Schwachstelle in der Abwehr. Immer mehr Fans fragten sich, ob sein grandioses Triple-Jahr eher die Ausnahme statt der Regel war.
Fairerweise muss man darauf hinweisen, dass die letzten beiden Phasen deutlich kürzer sind und sich innerhalb der letzten eineinhalb Spielzeiten ereigneten. Ein kurzer Peak und ein schneller Fall. Zudem muss hier der Recency Bias berücksichtigt werden. Ein finales Urteil über die beiden Abschnitte lässt sich wohl erst mit einigen Jahren Abstand fällen.
Finale Einordnung
Wie ist David Alaba nun einzuordnen? Im historischen Vergleich musste ich zuerst an Bernd Dürnberger denken. Dieser war auch in den 70er-Jahren unumfochtener Stammspieler in jener Mannschaft, die drei Europapokal-Titel in Folge feierte, und sogar in der Top-10 der Pflichtspiele der Bayern steht. Und dennoch: Bei der Frage nach den großen Spielern dieser 70er wird er erst nach Beckenbauer, Müller, Maier & Co. genannt. Allerdings war Dürnberger bekannterweise nie Nationalspieler und hätte wohl kaum das Interesse von Real Madrid auf sich gezogen.
Vielleicht trifft dann doch eher der Vergleich auf Paul Breitner zu, der sich zudem beim Blick auf die Position anbietet. Beide waren wichtige Säulen in zwei verschiedenen erfolgreichen Perioden der Vereinshistorie. Mit dem Unterschied, dass Breitner zwischen den beiden Perioden seinen Ausflug zu den Königlichen hinlegte und nicht erst danach wie nun Alaba. Zudem war Breitner in seiner zweiten Zeit in München der prägende Spieler der Mannschaft im legendären Duo Breitnigge. Trotz aller Lorbeeren für Alabas Rolle beim zweiten Triple, ganz so hoch kann man seine Verdienste aufgrund der kürzeren Dauer nicht hängen.
Wenn ich an unsere vor wenigen Jahren aufgestellte Top-15 der Klubhistorie denke, tue ich mich schwer, einen Kandidaten zu finden, den ich aus der Liste für Alaba streichen würde. Gerade auch wenn man bedenkt, dass Robert Lewandowski und mittelfristig wohl auch Joshua Kimmich in die Liste drängen. Am Ende wird er wohl irgendwo zwischen Position 12 und 20 landen und ein heißer Anwärter auf den ersten Platz in der Aufzählung der “Honorable Mentions” sein. Auf der Linksverteidiger-Position wird er seinen Platz in der All-Time-Elf wohl an Breitner abgeben müssen, je nachdem wo man dessen Position schlussendlich sieht.