“Eine erfolgreiche Frauenfussballabteilung würde dem Verein sehr gut zu Gesicht stehen”
Die FC Bayern Frauen überwinterten auf dem dritten Tabellenrang hinter dem VfL Wolfsburg und der TSG Hoffenheim. Nach dem ersten Spieltag der Rückrunde ist man nun punktgleich mit den Kraichgauern. Wie ist die bisherige Saison der Münchnerinnen zu bewerten?
Am ehesten läßt sich das vielleicht noch mit “weder Fisch noch Fleisch” beschreiben. Einerseits mussten neue Spielerinnen integriert und alte ersetzt werden. Zudem kam mit Jens Scheuer auch ein neuer Trainer. Das alles, wie man weiß, braucht bekanntlich Zeit. Dennoch vermochte das Team, gemessen an der Qualität, selten spielerisch zu überzeugen. Zu oft wurden auch viel zu viele Chancen liegen gelassen.
„Eigentlich hatte man sich erhofft, dass Scheuer die Mannschaft auf ein neues Level heben könnte“
Vor der Saison kam mit Jens Scheuer aus Freiburg ein neuer Trainer in die bayerische Landeshauptstadt. Wie muss man die bisherige Amtszeit von Scheuer einordnen? Was hat sich im Vergleich zu seinem Vorgänger am meisten geändert?
Aus meiner Sicht hat sich nicht viel verändert. Und das ist bedauerlich. Denn eigentlich hatte man sich irgendwie erhofft, dass Scheuer die Mannschaft auf ein neues Level heben könnte, welches nötig ist, um den Wolfsburgerinnen Pokal und Meisterschaft streitig zu machen. Vorgänger Wörle sagte man nach, dass er keinen Plan B habe. Bei Scheuer konnte ich bisher auch keinen erkennen. Auch wenn man als Trainer der FC Bayern Frauen nur selten einen Plan B braucht.
Welche Art von Fußball lässt er spielen? Ist erkennbar, dass mit Scheuer nun ein Schritt in die richtige Richtung gegangen wurde?
Leider kann ich Letzteres nicht erkennen. Ich bin kein Trainer, kein Taktiknerd und ich bin nicht Scheuer. Aber im zweiten Halbjahr 2019 habe ich mir doch oftmals verwundert bei seinen Aufstellungen den Kopf gekratzt. So wurden Spielerinnen teilweise auf falschen Positionen eingesetzt und hinzu kommt noch die Rotation im Tor. Einmal war Schlüter die Nummer 1, dann wieder Benkarth. Insgesamt kam mir die Elf von Scheuer auch bisher sehr verunsichert vor. Das machte sich vor allem in den Spielen gegen Wolfsburg bemerkbar.
Ansonsten kann ich bisher keinen großen Unterschied zu Vorgänger Wörle erkennen, was die Spielweise betrifft. Mit Spielerinnen wie Magull und Dallmann sollte man sich eigentlich gut durch dicht gestaffelte und tief stehende Gegner kombinieren können. Davon habe ich bisher aber zu wenig gesehen. Auch die schnellen Außen kommen mir zu wenig zur Geltung. Da könnte man öfter bis zur Grundlinie gehen, wenn es durch die Mitte nichts wird.
„National sogar besser aufgestellt als der große Konkurrent aus Wolfsburg“
Im Männerbereich ist der deutsche Rekordmeister unangefochtener Branchenprimus. Wie ist der Kader der Bayern Frauen im nationalen und internationalen Vergleich zu bewerten?
Der Kader besteht und bestand in den letzten Jahren fast ausschließlich aus Nationalspielerinnen. Doch obwohl man zum Beispiel mit Giulia Gewinn die beste Nachwuchsspielerin der WM im letzten Jahr im Kader hat, ist dennoch keine Spielerin dabei, die ich aktuell zu den Top-50 der Welt zählen würde. Betrachtet man die Qualität der einzelnen Spielerinnen im gesamten Kader, ist man national eigentlich sogar besser aufgestellt als der große Konkurrent aus Wolfsburg. International gehört man sicher zu den besten 20 in Europa – und der Welt.
Wenn wir uns auf einzelne Spielerinnen fokussieren: Wer konnte überraschen? Wer enttäuschte eher? Welche Transfers haben gesessen? Wer kann in der Rückrunde noch überraschen?
Enttäuscht hat von den Neuzugängen eigentlich niemand wirklich. Emily Gielnik und Ali Riley kamen bisher kaum zum Einsatz. Und Ali hat die Bayern ja, leider, schon wieder verlassen.
Gwinn, die mit Scheuer aus Freiburg kam, wurde zwar zuletzt durch eine Schulterverletzung zurückgeworfen, lieferte bis dahin aber ab und ist die erwartete Verstärkung. Amanda Ilestedt scheint auch so langsam ihren Platz in der Mannschaft gefunden zu haben. Bei Caro Simon geht noch mehr, aber immerhin wusste sie zuletzt mit einigen schönen Toren zu überzeugen. Beerensteyn ist inzwischen eine richtige Maschine und trifft jetzt auch endlich regelmäßig. Ich hoffe, dass ihr auslaufender Vertrag verlängert wird und sie nicht auch noch zu “FC Bayern III”, also Arsenal, wechselt.
Wenn ich eine Spielerin herausheben müsste, dann die 19-jährige Sydney Lohmann. Unter Wörle avancierte sie, für eigentlich alle völlig überraschend, zur Stammspielerin. Was sie seit dem im Mittelfeld abliefert, ist der absolute Wahnsinn. Sie ist der perfekte Klon aus Kapitänin Leupolz und der zu PSG gewechselten Däbritz. Ihre Leistung überrascht mich jedes Mal aufs Neue.
„Platz Zwei muss ganz klar das Ziel sein“
In der Champions League trifft man im Viertelfinale auf den größtmöglichen Namen: Olympique Lyon. Die Französinnen hatten zuletzt viermal die europäische Krone erringen können. Mit welcher Zielsetzung muss man in diese Spiele gehen? Gibt es überhaupt eine realistische Chance auf ein Weiterkommen?
Eine Chance hat man immer, aber ich würde ganz klar sagen: Nein. Von Außen betrachtet sollte die Zielsetzung sein mit so wenig Gegentoren wie möglich aus den beiden Partien herauszukommen. Intern wird man sich sicherlich etwas ausrechnen, und dies auch entsprechend öffentlich kommunizieren. Beide Teams dürften sich auch klar ihrer Rollen bewusst sein. Aber völlig egal, wie das Hinspiel ausgehen wird, und auch wenn Lyon ohne Ada Hegeberg (Kreuzbandriss) antreten müssen wird, sollte man es sich keinesfalls nehmen lassen und die Gelegenheit nutzen, die aktuell beste Vereinsmannschaft im Frauenfußball, am Campus spielen zu sehen.
Im DFB-Pokal musste man gegen Topfavorit VfL Wolfsburg bereits die Segel streichen. Die Meisterschaft scheint passé und in der Champions League steht man vor dem Aus. Welche Ziele kann die Mannschaft für die restliche Saison noch haben?
Da es erst ab der kommenden Saison einen dritten Startplatz in der Champions League geben wird, muss diese Saison ein zweiter Platz her, um sich am Ende wieder für Europa qualifizieren zu können. Das muss ganz klar das Ziel sein. Allerdings muss man in der Rückrunde auch noch sowohl gegen die TSG aus Hoffenheim als auch gegen Wolfsburg antreten. Dies aber glücklicherweise zuhause am Campus.
„Stellenwert der Liga: Nicht die großen Stars, nicht das große Geld“
2015 gewann letztmals eine deutsche Frauenmannschaft die Champions League. Die Halbfinalbegegnungen lesen sich mittlerweile wie das Who-is-Who des internationalen Männerfußballs. Wurde der deutsche Frauenfußball in Europa mittlerweile abgehängt?
Das kommt sicher auf die Betrachtungsweise an. Ich denke, dass die Frauen-Bundesliga von der Qualität her und in der Breite, neben der Englischen FA WSL, immer noch die beste Liga in Europa ist. Aber man muss aufpassen und es wird in den nächsten Jahren nicht einfacher werden. Es werden immer mehr alte Bekannte aus dem Herrenfussball auch in den Frauenfußball drängen. Also noch mehr als ohnehin schon. So bastelt ja auch Real Madrid, aktuell noch unter dem Namen CD Tacón, schon an einem Team der Galacticas.
Man muss allerdings immer sehen, wie nachhaltig das alles ist. Und ich denke, dass da die Frauen-Bundesliga auf lange Sicht, am nachhaltigsten sein wird. Vermutlich wird sich der Stellenwert unserer Liga am Ende, vergleichbar zu der Herren-Bundesliga, einpendeln. Nicht die großen Stars, nicht das große Geld. Aber viele interessante Spielerinnen und Talente, die dann zum Geld verdienen, in das Ausland wechseln.
Unser gelegentlicher Autor Christian veröffentlichte letztens in seinem Blog einen offenen Brief an den neuen Präsidenten Herbert Hainer. In diesem ging er gezielt auf die Rolle der Bayern Frauen ein. Sollte der FC Bayern – wie auch andere europäische Top-Klubs – deutlich verstärkt in den Frauenfußball investieren?
Es ist ein zweischneidiges Schwert. Dass viele europäische Top-Klubs in den Frauenfussball investieren, sehe ich durchaus auch mit einem weinenden Auge. Die Schere, welche wir von den Männern kennen, wird so bei den Frauen noch schneller aufgehen, als dies bei den Herren der Fall war. Reine Frauenfussballvereine, davon gibt es in München ja auch einen, oder kleine Klubs wie die SGS Essen, oder der SC Sand, werden es dann halt einfach auch schwerer haben. Und entweder wohl nie wieder Erstliga-Fußball spielen können oder nur noch von Europa träumen.
Was den FC Bayern betrifft, ja klar, das sollte er auf jeden Fall. Man tut dies bei den Männern, um an der europäischen Spitze dran zu bleiben, warum sollte man das auch nicht bei den Frauen? Beide sind Teil der AG. Der Etat der Frauen beläuft sich auf geschätzte 3,5 Millionen. Der von Wolfsburg liegt bei etwa fünf Millionen. Gemessen an den Männern, ist das Taschengeld. Selbst die kolportierten zehn Millionen bei Lyon wirken da noch verhältnismäßig schmal. Und Letztere sind DAS Aushängeschild im Frauenfußball.
Die Frauenabteilung des FCB gibt es (offiziell) seit 1970. Mit der Aufhebung des Verbots für Frauenfussball durch den DFB im gleichen Jahr, waren die FCB-Frauen eine der ersten in Deutschland. Frauenfussball hat also eine lange Tradition beim FC Bayern. Selbst Maria Meissner, die als “Pokalputzerin” späten Ruhm erlangte, ist Teil der Geschichte der FC Bayern Frauen. Nicht zuletzt schreiben wir das Jahr 2020. Der FC Bayern steht für seine Geschichte. Für Offenheit, Gleichberechtigung und Toleranz. Eine erfolgreiche Frauenfussballabteilung würde dem Verein sehr gut zu Gesicht stehen. Insofern gebe ich Christian völlig recht. Aber es scheint mir doch noch ein langer Weg, innerhalb des Vereins, und auch der Fans, zu sein, bis man wirklich ganz oben ankommen kann. Oder will.