ICC: Bayern schlägt Real in flottem Spiel
Bayern München. Real Madrid. Mehr Klassiker geht nicht. Und doch entpuppen sich im Hochsommer in großer Regelmäßigkeit selbst solch namhaften Duelle als absolute Schnarchnummern. Übermüdet nach hartem Training und kurzem Urlaub kommt es selbst unter Champions-League-Viertelfinalisten oftmals zum Querpassduell und Elfmetersiegen im ICC. Das war in der Nacht zum Sonntag anders: Dort zeigten die beiden Giganten dem amerikanischen Publikum, wie temporeich so ein game of soccer eigentlich sein kann.
Falls Ihr es verpasst habt:
Während Zidane seine Madrilenen eigentlich immer im 4-3-3 auf das Feld schickt, tat Kovač ihm dies in diesem Spiel gleich. Real erwischte den deutlich besseren Start und drückte eine etwas überrascht wirkende bayerische Elf in die eigene Hälfte. Hoch pressten sie ihre Gegenspieler, was sogar dazu führte, dass Neuer kurzerhand eine zu Kimmich angedachte Flanke im eigenen Toraus versenkte.
Nach fünf Minuten kämpfte sich Bayern ins Spiel und befreite sich gerade durch Thiago und Boateng aus Pressingsituationen, gleichzeitig presste Real nicht mehr ganz so hoch. Zur ersten Chance der Partie kamen trotzdem die Weißen als in der 11. Minute nach einer Flanke Kimmich im Zweikampf mit Benzema Neuer zur Verhinderung eines Eigentors zwang.
Kurz darauf traf Bayern gleich mit seiner ersten Torchance: Nachdem sie den Gegner laufen ließen, erkannte Müller, wie sich Alaba zwischen Asensio und Carvajal geschlichen hatte und passte perfekt in seinen Lauf. Schließlich fand der Linksverteidiger über Umwege Tolisso, der das Tor erzielte.
Sukzessive fing Bayern an, das Spiel komplett zu kontrollieren, ohne so viel vom Ball zu haben. In ihrer Kompaktheit schienen sie in allen gefährlichen Zonen Überzahl zu haben, was Real oft zu wilden und nutzlosen Schlägen ins Nichts brachte. Manchmal kam auch ein Schuss wie Benzemas in der 25. durch, doch echte Gefahr brachte das nicht.
Echte Torchancen fehlten zu dieser Zeit, auch wenn gerade Thiago mit weit öffnenden Pässen auf Müller und Sanches für Kontersituationen sorgte.
Um die 35. Minute kippte die Kontrolle dann. Den Münchnern gelang es nun nur noch selten, sich gut zu befreien und sie gaben den Ball schnell wieder her. Neuers Parade nach Hazards Distanzschuss in der 38. Minute gab den Schuss endgültig frei zu einer völlig wilden Schlussphase, in der Arp eine Minute später Marcelo denkbar einfach ausdribbelte und den Ball an den Außenpfosten setzte. In der 42. Minute rettete das Glück wiederum die Bayern vor dem Ausgleich, als Benzema knapp an eine scharfe Flanke Asensio nicht mehr herankam.
Nachdem Neuer einen Schuss Modrićs festhalten konnte, gelang es Coman noch nach erfolgreichem Dribbling, Courtois zur Rettung zu zwingen, der daraufhin postwendend Asensio sofort zu einem 2-gegen-4-Konter schickte. Nachdem Martínez den Schuss jedoch blockte, war diese erstaunlich turbulente Schlussphase dann zu Ende.
Zidane wechselte in der zweiten Hälfte kurzerhand seine gesamte Elf aus, während Kovač zwar auch tauschte, das Grundgerüst des Teams jedoch auf dem Feld ließ.
Nachdem er auf die 8 gewechselt und somit auch Druck auf das gegnerische Tor entwickeln konnte, musste Thiago in der 56. Minute eigentlich zwingend 2:0 stellen. Er offenbarte aber wieder einmal, dass seine kleine Statur bei seinen Dribblings zwar extrem hilfreich, im Kopfball aber eher hinderlich ist – die Chance aus fünf Metern Distanz blieb ungenutzt.
Kimmich öffnete in der 60. Minute mit einem sehr guten Pass Tolisso den Weg, der halblinks knapp scheiterte. Kurze Zeit danach musste Pavard als letzter Mann den durchgebrochenen Vinicius Jr. ablaufen und seinen Schuss blocken.
Danach fiel die Entscheidung in der Partie. Zunächst hatte Süle in der 66. Minute den Ball perfekt zu Lewandowski per Chip-Ball boatengt, der den Ball herausragend verarbeitete und reaktionsschnell einnetzte. Drei Minuten später antizipierte der zwischenzeitlich für Thiago gekommene Goretzka einen Fehlpass und servierte in die Mitte zu Gnabry, der gewohnt eiskalt verwertete.
Logischerweise verflachte die Partie daraufhin: In der 75. Minute kam Pavard zu einer guten Flanke, doch Singh verpasste freistehend. In der 81. Minute verhinderte Kimmich, dass die Partie ruhig austrudelt, indem er per totalem Blackout 45 Meter vor dem Tor Rodrygo zum Eins-gegen-eins mit Ulreich einlud. Rodrygo fiel (zweifelhaft), Ulreich musste runter, Rodrygo verwandelte den fälligen Freistoß sehenswert und Real witterte aus dem Nichts Morgenluft. Dennoch kamen sie nicht mehr zu zwingenden Situationen und schlussendlich endete die Partie 3:1.
Dinge, die auffielen:
1. Die Vorzüge eines kompakten echten 4-3-3
Auch wenn der Unterschied zwischen 4-1-4-1 und 4-3-3 oft fließend und meist wenig bedeutend ist, so konnte man hier die Unterschiede doch klar sehen. Selten konnte Kovač eine so kompakte Elf auf den Platz schicken. Es spielte eine Mannschaft ohne Spieler, die das System sprengen. Im Mittelfeld turnte kein Müller rum, der als raumdeutender Dauerrenner überall und nirgends zugleich ist. Da musste sich kein James zur Rolle des Achters zwingen, obwohl er eigentlich viel lieber frei spielen möchte – James ist ein wunderbarer Spieler, doch zeigte dieses Spiel die Vorzüge, wenn echte Achter auf den beiden Positionen spielen können und auch ganz klassische Funktionen dieser Rolle übernehmen.
Der defensive Mittelfeldspieler ist nicht derart isoliert, wie es Thiago noch gegen Arsenal war und bekommt im zweiten Spieldrittel Unterstützung. Offensiv helfen sie den Flügelspielern, was gerade links zu einer sehr kraftvollen Achse führte. Viel dynamischer als Alaba, Sanches und Coman geht es im Bayernkader auch nicht. So müssen die zentralen Mittelfeldspieler auch nicht gleichzeitig dafür verantwortlich sein, das offensive Mittelfeld, die berühmte Zone 14, zu besetzen, wo ansonsten oft tote Hose herrscht, denn:
2. Müller als echte falsche Neun
Das Hinspiel 2017 gegen Real Madrid ist vielleicht so etwas wie Thomas Müllers persönliches Waterloo. Es kam zwar auch danach noch vor, dass er in wichtigen Spielen schlechte Leistungen zeigte – sogar gegen Real selbst war das ein Jahr danach zweifach nochmal der Fall – doch nie in seiner Karriere war er so wirkungslos wie am 12. April 2017. Thomas Müller fand schlichtweg nicht statt an diesem Abend. Und das nicht, weil er etwa besonders schlecht spielte, sondern weil er nie eine Chance bekam. In Ermangelung eines echten Back-Ups zwang Ancelotti Müller, Lewandowski zu emulieren. Er sollte nicht etwa spielen wie Thomas Müller, er sollte spielen wie Lewandowski. Tatsächlich spielte er wie ein Geist.
Wieso ich diese mittlerweile über zwei Jahre alte Kamelle auspacke? Weil dieses Testspiel perfekt zeigt, wie es eigentlich dazu kam, dass Ancelotti keinen Back-Up für Lewandowski an jenem Abend hatte. Weil sein Vorgänger keinen brauchte. Denn Pep Guardiola hatte Müller (und ja, er hatte auch Götze). Und er wusste, bevor er Ersatzstürmer Pizarro im Fall der Fälle bringt, stellt er Müller nach vorne und spielt anders.
In Houston wehte in der Nacht der Wind Guardiolas, speziell der Wind seines ersten Jahres. Nicht nur Kovačs 4-3-3 erinnerte frappierend an Guardiolas 4-1-4-1 aus der Saison 2013/14, auch Thomas Müller tat es, der in der Zeit oft den Vorzug vor Mandžukić erhielt. Kovač ließ wie Guardiola Müller als Müller spielen. Er hielt nicht stumpf die Position des Mittelstürmers, er ließ sich fallen, rannte mal nach rechts,, mal nach links. Kurz: Müller spielte so wie immer und das als Mittelstürmer! So wie er es mit Lewandowski tut – nur ohne!
Auch seine Mitspieler wussten, dass Lewandowski nicht spielt und Müller ihn nicht kopiert und so gab es gerade in der ersten Hälfte für ein Bayernspiel erstaunlich wenig Flanken. Ein paar gab es noch, aber das Konzept durchtanken und blind flanken wurde nur selten abgefragt.
Bestes Beispiel für Müllers Leistung ist das 1:0: Coman hatte den Ball und Müller erkannte den Raum, ließ sich fallen, seine Gegenspieler verfolgten ihn, Alaba stoß in die Lücke und obwohl er Mittelstürmer ist, geriet Müller in eine Situation, die eigentlich Zehner haben und bereitete damit entscheidend das Tor vor. Auch ohne Scorerpunkt ist das 1:0 zuallererst Müllers Tor.
Dass Thomas Müller keinen Mittelstürmer spielen kann, ist eine Mär. Man muss Müller nur Müller sein lassen.
3. Prime-Boateng?
Nicht nur die Formation und der Müller ließen den Wind Guardiolas durch Houston wehen, auch die Innenverteidigung tat es. Der offensichtliche Teil ist hierbei natürlich ein Innenverteidigerpaar, das 2016 noch allererste Wahl war. Aber wirklichen geweht hat der Wind nicht wegen der Aufstellung, sondern wegen der Leistung. Nachdem ihn viele und offenbar selbst der Verein bereits abgeschrieben hatten, überraschte Boateng, indem er so austrainiert wie seit drei Jahren nicht mehr aus dem Urlaub zurückkehrte. Und das merkt man auch auf dem Platz. Auch wenn Boateng andere Fähigkeiten besitzt, seine absolute Topklasse holt er sich über seine Athletik. Es erscheint nicht zufällig, dass mit dem Verlust eben dieser auch seine Reaktionen und gar seine Passfähigkeiten abnahmen. Gerade in Reals wilder Anfangsphase gab es einen bestimmten Moment, wo der Ball im rechten defensiven Halbraum bereits verloren schien, er aber derart schnell beschleunigte, dass er vor dem Madrilenen noch an den Ball kam. In den letzten zwei Jahren erschien so eine Situation kaum vorstellbar. Sei es ob der Reaktions- oder der Handlungsgeschwindigkeit.
Nicht nur in diesem Bereich erinnerte Boateng an seine besten Zeiten, auch im eigenen Ballbesitz. In der ersten Hälfte war er mit Thiago Bayerns bester Aufbauspieler und suchte auch den schwierigen, aber wertvollen Pass durch die Mitte. Am plakativsten ist das Beispiel in der 76. Minute als er fast perfekt Reals ganze Mannschaft überspielte und auf Lewandowski spielte. Leider rannte dieser einen Tick zu früh los.
Boateng ist nach Amerika mit dem Status gereist, die Nr. 5 in der Innenverteidigung zu sein. Seine Leistung und Fitness sollten sein Standing erhöht haben. Pläne mögen das eine sein, wichtig ist am Ende die Leistung. Kovač dürfte höchst zufrieden sein mit Jérôme Boateng. Schließlich darf bezweifelt werden, ob es geplant war, ihm in diesen zwei Spielen 135 Minuten Spielzeit zu geben. Auch wenn der Trainer mit dem Entschluss zu Boateng zu stehen im letzten Sommer vielleicht die falsche Entscheidung traf und dem Verein so Millionen an Ablöse kostete, sollte der Verein in diesem Sommer erneut auf seinen Trainer hören und nicht gegen einen eventuellen Wunsch entscheiden.
4. Neuer wird wieder Neuer
Manuel Neuer spielte insgesamt eine absolut akzeptable Rückrunde. Mit Ausnahme des Liverpool-Rückspiels gab es keine bedeutenden Fehler und insbesondere im Pokalfinale setzte er nochmal eine absolute Duftmarke. Es scheint, dass er an diese Leistung anknüpft.
Nun gab es keine absolute Weltklasseparade, die millionenfach auf Twitter geklickt wird und er hat auch nicht per Cruyff-Turn Eden Hazard auf die Matte geschickt, aber es sind die kleinen Dinge, bei denen man nach der letzten Saison die Verbesserung sieht. Wenn der Gegner heranstürmt, strahlt Neuer wieder Sicherheit aus. Als nach Bayerns Führung Real zwar zugegebenerweise recht planlos angriff, verpufften diese Situationen in Neuers absolut sicheren Armen. Wo er letztes Jahr vielleicht den Ball erst im Nachfassen hatte, hält er nun Modrićs Schuss aus dem Strafraum (43.) scheinbar spielend leicht fest. Und von diesen Aktionen gab es gleich mehrere.
Man hatte den Eindruck: Um an Neuer vorbeizukommen, braucht es schon Außergewöhnliches. Also genau das Gefühl, dass man bei Neuer bis auf letzte Saison immer hatte. Ein sehr gutes Gefühl.
5. Kimmich bleibt auf der Sechs Sorgenkind
Auch wenn er sich dort sieht, gibt es viele Beobachter, die ganz ähnlich zu seinem Pendant auf der linken Abwehrseite Kimmich am liebsten rechts in der Kette sehen und seine Mittelfeldambitionen mit Argwohn betrachten. Schuld daran sind nicht nur seine brillanten Leistungen als Rechtsverteidiger, sondern ein Stück weit auch seine schwächeren im Mittelfeld. Während er sich unter Löw in der Nationalelf dort mittlerweile festgespielt hat, begeht er bei Bayern erstaunlich viele Fehler. So auch gegen Madrid: Er bereitete zwar Tolissos Möglichkeit in der 60. Minute gut vor, leistete sich aber auch Unkonzentriertheiten, wo er den Ball regelrecht in die Füße Madrids spielte. Gerade gegenüber Thiago auf der identischen Position in der ersten Hälfte fällt er da schlicht ab.
Und dann gibt es da natürlich noch den Platzverweis. Ja, die Entscheidung selbst mag falsch sein und ein eventueller VAR hätte das ganze vielleicht bereinigt, aber auf gar keinen Fall darf es zu so einer Situation überhaupt kommen. Er musste wissen, wo sich seine Innenverteidigerkollegen befanden und selbst mit Manuel Neuer im Tor darf bezweifelt werden, dass dieser den Ball hätte erlaufen können. So spielte er fahrlässig den Ball in die Füße des Gegners und machte ein eigentlich bereits gewonnenes Spiel unnötig nochmal spannend. Das war nur ein Testspiel, wo viele Faktoren eine Rolle spielen, aber in einem Pflichtspiel hätte er mit dieser Aktion die Geschichte nochmal wirklich kippen können. Fehler gehören zu jedem Spiel, auch zum Spiel von Sechsern, aber gerade einem Ankersechser, Kimmichs erwünschte Position, dürfen derartige Fehler einfach nicht passieren.