Ajax punktet gegen ratlose Bayern
Kovač wusste einerseits um die Wichtigkeit der Partie, andererseits um die Stärke des Gegners und baute deshalb etwas um – personell und taktisch.
Falls Ihr es verpasst habt:
Martínez rückte wieder in die Startelf.
Der Baske startete auf der Sechs neben Thiago, der mehr Freiheiten nach vorne bekam, aber seinen Kollegen im Aufbauspiel entlasten sollte. Außerdem war Hummels zurück.
Ajax musste auf Mittelfeldstratege de Jong verzichten, konnte aber trotzdem eine starke erste Elf aufbieten, die den Münchnern von Beginn an das Leben schwer machen sollte. Erik ten Haag hatte offensichtlich die letzten Spiele der Bayern genau analysiert.
Zu Beginn sah trotzdem alles danach aus, als wäre der Deutsche Meister zurück in alter Form. Ein früher Hummels-Treffer stellte die Weichen für einen tollen Champions-League-Abend (2.).
Doch je länger die erste Halbzeit dauerte, umso mutiger und aggressiver wurden die Gäste. Bayern verlor zunehmend die Kontrolle und sah am Ende aus wie der Außenseiter, während Ajax die Roten nach Belieben dominierte und das Pressing der Bayern ein ums andere Mal aushebelte.
Auch im zweiten Durchgang kamen die Münchner zunächst nicht mehr ins Spiel. Ajax erarbeitete sich zwei Großchancen, ließ sie jedoch aus. Bayern fehlte jegliche Sicherheit.
Kovač probierte nach rund einer Stunde, etwas zu verändern, indem er James Rodríguez für Robben brachte. Bayern kämpfte und arbeitete, hatte aber keine wirkliche Idee, wie es gegen Ajax klappen könnte. Kovač wechselte in der 74. Minute Gnabry für den wirkungslosen Ribéry ein.
Die Bayern hatten nun zwar oft den Ball, doch sie scheiterten stets daran, große Chancen herauszuspielen. Der Torschuss von James Rodríguez in der 76. Minute war die erste Möglichkeit seit der Anfangsphase des gesamten Spiels. Dafür aber eine sehr gute, in der sich Gnabry und der Kolumbianer gut durchsetzten.
Doch es blieb die einzige Großchance eines tristen Auftritts. Ajax hätte kurz vor dem Ende sogar beinahe das Siegtor geschossen, als Neuer einen Freistoß an die Latte lenkte. Es wäre nicht unverdient gewesen. Für die Bayern wird es jetzt so richtig unangenehm.
Dinge, die auffielen:
1. Kovač auf der Suche nach Balance
Nicht zuletzt in Berlin musste Niko Kovač erleben, wie seine Bayern im Mittelfeld nicht den erwünschten Zugriff bekamen. Im Spielaufbau ging es gegen stark mannorientierte Niederländer entweder direkt auf die Außen oder zum Gegner.
Mit Javi Martínez wollte Kovač für mehr Stabilität sorgen. In der Anfangsphase sah es noch so aus, als würde das durchaus Sinn ergeben. Der Baske gewann viele Zweikämpfe und fing einige Gegenstöße der Gäste früh ab. Doch nach 10 Minuten entwickelte sich die Rolle des 30-Jährigen eher zum Nachteil. Thiago war weiterhin bemüht, aus der Tiefe das Spiel zu machen, hatte in der Tiefe aber keine Anspielstationen mehr. Martínez stand ebenfalls tief und Müller war als einziger Achter relativ einfach zu verteidigen.
In Spielen, in denen es einen spielstarken Ankerspieler braucht, ist Martínez schlicht nicht zu gebrauchen. Das wirft auch Fragen für die Zukunft auf. Allein schon deshalb, weil Bayern dort fast immer kreative Lösungen braucht und Martínez somit generell in Frage gestellt werden muss, weil seine Stärken auf dieser Position bisher kaum gebraucht wurden. Gegen Ajax war er anwesend, aber dezimierte mit der Sinnlosigkeit seiner Rolle eher die eigene Mannschaft als zu helfen. Dieser Vorwurf gilt aber nicht ihm, sondern Niko Kovač.
Thiago schien in den letzten Wochen die perfekte Allround-Option zu sein. Danach wird es im Kader nicht zuletzt deshalb problematisch, weil Rudy verkauft wurde. Kovač hat die klare Aufgabe, den Spielaufbau zu stärken und die Halbräume wieder besser zu besetzen. Entweder durch einrückende Außenverteidiger oder allgemein tiefere Achter. Jedenfalls ist es derzeit zu einfach, Bayerns Spiel mit Mannorientierungen im Zentrum zu zerstören.
Dadurch, dass Thiago sich dazu gezwungen sah, den Spielaufbau zu verstärken, fehlte auch die Unterstützung für die Außenspieler in den Halbräumen. Rechts war die durch Müller oft noch gegeben, aber links waren Alaba und Ribéry nicht mehr eingebunden. Ribéry und Robben sind einfach nicht mehr die Eins-gegen-Eins-Spieler von früher. Sie sind allenfalls noch sehr gute Kombinationsspieler. Dafür brauchen sie aber Dreiecke.
Egal wie Kovač umstellt, im Moment scheint alles irgendwelche Probleme zu verursachen. Es ist seine Aufgabe, Balance ins Team zu bekommen. Offensive Durchschlagskraft und defensive Stabilität sind derzeit jeweils nicht gegeben. Das muss sich schnell ändern.
2. Chapeau, Ajax!
Oft sprechen wir über die Schwächen der Bayern. Der Gegner kommt dabei nicht selten zu kurz. In niederländischer Tradition suchte Ajax früh den Weg nach vorn und ließ sich von einer schwierigen Anfangsphase nicht beeindrucken. Nach spätestens 20 Minuten waren sie das dominante Team.
Das bayrische Pressing überspielten sie mit klugen Dreiecken und viel Ruhe am Ball. Bayern lief dadurch oft ins Leere und Ajax hatte plötzlich die Chance, mit Tempo auf die Verteidigung des Gegners zu laufen. Auch wenn dort nicht immer die besten Entscheidungen getroffen wurden, erspielten sie sich viele gute Ausgangspositionen.
Will man gegen den FC Bayern etwas mitnehmen, muss man mit Mut und spielerischer Klasse agieren. Beides hatte Ajax an diesem Abend. Darüber hinaus wussten sie mit einem Spielaufbau zu überzeugen, von dem der FCB im Moment träumt.
3. Ratlosigkeit
Bei allem Respekt vor Ajax ist es höchst fragwürdig, wo das Selbstverständnis des FC Bayern in nur so kurzer Zeit hin ist. Konnte man gegen Augsburg und Hertha noch von Kleinigkeiten sprechen, waren es hier Welten, die den fünfmaligen Champions-League-Sieger von seiner Normalform trennten.
Die Ratlosigkeit der Spieler, die vergeblichen Coachingversuche von Niko Kovač und die vielen individuellen Fehler sind eine fürchterliche Ausgangsposition für die kommenden Wochen. Vergebene Chancen und vereinzelte Fehler waren in der letzten Woche berechtigte Ausreden. Spätestens jetzt zählen die nicht mehr.
Bayern erarbeitete sich kaum klare Chancen, war ständig einen Schritt zu spät, zeigte ein beinahe völlig wirkungsloses Pressing und verlor somit die Kontrolle in einem Spiel, das sie maximal fünf Minuten kontrollierten. Aus der Detailarbeit wird plötzlich die erste große Herausforderung für Niko Kovač.
4. Faktor Zeit
Zeit ist in München ein hohes Gut. Verliert man ein Spiel, ist die Kritik lauter als in anderen Städten Europas. Folgt darauf auch noch eine extrem dürftige Leistung wie an diesem Abend, wird alles in Frage gestellt.
Zumindest intern sollte man damit aber vorsichtig sein. Kovač hat bisher die Probleme immer sehr genau angesprochen. Es wird Redebedarf geben. Schwache Einzelleistungen müssen dabei ebenso Thema sein wie das gesamte taktische Gebilde. Kovač wird auch eigene Entscheidungen der vergangenen Tage reflektieren müssen.
Doch es darf nicht vergessen werden, dass der Trainer immer noch neu ist. Neues braucht häufig Zeit. Diese Zeit sollte Kovač gegeben werden, um Fehlentwicklungen früh entgegenzuwirken. Seine selbstreflektierende Art und die Tatsache, dass er überhaupt Dinge verändert, um Probleme zu beheben, bleiben als positive Erkenntnis stehen. Bisher fand er aber nicht das passende Werkzeug, um die Baustelle Mittelfeld zu schließen. Und warum er das ganze Spiel lang an Martínez festhielt, obwohl der eine weitere Option in höheren Zonen verhinderte, bleibt sein Geheimnis.
Noch ist Zeit, um aus diesen Fehlern zu lernen. Dieses hohe Gut Zeit, das in München sehr knapp ist. Doch die Anfangsphase der Saison hat Kovač einen Vertrauensvorschuss gegeben, der ihm jetzt helfen sollte, die Probleme anzugehen. Möglichst schnell.