Vorschau: FC Bayern München – Bayer 04 Leverkusen
Der FC Bayern hätte sich gewünscht, dass sich Hansi Flick an die intern getroffene Absprache halten würde, das Thema erst nach dem Mainz-Spiel an die Öffentlichkeit zu bringen. Dann haben die Münchner nämlich erstmals seit langer Zeit zwei Wochen Ruhe. Keine Länderspiele, keine Belastung, einfach nur Training. Stattdessen hatte sich Flick am vergangenen Wochenende in Wolfsburg bereits dazu entschieden, das zu sagen, was alle schon seit vielen Tagen wussten: Er bittet den Klub um Freigabe.
Droht er deshalb jetzt in den letzten fünf Partien zur Lame Duck zu werden und droht so die Meisterschaft nochmal spannend zu werden? Wohl eher nicht. Der Großteil der Mannschaft steht hinter ihrem Coach, die gemeinsamen Erfolge haben sie zusammengeschweißt. Kaum vorstellbar, dass da in den letzten Wochen nochmal etwas anbrennt.
Leverkusen und Gladbach sind auf dem Papier die letzten größeren Stolpersteine. Aber selbst wenn die Münchner ungewohnt viele Punkte liegen ließen, müsste RaBa Leipzig erstmal Gegner wie Dortmund, Wolfsburg und Union besiegen. Spannung herbeizuschreiben, wäre also eher ein Akt der Kunst.
Leverkusens Abkehr vom Ballbesitz?!
Und doch, nur aus reiner Vorsicht, sollten die Bayern ihren Gegner am Dienstagabend nicht auf die leichte Schulter nehmen. Seit dem Trainerwechsel von Peter Bosz zu Hannes Wolf hat die Werkself sieben Punkte aus drei Spielen geholt. Allerdings auch nur gegen Schalke (18.), Köln (17.) und Hoffenheim (12.).
Taktisch hat Wolf nicht viel verändert, höchstens ein bisschen angepasst. Am deutlichsten zu erkennen ist, dass er nicht so viel Wert darauf legt, den Gegner mit Ballbesitzphasen zu kontrollieren. Die mitunter langen Ballzirkulationen ohne großen Raumgewinn unter Peter Bosz gehören anscheinend der Vergangenheit an. Mit durchschnittlich 58,6 % Ballbesitz ist Leverkusen das Team mit dem höchsten Wert in der Bundesliga. Gegen Schalke (64,2 %) war der Anteil mit dem Ball noch sehr groß. Schon gegen Hoffenheim waren es nur noch 54,4 % und gegen Köln(!) sogar nur 42,9 %.
Wolf setzt offensichtlich auf die offensiven Umschaltmomente, die sich aus dem eigenen Pressing und Gegenpressing heraus ergeben. Anders als unter Vorgänger Bosz versucht Leverkusen aber nicht, den Gegner durch Dauerdruck zu Fehlern zu zwingen. Aus einer nun tieferen 4-4-2-Formation heraus ist es wohl das Ansinnen des Trainers, die Defensive zu stabilisieren und bei Ballgewinnen schnell nach vorn zu spielen. Nach erst drei Spielen fiel das zumindest auf.
Das Pressing ist nicht lückenlos
Ein wiederkehrendes Muster in der Arbeit gegen den Ball ist die unterschiedliche Breite der beiden Viererketten. In der Abwehr steht Leverkusen bisher horizontal sehr eng, im Mittelfeld sind die vier Spieler etwas breiter aufgestellt. Vermutlich sollen damit die Schnittstellen besser verteidigt werden. Vorn laufen in der Regel zwei Stürmer an, sobald der Gegner aber auf die Flügel eröffnet, rückt der ballnahe Außenspieler der Mittelfeldkette nach vorn. So entsteht ein asymmetrisches 4-3-3.
Leverkusen will damit gleichzeitig Druck auf den ballführenden Spieler des Gegners ausüben und hinten nicht zu viele Räume öffnen, falls der Gegner sich doch mal durchkombiniert. Zwischen diesen beiden Stühlen verliert sich die Werkself gern mal in der Suche nach dem richtigen Kompromiss. Schalke und Köln, die beiden Mannschaften aus dem Tabellenkeller, gelang es nicht, diese Momente ausreichend zu provozieren. Hoffenheim war schon eher in der Lage dazu.
Bisher hat das Wolf’sche Pressing zwei entscheidende Schwachstellen: Durch die ungünstige Positionierung der Stürmer, die meist auf einer Höhe anlaufen, ergeben sich für den eröffnenden Ballbesitzer Passwinkel zwischen die Linien Leverkusens. Zugleich gelingt es den Mittelfeldspielern zu selten, dahinter konsequent nachzuschieben. Sobald der Ball in den Zwischenraum gespielt wird, merkt man ihnen den Konflikt an: Entweder aggressiv herausschieben, oder nach hinten absichern. Mit Joshua Kimmich und dem eventuell zurückkehrenden Leon Goretzka – wenn auch womöglich von der Bank – haben die Bayern hier im doppelten Sinn ein Heimspiel, sollte Leverkusen die Lücken nicht besser geschlossen bekommen. Mit einem halbgaren Pressing, wird Wolf wohl eher keinen Erfolg in München haben.
Der zweite Aspekt ist die Flügelverteidigung. Sowohl ballfern als auch ballnah hat Leverkusen es in den drei Spielen unter Wolf nicht konsequent genug geschafft, die vertikalen Abstände ausreichend klein zu halten. Hinter dem ballnah aufrückenden Außenspieler der Mittelfeldkette dauert es oft einen Tick zu lange, bis der Außenverteidiger nachrückt und die drei restlichen Mittelfeldspieler die entstehende Lücke zuschieben. Auch hier sind die Bayern mit Thomas Müller sowie den Flügelspielern gut gewappnet, um Kapital daraus zu schlagen.
Bayern muss gegen den eigenen Spannungsabfall anspielen
Leverkusen ist einigermaßen weit von der Form entfernt, die sie noch im Hinspiel hatten. Trotzdem steht außer Frage, dass sie in guten Tagen eine Top-Mannschaft in Deutschland sind. Nicht nur ihr Tempo in der Offensive, sondern auch die technische Qualität der Einzelspieler ist auf einem sehr hohen Niveau. Allein zeigen konnten sie es in den letzten Monaten zu selten. Auch unter Wolf sieht das spielerisch mitunter recht mäßig aus.
Es fehlen mit dem Ball nach wie vor die Lösungen, einzelne Spieler sind zu lange am Ball und sind so von Gegnern leichter unter Druck zu setzen. Gerade das Mittelfeldzentrum ist im Freilaufverhalten nicht immer sauber genug. Leverkusen fehlen beispielsweise nach der Eröffnung auf die Außenspieler zu häufig Anspieloptionen im Zentrum. Ein möglicher Ansatz für die Bayern ist es also am Dienstagabend, den Gegner dort besonders aggressiv zu pressen.
Allerdings müssen die Münchner aufpassen, dass sie nicht von langen Bällen überrumpelt werden. Gegen Hoffenheim schaffte es Leverkusen immer mal wieder, durch dieses Stilmittel zu entlasten und entweder selbst gefährlich zu werden, oder gute Gegenpressingmomente zu erzeugen.
Alle(s) für Lewy?
Im Prinzip spielen die Bayern in den kommenden Wochen nur noch gegen den eigenen Spannungsabfall. Aber das kennen sie ja aus vielen Jahren zuvor. Außerdem gibt es noch ein weiteres großes Ziel neben der neunten Meisterschaft in Serie: Robert Lewandowskis Angriff auf den Gerd-Müller-Rekord.
Vorstellbar, dass das nicht nur den vielleicht gegen Mainz zurückkehrenden Weltfußballer besonders motiviert, sondern auch seine Kollegen. Ab dem Zeitpunkt, wo die Bayern Siege sicher haben oder gar die Meisterschaft, könnte es passieren, dass die Münchner ihr Spiel noch stärker auf Abschlüsse von Lewandowski ausrichten.
Gegen Leverkusen fällt der Pole noch aus. Sollte er in Mainz wieder spielen können, bleiben ihm vier Partien für fünf Tore. Dann wäre er auf einer Stufe mit Müller. Gelingen ihm gar sechs Treffer, wäre er alleiniger Rekordhalter. Es gibt viele Unbekannten in dieser Geschichte: Wie fit wird er zurückkehren? Wie sehr hat seine Form gelitten? Womöglich hätte er den Rekord schon gebrochen, wenn ihn die Verletzung nicht gestoppt hätte. Doch das bleibt Konjunktiv. Verloren ist in dieser Sache noch nichts. Erstmal aber geht es für die Bayern darum, Leverkusen im eigenen Stadion zu schlagen und damit in unruhigen Zeiten zumindest in einer Sache endgültig Ruhe reinzubringen: im Meisterschaftskampf.