Vorschau: Zweiter Matchball gegen Gladbach

Justin Trenner 07.05.2021

Die Situation ist klar: Gewinnen die Bayern, sind sie sowieso Meister. Vielleicht aber ist ihr Ergebnis auch vollkommen egal. Denn ihr Abendspiel folgt auf die Partie der Leipziger in Dortmund. Gewinnt der BVB, sind die Münchner bereits Meister. Spielen sie Unentschieden, gibt es nur bei einer Bayern-Niederlage noch rechnerische, aber sehr unwahrscheinliche Chancen für Leipzig.

„Wir wollen möglichst zügig die Meisterschaft klarmachen“, erklärte Müller am Mittwoch gegenüber den Vereinsmedien. Man habe sich in den zwei Wochen ohne Spiel wieder den Hunger geholt, den es für die anstehenden drei Spiele brauchen werde. Doch der Angreifer weiß auch: „In den letzten Jahren haben wir uns nie leicht getan gegen Gladbach. Es waren immer enge Spiele, und auch mal eine Niederlage dabei. Dementsprechend wissen wir, was auf uns zukommt.“

Und tatsächlich: Aus den letzten fünf direkten Aufeinandertreffen holten die Gladbacher drei Siege, Bayern gewann zwei. Auch die Heimbilanz der Münchner ist keinesfalls überragend. Die Borussia konnte bei ihren letzten 10 Auftritten in der Allianz Arena immerhin drei Siege und zwei Unentschieden holen. Alles angerichtet also für ein weiteres enges Duell?

Gladbach: Krise überwunden?

Für Gladbach ist die Saison keine einfache. Nachdem das Trainerteam um Marco Rose für die Erfolge der letzten Saison lange gefeiert wurde, stieß man in dieser Spielzeit schnell an Grenzen. Noch weit bevor der Wechsel von Rose nach Dortmund bekannt wurde, taten sich die Gladbacher schwer, ihre beste Form zu finden. In der Hinrunde gab es inmitten englischer Wochen eine Serie von sechs Pflichtspielen ohne Sieg.

Nach einer Phase der Stabilisierung folgte jedoch das öffentliche Drama rund um den Trainer. Die 1:2-Niederlage gegen Köln und das 0:0 in Wolfsburg gab es noch vor der Bekanntmachung des Wechsels, dann aber folgten sieben Niederlagen in Serie. Neun Spiele ohne Sieg führten dazu, dass sogar ein vorzeitiges Ende der Zusammenarbeit diskutiert wurde. Doch es kam nicht dazu.

Letztendlich ist es auch wichtig, die Dinge entsprechend einzuordnen. Gladbach verlor zwar viele Spiele, war aber nicht in jedem schlecht und in manchen sogar spielbestimmend. Auch Max Eberl stellte sich immer wieder vor das Trainerteam, weil er wusste: Die Mannschaft haben sie noch nicht verloren.

Fokus auf das Zentrum

Was Gladbach aber definitiv verloren hat, ist die Leichtigkeit im Spiel. Rose steht für einen sehr dynamischen, intensiven und aktiven Fußball. Für die Umsetzung ist es wichtig, dass die Spieler bereit sind, nicht nur viele, sondern auch viele kluge Sprints zu absolvieren. Der Fokus liegt stets darauf, den Gegner so unter Druck zu setzen, dass die Bälle möglichst weit in der gegnerischen Hälfte gewonnen und verarbeitet werden können.

Und auch mit dem Ball steht Tempo im Vordergrund. Gladbach macht das Spiel in der Regel in Ballbesitz enger als viele andere Teams und versucht, die Flügel in den meisten Spielphasen nur einfach zu besetzen, um in den Halbräumen und im Zentrum viele Spieler in gute Positionen bringen zu können. Es geht weniger darum, den Ball lange laufen zu lassen, sondern vielmehr darum, den Gegner auch während der Ballzirkulation ständig unter Stress zu setzen. Die vergleichsweise enge Positionierung soll dabei helfen, bei Ballverlusten direkt ins Gegenpressing zu kommen. Mit nur 9,68 Flanken pro Spiel schlägt die Borussia die fünftwenigsten in der Liga – auch das ein Beleg dafür, dass ihr Spiel nicht sehr flügellastig ist.

Rund 2600 Meter legen die Gladbacher mit Pässen pro Spiel vertikal in der Bundesliga zurück (Platz 7), wobei vertikal hier alles meint, was den Ball auch nur einen Meter nach vorn bewegt. Immer wieder versuchen sie, durch Pässe zwischen die Linien des Gegners Drucksituationen zu erzeugen und den Gegner zu schnellen Entscheidungen und damit einhergehend zu Fehlern zu zwingen.

Weniger Intensität = schlechtere Ergebnisse?

In der letzten Saison gelang es den Gladbachern gut, diese Intensität in nahezu jedem Bundesliga-Spiel auf den Platz zu bringen. Im Vergleich zur aktuellen Spielzeit gibt es aber einige Unterschiede, die sich auch statistisch äußern: 1,66 Expected Goals pro 90 Minuten sind ein Rückgang von rund 0,3. Das lässt sich nicht nur dadurch erklären, dass sie im Schnitt einen Schuss weniger pro Spiel haben als in der vergangenen Saison (13 statt 14), sondern vor allem dadurch, dass sie seltener in gute Gegenpressingsituationen kommen.

In der letzten Saison kam die Borussia pro Spiel auf 41 Drucksituationen im Angriffs-, 77,1 im Mittelfeld- und 49,6 im Abwehrdrittel – Platz 5, 10 und Platz 13. Jetzt sind es nur noch 32,8 im Angriffs, 64,1 im Mittelfeld- und 39,7 im Abwehrdrittel – Platz 14, 14 und 15. Der Rückgang von 167,7 Drucksituationen pro Partie (Platz 11) auf 136,5 (Platz 17) ist im Kontext der gesamten Bundesliga normal. Nur wenige Teams konnten ihr Niveau halten oder gar verbessern. Aber bei den Gladbachern zeigt sich die fehlende Intensität deutlicher in den Ergebnissen als bei vielen Konkurrenten.

Weniger intensive Läufe, weniger Druck auf den Ball, weniger Torchancen durch hohe Ballgewinne und so mehr Druck auf der eigenen Mannschaft – so die stark vereinfachte Rechnung. Die Ursachenforschung dürfte schwierig sein. Wie viele andere Teams auch hatte Gladbach mit einem sehr engen Spielplan zu kämpfen. Im Pokal und in der Champions League waren sie diesmal länger dabei als im Vorjahr in Pokal und Europa League. Hinzu kommt, dass man mit einigen Ausfallzeiten nicht adäquat umgehen konnte, weil der Kader dem Pensum anscheinend nicht immer gewachsen war.

Nimmt Gladbach etwas Zählbares mit?

In den letzten Wochen haben sich die Gladbacher aber eindrucksvoll zurückgearbeitet. Aus den letzten sechs Partien holten sie vier Siege, ein Unentschieden und verloren nur einmal. Vor allem haben sie sich aber fußballerisch wieder etwas stabilisiert, wirken zielstrebiger im Spiel nach vorn und die Ballsicherheit scheint wieder da zu sein. Mitunter wirkte es während der langen Ergebniskrise so, als wäre die Mannschaft komplett verunsichert gewesen. Ungewöhnlich viele lange Bälle, viel zu wenige Ballbesitzphasen und ein Pressing, das seine Wirkung schnell verlor, wenn Mannschaften wie Manchester City oder auch Leipzig es umspielten und Gladbach somit sukzessive hinten reindrückten. Dass die Entscheidung von Rose und der ganze Zirkus drumherum einen Beitrag dazu geleistet haben, steht außer Frage. Aber zur Realität gehört auch dazu, dass sich bereits vorher angedeutet hatte, dass die Mannschaft nicht an ihrem Optimum spielt. Insofern kam die Unruhe dann noch on top. Sie war das Öl, das das kleine Flämmchen zum großen Feuer machte.

Die Verunsicherung der Spieler durch die vielen Rückschläge machte die Aufgabe für das Trainerteam noch schwerer. Vor dem Duell mit den Bayern machte Rose deshalb klar: Es werde auch darum gehen, den Gegner mit eigenen Ballbesitzphasen zu nerven. Dafür braucht es Sicherheit und Mut. Das Hinspiel soll dabei eine Lehre sein. Rund 20-25 Minuten agierten die Gladbacher viel zu passiv und ließen Bayern kombinieren. Dann fanden sie plötzlich Zugriff und den Mut, auch selbst den Ball zu halten und die Münchner hinterherlaufen zu lassen.

Die vergangenen drei Duelle zwischen Rose und den Bayern haben gezeigt, dass es oft Nuancen sind, die den Spielverlauf beeinflussen können. Beim ersten Sieg änderte das Trainerteam die Formation von einer Raute auf eine andere 4-4-2-Variation, um andere Anlaufwinkel und den damals stark aufspielenden Rechtsverteidiger Joshua Kimmich besser in den Griff zu bekommen. Auch im letzten Duell gab es kleine taktische Anpassungen, von denen die Borussia in der Phase vor der Pause profitiert hatte.

Beeinflusst das Leipzig-Ergebnis die Partie?

Bayern muss sich dementsprechend darauf einstellen, dass Gladbach mehrere Pläne mit nach München bringt, um den Spielaufbau zu stören. Der Fokus wird wahrscheinlich wieder darauf liegen, Kimmich und dessen Anschlussoptionen möglichst oft aus dem Spiel zu nehmen. Insofern wäre die Raute wohl wieder ein entsprechendes Mittel, weil sie im Zentrum die nötige Kompaktheit mitbringt. Doch Gladbach hat zuletzt auch schon häufig mit einer Dreier- beziehungsweise Fünferkette gespielt. In Leipzig nutzten sie beispielsweise Lazaro als einrückenden Flügelverteidiger in Ballbesitz, um das Zentrum zu verstärken.

Was sich das Trainerteam der Fohlen auch einfallen lässt: Es steht ein intensives Spiel bevor. Beide Mannschaften leben von ihrer hohen Laufbereitschaft, ihrem (Gegen-)Pressing und einem direkten Spiel in die Spitze. Die Frage wird vor allem sein, wie nah die Gladbacher an ihre bestmögliche Form kommen. Wenn sie die nötige Ballsicherheit und den Druck auf den Ball beim Herausschieben mitbringen, sind sie durchaus in der Lage, ihren zuletzt wieder positiven Trend fortzuführen. Bleiben sie aber zu passiv, droht die Auswärtsfahrt nach München eine schmerzhafte zu werden.

Sicher werden die Ergebnisse vom Nachmittag Einfluss nehmen auf das Top-Spiel am frühen Abend. Lässt Leipzig in Dortmund Punkte liegen, sind die Bayern so gut wie durch. Vielleicht wird dann auch die Einstellung auf dem Platz eine andere sein. In Gladbach jedenfalls wird man zumindest ein bisschen darauf hoffen, dass die Bayern schon vor dem Anstoß Deutscher Meister sind.