Vorschau: Supercup der guten Hoffnung

Justin Trenner 16.08.2021

Der Stellenwert des DFL-Supercups ist insbesondere bei vielen Bayern-Fans gering. Das liegt nicht nur daran, dass der Zeitpunkt so früh in der Saison dazu führt, dass beide Mannschaften allenfalls auf erweitertem Vorbereitungslevel antreten können. Es gibt auch Anhänger:innen, die in diesem Spiel das „zu viel“ im durchkommerzialisierten Fußball sehen.

Wer allerdings gesehen hat, mit welcher Leidenschaft Bayern und Dortmund beispielsweise beim 3:2-Erfolg der Münchner im letzten Jahr agiert haben, der wird auch die Diskrepanz zwischen der oben dargestellten Sichtweise und jener der Spieler festgestellt haben. Für sie ist es ein Titel und für sie ist es die Möglichkeit, schon früh in der Saison das eigene Selbstbewusstsein zu stärken und vielleicht das des Gegners ein Stück weit anzugreifen.

Und gerade in dieser Saison, wo es in der Vorbereitung für den FC Bayern aus vielerlei Gründen gar nicht lief und vielerorts das alljährliche Munkeln über den Kader und einen möglichen Meister aus Dortmund eingesetzt hat, könnte ein Titelgewinn, zumal der erste unter Julian Nagelsmann, durchaus ein wichtiger Push für den Rekordmeister sein. Andersherum gilt selbiges für die unter Marco Rose gut in die Saison gestarteten Schwarz-Gelben.

Der Gegner

Bedeutungslos geht also anders. Der BVB hat sich am Wochenende gegen teils desolate Frankfurter bereits warmschießen können. Mit 5:2 und vor allem im ersten Durchgang beeindruckenden Tempofußball überrollten sie den Vorjahreskonkurrenten. Dabei war schon vieles von dem zu erkennen, was Rose und sein Trainerteam bei bisher ausnahmslos jeder Station besonders gemacht hat: Ein sehr aktives Freilaufverhalten in Ballbesitz, damit verbunden ständige Positionswechsel, ein diagonaler Stil in der Ballzirkulation und aktives sowie aggressives Gegenpressing.

Die Basis in Dortmund ist gut, um diesen Fußball umsetzen zu können. Ein spielstarkes Mittelfeld hinter einer nahezu einmalig durchschlagskräftigen Offensive – die Frage ist also schon von Natur aus meist nicht, ob Dortmund Tore erzielen kann, sondern viel mehr, ob das allein ausreicht, um auch erfolgreich durch die ganz normalen Tiefen einer Saison zu kommen. Dass man auch mit vielen Gegentreffern Deutscher Meister werden kann, haben die Bayern erst jüngst bewiesen. Ein nachhaltiges Rezept scheint das jedoch nicht zu sein. Schon gar nicht für den BVB.

Und hier wird das Trainerteam vor allem auch ansetzen müssen. Dass Dortmund bereits unter Vorgänger Edin Terzić wieder angefangen hat, aktiver und höher zu pressen, schien dem Team gut zu tun. Da wird das Trainerteam ansetzen. Die ersten Partien sahen dahingehend vielversprechend aus. Gegen Frankfurt verbuchte Dortmund sehr viele hohe Ballgewinne in zentralen Positionen. Bei den meisten der fünf Treffer war gut zu sehen, wie effizient und blitzschnell der BVB umschalten kann.

Stärken

  • Aktives und aggressives (Gegen-)Pressing; immer hoher Druck auf dem Ball
  • Offensive Umschaltmomente
  • Enorme individuelle Qualität in der Offensive
  • Spielstarkes Mittelfeld
  • Können mehrere Grundausrichtungen spielen
  • Erling Haaland ist kaum zu verteidigen
  • Viel Tempo im Passspiel bei gleichzeitig guter Präzision

Schwächen

  • Außenverteidiger-Positionen sind nicht optimal besetzt – Guerreiro fällt zudem noch aus
  • Flügelräume wurden gegen Frankfurt in einigen Szenen insgesamt nicht gut verteidigt – die kompakte Ausrichtung im Zentrum ermöglicht Gegnern hier womöglich Zugriff
  • Dahoud ist ein sehr starker Rautensechser in Ballbesitz, braucht gegen den Ball aber viel Unterstützung, die nicht immer da ist
  • Die neuen Ideen des Trainerteams brauchen noch Zeit, was manchmal zu leichten Abstimmungsproblemen führt

Typische Spielweise

  • Bisher ausschließlich mit Viererkette, aber variabel: 4-2-3-1, 4-3-3 und 4-Raute-2 wechseln auch innerhalb einer Partie
  • Gegen den Ball meist 4-3-3, 4-1-4-1 oder 4-4-2
  • Ständiges Freilaufen und Rotation in den Zwischenräumen, um Gegenspieler aus den Positionen zu ziehen
  • Immer der Versuch, Pässe diagonal zu spielen und nicht horizontal oder vertikal
  • Sehr enges Zentrum – auch mit dem Ball
  • Durch das enge Zentrum lassen sie die gegnerischen Außenverteidiger gegen den Ball häufig offen, um sie dann anzulaufen, wenn der Pass dort hingespielt wird
  • Bei Ballgewinnen wird innerhalb weniger Sekunden und mit wenigen Kontakten in die Spitze gespielt

Was ist im Spiel zu erwarten?

So haben beide im letzten Spiel gespielt

Zum Bundesliga-Auftakt begannen die Bayern in einem 4-3-3. Niklas Süle ersetzte etwas überraschend Tanguy Nianzou und rechts durfte Josip Stanišić ran. Dortmund agierte wie schon im Pokal mit einer Mittelfeldraute, ohne aber zu jedem Zeitpunkt statisch darauf zurückzugreifen. So ergaben sich auch mal 4-3-3- oder 4-4-2-Variationen. Würden beide Teams bei ihrer Startelf bleiben, sähe das in etwa so aus:

Beim BVB wird Thorgan Hazard aber ausfallen. Er könnte durch Neuzugang Donyell Malen ersetzt werden.

Taktische Besonderheiten der Partie

1. Davies und Stanišić als Pressingziele?

In der ersten Phase des Pressings geht es dem BVB darum, das Mittelfeldzentrum kompakt zu halten und den Gegner auf die Flügel zu lenken. Nicht immer laufen die drei Offensivspieler dabei aggressiv an, aber das kann in passenden Situationen schon auch mal das Mittel der Wahl sein. Gerade gegen Bayern, das haben auch die letzten Duelle mit Roses Gladbach gezeigt, wird man versuchen, eine Spieleröffnung auf die Außenverteidiger zu erzwingen.

Ein Grund ist, dass Rose damit gute Erfahrungen gesammelt hat und ein weiterer dürfte der Auftakt des FC Bayern am vergangenen Freitag bei seinem Ex-Klub sein. Auch da haben Alphonso Davies und Stanišić einige Bälle verloren. Davies hatte 113 Ballberührungen und 19 Ballverluste – bei Stanišić waren es 75 Berührungen und 16 Ballverluste. Zur Einordnung: Hier werden Fehlpässe mit einbezogen. Beides sind keine außergewöhnlich hohen Werte, aber sie sind in der Summe dann trotzdem einen Tick zu hoch. Insbesondere dann, wenn Gegentore daraus entstehen wie bei Davies‘ Ballverlust vor dem 0:1 in Gladbach.

Hier wird Dortmund mit seinem Anlaufverhalten ansetzen. Davies ist alles andere als ein Ruhepol im Spielaufbau. Werden seine Verbindungen nach vorn und ins Zentrum gut zugestellt, tendiert er zu gefährlichen Dribblings in die Mitte. Stanišić bringt für sein Alter schon erstaunlich viel Ruhe mit. Andererseits hat er auf hohem Niveau offensichtliche Probleme im technischen Bereich. Seine Stärken liegen vor allem im Defensivbereich. Auch hier wird Dortmund sicher ein paar mal anklopfen und schauen, was er anbietet – sollte er wieder von Anfang an spielen.

2. Das Nagelsmann’sche 2-3-5 gegen den kompakten BVB

Eine Schlüsselfrage wird auch sein, wie und ob die Bayern es diesmal von Anfang an schaffen, ihren Gegner hinten reinzudrücken. Wenn Dortmund merkt, dass mit höherem Pressing wenig zu holen ist, werden sie tiefer auf Ballgewinne lauern. Dafür braucht es aus Sicht der Münchner aber einen sauberen Spielaufbau. Was der BVB mit Gegnern macht, die ihnen die Bälle teilweise in die Füße spielen, hat man am ersten Spieltag gegen Frankfurt gesehen.

Ein interessanter Aspekt wird dabei auch wieder die Rolle der Außenverteidiger sein. Stanišić rückte in Gladbach häufig zentral ein, während Davies nur dann den Weg in die Mitte ging, wenn er ballfern absichern musste. Ansonsten blieb er seinem Flügel treu. Stanišić hatte rechts auch die Aufgabe, den Gegner in der zweiten Phase des Spielaufbaus zusammenzudrücken, um Passwege auf den rechten Flügel zu Leroy Sané oder dem herauskippenden Thomas Müller zu öffnen.

Gegen Dortmund bestünde das Risiko, dass zu viele Spieler sich im Zentrum auf den Füßen stehen. Es wird viel mehr darum gehen, die Halbräume gut zu besetzen und das 4-3-3 oder die Raute des Gegners quasi von außen zu bespielen. Zu Beginn der zweiten Halbzeit haben die Bayern das gegen Gladbachs Grundordnung schon mehrfach gut und mit viel Tempo gemacht, als der einrückende Serge Gnabry und auch Thomas Müller zwischen den Ketten freigespielt werden konnten. Dass der BVB von außen verwundbar ist, konnten auch schwache Frankfurter hin und wieder zeigen.

3. Wer steil-klatscht wen an die (gelbe) Wand?

Sowohl Rose als auch Nagelsmann setzen im Offensivspiel auf Diagonalität und Steil-Klatsch. Dortmund hat das gegen Frankfurt gleich mehrfach herausragend zu Ende gespielt. Auch gegen den FC Bayern werden sie versuchen, sich über schnelles Kombinationsspiel aus dem Pressing zu befreien.

Dahoud agiert dabei als wichtiger Verbindungsspieler, weil als häufiger „Klatsch“-Empfänger. Seine Orientierung auf dem Platz ist im Kader des BVB einmalig. Immer wieder schafft er es, sich freizulaufen und seinem Team so die Möglichkeit zu bieten, auf ihn klatschen zu lassen. Weiter vorn kann er wiederum darauf setzen, dass sich die Offensivspieler für einen weiteren Steilpass anbieten. Ein beliebtes Mittel dafür sind bei Rose kreuzende Laufwege. Gegen Frankfurt zog Marco Reus mehrfach vom Zehner-Raum in die linke Halbspur, während Erling Haaland auf seine ursprüngliche Position ging. Diese ständigen Bewegungen ziehen den Gegner nicht nur horizontal, sondern auch vertikal auseinander.

Faktor Vorbereitung: Dortmund Favorit?

Taktisch dürfte der Supercup einiges zu bieten haben. Beide Teams setzen auf schnellen Offensivfußball, beide agieren sehr druckvoll – mit und ohne Ball. Außerdem verfügen sowohl Dortmund als auch die Bayern im Kern über eingespielte Teams.

Einzig der aktuelle Leistungsstand könnte dazu führen, dass der BVB im Moment weiter ist als die Münchner. Gegen Gladbach zeigte der Rekordmeister zwischen der 20. und der 70. Minute eine gute Leistung. Am Anfang und am Ende war ihnen jedoch anzumerken, dass viele Spieler erst seit wenigen Tagen im Training sind.

Dortmund hingegen wirkte gegen Frankfurt schon sehr fit. Zwar greifen auch bei ihnen noch längst nicht alle Automatismen, aber man merkt ihnen an, dass Schlüsselspieler wie Haaland oder Reus keine Europameisterschaft zu spielen hatten. Bedeuten muss das aber noch nichts. Auch in der letzten Saison fuhren die Dortmunder mit einem vermeintlichen Fitnessvorteil nach München, um letztendlich doch zu verlieren. Es wäre aber nicht übertrieben, dem BVB eine leichte Favoritenrolle zuzuschreiben.

Ob das dann auch für die Meisterschaft gilt, steht wiederum auf einem anderen Blatt Papier. Erstmal geht es für beide darum, einen guten Saisonstart zu erwischen. Ein Titel kann auf diesem Weg nur helfen. Gerade bei zwei Trainern, die nicht unkritisch beäugt werden. Dieses Spiel wird im Erfolgsfall weder alle Zweifler verstummen lassen, noch im Falle einer Niederlage dazu führen, dass die Saison schon ad acta gelegt werden kann. Aber ein positiver Ausgang würde die Hoffnung vieler Fans schon spürbar erhöhen. Und so ist dieses Finale womöglich einfach der Supercup der guten Hoffnung.