Bayern und Qatar: Kritik und Beweggründe

Justin Trenner 09.02.2021

2011 reiste der FC Bayern München ins Trainingslager nach Qatar. 2015 ließ er sich erstmals auf ein Sponsoring von einem Unternehmen aus Qatar ein: Mit dem Flughafen in Doha wurde ein hochdotierter Vertrag unterschrieben. Im Jahr 2018 wurde bekannt, dass der Rekordmeister eine geschäftliche Partnerschaft mit “Qatar Airways” eingehen würde. Einem Unternehmen, das zu 100 % in der Hand eines Staates liegt, der wiederholt durch Menschenrechtsverletzungen auffällig wurde und wird. Die konkrete Kritik an den FC Bayern: Man unterstütze all dies durch die Geschäftsbeziehung und helfe dabei, von den Missständen abzulenken.

Am bekanntesten in diesem Zusammenhang ist bis heute die Situation der Gastarbeiter:innen. Über 1.400 Arbeiter:innen ließen zwischen 2009 und 2019 ihr Leben in Qatar. Hauptverantwortlich dafür ist ein System der Ausbeutung: Das “Kafala”-System. Immerhin: Zum Jahr 2020 gab es Verbesserungen, die auf den Weg gebracht wurden, um das System zu stoppen. Doch Menschenrechtsorganisationen bleiben kritisch, weil das System trotzdem an vielen Stellen noch weiter besteht. Der Bayern-Sponsor “Qatar Airways” stand ebenfalls mehrfach in der Kritik, was die Arbeitsbedingungen anbelangt. 

Auch wenn die Situation der Arbeiter:innen der wohl häufigste Kritikpunkt ist, so ist er bei weitem nicht der einzige. Struktureller Rassismus, Homophobie, Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit sind trotz leichter Verbesserungen in den vergangenen Jahren ein großes Problem – wenngleich es wichtig ist, zu erwähnen, dass auch in Qatar nicht alle Menschen in eine Schublade gehören. Ein weiterer großer Kritikpunkt ist es, dass die Gesetzeslage erlaubt, kritische Journalist:innen zu zensieren und sogar zu inhaftieren – Pressefreiheit ist eine Utopie. Hinzu kommen Terrorismusfinanzierung und Korruption im Sport – beispielsweise bei der WM-Vergabe.

Trotz Kritik: Darum hält Bayern an Qatar fest

Bisher schien die Kritik am FC Bayern stets abzuprallen. Argumentiert wird von der Klubseite damit, dass man im stetigen Dialog mit Qatar stehen und so aktiv zur Verbesserung innerhalb des Landes beitragen würde. Und tatsächlich: Dass der Fußball insgesamt einen gewissen Anteil an angestoßenen Veränderungen hat, ist mittlerweile fast schon Konsens. Wenngleich sich kaum bemessen lässt, wie groß der Beitrag des FC Bayern konkret ist, so steht außer Frage, dass die Aufmerksamkeit für die Menschenrechtslage in Qatar mittlerweile eine andere ist und der internationale Druck sich deshalb nochmal erhöht hat. 

Karl-Heinz Rummenigge und Herbert Hainer verwiesen demnach immer darauf, dass der Klub nach den Empfehlungen der NGOs handeln würde. Nachweisen lässt sich das allerdings nicht. Im Gegenteil: Der Menschenrechtler Nicholas McGeehan arbeitete lange für die Human Rights Watch und arbeitete aktiv an einer Handlungsempfehlung für den FC Bayern mit. Anfang 2020 erzählte er auf einer Podiumsdiskussion, dass der Klub diese komplett ignoriert hätte.

Eine Podiumsdiskussion, die von Fans organisiert wurde und zu der auch Vertreter:innen des FC Bayern eingeladen waren – an der Säbener Straße lehnte man jedoch ab. Es ist vielleicht ein großer Teil der gesamten Problematik, dass man sich beim FCB nur ungern und zurückhaltend zu der Thematik äußert. Gespräche mit kritischen Fans oder Beobachter:innen gab es nur äußerst selten und wenn darüber gesprochen wird, dass man in Qatar Dinge aktiv mit anstoße, gibt es fast nie konkrete Belege oder Beispiele.

Welches Interesse hat der FC Bayern an dieser geschäftlichen Beziehung?

Und so stellen sich nicht zuletzt viele Fans die Frage: Was macht dieses Sponsoring von “Qatar Airways” aus und was hat vor allem der FC Bayern davon? Ist es diese geschäftliche Beziehung wirklich wert, die Werte über den Haufen zu werfen, für die der Klub eigentlich einstehen sollte? Oder zerstört man sich damit die Glaubwürdigkeit, wenn man sich für westliche Werte einsetzt?

Ganz so einfach ist die Beantwortung dieser Fragen nicht. Ronny Blaschke beschäftigt sich seit Jahren mit den politischen und gesellschaftlichen Hintergründen im Sport und hat sich diesen Themen auch in seinem Buch “Machtspieler” gewidmet. Im Gespräch mit uns verriet er, worum es dem FC Bayern abseits der monetären Gründe noch geht: Nämlich auch darum, was die Anteilseigner des Klubs aus dieser Partnerschaft herausschlagen können und welches Netzwerk daraus entsteht.

Die gesamte Region gelte für den Fußball als einer der wenigen Wachstumsmärkte auf der Welt und demnach sei es aus wirtschaftlicher Perspektive wichtig, einen Fuß dort reinzusetzen, um einen Zugang auf diesen Markt zu bekommen. Zumal auch viele andere (deutsche) Unternehmen dort sehr aktiv sind: Die Deutsche Bahn und Volkswagen beispielsweise. Und das mache es den “Global Playern” auch einfacher, das eigene Agieren auf diesem Markt zu rechtfertigen. “Im Fußball regt man sich darüber dann immer auf, weil es so emotional ist und man da eine Empörung generieren kann, aber das ist nun mal eine globalisierte Wirtschaft”, so Blaschke.

Welches Interesse hat Qatar?

Auf der anderen Seite stehen die Interessen Qatars. Welche das im Detail sind, hat Blaschke uns bereits letztes Jahr in einem Interview verraten: “Einer von vielen Gründen ist die Sicherheitspolitik. Der Nahe und Mittlere Osten ist eine komplexe Region mit vielen machtbewussten Regimen. Qatar als kleine Halbinsel mit nur 2,5 Millionen Einwohnern ist Staaten wie Iran und Saudi-Arabien militärisch klar unterlegen.” Deshalb investiere der Staat in “Soft Power”. Es gehe um Kontakte in den Bereichen Kultur, Sport, aber eben auch Politik, um sich vor einer Invasion durch Nachbarstaaten zu schützen.

Genauso wie der FC Bayern profitiert also auch Qatar von Kontakten und einem größeren Netzwerk. Allerdings bestehe keinerlei Abhängigkeit zum deutschen Serienmeister. “In Qatar gibt es keine so ausgeprägte Sportkultur wie in Deutschland. Die Menschen dort sind weitaus weniger emotional, während allein Fußball hierzulande fast schon religiös wahrgenommen wird”, sagt Blaschke. Es wäre demnach auch arrogant vom FC Bayern, Dinge wie die Menschenrechtslage mit einem bevormundenden Ton verändern zu wollen.

Ein großes Interesse Qatars liege auch darauf, den eigenen Wohlstand nachhaltig zu wahren. Dafür müsse man künftig Alternativen zu den Einnahmen durch Gasexporte aufbauen, so Blaschke weiter. Es gehe nicht darum, öffentliche Aufmerksamkeit zu erzeugen. Sicherheit und Wohlstand stünden im Vordergrund. 

Was den FC Bayern angeht, sagt der Journalist, dass man ganz klar zwischen der Kritik und der wirtschaftlichen Perspektive differenzieren müsse. Die nüchterne Realität ist, dass der FC Bayern in den letzten Jahren sehr erfolgreich mit seiner Strategie gewesen sei. Allein der enorme Zuwachs an Follower:innen, Einnahmen (vor Corona) und nicht zuletzt auch der sportliche Erfolg würden eine klare Sprache sprechen.

“FC Bayern hat kein Interesse an Veränderung”

Die Kritik pralle einfach am Klub ab, zumal sie nicht nachhaltig und laut genug sei, um etwas zu bewirken. Dann sitze man das in München eben mal ein paar Tage aus. Nicht zuletzt der groß aufgeblasene Skandal rund um den verpassten Flug des FC Bayern nach Qatar zeigt, dass solche Themen viel größer sind als die Menschenrechtslage oder die vielen anderen Kritikpunkte, die zwar medial an Aufmerksamkeit gewonnen haben, aber einerseits nicht konstant genug beleuchtet werden und andererseits nicht genug Resonanz erzeugen.

Blaschke geht sogar noch einen Schritt weiter und sagt: “Der FC Bayern hat eher kein großes Interesse daran, dort aktiv etwas zu verändern.” Dafür sei man in den letzten Jahren nicht aktiv genug gewesen. Und so bleibt die aus Fansicht vielleicht ernüchternde Realität, dass der Wachstumsmarkt eine größere Bedeutung hat als ein adäquater Umgang mit der Kritik.

Doch die moralische Perspektive ist ohnehin eine komplizierte, meint auch Blaschke, weil sie in Verbindung mit Qatar oft den Hang zur Arroganz habe. Gerade wenn der Moralbegriff zu westlich aufgeladen sei, neige die Debatte zu oft zur Bevormundung oder dazu, von oben herab geführt zu werden. Es gehe stattdessen darum, diplomatische Wege zu finden, um ein autokratisches Regime spürbar “zu kitzeln” und nicht darum, besserwisserische Kritik aufgrund anderer moralischer Werte zu äußern.

Argumente des Klubs sind oft Feigenblätter

Das macht es sicherlich für den FC Bayern schwerer, würde er sich denn aktiv für eine Verbesserung der Situation einsetzen. Neben Blaschke versicherten uns auch andere Expert:innen, die nicht genannt werden wollen, dass eine solche Bemühung kaum zu erkennen gewesen sei. Zwar gab es während der Trainingslager immer mal wieder kleinere Aktionen, die aber allenfalls einen Tropfen auf den heißen Stein dargestellt hätten.

Die Wortwahl der Verantwortlichen des FC Bayern wirke in den Augen dieser Expert:innen auch nicht so, als hätte man sich intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt, wodurch gerade bei jenen, die sich vor Ort tatsächlich um einen Wandel bemühen, eher Verwunderung über viele Aussagen entstehe. Hätte der Klub ein echtes Interesse daran, würde er sich stärker mit diesen Menschen befassen und sie unterstützen. Auch das Argument, man könne über die Geschäftsbeziehungen andere Kontakte knüpfen und hätte so mehr Möglichkeiten, die kritischen Punkte anzugehen, sei allenfalls ein Feigenblatt. Viele Expert:innen sind sich einig, dass der Klub ohne diesen Deal ebenfalls dazu in der Lage wäre, das zu tun – wenn er es denn wollte. Auch Regina Spöttl, die Sprecherin von Amnesty International, sieht bereits in den Spielern des Klubs eine gute Möglichkeit, Stellung zu beziehen. Insgesamt wünscht sie sich mehr Courage vom Klub, hebt immerhin aber das Engagement mit der Frauenmannschaft hervor.

Das Geschäftsverhältnis mit Qatar führt im Gegenteil aber dazu, dass eine ernsthaft kritische Auseinandersetzung sehr erschwert wird. Zu viele finanzielle und anderweitig wirtschaftliche Aspekte hängen da mit dran, als dass der Klub es sich erlauben wollte, einen offensiveren Kurs zu fahren. Ideal wäre es, meint eine Expertin, würde der FC Bayern seine Geschäftsbeziehungen beenden und die Arbeit vor Ort stattdessen aktiv unterstützen.

Der FC Bayern ist ein “Global Player” und kein Fußballverein aus München

Dass am Ende aber die wirtschaftlichen Interessen siegen, empfindet Blaschke als wenig überraschend. Ganz nüchtern betrachtet mache der Klub damit nichts anderes als die meisten “Global Player”. Der FC Bayern sei kein Fußball-Klub aus München mehr. Er habe bereits Büros in China und den USA und treibe seit Jahren die Internationalisierung voran. Demnach sei das Verhalten des Klubs hinsichtlich der Kommunikation auch sehr professionell auf PR-Ebene. Man könne es ohnehin nicht allen recht machen und gerade in dieser heiklen Thematik profitiert der Klub mehr davon, wenn er gar nichts sagt, weil die öffentliche Debatte damit klein gehalten wird.

Würde es größeren Druck von außen oder gar von innen geben, wäre vielleicht ein anderer Umgang möglich. Diesen Druck gibt es aber nicht. Der FC Bayern sei so groß und die Kritik so klein, dass sie schlicht vorbeirausche, so Blaschke. Zumal mit der Frage nach Qatar auch noch eine viel größere verbunden wäre: Wenn man die (geschäftlichen) Verbindungen dorthin beendet, welcher der kritischen Aspekte ist dann ausschlaggebend? Wo zieht man die Grenzlinie für andere Partnerschaften? Beispielsweise dann, wenn es um andere problematische Staaten wie China geht. Aber auch dann, wenn es um Firmen wie Adidas geht, die beim FC Bayern großen Einfluss haben und ebenfalls viel Raum für Kritik anbieten.

Das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass all die anderen Beispiele das Verhalten des FC Bayern rechtfertigen. Ein Schritt in die richtige Richtung wäre auch dann einer, wenn parallel Rückschritte erfolgen. Wenn man einmal den Zug und neunmal das Flugzeug für Kurzreisen nimmt, ist das auch besser für die Umwelt als zehnmal zu fliegen. Aber die Beispiele zeigen die Komplexität der Thematik und dass insbesondere die Definition von “Werten” häufig sehr schwammig erfolgt. Auch beim FC Bayern gibt es derzeit keinerlei Leitlinien dafür, wie er seine gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen möchte und wo es Grenzen gibt. Demnach fällt eine Beurteilung dessen noch schwerer.

Hätte man da ernsthaftes Interesse, müssten diese Leitlinien aber nicht vom Vorstand allein, sondern auf einer breiten Basis erstellt werden, um dem Authentizität zu verleihen. Eine Kommission aus Vorstand, Fans, Spieler:innen, Mitarbeiter:innen und eben auch vereinsfremden Organisationen könnte dafür sorgen, dass es innerhalb des Klubs zumindest Richtlinien gibt, die Entscheidungen und Aussagen nachvollziehbarer machen würden – oder im Negativfall eben nicht.

Veränderung? Unwahrscheinlich.

Wünschenswert wäre es zudem, wenn der Klub sich kritischer und austauschbereiter präsentieren würde. Dafür bräuchte es nicht mal viel Transparenz. Gerade vor Ort in Qatar oder auch mit kritischen Fans könne der Klub deutlich mehr machen, meint Blaschke. Im Idealfall würde man sich durch einen solchen Dialog, der nicht mal öffentlich stattfinden müsste, zumindest mehrere Perspektiven einholen. Aktuell scheint der Klub aber nur vorzugeben, das zu tun. Auch der Club Nr. 12 äußerte sich dazu abermals in einem Statement.

Das wird wahrscheinlich so bleiben. Es ist im Moment nicht absehbar, dass die Kritik stark und laut genug sein wird, um den FC Bayern ernsthaft zu alternativen Handlungen zu bewegen. Glaubt man den Worten des Klubs, liegt es zwar in seinem Interesse, trotz Globalisierung und Internationalisierung nie zu vergessen, wo seine Basis liegt. An den Verbindungen nach Qatar wird aber recht deutlich, dass dies nur eine Wunschvorstellung bleibt. 

Es ist eben auch der Konflikt zwischen “modernem Fußball” und “Fußballromantik”. Schaden nimmt der Ruf des Klubs ohnehin nicht wirklich, meint Blaschke. Zumindest auf für ihn spürbarer Ebene. Das ist die harte und gewissermaßen auch traurige Realität für alle, die sich aus gutem Grund gegen das mehr als mangelhafte Engagement des FC Bayern in Qatar aussprechen und darauf hoffen, dass der Klub sich klarer zu jenen Werten bekennt, die er bei verschiedenen Kampagnen an Aktionstagen vorzuleben versuchte – beispielsweise zuletzt beim „Nie wieder!“-Erinnerungstag. Kann die Kritik aber nicht mehr Resonanz erzeugen als in den letzten Jahren, so wird sie weiterhin am globalen Konzern vorbeirauschen. Leider.