(Ein) Hoch auf den zweiten Pfosten: Bayern schlägt Freiburg

Justin Trenner 17.01.2021

Die heutige Analyse wurde von Louisa Ramseier geschrieben, die unter anderem als DFB-Stützpunkttrainerin aktiv ist. Lasst gern Feedback da.

Hansi Flick sprach im Vorfeld des Spiels bereits von einem brutalen Weckruf in Kiel (5:6-Niederlage im DFB-Pokal) und ließ eine Antwort der Mannschaft durchklingen, die erfolgen müsse. Dafür war nach den Ergebnissen der vergangenen beiden Tage alles angerichtet: Leverkusen, Dortmund und Leipzig ließen Punkte liegen, wodurch Bayern die Möglichkeit hatte, die Niederlage in Kiel vergessen zu machen und die Tabellenführung weiter auszubauen.  

Die Gäste aus dem Breisgau traten selbstbewusst, aber gewohnt bescheiden an: Christian Streich mahnte nach dem Vereinsrekord am vergangenen Spieltag bereits, “die Kirche im Dorf” zu lassen, zumal eine Reaktion des FC Bayern auf die wackelige Form erwartbar war. Flick betonte im Interview vor dem Spiel dennoch, dass er an der Grundausrichtung keine Veränderungen vornehme und die Mannschaft diesbezüglich hinter ihm stehe. 

In den letzten 6 Spielen ließ Flick nur zweimal mit derselben Defensivformation spielen (Davies, Boateng, Alaba und Pavard gegen Mainz und Union). Im Sinne der Belastungssteuerung sind Rotationen aufgrund des dicht gedrängten Spielplans aktuell sicher notwendig. Gleichzeitig schien die Mannschaft in den letzten Wochen noch nicht gefestigt genug, um trotz der Rotationen Stabilität in der Defensive zu zeigen.

Auch in dieser Frage trotzte Flick seinen Kritiker*innen und rotierte in der Viererkette im Vergleich zum Spiel gegen Kiel am Mittwoch auf drei Positionen: Alaba für Hernández, Boateng für Süle und Pavard für Sarr. Goretzka ersetzte Tolisso und agierte auf der Doppelsechs mit Kimmich. Auch in der Offensive rotierte Flick im Vergleich zum Kiel-Spiel auf drei Positionen: Gnabry für Sané, Coman für Musiala und Lewandowski rückte ins Sturmzentrum. 

Falls Ihr es verpasst habt:

1. Halbzeit

Die Bayern begannen aggressiv und erarbeiteten sich bereits in den Anfangsminuten Torchancen und gefährliche Situationen. Der erste Abschluss erfolgte in der 2. Minute durch Gnabry, allerdings waren sowohl Gnabrys Abschluss aus der zweiten Reihe als auch der anschließende Eckball für Freiburg problemlos zu verteidigen. 

Die erste Hiobsbotschaft für den SC Freiburg erfolgte bereits in der 5. Minute, als Baptiste Santamaria, der bis dato in bestechender Form war, sich ohne Fremdeinwirkung verletzte und durch Amir Abrashi ersetzt werden musste. In der 6. Minute gab es dann einen ersten Aufreger. Ein mögliches Handspiel wurde überprüft, der fällige Elfmeterpfiff blieb jedoch aus. Die Bayern ließen sich dadurch nicht beeindrucken und reagierten postwendend: Nach einem perfekt getimten, direkten Steckpass von Müller schob Lewandowski zur 1:0-Führung ein und machte die Handelfmeter-Diskussion vergessen.

Die schnelle Führung war ein direktes Resultat der offensiven Aggressivität, die Bayern seit Minute 1 an den Tag legte. Die Chancen waren bis dahin zwar nicht zwingend, der Wille, eine Reaktion zu zeigen, aber durchaus sichtbar. In der Folge nahm die Durchschlagskraft der Bayern jedoch stark ab. Freiburg ließ sich durch das frühe Gegentor nicht beeindrucken, agierte im Verbund sehr harmonisch und eingespielt. Dies wiederum führte dazu, dass Bayern immer wieder ideenlos wirkte und auf Abschlüsse aus der zweiten Reihe zurückgreifen musste (z. B. durch Gnabry in der 24. Minute). 

Prinzipiell sind Fernschüsse durchaus ein probates Mittel, sie wirkten jedoch wenig intendiert und mit zunehmender Spieldauer beinahe verzweifelt. Dabei waren gute Ansätze zu erkennen, die vor allem auf mehr Tiefe im Spiel zurückzuführen sind. So verpasste Lewandowski in der 31. Minute nur knapp und rutschte an einem Pass von Boateng vorbei, der wahrscheinlich eher als Abschluss gedacht war. Ähnlich knapp verpasste Kimmich am zweiten Pfosten nach einer Halbfeldflanke von Müller. 

Was die Defensive betrifft, zeigte sich Flick dagegen nahezu resistent gegenüber der Kritik der vergangenen Wochen – die Viererkette stand gewohnt hoch. Flick vertraute offenbar auf die Entscheidungsfähigkeit seiner Spieler auf dem Platz. Die Absicherung durch einen Außenverteidiger war jedoch konsequenter als in den vergangenen Spielen und führte zu einer geringfügig höheren Stabilität. Nach wie vor wurden allerdings zu viele leichtsinnige Fehler im Aufbauspiel gemacht, die bei einer engen 1:0-Führung ein unnötiges Risiko mit sich brachten. So kam auch Freiburg zu vereinzelten Chancen, wie in der 37. Minute durch einen Kopfball von Sallai oder in der 41. Minute durch Demirovic, nach einer gut gelösten 2-gegen-1-Situation am Flügel. 

2. Halbzeit

Bei der ersten sehr guten Chance für die Bayern in der zweiten Halbzeit schrieben wir bereits die 59. Minute. Dafür war es gleich eine Doppelchance, bei der erst Lewandowski am Aluminium scheiterte, nachdem der Ball von Gulde noch leicht abgefälscht wurde. Auch Goretzka hatte mit dem Abpraller kein Glück, SC-Keeper Florian Müller fischte den Abschluss aus kürzester Distanz aus dem linken Eck. 

Das Bild aus der ersten Halbzeit veränderte sich nur minimal. Die Bayern fanden zu ein wenig mehr Ruhe im Spielaufbau, waren gegen häufig nur zustellende Freiburger aber dennoch zu ungeduldig. Zu selten waren Tempowechsel erkennbar, zu selten wurde das Spiel über den Dritten genutzt, um strukturierte Rhythmuswechsel zu generieren. 

In der 62. Minute dann der Dämpfer: Davies klärte ohne Druck vollkommen unnötig zur Ecke und verlor anschließend Nils Petersen aus den Augen, der mit seinem ersten Ballkontakt nach seiner Einwechslung einnickte. Neuer kratzte den Ball zwar noch aus dem Tor, die Uhr von Schiedsrichter Christian Dingert ließ jedoch keinen Zweifel daran, dass der Ball hinter der Linie war. Aufgrund des Chancenverhältnisses war der Ausgleich für Freiburg zu diesem Zeitpunkt nicht unbedingt verdient, durch gutes Stellungsspiel in der Defensive und vereinzelte Nadelstiche aber durchaus erarbeitet. 

Wieder war es ein Standard, mit dem die Bayern ihre Führung verspielten, obwohl sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht viel zuließen. Aufgrund des Chancenplus’ definitiv verdient fiel in der 74. Minute die erneute Führung durch Müller. Sané legte nach einer Flanke von Coman am zweiten Pfosten auf Müller ab, der konsequent zum 2:1 abschloss.

In der Folge gelang es den Bayern vor allem nach einer Rotation im Mittelfeld (Tolisso für Kimmich; Martinez für Goretzka; Choupo-Moting für Müller) nicht, die Führung ruhig über die Spielzeit zu bringen. Im Gegenteil drückte Freiburg auf den Ausgleich, der in diesen letzten Spielminuten nicht unwahrscheinlich war. 

Phasenweise waren Verbesserungen im Vergleich zu den Vorwochen erkennbar. Defensiv standen die Bayern stabiler. Offensiv blitzten vereinzelt gute Spielzüge auf, wie vor dem 1:0 oder der Doppelchance zu Beginn der zweiten Halbzeit. Zudem war ein deutliches Chancenplus erkennbar, das jedoch auch negative Aspekte aufwirft: Viele der Abschlüsse entstanden aus individueller Klasse oder überhastet aus der Ferne.

Zugleich zeigt die Ausbeute von 2 Toren aus 25 Abschlüssen eine niedrige Effizienz. Nach wie vor greifen Abläufe nicht ineinander, was in der Offensive durch fehlende Rhythmuswechsel und Ideenlosigkeit in Ballbesitz deutlich wurde. Auf dem Papier sprechen die Statistiken eindeutig für Bayern, dennoch war das 2:1 der Kategorie Arbeitssieg zuzuordnen.

Es ist noch immer eine ungewohnte Unsicherheit zu erkennen, die sich vor allem in den letzten Spielminuten nach den Auswechslungen von Kimmich, Müller und Goretzka zeigte. Nach einer so komplizierten Woche war womöglich nicht mehr zu erwarten, in den kommenden Wochen wird es aber die Aufgabe sein, noch mehr Substanz ins Offensivspiel zu bringen.

Dinge, die auffielen:

1. Timing bei Pässen in die Tiefe ausbaufähig

In vielen Spielabschnitten hatten die Bayern die Kontrolle über das Spiel und waren souverän in Ballbesitz. Angesichts des guten Defensivverhaltens der Freiburger wurde jedoch häufig zu früh die Tiefe gesucht, (geplante) Kombinationen wirkten erzwungen. Dass Freiburg bis zum Strafraum im Prinzip nur stellte und nicht auf den Ball ging, schien die Geduld der Bayern überzustrapazieren. Zu schnell verfielen sie in wenig zielführenden Aktionismus, der die Ideenlosigkeit in Ballbesitz widerspiegelte. Was fehlte, waren Rhythmuswechsel und Anspielstationen zum Spiel über den dritten Mann. 

2. Hohe Bälle und Standardsituationen

Sowohl in der Offensive als auch in der Defensive hatten die Bayern Probleme mit Flanken beziehungsweise deren Abnahme und Standardsituationen. Zudem waren Probleme in der Sicherung des Ballbesitzes nach hohen Bällen erkennbar. So lösten sich die Bayern gerade in der ersten Halbzeit immer wieder mit hohen Bällen aus dem Pressing der Freiburger, die aber a) teilweise nicht zielgerichtet genug oder b) das Spiel auf den zweiten Ball (und damit einhergehend Überzahl in Ballnähe) nicht gegeben waren. 

In der Defensive wurde mit dem zwischenzeitlichen Ausgleich wieder einmal die Standardanfälligkeit deutlich. Nils Petersen kam völlig unbedrängt zum Kopfball, da Davies ihn schlicht aus den Augen verlor und stehen blieb. 

Viel spannender aber sind angesichts von Effizienz und Effektivität die Flanken in der Offensive. Besonders nach Sanés Einwechslung segelten mehrmals Bälle durch den Strafraum, die am zweiten Pfosten keinen Abnehmer fanden. Dies hatte zumeist wenig mit der Qualität der Flanken zu tun, sondern vielmehr mit der Tatsache, dass Sané sich zwischen Rückraum, zweitem Pfosten und Elfmeterpunkt befand und dort keine Chance hatte, an den Ball zu kommen. Stattdessen ließ er den zweiten Pfosten unbesetzt – dieser war aber Ziel der meisten Flanken. Was eine Besetzung des zweitens Pfostens bringen kann, wurde mit dem 2:1 deutlich. Endlich stand Sané dort, wo er stehen sollte, legte den Ball auf Müller ab, der zur erneuten Führung vollendete. 

3. Defensivbollwerk – fast.

Freiburg kam zwar zu Torchancen, insgesamt zeigte sich aber eine deutliche Verbesserung im Defensivverhalten. Zum einen konnte durch aggressives Anlaufverhalten der von Flick im Vorfeld angesprochene Druck auf den Ball besser ausgeübt werden. Dadurch waren Ballgewinne im vorderen Drittel möglich. Zudem zeigte sich die letzte Reihe deutlich stabiler, als zuletzt gegen Gladbach und Kiel. Dies mag daran gelegen haben, dass zum einen die Pressinghöhe nicht mehr konsequent im ersten Drittel des Gegners angesetzt war, sondern zwischen einem hohen und einem tiefen Mittelfeldpressing variierte. 

Weiterhin brachte die konsequente Dreier-Absicherung Stabilität. Ein Außenverteidiger sicherte immer mit ab, wodurch die beiden Innenverteidiger nicht auf sich allein gestellt waren, wie beispielsweise beim 1:1 gegen Kiel unter der Woche sehr deutlich wurde. Auch wirkte die Abstimmung zwischen den drei absichernden Spielern besser, wodurch viele Konter im Verbund verteidigt werden konnten. Für Davies hatte die tiefere Positionierung zudem den Vorteil, dass er seine Schnelligkeit nach vorn wieder besser ausspielen konnte. Er hatte dadurch mehr Platz, um mit Ball in den Raum zu starten, statt dort aus den Stand zu agieren. Die Waffe Davies als Balltreiber nutzten die Bayern dennoch zu selten.