Trotz Auftaktsieg: Bayerische Gegentore werden fast zum Mainzdream
Hansi Flick konnte vor der Partie gegen Mainz 05 auf nahezu alle Spieler zurückgreifen. Lediglich Kingsley Coman fehlte nach seiner leichten Verletzung gegen Leverkusen, Tanguy Nianzou wird nach Muskelbündelriss länger ausfallen und Marc Roca blieb mit muskulären Problemen außen vor. Erstmals im Kader stand dafür aber der Wunschspieler des Trainers: Tiago Dantas.
Darüber hinaus verzichtete Flick auf einen Startelfeinsatz von Leon Goretzka, um ihn zu schonen. Für ihn begann Corentin Tolisso. Ansonsten gab es keine großen Überraschungen gegen Mainzer, deren taktische Ausrichtung sich mit neuem Trainer nur schwer voraussagen ließ.
Falls Ihr es verpasst habt:
1. Halbzeit
Aus einer 4-3-3-artigen Struktur heraus versuchten sie zu Beginn immer wieder, bereits den Spielaufbau der Bayern zu stören, um sie ins Tempo und so zu vertikalen Fehlern zu zwingen. Dabei agierten sie in vorderster Reihe angepasst an die jeweilige Situation wahlweise mit einer 1-2-Staffelung oder einer klareren Dreierangriffsreihe. Die Ausrichtung wechselte somit ständig zwischen 4-Raute-2 und 4-3-3. Nach nur vier Minuten erarbeiteten die Mainzer sich auf diesem durchaus mutigen Weg die erste Großchance, als Jonathan Burkardt nach einer schnellen Umschaltsituation alleine vor Neuer auftauchte, aber am Torwart scheiterte.
Die Bayern wiederum tauchten erstmals gefährlich im Mainzer Strafraum auf, als Leroy Sané in guter Abschlussposition nur knapp die Führung verpasste (9.). Anschließend entwickelte sich eine Partie, in der die Gastgeber den Abstiegskandidaten nach und nach hinten reindrückten. Mainz verlagerte den Druck somit ein paar Meter weiter nach hinten, blieb dort aber aggressiv und kompakt. Dennoch hatten die Münchner in Person von Tolisso die bis dahin besten Chancen des Spiels – der Franzose vergab aber jeweils aus sehr kurzer Distanz deutlich (16. und 27.).
Doch damit war er nicht allein. In einer nun druckvolleren und besseren Phase der Bayern vergab auch Sané abermals die Möglichkeit zur Belohnung (28.). Und so lief auch im neuen Jahr vieles so, wie es im alten Jahr lief: Nach einem langen Ball ist Burkardt frei durch und hämmert den Ball ins Tor (33.). Angesichts der Chancenverteilung war dieses Tor gegen den Spielverlauf, doch ganz ohne Vorankündigung kam es auch nicht. Bayern bot hin und wieder etwas an.
So wie in der 40. Minute, als Mainz beinahe auf 2:0 erhöhte. Einzig Neuer war es mal wieder zu verdanken, dass die Spielgeschichte nicht völlig kippte. Zumindest noch nicht. Denn kurz vor der Pause war es ein Standard, der eben jenes zweite Tor brachte. Kopfball Hack, Neuer chancenlos, Flick ratlos – so ging es erstmal in die Kabinen.
2. Halbzeit
Mit einem Sekundenschlaf nach der Pause ging es weiter. Flick brachte zwar Goretzka und Süle für Pavard und Boateng, doch Mainz hatte die erste Chance und traf den Pfosten quasi direkt mit Wiederanpfiff. Daraufhin liefen aber die Bayern über Goretzka und Kimmich, der nun rechts agierte, an. Sofort wurde es gefährlich. Kimmich flankte den Ball in die Mitte, rückte dann im Strafraum nach und erzielte letztendlich sogar selbst den Anschlusstreffer (50.).
Und auch beim Ausgleich wenig später hatte Kimmich seine Füße wieder im Spiel. Nach eingerückter Positionierung, die es so von Pavard zuvor nicht ein einziges Mal gab, bediente er Sané mit einem einfachen Pass. Der Flügelstürmer zog nach innen und erzielte das Tor – wie es Robben kaum hätte besser machen können (55.).
Jetzt waren die Bayern wieder so im Spiel, wie sie es vor dem 0:1 bereits waren und erhöhten den Druck. In der 64. Minute wurde ein Abseitstor vom VAR zurückgenommen, in der 66. verzog Gnabry knapp. Dann aber besorgte Süle die Führung nach einem Standard per Volley – wie es Pavard kaum hätte besser machen können (70.). Bayern übernahm die Kontrolle und lief weiter an. In der 75. Minute wurde Gnabry im Strafraum zu Fall gebracht und Lewandowski vollstreckte per Elfmeter zur Vorentscheidung. Der Gefoulte blieb jedoch verletzt draußen und Musiala ersetzte ihn.
Mainz war nun gebrochen und wartete lediglich auf den Abpfiff. Zuvor wollten die Bayern aber noch etwas am Ergebnis schrauben. Lewandowski erhöhte sehenswert auf 5:2 (82.). Theoretisch hätte es für ihn sogar noch die Möglichkeit geben müssen, auf sechs zu stellen, doch das elfmetrige Foul an Kimmich in der Nachspielzeit wurde nicht gepfiffen. So blieb es beim 5:2, das über weite Strecken zu offen war. Darüber wird zu reden sein.
Dinge, die auffielen:
1. Tolisso und Pavard aktuell nicht auf Bayern-Niveau
Die Formschwäche von Tolisso und Pavard hält auch im neuen Jahr offensichtlich an. Beide sind bemüht, das Spiel der Mannschaft voranzutreiben, doch beide bekommen wenig bis gar nichts zusammen. Tolisso vergab nicht nur zwei große Chancen, sondern wirkte auch darüber hinaus wie ein Fremdkörper. Positionsspiel, Passschärfe und -genauigkeit, Gegenpressing – kaum etwas stimmte bei ihm. In dieser Verfassung wird man sich bereits im Sommer die Frage stellen müssen, ob ein Wechsel nicht sinnvoller wäre.
Bei Pavard ist die Situation vielleicht noch nicht so angespannt, aber auch er bekommt kaum einen Fuß vor den anderen. Weder defensiv noch offensiv kann er wirklich etwas beitragen, ist eher noch ein Faktor für leichte Ballverluste. Kein Wunder, dass Flick nach nur 40 Minuten Niklas Süle und Leon Goretzka zum Warmmachen schickte.
2. Flicks Personalentscheidungen zwischen Licht und Schatten
Beide kamen dann zur zweiten Hälfte – allerdings für Pavard und Boateng. Es darf durchaus die Frage gestellt werden, warum Flick einerseits im alten Jahr bemängelte, dass er seine Viererkette kaum einspielen lassen konnte, andererseits aber auch selbst teilweise ohne Not Veränderungen vornimmt. Konkret lässt sich das daran festmachen, dass die Bayern gegen Leverkusen eine der stärkeren Defensivleistungen der vergangenen Wochen auf den Platz brachten. Warum also nicht mal Alaba auf die Bank setzen und mit Hernández starten? Es ist eine Entscheidung, die nicht direkt in Verbindung mit den Gegentoren steht, aber Fragen aufwirft. Flick scheint das glückliche Händchen aktuell zu fehlen.
Besser war dafür seine Anpassung in der Pause. Zwar durfte der völlig glücklose Tolisso weitermachen, dafür kam mit Kimmich über rechts und Goretzka im Zentrum aber mehr Bewegung ins Offensivspiel. Kimmich offenbarte, wie schwach Pavard tatsächlich war und drehte die Partie abermals. Sein leicht eingerücktes Positionsspiel (Assist zum 2:2-Ausgleich aus zentraler Position), seine Flanken (im Vorlauf des 1:2-Anschlusstreffers) und seine Torgefährlichkeit (1:2-Anschlusstreffer) sind auf einem gänzlich anderen Niveau als das, was Pavard aktuell anbieten kann. Taktisch war das die perfekte Antwort auf die Probleme der ersten Halbzeit. Durch die Mainzer Raute war das Zentrum sehr eng, aber auf den Flügeln gab es Platz und hier konnte Kimmich das Spiel besser kontrollieren. Flick wird je nach Ausrichtung des Gegners in den kommenden Wochen darüber nachdenken müssen, ob er seinen Taktgeber mittelfristig doch wieder zum Rechtsverteidiger macht – auch mangels Alternativen.
3. Flanken und zweite Bälle
Dass die Bayern viel mit Flanken arbeiten, ist kein großes Geheimnis mehr. Mitunter führen diese auch zu gefährlichen Situationen und nicht jede ist als hoher Schlag aus dem Halbfeld zum Scheitern verurteilt – gerade Kimmich zeigte im zweiten Durchgang, dass es eine Waffe sein kann. Allerdings ist es problematisch, dass die Besetzung für den Druck auf zweite Bälle rund um den Strafraum oft schwach ist. So ist es schwer, verteidigte Flanken zurückzuerobern, oder zumindest einen Konter direkt im Keim zu ersticken. Im Gegenteil noch gelang es Mainz so, den einen oder anderen Gegenangriff zu setzen. Erst mit Kimmichs Wechsel auf die rechte Seite war die Besetzung besser, weil er sich im ballfernen Raum klug positionierte.
4. Zwei Mainzer Tore und die jüngste Vergangenheit täuschen den Gesamteindruck
Eigentlich kamen die Bayern nach der ersten Großchance der Mainzer in der vierten Minute gut ins Spiel. Bis zum 0:1 hatten die Gäste keine nennenswerten Möglichkeiten. Stattdessen hätten die Münchner die Partie schon dort in die richtige Bahn lenken müssen. Tolisso und Sané hatten jeweils genug Möglichkeiten für zwei Halbzeiten. Stattdessen trafen die Nullfünfer gegen den Spielverlauf zur Führung. Das Schema des Tores und der achte Rückstand in Serie dürfte bei vielen Fans für Ernüchterung und Groll gesorgt haben. Von fehlender Absicherung kann aus taktischer Perspektive aber nicht gesprochen werden. Drei Spieler waren zur Stelle, einer (Boateng) verschätzte sich enorm. Dass dieser Treffer überhaupt fällt, ist kaum zu erklären.
Danach gab es das einzige echte Leistungsloch der Bayern in diesem Spiel. Mainz wurde wieder mutiger, bekam zu viele Chancen. Schaut man sich an, wie oft die Münchner zuletzt in Rückstand gerieten, so lässt sich diese Phase wohl auch damit erklären, dass der Rückschlag erst noch verarbeitet werden musste. Und genau in diese Verarbeitungsphase fiel dann der Standard zum 0:2.
Wie die Bayern dann aus der Pause kamen, war bemerkenswert – zumindest nach dem Pfostentreffer des FSV. Der hätte nochmal alles drehen können. Mit einem überragenden Kimmich bekam der Rekordmeister aber schnell die Kontrolle zurück, minimierte die eigenen Fehler und zeigte Effizienz vorm Tor. Letztendlich täuschen die 15 Minuten vor der Halbzeit sowie die negativen Erfahrungen der Vorwochen ein bisschen darüber hinweg, dass die Mannschaft von Hansi Flick den Aufschwung aus dem Leverkusen-Spiel durchaus mitnehmen konnte. Wie viel das wert ist, wird sich in nur einer Woche gegen Gladbach zeigen. Dann braucht es mehr als eine ordentliche Anfangsphase und eine gute zweite Halbzeit.