Vorschau: FC Bayern München – SV Werder Bremen

Justin Trenner 20.11.2020

In den letzten 13 Auswärtsspielen beim FC Bayern gelang Werder Bremen kein einziger Sieg. Zwei Unentschieden aus den Jahren 2009 und 2010 sind das Beste, was sie in diesem Zeitraum vorweisen können. Im Vergleich zur Gesamtbilanz seit 2009 ist das aber fast noch verharmlosend. 27 Pflichtspiele in Serie konnten die Bremer gegen den Rekordmeister nicht gewinnen.

Dass sich ausgerechnet am kommenden Wochenende etwas daran ändert, ist eher unwahrscheinlich. Ein kleiner Mutmacher ist der ordentliche Saisonstart der Grün-Weißen: zwei Siege, vier Unentschieden und erst eine Niederlage (zum Auftakt gegen Hertha) bedeuten derzeit Platz 9 mit sieben Punkten Vorsprung auf den Relegationsplatz.

Alles im Soll also – und Bayern nur ein Spiel, das man im Nachhinein notfalls auch ausklammern kann aus der Bewertung? Vielleicht. Eine andere Betrachtungsweise ist, dass die Gegner bisher alle aus der unteren Tabellenhälfte kamen. Keiner von ihnen steht in der Tabelle vor Werder.

Für einen Abstiegskandidaten ist es durchaus wichtig, in diesen direkten Duellen möglichst viele Punkte mitzunehmen. Andererseits sind zwei Siege womöglich auch zu mager. Bayern, Wolfsburg, Stuttgart, RaBa und Dortmund lauten die kommenden Gegner. Alle stehen aktuell vor der Mannschaft von Florian Kohfeldt. Insbesondere die Partien gegen den VfL Wolfsburg und den VfB Stuttgart werden wohl richtungsweisend sein. Läuft es aber ganz schlecht, steht Werder nach diesen Spielen wieder ganz weit unten.

Werder Bremen: Keine Chance gegen die Bayern?

Vergegenwärtigt man sich die jüngst Bilanz gegen die Bayern, gehen die harten Wochen für die Bremer sehr wahrscheinlich mit einer Niederlage los. Doch in Stein gemeißelt ist diese noch nicht. Werder mag kaum eine Chance haben, aber die gilt es irgendwie zu packen.

Von erholten Bayern kann ob der Länderspielpause keine Rede sein. Taktgeber Joshua Kimmich fällt lange aus, Alphonso Davies ebenso. Hinzu kommen vereinzelte muskuläre Probleme, die Medien gerüchteweise streuten. Robert Lewandowski, Niklas Süle, nahezu alle französischen Nationalspieler im Team – wirklich ausfallen wird wohl „nur“ Corentin Tolisso, aber allein die Anzeichen erster muskulärer Verschleißerscheinungen lassen bereits den Schluss zu, dass die kommenden Wochen bis zur kurzen Weihnachtspause kräftezehrend werden.

Bremen konnte es sich hingegen erlauben, einige Nationalspieler nicht abzustellen, weil es die Situation erlaubte. Der Grund: Bei einer Abstellung in Risikogebiete kann der Verein ein Veto einlegen.

So kann Bremen vielleicht doch etwas mitnehmen

Aufgrund der geringeren Anzahl an Nationalspielern und der dann noch eingesparten Reisen bei einigen von ihnen dürfte Bremen also prinzipiell die ausgeruhtere Mannschaft sein. Angesichts des breiten Kaders der Bayern und weil wichtige Stützen wie Thomas Müller oder Jérôme Boateng sich ebenfalls ausruhen konnten, ist die große Frage, wie sehr das ins Gewicht fallen wird.

Bayern wird darauf aus sein, das Spiel möglichst früh zu entscheiden. Viel Druck nach vorn, schnelles Anfangstempo, viele Abschlüsse, vielleicht auch viele lange Bälle, um Werder direkt durch das eigene Gegenpressing hinten reinzudrücken.

Für Bremen wird vieles davon abhängen, wie sie die erste Halbzeit überstehen. Es ist damit zu rechnen, dass Kohfeldt wie so oft in dieser Saison (beispielsweise gegen Hoffenheim) auf einen sehr defensiven Ansatz zurückgreift. Vielleicht eine Fünferkette, sehr wahrscheinlich ein kompaktes Mittelfeld, maximal ein tiefes Mittelfeldpressing, in den meisten Phasen sogar ein Abwehrpressing, selten das Herausschieben in höhere Spielfeldzonen.

Nur Abwehrpressing wird nicht funktionieren

Es ist fraglich, ob dieser Ansatz vielversprechend ist. In den letzten direkten Duellen war Bremen immer dann gut, wenn sie nichts zu verlieren hatten und mitunter mutiger nach vorn agierten – meist im Pokal. In der Liga hingegen machte das eigene Defensivsystem eher den Eindruck, als würde man nur auf das 0:1 warten, um dann auseinanderzufallen. Zu abwartend, zu passiv – kompakte Defensivreihen sind gegen den FC Bayern wichtig, aber wenn statt guter Kombinationen durch das Zentrum dann eben irgendwann die individuelle Klasse nach einer Flanke für die Führung sorgt, ist das auf dem Papier auch egal.

Kohfeldt sollte seiner Mannschaft deshalb mit auf den Weg geben, dass sie sich nicht nur stur hinten einigelt. Ohne Kimmich und Tolisso wird das Mittelfeld der Bayern wohl aus Müller, Leon Goretzka und einem aus Marc Roca oder Javi Martínez bestehen. Technisch ist das nicht die feinste aller Klingen – zumindest vor dem Hintergrund, dass Roca bisher noch keinen richtigen Rhythmus aufnehmen konnte.

Ein Angriffspressing wäre wiederum auch das falsche Extrem als Lösung, aber warum nicht mal versuchen, das zu Teilen neu zusammengesetzte Mittelfeld der Münchner aggressiver zu stören? Es wäre nicht nur der mutigere Ansatz, sondern auch jener, der am ehesten die sehr geringe Wahrscheinlichkeit auf einen Punktgewinn mit sich bringt.

Werders Probleme im Spiel nach vorn

Werders Probleme sind sicher vielschichtig. Verkürzen lassen sie sich im taktischen Bereich darauf, dass einerseits der eigene Spielaufbau nicht optimal funktioniert und andererseits die Wege in die Offensive aus einer tief gestaffelten Formation so weit sind, dass im Umschaltspiel Substanz und Tiefe fehlen.

So wird es dann eben auch gegen eine defensiv zurzeit anfällige Bayern-Mannschaft schwer, hinter die hochstehende Kette zu kommen. Kohfeldt fehlt im defensiven Mittelfeld ein Spieler, der Pressingresistenz und ein sauberes Passspiel in die Spitze vereint. Weiter vorn täte dem Werder-Spiel jemand wie Max Kruse gut, der nicht nur selbst Torgefahr ausstrahlt, sondern auch durch seine abkippenden sowie ausweichenden Bewegungen Räume für seine Mitspieler öffnet.

Viele Transfers (beispielsweise jener von Davie Selke) sind in den letzten Jahren mindestens fragwürdig gewesen. Es liegt deshalb sicher auch an der Zusammensetzung des Kaders, dass die Mannschaft unter Kohfeldt keinen guten Ballvortrag hinbekommt. Gegen Köln fiel Bremen gegen eine tiefstehende Mannschaft so gut wie nichts ein. Andererseits muss konstatiert werden, dass die Entwicklung stagniert und kurzzeitige Fortschritte eher zufällig wirken. Das erschwert es, Kohfeldt für die letzte Saison und viele jetzt erneut auftretende Schwachstellen in Schutz zu nehmen.

Die erste Spielphase ist gegen Bayern womöglich entscheidend

Bremen braucht am Wochenende die richtige Mischung aus Glück, Mut und Effizienz. Die zwei letzteren Punkte erklären sich von selbst, beim Glück geht es vor allem ums Aus- und Durchhalten der ersten Spielphase. Kommen die Bremer mit einem Unentschieden oder sogar mit einer überraschenden Führung in die Pause, haben sie zumindest eine Ausgangsposition, die Bayern ans Limit bringen wird.

Ein Punktgewinn mag auch dann noch längst nicht wahrscheinlich sein. Doch Kohfeldt und seine Mannschaft haben in München die Mini-Chance, den Saisonstart zu vergolden. Es ist nicht so, dass die Bayern gar nichts anbieten würden. Allein die Partien gegen Hoffenheim und Hertha zeigen, dass es nicht unmöglich ist, ihnen Punkte abzunehmen.

Wenn alle Sterne richtig stehen, Bremen eine disziplinierte Defensivleistung auf den Platz bringt und dabei nicht nur auf Schadensbegrenzung aus ist, ist vielleicht was drin. Im Prinzip hat Werder keinen Druck. Ein halbwegs ordentlicher Saisonstart und die klare Außenseiterposition würden es ihnen erlauben, mehr zu tun als das Übliche gegen die Bayern. Die Frage ist, mit welcher Einstellung sie in die Partie gehen. Lieber möglichst wenige Gegentore und das vermeintliche Schicksal der Niederlage akzeptieren? Abhaken und weiter? Dann ist die Partie schon verloren.

Bayern ist nicht unverwundbar

Für den FC Bayern ist dieses Spiel ohne Zweifel eine Pflichtaufgabe. Hansi Flick wird im Hinterkopf haben, dass Salzburg in der englischen Woche der härtere Gegner sein könnte. Gleichzeitig weiß er darum, dass der Gruppensieg in der Champions League bereits jetzt nur noch Formsache ist.

Es wird deshalb spannend zu sehen, wie der Bayern-Trainer rotiert und wer gegen Bremen eine Pause bekommt. Auch das könnte die Chancen der Gäste nochmal steigern, wenn man sich an den schwachen Auftritt der Münchner in Köln erinnert.

Das sollte sich Werder trotz aller Wahrscheinlichkeiten hinter die Ohren schreiben – und dementsprechend mit einer angemessenen Portion Mut nach München reisen. Nur dann kann es ein interessantes und spannendes Fußballspiel werden.