Vorschau: Meisterparty in Leipzig?

Justin Trenner 10.05.2019

Drei Pflichtspiele sind es noch. Für den FC Bayern geht es dabei um zwei Titel. Soweit so normal in den vergangenen Jahren. Pikant allerdings: Zweimal heißt der Gegner RB Leipzig.

Das macht vor allem die erste Partie taktisch äußerst interessant. Niko Kovač und Ralf Rangnick sitzen sich quasi am Taktik-Schachbrett gegenüber. Wer macht welchen Zug und verrät damit wie viel über seine Gesamtstrategie?

Die ersten 90 Minuten in der Bundesliga werden zwar keines der beiden Teams Schachmatt setzen, doch ihr Einfluss auf das Endspiel in Berlin ist groß – taktisch und psychologisch. Zumal der FC Bayern sich Spannung am letzten Spieltag ersparen möchte.

Rangnick als Trainer – Back to the roots

Rangnick bewies sich in dieser Saison gleich mehrfach als cleverer Stratege. Seine Entscheidung, das Übergangsjahr als Cheftrainer anzugehen, ist in der Nachbetrachtung als richtig zu bewerten. Der 60-Jährige wollte Leipzig zurückführen. Zurück in “alte” Zeiten, in denen die Mannschaft für temporeichen und überzeugenden Gegenpressing-Fußball stand. Weg von zu langen Ballbesitzphasen, aus denen der Ertrag letztendlich überschaubar war. Hin zum direkten Spiel in die Spitze und guter Absicherung in der Arbeit gegen den Ball.

Nicht wenige zweifelten, ob dieser Rückschritt so einfach funktionieren würde. Doch bis auf einen schlechten Start in Dortmund (1:4) und eine kleinere Krise im Winter gibt es in Leipzig kaum noch Grund zur Kritik. Das frühe Ausscheiden in der Europa League wirkte zwar nach, aber seit dem 27. Januar hat die Mannschaft kein einziges Pflichtspiel mehr verloren.

Leipzig legt in dieser Saison Zahlen auf, die beeindrucken: 13 Siege, 4 Unentschieden – im Pokal marschierte RB souverän ins Finale und in der Rückrundentabelle stehen sie auf Platz 2. 4 Punkte hinter den Bayern. Leipzig hat in dieser Saison die wenigsten Gegentore bekommen (27), sie kassieren im Schnitt die zweitwenigsten Schüsse pro Spiel gegen sich (9,5; Bayern ist mit 7,6 auf Platz 1) und understat sieht sie mit 60,67 Expected Points sogar auf Platz 2 vor Hoffenheim (60,32) und Dortmund (58,9).

Grundlage für Leipzigs Erfolg: Flexibilität gegen den Ball

Der Fokus des eigenen Spiels liegt in dieser Saison wieder in der Arbeit gegen den Ball. RB spielt unter Rangnick direkter in die Tiefe und gleicht Ballverluste dementsprechend durch ein aggressives Gegenpressing aus.

Die Konsequenz: Zwar sank die Passquote im Vergleich zur letzten Saison von 79,3% (Platz 6) auf 75,3% (Platz 15). Dafür stieg die Qualität der Abschlüsse deutlich an: 51,42 Expected Goals waren es in der gesamten Saison 2017/18. Bereits jetzt steht RBL bei 65,79 Expected Goals.

Rangnicks Erfolgsrezept: eine flexible Organisation des (Gegen-)Pressings. Vor allem in der Rückrunde schafften es die Leipziger, für fast jeden Gegner das passende Gegenmittel zu finden.

Der Liga-Kryptonit

Der Grund hierfür sind Rangnick und sein Trainerteam. Sie analysieren jede Mannschaft ganz genau. Sie wissen, wo die Stärken und Schwächen der jeweiligen Gegner liegen und richten ihre Spielweise darauf aus.

Ein gutes Beispiel dafür war der ungefährdete 2:0-Sieg gegen den VfL Wolfsburg.Mit einer Fünferkette reagierte Rangnick auf die Eigenart der Wölfe, das letzte Drittel zu überladen. Davor setzte Leipzig auf altbekannte Mechanismen: Früher war für das Leipziger Spiel charakteristisch, dass sie vor der Viererkette mit einer engen, einer breiten und dann wieder mit einer engeren Zweierkette den gegnerischen Sechserraum einkesselten. Jeweils drei Spieler waren dann in der Lage, schnell auf die Außenbahnen zu schieben, wenn die Eröffnung dorthin erfolgte. Kam der Ball allerdings in den Sechserraum, zog sich das Sechseck der Leipziger zusammen.

RBL stellt gern Pressingfallen im Sechserraum und auf den Flügeln. Ihr 4-2-2-2 ist dafür prädestiniert.

Rangnick hält in dieser Saison an diesen Prinzipien fest, variiert in der Umsetzung aber, indem er an den jeweiligen Gegner anpasst. Gegen Wolfsburg reichte ein Fünfeck, um den Gegner in die gewünschten Zonen zu lenken, weil Guilavogui als einziger Mittelfeldspieler regelmäßig im Sechserraum unterwegs war. Beeindruckend ist vor allem, dass Rangnick sich nur selten verschätzt. Leipzig machte in fast jedem Rückrundenspiel den Eindruck, den Gegner ganz genau zu kennen.

Gegen Wolfsburg setzte Rangnick auf denselben Mechanismus. Allerdings in einem 5-3-2, weil Wolfsburg das letzte Drittel überladen wollte. RB schaffte es mit der veränderten Grundordnung aber, die Passwege der Wölfe schon früh zu verhindern.

Wie kann Leipzig den Bayern schaden?

War Leipzig bisher für die Liga das Kryptonit, ist der FC Bayern das Kryptonit für Ralf Rangnick. In 22 Aufeinandertreffen reichte es für den Trainer lediglich zu fünf Siegen und sechs Unentschieden. Die letzten fünf Duelle gingen dabei allesamt verloren und alle fünf Siege datieren in den Jahren zwischen 1999 und 2005.

Aber auch für RB Leipzig lief es nicht unbedingt besser. In sechs Pflichtspielen hagelte es fünf Niederlagen. Doch ein 2:1-Sieg im März des letzten Jahres gibt den Leipzigern Hoffnung. Immerhin waren sie schon oft genug nah dran.

Die Fragen für die beiden kommenden Partien: Wo sieht Rangnick die Schwächen bei den Bayern? Welche Grundformation sieht er als Gegenmittel gegen den bayerischen Angriff? Eine Fünferkette erscheint als ein sinnvolles Mittel, weil die Flügelverteidiger dann jeweils aggressiv vorschieben können und die Verteidigung in der Breite dann immer noch gegeben ist. Im Zentrum wird es das Ziel sein, Thiago aus dem Spiel zu nehmen. Das ginge mit einer 1-2-2-Staffelung ebenso wie mit einer 2-2-2-Staffelung und der entsprechenden Viererkette dahinter. Deshalb ist hier eine Vorhersage schwer zu treffen.

Bayerns Lösung: Druck und Ruhe

Wie das Spiel für die Leipziger läuft, wird jedoch auch davon abhängen, wie viele Räume sie von den Münchnern erhalten. Während RB eher um ein direktes Spiel in die Tiefe bemüht sein wird, gilt es für die Bayern nicht zu viel Tempo in die Partie zu lassen. Ein wilder Schlagabtausch und Leipzig hat den Vorteil auf seiner Seite.

Wie es die Bayern nicht machen sollten, sah man in der Anfangsphase in Leverkusen. Dort überrannte die Werkself die Bayern und das Kovač-Team schaffte es nicht, das Spiel zu beruhigen. Der Auftritt in Hoffenheim könnte dagegen als Blaupause dienen. Dort spielten die Münchner über weite Teile der Partie sehr konzentriert und mutig nach vorne. Gleichzeitig hielten sie aber auch den Druck gegen den Ball hoch.

Das wird gegen RB extrem wichtig sein. Tempo aus der Partie zu nehmen heißt nicht, den Ball minutenlang durch die eigene Viererkette laufen zu lassen. Räume für den Gegner im Zentrum und auf den Außenbahnen sind gegen Leipzig schnell tödlich. Vertikale Zuspiele in die Spitze sollten die Bayern deshalb im Zentrum gut absichern, um Kontermöglichkeiten bereits im Ansatz zu ersticken.

Taktisches Mittel: Zwischen die Linien kommen

Gerade im Zentrum hatten die Bayern in dieser Saison häufig Probleme beim Nachschieben. Diese Aufgabe müssen Thiago und Goretzka, der vermutlich den verletzten Martínez ersetzen wird, bei langen Vertikalpässen konsequent übernehmen. Gleichzeitig gilt es aber auch, die ballnahen Außenverteidiger defensiv abzusichern. Die wiederum können durch leichtes Einrücken bei der Absicherung im Gegenpressing helfen.

Diese Mechanismen sah man bei den Bayern hin und wieder unter Niko Kovač. Jedoch nur selten konstant und konsequent. Leipzig würde vermutlich mehr als jede andere Bundesliga-Mannschaft davon profitieren, wenn die Bayern nicht kompakt nachschieben.

Haben die Bayern im Spielaufbau den Ball, wird Leipzig im Zentrum nur dann Räume öffnen, wenn sie eine Pressingfalle stellen. Thiago ist allerdings clever genug, um sich auch aus solchen Fallen zu befreien. Deshalb sollten die Münchner diese Situationen auch nicht meiden und in ihre ausrechenbare U-Struktur verfallen, sondern immer wieder Zuspiele zwischen die Linien provozieren.

Wie weit denken die beiden Trainer voraus?

Leipzig kann zwar in der ersten Pressinglinie unfassbar viel Druck erzeugen, doch dahinter bieten sich häufig Räume, die Bayern bespielen muss. Eine Möglichkeit dafür wäre eine situative Dreierkette – auch das ist ein Mittel, das die Bayern hin und wieder genutzt haben. Süle und Hummels stehen dann durch das Abkippen von Goretzka oder Thiago etwas breiter und können so die diagonalen Passwege durch das Mittelfeld der Leipziger finden. Leverkusen und Hoffenheim waren durch ähnliche taktische Mittel mehr oder minder erfolgreich gegen RB.

Eine hypothetische Szene, die der oben dargestellten gegen Wolfsburg ähnelt: Hier können die Innenverteidiger aber breiter stehen und so bieten sich ihnen andere Passwinkel. Die Aufgabe der Mittelfeldspieler ist es, die fünf (oder sechs) Offensivspieler Leipzigs zu beschäftigen und sie so zu bewegen, dass der Zwischenlinienraum sich öffnet. Die Gefahr: Unterzahl bei Ballverlusten. Die Chance: Überzahl bei erfolgreichen Zuspielen in die grün markierte Zone. Bayerns Spieler sind gut genug, um beides abwägen zu können.

Sowohl für die Bayern als auch für Leipzig braucht es eine Leistung am Maximum, um erfolgreich zu sein. Jedoch gilt es das Pokalfinale im Hinterkopf zu behalten. Und so wird das erste Spiel zugleich Teil eines größeren Plans. Keiner will dem anderen zu viel von seiner Strategie preisgeben. Und doch wollen beide ein erstes Zeichen setzen. Es liegt nun an Rangnick und Kovač, die ersten Züge auf dem Schachbrett vorzubereiten und durchzuführen. Wer hat die bessere Strategie? Und wird es erste Bauernopfer geben, für einen möglichen Pokalsieg?

Für Kovač ist die Situation jedoch ungleich delikater. Die Meisterschaft gilt intern als der ehrlichere Titel. Jedoch auch als selbstverständlich. Die Pokalniederlage aus dem vergangenen Jahr schmerzt immer noch. In Leipzig liegt der Fokus nach der erfolgreichen Champions-League-Qualifikation allein auf Berlin. Eine Situation wie gemacht für den begnadeten Spieler Ralf Rangnick. Er, der geschickt zwei Züge vorausdenken kann, wird sich die Möglichkeit dem FC Bayern in die Meistersuppe spucken zu können, nicht nehmen lassen wollen. Der neutrale Zuschauer hingegen darf sich auf ein packendes Duell zwischen den beiden formstärksten Mannschaften der Rückrunde freuen.

Das Thesen-Duell

Die Regeln findet ihr hier.

Ergebnisse der letzten Vorschau: Justin 2,8 – 3,6 Fatbardh

Zwischenstand insgesamt: Justin 120,4 – 112 Fatbardh

Justins Tipps

  1. Torschütze: Timo Werner
  2. Freie These: Bayern gewinnt nicht.
  3. Über/Unter 3,5: Unter!
  4. Aufstellung: Ulreich – Kimmich, Süle, Hummels, Alaba – Thiago, Goretzka – Müller – Gnabry, Lewandowski, Coman

Fatbardhs Tipps

  1. Torschütze: Thomas Müller
  2. Freie These: Leipzig trifft.
  3. Über/Unter 3,5: Über
  4. Aufstellung: Ulreich, Kimmich, Süle, Hummels, Alaba, Thiago, Goretzka, Müller, Gnabry, Lewandowski, Coman