5:1 – Kovačs Waterloo
Falls ihr es verpasst habt:
Niko Kovač beorderte zum ersten Mal in der Saison David Alaba in die Innenverteidigung. Lukas Mai blieb abermals nur die Ersatzbank. Nach guten Leistungen blieb Alphonso Davies in der Mannschaft, auch Thomas Müller und Philippe Coutinho kamen gemeinsam zurück in die Startelf. Der frühere deutsche Nationalspieler kam zumeist über die (halb-) rechte Seite. Das zentrale Mittelfeldduo bildeten Joshua Kimmich und Thiago, jedoch nur die sechs Minuten. Nach der roten Karte für Boateng löste Niko Kovač die Doppelsechs auf und beorderte Kimmich zurück auf seine rechte Abwehrseite. Benjamin Pavard rutschte in die Innenverteidigung. Bayerns Grundordnung war ein 4-2-3.
Eintracht Frankfurt begann in einem 3-5-2-System ohne Abwehrchef Makoto Hasebe und mit Bas Dost und Paciência im Sturmzentrum während Adrian Silva auf der Bank saß.
1. Halbzeit
Gonçalo Paciência brach nach 6 Minuten durch, erst nach Eingriff des Videoassistenten entschied Schiedsrichter Schmidt auf Freistoß statt Elfmeter, Jérôme Boateng flog nach dem Eingriff des VAR mit Rot vom Platz. Der Elfmeter gegen sich wäre den Bayern sicherlich lieber gewesen. Bayern musste nun umstellen und deutlich defensiver agieren und versuchen über Nadelstiche zum Erfolg zu kommen. Das erste Tor schossen dennoch die Frankfurter. Von der linken Seite gelang der Ball über Bas Dost nach rechts, wo Da Costa in die Mitte präzise zu Sow spielen konnte. Dessen Schuss wurde von Alaba abgeblockt, Kostič staubte ab (25.).
Wie zu besten Bayern-Zeiten kombinierte sich Frankfurt in der 33. Minute zum 2:0. Rode spielte über die Hacke Paciências Doppelpass, in der Mitte drehten Sow und Kostič den Spieß des ersten Tores um: Kostič flankte zu Sow, der einschob. Ein fabelhafter Spielzug.
Vier Minuten später zeigte Robert Lewandowski, dass er so etwas schnödes wie Kombinationsfußball nicht braucht, mit Willen tankte er sich gegen Hinteregger und Abraham durch und vollendete fast aus dem Nichts zum 1:2-Anschlusstreffer.
In der Folge schwächte Frankfurt erstmals das Pressing ab und Bayern konnte nun erstmals dauerhaft die gegnerische Hälfte nennenswert bespielen. Davor wurde fast jeder Ball an der Mittellinie verloren. Scheinbar ließen die Kräfte der Hessen nach. Zu Torchancen kamen die Bayern trotzdem nicht mehr.
2. Halbzeit
Wieder aufgeladene Akkus waren die einzigen Änderungen zur 2. Hälfte, sodass es da weiterging, wo nach den ersten knapp 30 Minuten in Halbzeit eins Schluss war. Gnabry verlor den Ball im Aufbau, Dost reagiert schnell und öffnete für den freien Costa, dessen scharfe Hereingabe Kapitän Abraham ins Tor abschloss (49.).
Kovač reagierte, wechselte Kingsley Coman für den wie fast alle anderen schwachen Coutinho ein und beorderte Müller in die Mitte (56.). Das hatte direkt wenigstens die beste Bayern-Kombination zu Folge: Davies befreite sich gut, über Coman gelang der Ball zu Kimmich der stark auf Gnabry steckte. Der Deutsche konnte in der Mitte aber nicht Lewandowski finden.
Im Gegenzug entschied Frankfurt per Ecke die Partie (60.). Nach Kostičs Ecke stand Pavard wie die ganze Partie über gut einen Meter zu weit von seinem Gegenspieler entfernt. Hinteregger köpfte ein. Kovač kapitulierte de facto auch offiziell indem er direkt Martínez für Müller brachte. Auch der letzte Wechsel war defensiver Natur; Kovač brachte Goretzka für Gnabry und wollte das Debakel im Zaum halten. Aus dem nichts konnte Davies nach Doppelpass mit Lewandowski sogar noch einen Schuss an den Pfosten setzen (70.).
Das Spiel plätscherte nun aus, doch Eintracht Frankfurt hatte noch nicht genug. Martínez machte die Mitte auf, Silva dribbelte in die Mitte und spielte den Ball vorbei am zu früh grätschenden Alaba. Gonçalo Paciência krönte sein großartiges Spiel (84.).
Dinge, die auffielen:
1. Frühes Rot darf keine Ausrede sein
Natürlich schmeißt ein frühes Rot alle Pläne sofort über Bord. Eine gute Mannschaft wie Frankfurt kann dann erst Recht über Teams herfallen. Schon deshalb hätte der FC Bayern wahrscheinlich lieber den Elfmeter oder gar ein direktes (technisches) Gegentor bekommen wollen.
Doch all das darf keine Ausrede sein für wie wenig Bayern daraufhin gelang. Es darf keine Ausrede sein, wie sehr Bayern Frankfurts Dominanz und ihre ständigen Überfälle regungslos akzeptierte. Kam Bayern aus der eigenen Hälfte heraus, wurde der Ball sofort noch auf Höhe des Mittelkreises verloren. Gewiss überpowerte die Eintracht in der 1. Halbzeit und gewiss fehlte auch ganz plakativ ein Spieler, doch derart hilflos in der eigenen Hälfte gefangen, sah man die Bayern das letzte Mal höchstens unter Ancelotti gegen das große Real Madrid.
2. Individualkünstler 1 – Kollektiv 5
Niko Kovač schob in den vergangen Wochen die Schuld auf individuelle Leistungen und sah Offensive und Defensive getrennt. Natürlich waren durch die Bank heute alle Leistungen mit Ausnahme Neuers schwach. Lewandowskis Tor und einige Aktionen Davies’ mögen auch ausgeklammert werden. Doch Fußball ist ein Mannschaftssport und Bayerns Probleme sind weit mehr als die Summer ihrer schwach spielenden Einzelspieler. Man muss sich nur die Tore der Eintracht anschauen: Fast alle Tore erzielten die Hessen über Flanken und das nicht zufällig. Die Spieler wissen ohne den Kopf hochzunehmen, wo ihre Kollegen schon ungefähr stehen. Das sind die Früchte von Positionsspiel, Strafraumbesetzung und Automatismen. Diese antrainierten Automatismen führen dazu, dass Bas Dost vor dem 1:3 umringt von Bayern-Spielern überhaupt in der Lage ist, den Ball noch präzise weiterzuspielen und es führt auch dazu, dass Da Costa noch genug Raum hat von Davies nicht abgeblockt zu werden.
Das ist deshalb bezeichnend, weil es auf der Gegenseite im Bayern-Spiel gar keine Automatismen mehr gibt. Alles ist nur noch Individualismus. Die vielen Fehlpässe heute aber auch in Bochum fallen nicht aus dem Himmel, sie sind da, wenn das Korsett um die Mannschaft herum falsch oder nicht existent sind. Über weite Stecken konnte sich der FC Bayern überhaupt nicht aus dem Pressing befreien, sie schafften es kaum über die Mittellinie! Denn niemand wusste wo der Mitspieler ist, keine Dreiecke wurden gebildet. Der freie Mann, der selbst in Unterzahl immer existieren kann und muss, wurde nicht gefunden.
Hin und wieder trägt die individuelle Qualität auch Früchte. Lewandowskis Aktion vor dem 1:2 macht ihm kaum jemand nach. Hinteregger und Abraham sind mit die besten Verteidiger der Saison und er lässt beide sagenhaft stehen und trifft aus dem Nichts.
Doch wie oft haben solche Aktionen tatsächlich ein guten Abschluss? Selbst zu Hochzeiten der gefürchteten “Bayern-Maschine”, wo Gegner mit Kombinationsfußball überrollt wurden, gab es immer wieder Tore, die ausschließlich aus fantastischen Einzelaktionen fielen. Sie waren das Tüpfelchen auf dem i, denn dass wie hier ein einzelner Spieler mit die besten Verteidiger der Liga abkocht, damit kann nicht zu Rechnen sein. Derartig trifft man nur einmal. Stimmen die Kombinationen jedoch, kann der Gegner gar nicht ausmachen wo bei ihm die größere Problemzone ist.
Heute gab es das nüchterne Ergebnis: Individualkünster 1 – Kollektiv 5. Das Kollektiv führte die Einzelkämpfer vor.
3. Und jetzt scheint seine Wacht zu Ende
“Mia san mia” ist natürlich mehr und mehr zu einem Marketingslogan verkommen und außerhalb Münchens versteht man diese Einstellung ohnehin nicht, doch auch auf dem Spielfeld hat es seine eigene Bedeutung. Denn sie spiegelt den Anspruch des ganzen Vereins wider. Dieser Anspruch beinhaltet nun mal auch in einer schwierigen Phase, in einem Auswärtsspiel, vor den besten Fans der Liga, gegen starke Frankfurter und auch in Unterzahl sich nicht einfach hilflos dem Gegner zu ergeben. Es darf nicht Anspruch des Vereins sein, dass das schönste Kombinationstor der Bayern-Saison beim zwischenzeitlichen 0:2 vom Gegner erzielt wird.
Das Spiel heute kam keinesfalls aus dem Nichts. Niemanden darf es überraschen. Es hat sich angebahnt. Und das obwohl Augsburg, Union Berlin, Piräus oder Bochum Pflichtsiege hätten sein sollen und zum Teil ja auch waren. Schon gegen den abstiegsbedrohten Zweitligisten Bochum konnte Bayern 85 Minuten lang kaum einen einzigen ordentlichen Angriff ausspielen, kam unverdient weiter. Heute wurden sie von einer viel besseren Mannschaft auseinander gespielt. Mindestens ist es das folgerichtige Ergebnis einer mehrwöchigen Abwärtsspirale, bei der man vor fast jedem Spiel die Implosion befürchten musste. Heute erfolgte sie.
Mancherorts wurden heute Erinnerungen an das 1:5 gegen Wolfsburg wach, doch spielt bei Bayern heute kein Christian Lell oder Massimo Oddo. Acht der neun Feldspieler haben ihre Qualitäten hinreichend bewiesen und der neunte, Davies, mag an diesem Tag vielleicht der beste Feldspieler von allen gewesen sein. Der FC Bayern hat einen guten Kader.
Fällt ein Spieler aus dem Rahmen, muss man über ihn reden, doch schafft es die ganze Mannschaft wochenlang kaum 4 Pässe hintereinander zu spielen, muss man die Schuld woanders suchen.
Niko Kovač hat auch in den Tagen vor diesem erwartbaren Desaster die Schuld in der individuellen Mannschaftsleistung ausgemacht. Gegentore waren etwa das Produkt passiver Verteidigungsleistung und nicht etwa die offene Kollektivstaffelung. Die Hülle an Fehlpässen sei das Produkt schlechter Konzentration und Einstellung und nicht das von fehlendem Positionsspiel und zu weiter Abstände. Er hat Unrecht.