Vorschau: FC Bayern München – Hamburger SV

Justin Trenner 08.03.2018

Ausgerechnet Heribert Bruchhagen, der schon immer in vorderster Linie derjenigen stand, die Bayerns riesigen Finanzvorsprung als Hauptursache der Bundesliga-Langeweile nannten, wurde unter der Woche gemeinsam mit Jens Todt beim Hamburger SV entlassen. Es war der Startschuss des nächsten Neuanfangs. Bruchhagen war nicht in der Lage, in seiner Amtszeit auch nur eine Entscheidung zu treffen, die den Verein voran bringt – trotz eines Etats, der den vieler Bundesligisten übersteigt. Ironie des Schicksals?

Man darf natürlich auch nicht vergessen, dass Bruchhagen nur ein weiterer rollender Kopf eines seit Jahren kaputten Vereins ist. In der Kürze seiner Amtszeit waren auch ihm die Hände ein Stück weit gebunden. Trotzdem ist der HSV das deutsche Paradebeispiel für die konzeptlose Verbrennung von Geld. Keine Struktur, keine Kontinuität, keine Philosophie, keine Ideen und jetzt der unmittelbar bevorstehende Abstieg. Es wird der neuerliche Tiefpunkt eines Klubs sein, dem schon mehrfach nachgesagt wurde, dass es schlimmer nicht ginge.

Der Dino geht in die zweite Liga

Die Hamburger sind nun 7 Punkte hinter dem Relegationsplatz. Ein Rückstand, den noch kein Verein in der Ligageschichte zu diesem Zeitpunkt aufholen konnte. Selbst der 1. FC Köln ist mittlerweile bis auf einen Punkt herangerückt.

Mit einem Sieg in München würde die Situation vielleicht wieder etwas besser aussehen. Die Absurdität dieses Satzes zeigt jedoch: der unabsteigbare HSV ist nicht mehr zu retten. Auch der 18. Trainer seit Anfang 2007 kann darauf keinen großen Einfluss mehr nehmen.

Immerhin hat er die Defensive in den vergangenen Wochen etwas stabilisiert. Zwar kassierten die Hamburger in den sechs Hollerbach-Spielen immer noch sieben Gegentore, doch man muss auch sagen, dass die letzten Gegner fast ausschließlich aus der oberen Tabellenhälfte kamen. In Leipzig reichte es sogar zum 1:1, gegen Bremen und Mainz war auch der Spielverlauf teils etwas unglücklich.

Trotz des Misserfolgs – Hollerbach holte nur 0,5 Punkte pro Spiel – ist die kompakte Defensive also durchaus etwas, was sich beim HSV in den letzten Wochen weiterentwickelt hat. Dafür ist der neue Mann an der Seitenlinie bekannt. Die Würzburger Kickers kamen unter ihm ebenfalls über eine stabile Ordnung gegen den Ball zum Erfolg.

Doch da liegt der Hund in Hamburg nicht begraben. Nur drei Treffer gelangen seinem Team seit der Übernahme – in keiner Partie mehr als ein Tor. Keine Mannschaft, nicht mal der 1. FC Köln und Werder Bremen (beide nur 24 Tore), strahlt so wenig Offensivgefahr aus wie der Hamburger SV (18 Tore). Gerade im Derby gegen Bremen, das für einen Richtungswechsel enorm wichtig war, kreierte der HSV kaum Chancen und erst recht keine guten. Sechs Abschlüsse waren es insgesamt, zwei davon im Strafraum, nur einer davon gefährlich. Der Andere ging zur Eckfahne.

Für den Dino ging es nach dieser Niederlage gegen den 1. FSV Mainz 05 wieder um alles und sogar um ein bisschen mehr. Es war nicht nur ein Endspiel, sondern die letzte große Hoffnung auf eine Ausgangslage, die das Selbstbewusstsein nochmal wecken könnte. Letztendlich ließ man nur fünf Torschüsse der Mainzer zu, einer davon im Strafraum und aus schwacher Position.

Eine starke Defensivleistung. Vorne war man zumindest gefährlicher als in allen anderen Partien zuvor. Von 18 Abschlüssen kamen zehn von außerhalb des Strafraums. Zwei der acht Schüsse innerhalb des Sechzehners waren aufgrund eines spitzen Winkels eher wenig erfolgsversprechend. Von den restlichen sechs wurden zwei abgeblockt, zwei verfehlten das Tor und zwei weitere wurden pariert. Wären der Elfmeter oder einer der wenigen aussichtsreichen Schüsse drin gewesen, hätte es in Hamburg wohl niemanden gekümmert, dass auch hier die Selektion der Abschlüsse nicht gut war.

Bruchhagen und Todt wurden unter der Woche beurlaubt. Es ist nicht das erste Mal, dass der HSV radikal handelt.
(Foto: Christof Koepsel / Bongarts / Getty Images)

So muss die sportliche Analyse aber dort ansetzen, dass der HSV es nicht schafft, sich qualitativ hochwertige Gelegenheiten zu erspielen. Oder wohlwollender formuliert: zumindest nicht so viele, dass es mal zu ein paar Toren langt. Mit reinem Verhindern des gegnerischen Spiels wird das jetzt schon fast utopische Ziel der Relegation nicht gelingen.

Die Balance aus Defensive und Offensive geht den Hamburgern nicht erst unter Hollerbach komplett ab. Vorher war es die fehlende Kreativität im Spielaufbau, jetzt die fehlende Kreativität in vorderen Dritteln und die Tatsache, dass das Team weder Spieler noch Struktur für durchdachten Fußball mit dem Ball hat.

Dies aber nun an einem Trainer festzumachen, der den Stil umsetzt, für den er nun mal steht, wäre falsch. Auch Hollerbach ist, wie Bruchhagen, nur ein Glied in einer schier unendlichen Kette von Fehlentscheidungen, die dieser Verein schon lange vor seiner Verpflichtung angefangen hat zu treffen.

Geht man den Kader durch, so findet man zwar einige vielversprechende Spielertypen, doch eine Richtung fehlt gänzlich. Man hat für jeden Spielstil ein bisschen was eingekauft, aber für keinen so richtig. Welcher Trainer der Welt soll mit einer solchen Zusammensetzung arbeiten? Hollerbach könnte sein System und seine Idee beliebig wechseln. Letztendlich scheitert es daran, dass gleich auf mehreren Positionen die richtigen Spieler für die entsprechenden Rollen fehlen.

Bayern wird dem HSV kein freiwilliges Geschenk überreichen

Und so fährt der HSV wieder mal nach München und muss darauf hoffen, dass die Bayern das Tor nicht treffen. So wie gegen Berlin, als unzählige erfolglose Abschlüsse aus guter Position dazu führten, dass Dardai seiner Mannschaft eine tolle Defensivleistung unterstellen konnte, ohne von irgendjemandem Contra zu bekommen.

Dass sich dieses Szenario wiederholt, ist allerdings so wahrscheinlich wie der Hamburger Klassenerhalt. Unter Heynckes werden die Münchner keinen Prozentpunkt nachlassen. Eines kann der 72-Jährige nämlich nahezu perfekt: moderieren. Auch gegen den HSV wird er wieder rotieren.

Robben und Ribéry sind zurück und auch James war wieder im Mannschaftstraining. Vorne ist es äußerst unwahrscheinlich, dass Lewandowski ein zweites Mal in Folge auf der Bank sitzt. 13 Tore und sechs Vorlagen gelangen dem Polen in 16 Duellen mit dem HSV und an dieser Bilanz wird er weiter schrauben wollen.

Nur auf die Langzeitverletzten Neuer und Coman müssen Heynckes und sein Trainerteam am Wochenende verzichten. Die ohnehin schon schlechte Ausgangslage der Gäste wird dadurch nicht gerade erfreulicher. In München ist nämlich nicht erst seit dieser Woche ein großer interner Konkurrenzkampf entbrannt.

Jeder will in den großen Spielen ran und jeder will dem Trainerteam zeigen, wieso er die Qualitäten dafür mitbringt. Trotzdem ziehen aber alle an einem Strang. Eine Mentalität, die Heynckes schon mal bei den Bayern entfachen konnte und die seine Mannschaft durch diese Saison trägt, obwohl längst nicht alles perfekt läuft.

Das alleine wird in den nächsten Monaten aber nicht mehr ausreichen. Die Bayern haben immer noch ihre Probleme, kompakte Mannschaften im Zentrum spielerisch zu knacken. Zu viele Angriffe verenden mit sinnlosen Flanken bei schlechter Strafraumbesetzung.

Auch die Absicherung der eigenen Angriffe ist noch nicht optimal. Häufig bekommen die Gegner der Münchner gute Kontergelegenheiten durch einfache Ballverluste geschenkt. Wenn das Duell mit dem Hamburger SV am Wochenende also einen großen Mehrwert für die Bayern bietet, dann den, dass sie sich weiterhin an der Verbesserung dieser Probleme probieren können.

Die Bundesligisten im Vergleich.

Der HSV wird ihnen mindestens bis zum ersten Tor das Leben schwer machen und die Mitte gut verdichten. Kommen die Bayern dort wieder nicht spielerisch durch, wird es eben mal wieder eine Einzelaktion, ein Standard oder eine von den 40 Flanken richten müssen. Erstrebenswert wäre dennoch die Kombination durchs Zentrum oder in den Halbräumen. Denn dieses Element ist es, was von den Münchnern in der Champions League noch gefordert wird.

Ob das am Wochenende schon notwendig ist, um zu gewinnen, ist mehr als fraglich. Es gibt kein realistisches Szenario, in dem der HSV nicht von einem massiven Schwächeanfall oder einer absurden Spielgeschichte abhängig wäre, um Hoffnungen auf einen Erfolg in München zu haben.

Aus Hamburger Sicht ist das die traurige Wahrheit. Am Ende werden sie auch dieses Spiel sehr wahrscheinlich verlieren. Es wird das vorerst letzte Aufeinandertreffen zweier Klubs sein, die die Bundesliga geprägt haben. Der Unterschied ist, dass einer von ihnen dies weiterhin tun wird, während der Andere über Jahre darauf hingearbeitet hat, aus der Bundesliga zu verschwinden. Diesen Tiefpunkt wird der Hamburger SV am Ende der Saison erreicht haben.

Die Bayern-Fans dürfen nochmal Abschied nehmen vom ehemals großen HSV. Für wie lange wird sich zeigen. Die angekündigte Neuausrichtung sollte den Klub schon jetzt auf die neue Mission in der zweiten Liga vorbereiten. Vielleicht sieht man sich nach diesem einen Jahr ja schon wieder. Vielleicht wird diese Spielvorschau dann nicht in einem solch düsteren Ton daherkommen. Doch dafür muss der Neustart auch endlich mal gelingen. Sonst droht einem der größten Klubs der Ligageschichte ein neuerlicher Tiefpunkt, obwohl man ihm am Ende der Saison erneut nachsagen wird, dass es schlimmer nicht mehr geht.

Fantipp

Im Fantipp tippt einer unserer Leser oder ein Gast den Spielausgang. Für den richtigen Tipp gibt es drei Punkte und für die richtige Tendenz (Sieg, Unentschieden, Niederlage) einen Punkt. Verglichen wird dies dann mit einem Tipp aus der Miasanrot-Redaktion. Am Ende der Saison wird sich zeigen, ob die eingeladenen Fans mehr Punkte erreicht haben, als die Redaktion.

Zu Gast ist diese Woche Sven Schultze vom HSVTalk auf meinsportradio.de. Gelegentlich bloggt er hier auch selbst.

Sven: Ihr wisst vielleicht nicht mehr, dass wir HSVer in den ersten Alianz-Arena-Jahren für die Bayern nicht zu schlagen waren und daran werden wir in diesem Jahr anknüpfen. Nach dem donnerstäglichen Frühjahrsputz in Hamburg gibt es absolut kein Halten mehr. Von allen Fesseln befreit, wird der Dino mit der noch nie dagewesenen Aufholjagd beginnen und die Bayern mit 0:6 aus dem eigenen Stadion schießen, was später einmal als Wendepunkt in der Vereinsgeschichte vermerkt werden wird. Der HSV profitiert davon, dass man sich das Toreschießen für eben diesen geschichtsträchtigen Tag aufgespart hat, an dem die Münchner chancenlos sein werden.
Übrigens: mein aktueller HSVTalk heißt Hoffnung.
Gutes Spiel!

Justin: Hamburg wird die Räume versuchen eng zu machen und Bayern wird deshalb auch kein schnelles Tor erzielen. Da der HSV aber keine Entlastung nach vorne hinbekommen wird, endet es mit einem klaren 3:0 für die Münchner und Sven muss die PlayStation wieder einschalten, um sein Wunschergebnis zu sehen.