Vorschau: FC Bayern München – RSC Anderlecht
Auf Carlo Ancelotti warten schwierige Monate. Anderlecht, Mainz, Schalke, Wolfsburg und Paris – der September ist anspruchsvoll, aber lediglich ein Vorglühen für den späten Oktober und frühen November. Dort kann sich bereits einiges entscheiden, wenn der Deutsche Meister zwischen dem 25.10. und dem 4.11. zwei Mal gegen Leipzig spielt, dann nach Glasgow reist, um schließlich in Dortmund wieder um drei Punkte für die Bundesliga zu kämpfen.
„Der Rekordmeister bietet wieder Konfliktpotential an“
Bereits jetzt ist der Ton an der Säbener Straße rauer geworden. Lewandowski macht immer wieder darauf aufmerksam, dass sein Vertrag zwar bis 2021 laufe, er sich aber Sorgen macht. Nicht etwa vorrangig um den Klub, der ohne Frage in eine ungewisse Zukunft blickt, sondern vielmehr um sich selbst und seine Karriere. Rummenigge hat dies nicht geschmeckt. Mit großer Deutlichkeit zeigte er auf, dass diese öffentlichen Aussagen nicht zu akzeptieren wären. Selbiges gilt für Müller, der jüngst in Frage stellte, ob seine Qualitäten überhaupt gebraucht werden.
Es ist die Unruhe vor dem Sturm. Der Rekordmeister bietet wieder Konfliktpotential an und die fehlende Einigkeit schlägt sich sowohl auf dem Platz, als auch in der Führungsetage nieder. Während Rummenigge Lewandowski warnte, lächelte Hoeneß die Aussagen medial weg. Wer den FC Bayern dieser Tage beobachtet, der kann den Eindruck gewinnen, dass sie massiv wackeln. Souverän geht jedenfalls anders.
Carlo Ancelotti kennt diese Situationen. Er hat sie während seiner Karriere schon mehrmals durchlebt. Nun hat er die Möglichkeit, seine größte Qualität nochmals unter Beweis zu stellen. In München braucht es ein Konstrukt, das an einem Strang zieht. Konflikte gehören an die zweite Stelle und vor allem in den internen Bereich. Die Kleinkriege, die derzeit öffentlich geführt werden, sind sicher noch kein Grund zur intensiven Aufregung, aber sie sind als Warnzeichen zu verstehen.
Auch die Konkurrenz hat gemerkt, dass der FC Bayern verwundbar und vielleicht sogar schon verwundet ist. Der Respekt vorm übermächtigen Serienmeister nimmt von Woche zu Woche ab, wenn es so läuft wie jetzt. Diesen zurückkehrenden Mut muss der Klub nun Schritt für Schritt verhindern. Die erste Gelegenheit bietet sich am Dienstagabend, wenn der belgische Rekordmeister aus Anderlecht in der Allianz Arena zu Gast ist.
Gegnervorschau: Das ist der RSC Anderlecht
Es ist das erste Spiel der Gruppenphase und dementsprechend wichtig wären die ersten drei Punkte auf dem Weg ins Achtelfinale. Anderlecht hat keine einfache Zeit hinter sich. Ähnlich wie Ajax Amsterdam in den Niederlanden, sind sie in Belgien das Nonplusultra. Zwischen 2014 und 2016 gab es mit Gent und Brügge zwei andere Meister. Im selben Zeitraum konnte der Schweizer Rene Weiler beim 1. FC Nürnberg ein offensives Team aufbauen, das im zweiten Jahr die Relegation zur Bundesliga erreichte, dort aber an Eintracht Frankfurt scheiterte.
Das beeindruckte die Belgier so sehr, dass sie den mittlerweile 43-Jährigen verpflichteten. Anderlecht gewann mit ihm direkt die Liga und den belgischen Supercup. In der Europa League scheiterten sie im Viertelfinale am späteren Pokalsieger Manchester United.
In Nürnberg setzte Weiler stets auf zwei zentrale, tiefere Mittelfeldspieler, um dem Zentrum Stabilität zu geben. Beim RSC hat er sich angepasst. Der Trainer wechselt regelmäßig zwischen 4-3-3 und 4-2-3-1, auch während des Spiels. Dementsprechend flexibel gestaltet sich das Spiel seiner Mannschaft auch. In der Liga hatten sie nach anfänglichen Schwierigkeiten keine großen Probleme mehr.
Ähnlich wie Ajax, hat Anderlecht eine großartige Jugendarbeit. Einige Nationalspieler Belgiens, deren Mannschaft in den letzten Jahren sehr geschätzt wurde, haben ihre Wurzeln beim RSC. Fellaini, Tielemans, die Lukakus und Januzaj sind nur einige von vielen Beispielen, die die Schule des Rekordmeisters durchliefen.
Die Belgier stehen für eine gute Kaderstruktur und offensiven Fußball, können ihre größten Talente aber nur selten halten. Dreh- und Angelpunkt der letzten Saison war Youri Tielemans, einer der begehrtesten Spieler der Welt. Seit diesem Sommer spielt er in Monaco, wo er nicht nur mehr Geld verdient, sondern auch sportlich den nächsten Schritt machen kann. Das Durchschnittsalter des Kaders liegt jetzt bei 25,9 Jahren. Erfahrung und Jugendlichkeit werden gut balanciert.
Was erwartet die Bayern?
Taktisch setzt Weiler in seiner Grundformation nicht nur auf Flexibilität, sondern auch auf Kontrolle. Gerade im Mittelfeld sind die Belgier stets um Ballbesitz bemüht. Mit dem Wegfall von Tielemans ist dies etwas komplizierter geworden. Auch der Transfer von Praet im Jahr 2016 hat wehgetan. Dendoncker ist aus dem erfolgreichen Dreiergespann allerdings noch geblieben.
Der 22-Jährige spielt meist die tiefste Position im Mittelfeld, während sich Hanni auf der Zehnerposition und Trebel auf der Acht schwer damit tun, die individuelle Klasse der Abgänge zu ersetzen. Weiler verzichtete hin und wieder sogar auf Offensivkräfte, um mit zwei Achtern und Dendoncker in der Zentrale für Kompaktheit zu sorgen. Durchaus vorstellbar, dass der Schweizer für das Auswärtsspiel in München ähnlich handelt.
Im Angriff sind die Spieler, auf die man achten sollte, Teodorczyk und Onyekuru. In der Liga haben sie jeweils zwei Mal in sechs Spielen getroffen. Ersterer kam zunächst auf Leihbasis aus Kiew, wurde dann aber fest verpflichtet. Mit 20 Treffern aus 28 Spielen wurde er in der vergangenen Saison sogar Torschützenkönig. Der 26-Jährige Pole ist robust, kann sich gut bewegen und findet immer gute Lösungen mit dem Rücken zum Tor. Allerdings ist er nicht der typisch bullige Wandstürmer, sondern kann auch am Ball etwas.
Deshalb weicht er hin und wieder auch auf die Flügel oder in den Halbraum aus, um anderen Spielern Räume zu öffnen. Im Eins-gegen-Eins ist er nicht ungefährlich und auch seine Laufwege sind stets gut durchdacht. Sicher ein Faktor, den die Bayern im Blick haben müssen. Sein Pendant ist Henry Onyekuru. Der erst 20-Jährige Nigerianer ist noch flexibler einsetzbar. Hauptsächlich agierte er auf dem linken Flügel, allerdings kann er auch im offensiven Zentrum oder rechts spielen.
Aktuell ist der Angreifer von Everton ausgeliehen, doch es zeichnet sich ab, dass er eine gute Rolle in Weilers System einnehmen wird. Schon letzte Saison spielte er in Belgien für KAS Eupen und war in 3640 Pflichtspielminuten (41 Partien) an 33 Treffern direkt beteiligt (24 Tore, 9 Vorlagen). Das sind rund 110 Minuten pro Torbeteiligung, obwohl sein Team mehr als die Hälfte der Spiele verlor.
Seine größten Stärken sind sein Tempo, die Dynamik und das Dribbling. Hinzu kommt die angesprochene Torgefährlichkeit. Probleme bekommt er, wenn seine Gegenspieler robust agieren. Er ist mit seinem Körperbau und einer Größe von 1,75m nicht der stärkste Spieler, für die Konter der Gäste aber sicher der ideale Mann. Sollte er links spielen, dürfte Kimmich eine interessante Aufgabe erhalten.
Es ist dennoch damit zu rechnen, dass Anderlecht große Probleme mit dem Niveau der Bayern haben wird. In der heimischen Liga schwanken Leistungen und Ergebnisse derzeit enorm. Weiler hat erneut keinen guten Start erwischt. Verschiedene Ansätze, um die große Lücke im Mittelfeld zu füllen, die Tielemans hinterließ, sind bisher erfolglos gewesen. Zwei Siege, zwei Unentschieden und bereits zwei Niederlagen sind nicht der Anspruch des RSC. Sieben Gegentore sind es ebenso wenig. Aktuell scheint es so, als wäre das zuletzt offensive System nicht mehr tragbar, weil die Kontrolle im Mittelfeld fehlt.
Eine halbe Stunde voller Ansätze macht Mut
In München kennt man sich mit Kontrollverlusten mittlerweile auch ganz gut aus. Gegen Leverkusen dauerte es bis zur Umstellung der Gäste und auch in Hoffenheim war man erneut nicht in der Lage, auf veränderte Situationen zu reagieren. Dabei war die erste halbe Stunde bis ins letzte Drittel die beste, die die Bayern unter Ancelotti bisher hatten. Sowohl Pressing, als auch Ballbesitzspiel funktionierten sehr gut. Und das gegen eine Mannschaft, die taktisch klug agierte und selbst offensiv werden wollte.
Hoffenheim wurde von den Bayern hinten reingedrängt und der Führungstreffer war eigentlich nur eine Frage der Zeit. Nagelsmann reagierte und wollte die Defensive stärken. Die Umstellung führte schließlich dazu, dass den Bayern die Ideen im letzten Drittel gänzlich ausgingen. Der Führungstreffer der Hoffenheimer gab der Unsicherheit den Rest und es kam erneut zum wiederholten Kontrollverlust.
Bayern fehlt das Rüstzeug, um Antworten zu geben. Nicht erst seit dieser Saison und auch nicht ausschließlich wegen des Trainers. Der Plan A ist meist gut bis sehr gut, aber wenn es einen Plan B braucht, gibt es diesen nicht. Rudy und Thiago sorgten allerdings direkt für mehr Struktur und auch Coman konnte sich zeigen. Der viel kritisierte Müller zeigte zumindest läuferisch eine gute Leistung, die auch Lewandowski besser ins Spiel brachte als zuletzt. Darauf kann Bayern ganz sicher aufbauen, aber sowohl individuell, als auch kollektiv gibt es Handlungsbedarf.
Anderlecht wird am Dienstag vermutlich sehr kompakt verteidigen und im 4-4-2 oder gar 4-5-1 auf Umschaltmomente lauern. Sie lieben es, über die Halbräume und das Zentrum anzugreifen. Können die Münchner das Pressing aus der Anfangsphase gegen Hoffenheim auf 90 Minuten strecken, dürfte es aber eine klare Angelegenheit werden. Anderlechts einzige Chance ist die Schwäche der Bayern. Eine unvorhergesehene Situation oder eine wirksame Umstellung Weilers und die Mannschaft könnte wieder anfangen zu schwimmen.
Bayern muss nun die ersten Schritte nach vorne machen. Sinsheim war ein Ansatz zum Schritt, doch der Rekordmeister stolperte. Nun gilt es, der Konkurrenz in der Liga, aber auch in Europa zu zeigen, dass sie nicht verwundbar und schon gar nicht verwundet sind. Diesen Respekt müssen sie sich zurückerarbeiten. Andernfalls droht in München der Sturm, der aktuell seine ersten Vorzeichen sendet.
Wissenswertes zum Spiel
- Die Hälfte aller acht Duelle mit Anderlecht gewannen die Bayern. Zwei Remis und zwei belgische Erfolge stehen zu Buche.
- 16 der letzten 17 Champions-League-Heimspiele hat der FC Bayern gewonnen. Real Madrid brach die Rekordserie in der vergangenen Saison.
- Arturo Vidal fehlt den Münchnern gesperrt.
- Bayern gewann sechs der sieben Heimspiele gegen belgische Klubs.
- Anderlecht steht seit der Saison 2014/15 erstmals wieder in der Gruppenphase der Champions League.
- Das Spiel wird am Dienstagabend um 20:45 Uhr angepfiffen. Sky überträgt live. Das ZDF überträgt diese Woche das Auswärtsspiel des BVB bei Tottenham.
Expertentipp
Im Expertentipp tippt ein externer Experte den Spielausgang. Für den richtigen Tipp gibt es drei Punkte und für die richtige Tendenz (Sieg, Unentschieden, Niederlage) einen Punkt. Verglichen wird dies dann mit einem zweiten Expertentipp, der vom Autorenteam von Miasanrot.de kommt. Am Ende der Saison wird sich zeigen, ob die eingeladenen Experten mehr Punkte erreicht haben, als die Redaktion.
Mit dem Hoffenheim-Sieg rechnete nicht mal Hoffenheim-Fan Julian. Deshalb bleibt es beim 7:5 für die Redaktion.
Den Champions-League-Auftakt tippen Gianni Costa, der stellvertretender Sportchef bei der Rheinischen Post ist und Jugendexperte Martin aus unserer Redaktion.
Gianni Costa: Beide strotzen derzeit nicht gerade vor riesigem Selbstbewusstsein. Die Münchener werden zunächst um einen geordneten Spielaufbau bemüht sein und versuchen, den tiefstehenden Gegner etwas rauszulocken. Anderlecht wird spätestens nach dem zweiten Gegentreffer Anfang der zweiten Halbzeit aufmachen und dem FC Bayern so noch mehr Spielräume ermöglichen. Endstand: 3:1 – darunter zwei Treffer von Robert Lewandowski, der die Tore Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge widmet.
Martin: Ich tippe auf ein 2:0 der Kategorie „Arbeitssieg“. Kann mir gut vorstellen, dass der erlösende Führungstreffer nach zäher Anfangsphase erst in der zweiten Halbzeit fällt und sich unsere Mannschaft lange schwer tut.