Round-Up: Der relative Alterseffekt und Philipp Lahm

Maurice Trenner 22.03.2017

Was ist der relative Alterseffekt?

Der RAE beschreibt im Allgemeinen die Tendenz, dass Spieler mit einem Geburtstag, der früh im Kalenderjahr liegt, eher in Verbands- oder Nationalauswahlmannschaften aufgenommen werden. Der Grund hierfür liegt in der Einteilung der Jugendlichen in U-Mannschaften, der meist alle Spieler eines Jahrgangs in ein Team steckt.

Somit spielen im Extremfall zwei Spieler gegeneinander, von denen einer bis zu 364 Tage älter ist als sein Gegenspieler. Der Unterschied ist hierbei vor allem körperlicher Natur. Ältere Spieler können auch kleinere taktische oder technische Defizite durch ihre stärkere Physis auf dem Platz wettmachen und fallen somit den Talentscouts leichter auf.

Selbst der ehemalige Bayern-Coach Pep Guardiola wäre dem RAE beinahe zum Opfer gefallen. Es brauchte den großen Johann Cruyff, seines Zeichens Trainer des FC Barcelona zu Beginn der 90er-Jahre und prägende Figur der weltberühmten Talentschmiede „La Mesia“, um die Jugendtrainer von Barcelona zu überzeugen Technik über Physis zu wählen. Hier die ganze Anekdote.

Einhergehend mit dem RAE ist dabei der Effekt, dass eine gezielte Förderung und Auswahl in Jugendmannschaften von physisch starken Spielern diese weiter verbessert und zusätzliche Erfahrungen sammeln lässt. Möglicherweise deutlich talentierteren Spielern wird diese Ausbildung jedoch verwehrt, wodurch zusätzlich zu ihrem physischen Defizit auch ihr technischer Vorsprung verloren geht. Die Leistungen scheinen, gerade im Vergleich, zu stagnieren oder zurück zugehen.

Der RAE wurde bereits für mehrere Sportarten und anhand mehrerer Mannschaften untersucht. Er deutet dabei auf Mängel im System der Nachwuchsbewertung hin. Doch trifft dies auch auf die Jugend-Teams des FC Bayern zu und welche Maßnahmen könnte man im Rahmen der bereits laufenden Neuausrichtung ergreifen?

Relativer Alterseffekt im Jugendbereich

Zur Bewertung welchen Einfluss der RAE auf die Spielerauswahl bei den Jugendteams des FC Bayern hat, wurden alle Jugendmannschaften ab der U16 betrachtet. Dies entspricht einer Gesamtmenge von 67 betrachteten Spielern.

Um einen Vergleich zu erhalten, wurden außerdem die Junioren-Teams des DFB begutachtet. Hierbei wurden insgesamt 167 Spieler ab der U15 aufwärts einbezogen. Der DFB stellt dabei für jeden Jahrgang eine eigene U-Mannschaft auf.

Für Bayern und den DFB wurden jeweils die aktuellen Kader laut Homepage verwendet. Die Spieler wurden dann basierend auf ihrem Geburtsdatum in das entsprechende Jahresquartal eingeteilt.

Geburtsquartal der Bayern-Jugend im Vergleich mit der DFB-Jugend und dem Bevölkerungsdurchschnitt

Als zusätzlicher Vergleich wurde weiterhin die prozentuale Verteilung der Geburtsquartale über die deutsche Bevölkerung der 14- bis 21-jährigen hinzugezogen. Dabei sind die Geburtstage hier nahezu gleich verteilt.

Sowohl beim DFB als auch bei den Münchnern fällt auf, dass im ersten Quartal die meisten und im vierten Quartal mit Abstand die wenigsten Spieler ihren Geburtstag feiern. Die U16- und U17-Mannschaft des DFB hat sogar keinen einzigen Spieler im Kader, dessen Geburtstag später als Ende September liegt.

Ebenfalls auffällig ist die U19 der Bayern. Hier sind nur drei der insgesamt 24 Spieler später als Juli geboren. Dies ist vor allem deshalb interessant, da die U19 den einzigen Doppeljahrgang im Vergleich bietet. Hier scheint also deutlicher die Tendenz zu frühen Geburtstagen zu gehen, weil im Extremfall sogar zwei Jahre zwischen Spielern liegen könnten – gerade in diesem Entwicklungsstadium eine Welt.

Dennoch versucht der FC Bayern diesem Effekt etwas entgegen zu wirken. So werden bewusst Spieler im Team behalten, die zwar körperlich nicht mithalten können, aber dafür auf einem sehr hohen taktischen Niveau agieren. Das Musterbeispiel hierfür ist der aktuelle Kapitän der ersten Mannschaft – Philipp Lahm. Der Rechtsverteidiger ist ein Novemberkind.

Ein weiteres, aktuelleres Beispiel ist Gianluca Gaudino. Gaudino ist am gleichen Tag wie Lahm geboren und wurde in seinen ersten Einsätzen in Bayerns Profi-Team für seinen schmächtigen Körperbau kritisiert. Momentan versucht der 20-jährige in der Schweizer Liga Fuß zu fassen.

Das Ziel des FC Bayern ist und muss hier sein in jedem Jahrgang eine Balance zwischen körperlich weiten Spielern und technisch begabten, aber kleineren Spielern zu finden.

Relativer Alterseffekt im Profifußball

Als letzte Statistik soll nun auf die aktuellen Bundesliga-Spieler geschaut werden. Sind hier bereits Auswirkungen der RAE zu erkennen? Zu diesem Zweck wurde der durchschnittliche Geburtstag der aktuellen Bundesliga-Spieler über dem jeweiligen Geburtsjahr dargestellt. Darüber hinaus ist in Rot der Bevölkerungsdurchschnitt dargestellt.

Durchschnittliches Geburtsdatum der Bundesliga-Spieler nach Jahrgang.

Hier fällt sofort auf, dass die Tendenz in den letzten Jahrgängen zu früheren Geburtstagen übergeht. Der Trend nimmt dabei ab dem Geburtsjahr 1980 zu. Diese Jahrgänge stehen unmittelbar mit der Einführung eines neuen Stichtages in Zusammenhang, die in den 90er Jahren angestoßen wurde. Während der DFB vorher auf den 1. Juli die Teams einteilte, wurde im Folgenden die Grenze auf den 1. Januar gelegt. Die Tendenz ist jedoch vor und nach der Stichtagsänderung die gleiche, nur dass die heutigen Novemberkinder früher Julikinder waren.

Ein weitere Treiber in den letzten Jahrgängen könnte zudem die Einführung von Jugendakademien und Stützpunkten zur Talentförderung unter der Aufsicht des DFB in Zusammenhang. Diese wurden unter Initiative von DFB-Präsident Gerhard Meyer-Vorfelder als Reaktion auf die enttäuschende EM 2000 ins Leben gerufen.

Die damit einhergehende stärkere Auslese in den Jugendbereichen scheint auch durch RAE beeinflusst worden zu sein. Dennoch ist die Tendenz im Profi-Bereich deutlich schwächer ausgeprägt. Im aktuellen Kader des FC Bayern sind zwar die wenigsten Spieler im vierten Quartal geboren (Hummels, Lahm, Alonso), aber dafür die meisten im dritten Quartal.

Dies spricht dafür, dass im Profi-Bereich die körperlichen Vorteile deutlich weniger zum Tragen kommen. Dennoch gehen manchen Vereinen bereits im Voraus vielversprechende Talente durch das Netz.

Maßnahmen gegen den relativen Alterseffekt

Abschließend sollen nun noch mögliche Wege aufgezeigt werden, um dem RAE entgegen zu wirken. Diese können richtig umgesetzt dem Anwender einen Wettbewerbsvorteil einbringen. Besonders für den FC Bayern, der weiterhin in einer Neustrukturierung seiner Nachwuchsabteilung ist, sollten solche Ansätze in Zukunft interessant sein.

Ein erster Ansatz ist eine spätere Selektion der Talente. In der Schweiz wird hiermit bis zum U15-Jahrgang gewartet, während beim DFB bereits in der U9 und U11 Talente von Vereinstrainern empfohlen werden können.

Weiterhin wird in der Schweiz das biologische Alter von Spielern bestimmt. Somit kann ein schmächtiger Spieler, der allerdings noch vor einem großen Wachstumsschub steht, identifiziert und dennoch gezielt geschult werden.

Eine Einführung von Quoten, kleinerer Altersklassen oder eine Rotation des Stichtages zur Einteilung der Jugendteams sind ebenfalls Möglichkeiten. Diese müssten allerdings vom Verband beschlossen werden.

Eine letzte Möglichkeit, wird von den Kollegen von Spielverlagerung vorgeschlagen, und könnte sehr wohl auch auf Vereinsebene gut angewandt werden. So sind für das Training eine Verkleinerung von Spielfeldern und Spieleranzahl denkbar, wodurch besonders Spieler herausstechen, die es schaffen in engen Situationen Lösungen zu finden. Desweiteren soll eine altersspezifischere Auslegung des Trainings zu einer objektiveren Bewertung von Spielerpotential führen.

Einige dieser Ansätze sind sicher etwas weithergeholt oder scheinen nur schwer umsetzbar. Allerdings kann so sichergestellt werden, dass der nächste Philipp Lahm auch nicht ungesehen bleibt. Vor allem da das Profi-Team ab nächstem Jahr einen neuen Rechtsverteidiger sucht.

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Eine vorherige Version dieses Artikels hat die Änderung des Stichtags für die Einteilung der DFB-Jugendmannschaften nicht erwähnt. Dies wurde nun richtiggestellt. Vielen Dank an die aufmerksamen und fachkundigen Leser.