Der neue Zinnbauer – der HSV in der Vorschau

Felix Trenner 19.09.2014

Transfers & Personal

Sagenhafte 29,3 Millionen Euro investierten die Hamburger in diesem Transfersommer – nur das Spitzentrio Dortmund, Bayern und Leverkusen zahlte mehr für neue Spieler. Verantwortlich für den Kaufrausch? Zum einen Sportdirektor Dietmar Beiersdorfer, im Sommer zurückgekehrt an seine alte Wirkungsstätte, um den HSV vor dem sportlichen Absturz zu bewahren. Zum anderen Großinvestor Klaus-Michael Kühne, der sich abermals mit einigen Millionen ein Mitspracherecht im Verein kaufte. Möglich gemacht hatte diese Form der Investition die Umstrukturierung des Vereins in eine Gesellschaft, die gleichzeitig dafür sorgte, dass der harte Kern der Fans, unter anderem die Ultragruppe „Chosen Few“ sich komplett abspaltete.

In jedem Fall ließt sich die Liste der Sommertransfers wie die eines wirtschaftlich erfolgreichen Mittelfeld-Klub mit Ambitionen nach Europa. Eine Auswahl: WM-Teilnehmer Valon Behrami wechselte vom SSC Neapel an die Elbe, Lewis Holtby wurde aus Tottenham geliehen, Nicolai Müller vom FSV Mainz 05 gekauft. Für die Abwehr konnte Mathias Ostrzolek verpflichtet werden, hochgelobter Augsburger, ihm zur Seite steht Cleber, ein 23-Jähriger Innenverteidiger von Corinthians. Nicht zu vergessen: Der Königstransfer Pierre-Michel Lasogga, für den die Nordlichter 8,5 Millionen Euro hinblätterten. Auf der anderen Seite stehen als Abgänge Hakan Calhanoglu und Milan Badelj für 14,5 bzw. 4 Mio. Das alles ließt sich sehr gut und macht aus spieltaktischer Sicht durchaus Sinn. Die größten Probleme hatte der HSV in der vergangenen Saison im defensiven Mittelfeld und auf den Außenbahnen. Hier wurde mit Behrami, der auch von einigen spanischen und englischen Top-Klubs umworben wurde, sinnvoll verpflichtet, der Schweizer erfüllt exakt das benötigte Anforderungsprofil. Lewis Holtby ist weiterhin unheimlich talentiert, auch wenn ihm die Jahre in England einiges an Spiel- und Entwicklungszeit genommen haben dürften. Dasselbe gilt für Nicolai Müller, der lange Zeit als Nationalmannschaftskandidat galt und offensichtlich ohne seinen persönlichen Förderer Thomas Tuchel keine Zukunft in Mainz sah. Genauso sinnhaft sind die Verpflichtungen in der Abwehr, Ostrzolek kann Jansen unterstützen, der ohnehin mehrheitlich im Mittelfeld eingesetzt werden möchte, wenn er nicht gerade verletzt ist. Und Cleber soll Heiko Westermann ablösen, der neben dem soliden Johan Djourou oft sehr schlecht aussah im letzten Jahr.

Dazu konnte auch die zweite Reihe sinnvoll verstärkt werden: Zoltan Stieber spielte eine gute Zweitliga-Saison bei Greuther Fürth und Julian Green, der vom FC Bayern geliehen wurde, darf sich berechtigte Hoffnungen auf einige Startelfeinsätze machen, solange Müller noch nicht bei 100 Prozent ist. Einzig im Sturm fehlt es hinter Lasogga an Qualität. Artjoms Rudnevs kommt nicht über die Rolle als Notnagel hinaus. Die Neuzugänge beim HSV brauchen vor allem das, was der Verein nicht hat: Zeit. Holtby spielte wenig in England und muss erst wieder das Niveau erreichen, welches er auf Schalke hatte. Müller ist weiterhin nicht fit, Green muss sich an die Bundesliga gewöhnen. Wenn dann auch noch Stürmer Lasogga außer Form ist, passiert das, was man in den letzten drei Spielen beobachten konnte: Keine Torgefahr, keine Tore und daher auch keine Punkte. Am letzten Spieltag spielten sieben Neuzugänge von Beginn an. Vielleicht ein zu starker Umbruch.

System

Es ist kaum vorherzusagen, was genau Joe Zinnbauer mit seiner Mannschaft vor hat. Ex-Trainer Slomka vertraute auf ein 4-2-3-1 mit Doppelsechs, die für mehr Sicherheit im Aufbauspiel sorgen sollte. Aufgrund mehrerer Verletzungen konnte er jedoch nie auf den gesamten Kader zurückgreifen und seine Wunschmannschaft auf’s Feld schicken. Es ist davon auszugehen, dass auch der neue Coach auf das bewährte System zurückgreifen wird. Mit der U23 des HSV, die Zinnbauer in dieser Saison zu einer beeindruckenden Siegesserie von acht Spielen in Folge führte, setzte er ebenfalls auf die Doppelsechs. Auch personell dürfte sich nicht allzu viel ändern, auf Teufel komm raus frischen Wind reinzubringen, dürfte gegen den FC Bayern nicht zwingend das richtige Konzept sein. Verkraftet werden müssen weiterhin die langfristigen Ausfälle von Jansen, Rajkovic, Beister, Illicevic und van der Vaart. Für den Kapitän dürfte Lewis Holtby hinter Lasogga als einziger Spitze auflaufen, links von Müller oder Stieber, rechts von Green unterstützt. Tolgay Arslan, weiterhin Licht und Schatten sollte seinen Platz neben Behrami behalten können, auch wenn der aus der zweiten Mannschaft aufgerückte Tolcay Cigerci sich hier Hoffnungen machen darf. Interessant zu beobachten wird sein, ob in der Abwehr bzw. im Tor jemand einen Denkzettel verpasst bekommt. Rene Adler, von Slomka zuletzt diffamiert und durch Drobny ersetzt, könnte eine erneute Bewährungschance erhalten. Ob Zinnbauer Cleber neben Djourou vertraut, ist offen – Westermann stünde als Ersatz bereit. Links hinten hat Ostzolek seinen Platz sicher, rechts könnte es Diekmeier erwischen, der von Youngster Ashton Götz (ein Zögling Zinnbauers aus der U23) bedrängt wird.

Das gewisse Etwas

Für die Saison? Unvorhersehbar. Für Samstag? Mit Sicherheit der Trainerwechsel. Zinnbauer hat es mit seinen offensiven Aussagen bei der ersten Pressekonferenz zumindest geschafft, den Kampfgeist in der Mannschaft und im Umfeld des HSV wieder zu entfachen. Er kommt als Erfolgscoach von der U23, hat eine Siegesserie vorzuweisen und kennt die Gesichter. Was dem Klub lange gefehlt hat, ist die mannschaftliche Geschlossenheit und der Pathos, alles für den Verein zu geben. An den Fans und am Stadion lag es letztes Jahr nicht, dass der Hamburger SV fast abgestiegen wäre – sondern am Team, dass zwar solide bis gute Einzelakteure hatte, aber nie als Elf funktionierte. Was Slomka nicht schaffte ist jetzt Zinnbauers oberstes und primäres Ziel. „Alle erwarten eine Niederlage“, sagte der Trainer vor dem Spiel – damit hat er Recht. Mit einem Punktgewinn gegen den großen deutschen Meister kann die Wende eingeleitet werden.

Prognose

Zinnbauer muss eine Gratwanderung vollziehen, gerade was das nächste Spiel gegen den für den HSV scheinbar unschlagbaren FC Bayern angeht. Zu viel Veränderung dürfte das Team weiter verunsichern, keine Veränderung ist das falsche Zeichen – denn so wie in den letzten Spielen kann es nicht weitergehen. Es ist davon auszugehen, dass die drei Jungspunde, die er aus der U23 mitgebracht hat (Cigerci, Götz und Marcos) den schwächelnden Etablierten wie Diekmeier oder Arslan Druck machen. Konkurrenzdruck, der vorher angesichts Verletztenmisere nicht vorhanden war. Am Samstag wird es, davon ist mit großer Wahrscheinlichkeit auszugehen, nicht zu einem Sieg reichen, dazu ist die Mannschaft zu wenig eingespielt. Aber längerfristig kann Zinnbauer dem HSV zu altem Erfolg verhelfen – wenn den Verantwortlichen die Lösung auf Dauer nicht „zu klein“ ist. Dino back on the track? Maybe.