Wohin führt Nico Kovac den FC Bayern?
Saisonziele ergeben sich meistens quasi von alleine. Gewissermaßen stellt das Abschneiden des Vorjahrs gewissermaßen einen Auftrag an die neue Saison, es gilt, entweder eine Schmach zu tilgen oder einen versäumten Titel zu holen. Man denke z.B. an die CL-Finalniederlagen von 1999 oder 2012 und die Rolle, die diese Resultate für den Verlauf der folgenden Jahre hatten. Nun ist der FC Bayern zwar auch in der abgelaufenen Saison 2017/18 in der Champions League letztlich nur knapp gescheitert, aber angesichts der eigenen Transfers und der Investitionen, die im Vergleich dazu andernorts getätigt werden, drängt sich nicht unbedingt der Eindruck auf, als würde der Verein es nun wirklich wissen wollen.
Bezüglich internationaler Ambitionen tritt der Verein derzeit augenscheinlich eher einen geordneten Rückzug an, als sich im Angriffsmodus zu befinden. Die Champions League ist für den neuen Trainer Niko Kovac eher unbekanntes Terrain, er muss sich im Konzert der Großen erst noch beweisen. Selbst der nationale Wettbewerb stellt für Kovac durchaus eine Herausforderung dar, ungeachtet der weit verbreiteten, aber deshalb noch lange nicht korrekten Annahme, mit Bayern München könne nun wirklich jeder Trainer locker Deutscher Meister werden. So kommt es, dass hinsichtlich der Motivation ein gewisses Gefälle zwischen neuem Trainer, Mannschaft und Umfeld festzustellen ist.
Pflichtaufgabe Bundesliga
Für Niko Kovac könnte die Saison mit der ersten Meisterschaft seiner Trainerlaufbahn enden; ein persönlicher Erfolg, der jedoch nicht nur für Spieler wie Robert Lewandowski oder James Rodríguez kaum die Erfüllung ihrer Sehnsüchte bedeuten würde. Auch bei zahlreichen Fans löst die Aussicht auf einen siebten Titel in Folge kaum Euphorie aus, ist die Bundesliga mittlerweile zu einer Pflichtaufgabe geworden. Man kann mit Recht behaupten, dass diese unangefochtene Stellung Bayerns für Niko Kovac durchaus ein Problem ist. Ähnlich wie Jürgen Klinsmann im Sommer 2008 von Ottmar Hitzfeld übernimmt Kovac von Jupp Heynckes ein Team, das ungefährdet Deutscher Meister wurde, aber zum Saisonende hin allzu sorglos auftrat und so den einen oder anderen Titel liegen ließ. Es dürfte entscheidend für den Saisonverlauf sein, ob es Kovac gelingt, die Mannschaft auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören, um wieder Zug ins Team zu bekommen.
Daher ist es von Vorteil, dass der neue Trainer gerade im Bereich der Mannschaftsführung und Kommunikation mit den Spielern seine Stärken zu haben scheint. Als persönlicher Wunschtrainer des Präsidenten kann Kovac zudem berechtigterweise auf einen gewissen Rückhalt von Seiten des Vorstands hoffen und muss auch bei ersten Misserfolgen trotz des unvermeidlichen medialen Drucks nicht befürchten, sofort wieder vor die Tür gesetzt zu werden. Es ist sogar denkbar, dass eine anfängliche sportliche Krise heilsamen Charakter haben könnte und als Katalysator bei dem Prozess, die Mannschaft zu „seinem“ Team zu machen, fungiert: Steht eine Mannschaft bei an sich intaktem Binnenklima mit dem Rücken zur Wand, schweißt dies nicht selten zusammen und erzeugt eine Art Wagenburgmentalität.
Genau diese Mentalität ist es auch, nach der Uli Hoeneß sich so zurücksehnt und in der er den Schlüssel dazu sieht, mit dem Verein wieder den Thron Europas zu erobern. Man hatte in den vergangenen Jahren seit dem Triple-Gewinn phasenweise die beste Mannschaft Europas, den besten Trainer, die elaborierteste Taktik und dennoch hatte es nie zum Einzug ins CL-Finale gereicht. Stattdessen musste man zusehen, wie dort spielerisch an sich unterlegene Mannschaften wie Atletico oder auch Real den Titel untereinander ausfochten, die dem FC Bayern vor allem hinsichtlich Siegermentalität und Abgezocktheit überlegen waren. Attribute, für die man bequemerweise nicht zwangsläufig Hunderte von Millionen hinblättern muss und mit denen man finanzkräftigeren bzw. investitionsfreudigeren Teams aus Europa die Stirn bieten kann, ohne ins Wettbieten um die großen Superstars einsteigen zu müssen.
Wie in der ersten Heynckes-Ära?
Ein wenig erinnern die aktuellen Umstände an die erste Amtszeit unter Jupp Heynckes: Auch dieser übernahm 1987 ein in der Bundesliga erfolgsverwöhntes Team (Deutscher Meister 1985, 86, 87) von einer sich zur Ruhe setzenden Trainerlegende (Udo Lattek). Auch Heynckes übernahm ein Team, das nach der Finalniederlage gegen Porto merklich im Motivationsloch steckte und dessen internationale Ambitionen eher unklar waren. Man hatte es versäumt, das durch den Ausschluss der englischen Vereine entstandene relative Machtvakuum in Europa auszunutzen und musste nun mitansehen, wie Bayern München und der Bundesliga insgesamt durch die Serie A langsam aber sicher der Rang abgelaufen wurde. Und auch Heynckes übernahm ein nahezu unverändertes Team voller arrivierter Spieler.
Die Spielzeit 1987/88 war deshalb auch eine Übergangssaison: In der Bundesliga musste sich der FCB trotz 22 Siegen und umgerechnet ordentlichen 70 Punkten mit der Vize-Meisterschaft begnügen (was vor allem an der schwachen Defensivleistung lag), im Europapokal scheiterte die Mannschaft im Viertelfinale an Real Madrid. Man verlor aber nicht nur den Titel, man büßte vor allem den Nimbus der Unantastbarkeit ein. Hatte man die Vorsaison mit nur einer einzigen Niederlage beendet, setzte es nun gleich acht. Blieb man 1986/87 auswärts ungeschlagen, verlor man nun bei sämtlichen direkten Konkurrenten. Im Umfeld rumorte es, Heynckes war in der Mannschaft und bei den Fans umstritten.
Erst in der zweiten Saison gelang es Heynckes, das Team zu seiner Mannschaft zu machen. Man trennte sich von Stars wie Matthäus oder Michael Rummenigge und kaufte junge Spieler wie Thon, Reuter oder Grahammer. Und erstmals gab es eine grundlegende Transformation im Bayern-Mittelfeld, bei der man sich von dem Prinzip des kampfstarken Leitwolfs im Zentrum (Roth, Breitner, Lerby, Matthäus) zugunsten eines aus technisch versierten, kleinen Dribblern bestehenden Mittelfelds verabschiedete. Mit Thon, Dorfner, Schwabl und Flick etablierte Heynckes durchaus erfolgreich einen neuen Stil, der Bayern auch international konkurrenzfähig hielt.
Zudem kam Heynckes der Umstand zugute, dass mit Christoph Daum und dem 1. FC Köln ein gemeinsamer äußerer Feind dafür sorgte, dass sich im Verein ein ungeahnter Zusammenhalt etablierte. Nichts hat den Sympathien von Heynckes bei den Fans und innerhalb der Mannschaft derart geholfen wie die Verbalattacken Daums. Siege aus der Saison 1988/89 wie jene bei Inter Mailand oder beim 1. FC Köln sind vor allem Zeugnis einer mannschaftlichen Geschlossenheit und eines Zusammenhalts, den man selten zu Gesicht bekommt.
Nun lassen sich derartige Szenarien schlecht planen, und auch wenn in der Gegenwart ein ernsthafter Bundesligakonkurrent sicherlich dazu beitragen könnte, einen schärferen Fokus wiederherzustellen und dem Bundesligaalltag verlorengegangenen Reiz zu verleihen, sollte man sich dennoch nicht darauf verlassen, mittels solcher äußeren Faktoren in die Erfolgsspur zu kommen. Wenn es aber eine Lehre aus der Vergangenheit gibt, dann jene, dass man einem Trainer auch das Vertrauen und die Handhabe geben muss, den Kader nach seinen Präferenzen umzugestalten. Nicht in dem Sinne wie Gladbach dies unter Dick Advocaat oder Wolfsburg unter Magath erlebte – aber wenn man von einem Trainer und dessen Konzept überzeugt ist, dann sollte man ihm auch das passende Personal zur Verfügung stellen.
Ob Kovac tatsächlich der richtige Mann am richtigen Ort ist, wird erst die Zukunft zeigen. In jedem Fall wird er aber ein besserer Trainer sein, wenn die Spieler auch zu seinem System passen. Die handelnden Akteure im Verein sind deshalb gut beraten, sich tatsächlich auf den neuen Trainer einzulassen und ihm nicht mittels eines unausgegorenen Kaders voller Altlasten die Etablierung eines eigenen Stils zu versagen. Dazu gehört selbstverständlich, Vertrauen in die Fähigkeiten des Trainers zu haben. Aber wenn man diesen Trainer anderen Kandidaten wie Nagelsmann oder Tuchel vorgezogen hat, dann doch hoffentlich im Vertrauen auf seine Kompetenz und nicht, weil man ihn im Vergleich für willfähriger und pflegeleichter hielt.