Vincent Kompany: Ein Gelehrter Guardiolas

Maximilian Trenner 31.07.2024

Die Saisonvorbereitung stellt jedes Jahr aufs neue den Startschuss für ein ereignisreiches, spannendes und immer wieder lehrreiches Fußballjahr dar. Dabei steigt das Spannungslevel nochmal um ein Vielfaches, wenn einige neue Gesichter auf dem Trainingsgelände sieht, dabei stellt sich oft die Frage: „Was machen die neuen anders?“ Dieser Frage wollen wir uns hier stellen.

Die ersten Einheiten: Das kann man mitnehmen

In der Vorbereitung hatte ich die Gelegenheit, mir zwei öffentliche Trainingseinheiten von Vincent Kompany anzuschauen. Diese dauerten jeweils, wie zu dieser Phase in der Saison üblich, etwas mehr als 1,5 Stunden. Zum Aufwärmen gab es einmal eine Stretching-Einheit, die gerade die Beweglichkeit erhöht und die Verletzungsanfälligkeit in den Muskeln senkt, und einmal koordinative Laufübungen, die, wie der Name schon sagt, die Koordination im Bewegungsablauf verbessern. Für diese Übungen ist ein hohes Maß an Konzentration erforderlich

Es ist von großer Bedeutung, dass die Spieler vor dem Spiel oder Training nicht nur laufen, sondern auch andere Bewegungsabläufe mit koordinativen Übungen trainieren, die sie später wiederholen können. Dies verbessert die Zusammenarbeit zwischen Nerven und Muskeln. Zudem ermöglicht das Aufwärmtraining durch das ‚Aktivieren des Körpers‘ den Spielern, schneller und effektiver auf verschiedene Situationen im Spiel oder im Training zu reagieren. Wenn die Muskeln auf die bevorstehende Belastung vorbereitet sind, verkürzen sie sich nicht so schnell, was das Risiko von Zerrungen, Muskelfaserrissen oder anderen Muskelverletzungen verringert.

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Im Anschluss ging es dann direkt in beiden Einheiten jeweils nach rund 15 Minuten schon zum interessanten Teil – den Spielformen. Ich werde im Weiteren mir interessante Punkte herauspicken, welche besonders erwähnenswert sind.

Fokus 1: Umschaltsituationen aus kleinen Räumen

Im ersten Training gab es direkt auf den ersten Blick eine interessante Übung, nämlich ein kleinräumiges 2v4. Dabei handelte es sich um zwei Quadrate im Format Gelb (2) gegen Orange (4). Das Ziel war, dass das orange Team vom unteren Viereck in das obere (bzw. zurück) mit so wenig Berührungen wie möglich gelangt. Das gelbe Team sollte auf das nahestehende Tor, das jeweils am Ende des Spielfelds platziert war, gegenkontern. Interessanterweise wurden schnelle Flügelspieler um die 2v4-Formationen herum platziert, die gerade in Umschaltmomenten zum Einsatz kommen sollten, während alle orangen Spieler den Fokus eher auf das defensive Umschalten legten.

Wurde der Ball also verloren, sollte die gelbe Mannschaft schnell in Richtung des Tors umschalten, während das Spielfeld geteilt wurde und die Gegner in das defensive Umschalten gingen. Ein großes Thema war hierbei, wie schnell man in eine Viererkette zurückfindet und gleichzeitig den Konter verteidigen kann bzw. wie gut man in die gegnerische Unordnung hinein angreift. Das Ziel des Spiels für Orange mit Ball besteht also darin, den Ball zu halten und Vierecke zu verlagern. Orange kann also gar kein Tor schießen, während gelb auf beide Tore spielt.

Um den Umschaltfokus der Spielform zu erhöhen, ließ man das Spiel teils weiterlaufen. Es ergaben sich vielerlei Ballbesitzwechsel. Teils spielte auch das Trainerteam wieder Bälle in das »große« Spiel, um einen weiteren direkten Angriff nach der Klärungsaktion der orangen Mannschaft zu simulieren.

Für mich zeigt allein diese Trainingsform, dass sich Kompany intensiv mit den Problemen des Vorjahres auseinandergesetzt hat und das Umschalten in beide Richtungen einstudiert, wobei der Fokus klar auf das Herstellen einer defensiven Stabilität nach hohem Aufrücken liegt. Zudem zeigt es, inwieweit auch Kompany von Pep Guardiola beeinflusst wurde. Das von mir umschriebene 4v2 ist in der Fachsprache nämlich der Rondo, was auch Lehrmeister Pep sehr gerne im Training praktizierte.

Der Rondo ist ein einfaches Spiel, das das Passspiel, die Übersicht, die Kontrolle und das Kombinationsspiel der Spieler trainiert. Die Spieler im Ballbesitz müssen eine vom Trainer vorgegebene Anzahl von Pässen erreichen, während die Verteidiger verhindern müssen, dass ihre Gegner diese Anzahl erreichen. Dabei kombinierte das Trainerteam diese Übung mit den oben genannten Punkten in den Umschaltphasen, wodurch ein großes Gesamtpaket entstand.

Fokus 2: Pässe in den Zwischenlinienraum

Vereinfacht dargestellt: Die Passform Nr. 1 von Vincent Kompany. Diese Zeichnung wird dazu spiegelverkehrt von der anderen Seite aus durchgeführt.

Dazu kam im zweiten Training eine Passform. In der Ursprungsform baut das Trainerteam zwei Viererreihen aus Stangen (Grün-Weiß) auf, die einen Viererblock aus Abwehr und Mittelfeld im 4-4-2 simulieren sollen. Dieses System stellt wohl einen tiefen Block dar, wobei die Kernfrage lautet: „Wie bespielen wir tief stehende Gegner auf engem Raum?“ Im ersten Fall geht es um die Lösungsmöglichkeit des Bespielens des Zwischenlinienraums. Hierbei kombiniert das Trainerteam direkt mögliche Stärken von Spielern, wie Dribblings vom Flügel in den Halbraum (siehe oben), mit anschließendem Wechsel der Seiten. Auf der gegenüberliegenden Seite ist dann ein Kernpunkt, wie sich der Spieler aufdreht und dann den Pass, möglicherweise mit dem schwächeren Fuß, spielt.

Neben diesen Grundformen wurden auch zwei weitere Variationen dieser Übung praktiziert. Bei der zweiten Variation wurde das Thema „Wandspiel im Zentrum“ in den Fokus gestellt. Hierbei legte das Trainerteam großen Wert darauf, dass beim Drehen nach der Ballannahme das Tempo auf einem hohen Level bleibt. Im dritten Teil kam eine ähnliche Übung mit „Steil, klatsch, steil“-Fokus, wonach in die Tiefe gespielt wurde, dann abgeklatscht wurde, und man anschließend eine Station höher rückte. Auch hierbei sollte die Passschärfe hoch bleiben und das Abklatschen in den zentralen Punkten technisch sauber erfolgen. Diese Übung wurde von Aaron Danks geleitet, der immer wieder Zurufe wie „Speed“ oder „Precision“ in die Übung einwarf. Auch Kompany stand an der Seitenlinie und motivierte seine Spieler.

Fokus 3: 2+1-Aufbau und Improvisation

Darauf folgte eine kleine Simulation des „normalen“ Spieles, allerdings mit abgeschnittenen Flügeln, also verengt, und dazu ohne Tore. Hierbei spielte weiß gegen rot, wobei zwei gelbe Zentrumsspieler neutral immer zur ballspielenden Mannschaft gehörten und aktiv gesucht werden sollten, hierbei wurde gerade das „Steil, klatsch, steil“ genutzt, was zuvor in der Passübung erwähnt wurde. Am Ende des Feldes wurde jeweils ein neutraler zusätzlicher Spieler generiert, die oft den mittleren Innenverteidiger oder den Torwart aus der Aufbaudreierkette simulierten und einfache Pässe spielen sollten bzw. flache Seitenverlagerungen.

Ähnlich wie bei Burnley bereitet Vincent Kompany also auch bei Bayern seinen 3-4-2-2-Aufbau vor. Nun werden sich einige fragen: Das sind doch 11 Spieler?! Ja, aufgrund der Inhalte des Trainings, wo ein Torwart aktiv als Teil der Aufbaudreierkette agierte, zähle ich ihn direkt bei diesem System mit. Er setzt zwei Stürmer ein, die sich fallen lassen, um die gegnerischen Verteidiger herauszulocken und zentrale Räume zu öffnen, die die Flügelspieler nutzen können. Das Spiel beginnt damit, dass der Innenverteidiger den Ball an den Torhüter weitergibt. Daraufhin rückt das zentrale Mittelfeld in Richtung Ball, und auch die Außenverteidiger suchten im Training beim FCB die Nähe zum Innenverteidiger im Ballbesitz. Danach versucht man, nach diesem Locken des Gegners, ihn zu überspielen und die geöffneten Räume über die Außenspieler zu nutzen. Hierbei stellte Kompany im Training extra mit sieben Spielern auf, um auch Flexibilität und Improvisation im Pressing zu provozieren. Teils musste so beispielsweise der Stürmer den Deckungsschatten zum Sechser halten beim Anlaufen des Innenverteidigers oder der ballferne Außenverteidiger offen gelassen werden.

Ein massiver Aspekt bei Burnley war auch die hoch aufrückende Abwehrreihe im Aufbau. Da sie so in ihrer Struktur viele Spieler auf engem Raum im Zentrum hatten, wurde auch das Gegenpressing ein wichtiger Punkt. Mehr Spieler in der Nähe des Zentrums, die den Ball zurückerobern können, machen es dem Gegner schwer, etwas zu tun, wenn er in Ballbesitz kommt. Daher war auch dies bei dieser Übung ein Punkt: aggressives Herausrücken (auch die äußeren gelben Spieler) und kollektives Gegenpressing.

Als kleinen „Spaß-Punkt“ ließ er am Ende noch vier Tore zu dieser Übung hinzufügen. Diese Diamantform schnitt die Ecken des Feldes ab, wodurch die zentralen Räume essenziell wurden. Das Spiel ging stetig hin und her, praktisch vom einen Eck ins andere. Es bedarf einer hohen Konzentration, um ständig die Position zu wechseln, die Aufgaben zu kennen, sich wieder neu zu positionieren und gleichzeitig den Ball zu fordern sowie die Mitspieler im Blick zu behalten. Diese diagonal flache Spielweise bildet die Basis für ein hochwertiges Positionsspiel und zwang die Spieler zu dieser Herangehensweise.

Allgemein fiel auf, dass Kompany im Cool-Down nochmals auf technische Inhalte setzte, um der aktiven Regeneration zu dienen. Dabei erkennt man jedoch, dass das Level der Intensität stets hoch bleiben muss und Kompany dies mit seinem Coaching auch immer einfordert. Wiederholungen oder bloße Laufrunden zu absolvieren oder Zeit auf Rudergeräten, Laufbändern und Fahrrädern zu verbringen, ist vergebliche Mühe, wenn dies nicht zu Leistungssteigerungen auf dem Spielfeld führt. Daher wirkte es auf mich so, als hätte man in den ersten Tests Spieler mit Leistungsdefiziten im athletischen Bereich identifiziert, die individuell diesen Abstand aufholen sollen, ohne das Kollektiv dafür zu bestrafen.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Vincent Kompanys Stil eine bedeutende Entwicklung in der Philosophie des Vereins aufzeigt. Kompany verfolgt einen dynamischen und progressiven Ansatz, der auf Ballbesitzfußball, hohem, aber flexiblem Pressing und Stabilität in den Umschaltphasen basiert. Dabei wurde Kompany in seiner Trainingsarbeit maßgeblich von Trainern wie Guardiola und De Zerbi geprägt, was sich in Aspekten wie dem 2+1-4-Aufbau oder der Rondo-Übung zeigt.

Dieser erste Eindruck unterstreicht, dass Kompany nicht nur geholt wurde, weil er verfügbar war, sondern weil seine Ideen sich mit der Philosophie des FC Bayern im Bereich Positions- und Ballbesitzspiel überschneiden. Auch Personalien wie René Maric unterstützen dies vollumfänglich,: „Wir wollen immer die dominante Mannschaft sein. Wir wollen immer den Raum für den Gegner minimieren, wenn sie den Ball haben, und ihn maximieren, wenn wir ihn haben. Wir wollen Spieler haben, die das individuell können, wir wollen eine Struktur und dann Coaching-Punkte, damit die Spieler lernen können, das als Team umzusetzen und in all diesen vier Spielphasen zu dominieren.“ (Training Ground Guru) Maric, Kompany und Danks arbeiten allgemein in der Trainingsarbeit sehr eng zusammen, niemand steht still, alle geben ihre Punkte aktiv in die Einheiten. Hierbei teilt das Team sich auf, bspw. erhält jeder Trainer ein anderes Team, welches er im besonderen Fokus hält. Passübungen gehören allerdings eher in den Bereich von Danks, während sich Maric um mannschaftstaktische Übungen kümmert.

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