Uli Hoeneß: Für und gegen 50+1

Christian Trenner 23.08.2018

Christian Nandelstädt – vielen besser bekannt als texterstexte – kommentierte die Geschehnisse am Mittwoch in seinem Blog.

Das Gespräch zwischen Wontorra und Hoeneß ist aus mehreren Blickwinkeln ein Lehrbeispiel. Für den erbärmlichen Zustand großer Teile des Sportjournalismus. Für unwidersprochene und unhinterfragte Irrungen und Wirrungen auf beiden Seiten. Für die nicht minder oberflächliche Rezeption in den Sozialen Netzwerken in grobem Schwarz-Weiß.

Ausführlich polemisiertbesprochen wurde das Thema 50+1. Hierzu habe ich den Wortlaut der Hoeneß-Aussagen aufgeschrieben und stelle dem die Fakten und meine Meinung gegenüber:

„Wir waren dafür, die 50+1 Regelung abzuschaffen. Nicht weil der FC Bayern sich davon Vorteile verspricht, sondern wir wollen den anderen Vereinen die Möglichkeit geben, sich wirtschaftlich vielleicht zu verbessern. Wir wollen ihnen auch ein Alibi nehmen. Die sagen ja immer, der FC Bayern ist vielleicht nicht dafür (für die Abschaffung von 50+1), damit er keine Konkurrenz kriegt. Das ist falsch. Wir sind dafür, die 50+1 Regelung abzuschaffen, weil es dem einen oder anderen Verein, siehe Hannover, oder anderen, die Möglichkeit gäbe, Investoren hinzuzunehmen.“

Andere Vereine sollen also sich für Investoren öffnen dürfen, um dem FC Bayern Konkurrenz zu machen. Dieses Motiv erläutert Hoeneß im weiteren Verlauf:

„Ich habe auch in dem Zusammenhang nie verstanden, dass Borussia Dortmund dagegen ist. Weil Dortmund hat ja selber glaube ich nur noch 15% von ihrem Kapital, obwohl sie die Stimmrechte haben. Da scheint mir eher das Gefühl zu sein, dass man eher die Konkurrenz schwach halten will. Das ist aber falsch. Weil eine gesunde Konkurrenz und den anderen Vereinen die Möglichkeit zu geben, etwas zu verbessern, das sollte man machen.“

Die Borussia Dortmund GmbH & Co. KG auf Aktien hält über den e.V. sogar nur noch gut 5% ihres Kapitals. Über die Konstruktion mit der Geschäftsführungs-GmbH sind die Auflagen der DFL erfüllt, die Kontrolle über die Lizenzspielerabteilung zu haben. Die Haltung von Watzke (laut Sportschau: „Wir haben 153.000 Mitglieder, und ich weiß, dass die meisten von denen 50+1 erhalten wollen. Wollen wir jetzt über deren Köpfe hinweg diese Regel abschaffen?“) mit Verweis auf den Willen der Mitglieder pro 50+1 zu sein, ist nachvollziehbar. Er lehnt schließlich nicht ab, dass auch andere Clubs einen Weg wie Borussia Dortmund gehen. Er ist für 50+1, mit der Begründung, dem Willen der Mitglieder, denen er verpflichtet ist, zu folgen. Im übrigen müsste aus dem gleichen Grund auch Hoeneß pro 50+1 sein. Schließlich hat auch die Mitgliederversammlung beim FC Bayern für die Selbstbeschränkung gesorgt, dass der FCB höchstens 30% der Kapital- und Stimmanteile im fremde Hände legen darf.

„Ich habe auch Verständnis für die Aktivitäten von Herrn Kind, der seit 20 Jahren hier sein ganzes Engagement reinlegt und keine Möglichkeit hat, den Verein mit zu übernehmen.“

Uli Hoeneß ist bekanntlich mit Martin Kind befreundet und kann daher sicher Verständnis für seine Aktivitäten haben. Sachlich betrachtet lehnte die DFL jedoch Kinds Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung ab. Mit der Begründung, dass das Kriterium der „erheblichen Förderung“ nicht erfüllt sei. Ein Kriterium, das Kind vier Jahre zuvor ausdrücklich richtig fand. Dazu ergänzte Andreas Rettig in einem Interview mit schwatzgelb.de: „Im Dezember 2014 haben wir in einer DFL-Mitgliederversammlung die Kriterien, die zu einer Ausnahmegenehmigung führen und juristisch klar definiert sind, vorgestellt. Da haben 35 von 36 Vereinen … diesem Antrag zugestimmt, also auch Herr Kind. Und jetzt findet er die Regelung auf einmal nicht mehr gut, das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.“

Für diese Aktivitäten von Herrn Kind kann man außerhalb seines Freundeskreises kaum Verständnis haben.

„Ich schätze St. Pauli als Verein sehr, aber die dürfen nie das Maß aller Dinge in der Bundesliga sein. Und die Meinung, die dort gilt, darf nie für die Bundesliga gelten.“

Hier bezieht Hoeneß sich auf die Versammlung der Proficlubs der DFL am 22. März 2018. Dort brachte Andreas Rettig vom FC St. Pauli einen Antrag ein. Der Antrag beinhaltet einen „Prozess zur Verbesserung der Rechtssicherheit sowie weitere Überlegungen hinsichtlich geänderter Rahmenbedingungen unter Beibehaltung der 50+1-Regel“. Diesem Antrag, in dem es also nicht einfach um ein Ja oder Nein zu 50+1 ging, sondern um ein „Ja, unter möglicherweise veränderten Bedingungen“ stimmten 18 der 34 anwesenden Proficlubs zu. Rettig erfragte übrigens später bei den abwesenden Vereinen Regensburg und Kaiserslautern deren Votum. Sie hätten ebenfalls dem Antrag zugestimmt. Hoeneß, der bei Wontorra noch einmal betonte „Ich bin ein Demokrat“, muss akzeptieren, dass hier in einer demokratischen Abstimmung lediglich 4 Vereine gegen den Rettig-Antrag gestimmt haben. Darunter die SpVgg Greuther Fürth, die danach betonte, ebenfalls pro 50+1 zu sein, aber den Antrag aufgrund seiner Formulierung abgelehnt habe. Somit teilt die große Mehrheit der Proficlubs die Meinung des FC St. Pauli. Ob es Uli Hoeneß passt oder nicht.

Wontorra fragt dann tendenziös:

„Warum ist für Sie und für Karl-Heinz Rummenigge das Festhalten an 50+1 purer Populismus?“

„Naja, weil man glaubt, dass man dann nicht fremdes Kapital im Verein hat. Und man will die Gelder alle bei den Mitgliedern lassen und im Verein lassen.“

Hier liegt Hoeneß meiner Meinung nach falsch. Sicher werden die meisten Fans und Mitglieder kein Problem damit haben, wenn viel „fremdes Kapital im Verein ist“. So lange der Verein die Stimmenmehrheit behält. Es geht bei der Diskussion um 50+1 nicht in erster Linie um Gelder, sondern um Mitbestimmung.

Wontorra und Hoeneß – ein Gespräch unter Freunden, aber sicher kein kritischer Journalismus.
(Foto: Joerg Koch / Getty Images for Sky Deutschland)

„Bei uns ist es ja so geregelt: Wir haben eine Vereinbarung mit unseren Mitgliedern, dass wir maximal 30% unseres Kapitals an Investoren verkaufen dürfen. Sollten wir das verändern wollen, bräuchten wir die Zustimmung der Mitglieder auf der Hauptversammlung. Und zwar zu drei Vierteln. Und die kriegen wir nie. Also wir haben uns selbst beschränkt.“

Das Modell, das der FC Bayern gewählt hat, entspricht den 50+1 Kriterien und ist aus meiner Sicht vorbildlich. Die Stimmenmehrheit bleibt beim Verein, der den Mitgliedern gehört. Der eV wiederum hat die Kontrolle per Aufsichtsratsvorsitz über die ausgegliederte Lizenzspielerabteilung. Hoeneß spricht hier aber indirekt zwei weitere Dinge an:

Erstens schätzt er das Modell beim FC Bayern; zweitens schätzt er die Mitbestimmung der Mitglieder. Beides Dinge, die bei einem Fallen von 50+1 bei anderen Vereinen in höchster Gefahr wären. Wie kann er einerseits den bayerischen Sonderweg und die Mitgliedermacht gutheißen – und andererseits von der dringenden Notwendigkeit sprechen, 50+1 abzuschaffen?

„Ich bin ein Demokrat. Ich bin für Freizügigkeit. Jeder Verein muss das für sich entscheiden. Und dass da jetzt in Frankfurt bei der DFL entschieden werden soll, wie sich Hannover 96 oder Fortuna Düsseldorf refinanziert, das halte ich für falsch.“

Diese Aussage ist in sich schief: Die DFL ist die Versammlung der Proficlubs. Die 36 Vereinsvertreter entscheiden demokratisch über 50+1. Die Regelung ist aufgrund solch einer demokratischen Entscheidung mal zum Teil der Satzung geworden. Wenn Hoeneß der Demokrat ist, als den er sich bezeichnet, kann er das nur gut finden. Der FC Bayern sollte also einen Antrag bei der DFL stellen, jedem Verein selbst zu überlassen, wie er sich refinanziert. Dieser Antrag müsste aber eine demokratisch legitimierte Mehrheit bekommen. Wie auch immer abgestimmt wird: Demokrat Hoeneß müsste die Entscheidung akzeptieren.

„Es gibt natürlich immer wieder auch schlechte Beispiele. Das, was da bei 1860 passiert ist mit diesem Ismaik, das ist eine Katastrophe. Da wird diese Regelung mit Füßen getreten. Und dieses Chaos, das da entstanden ist, diese Hereinnahme dieses Investors, gibt natürlich den Leuten, die dagegen sind, immer Wasser auf die Mühlen. Insofern gibt es da ein ganz schlechtes Beispiel, auf das die immer hinweisen können. Was für die Sache von der Argumentationskette her sehr schlecht ist.“

Tja, was will man machen, Uli? Der Fall Ismaik zeigt nun einmal deutlich die Risiken, wenn Investoren die Macht übernehmen. Man kann sich die Welt leider nicht immer im Pipi-Langstrumpf-Stil machen, wie man will. Neben 1860 München gibt es übrigens auch noch viele weitere „schlechte Beispiele“ aus anderen Ländern, bei denen investorengeführte Vereine in den Abgrund gerieten.

„Ich möchte auch nicht, dass man hier fremde Investoren hat, die alles zu sagen haben. Man muss über Konstruktionen der Stimmrechte versuchen, dass der Verein weiterhin das Sagen hat.“

Ich bin überrascht: Was Hoeneß hier vorschlägt, ist die Beibehaltung der 50+1 Regel. Die sieht nämlich nichts anderes vor, als dass der Verein über das Stimmrecht die Mehrheit hat. Erst die Abschaffung der Regelung würde „fremde Investoren“ anlocken, die dann „alles zu sagen haben“. Spätestens an dieser Stelle im Gespräch war ich verwirrt. Kennt Hoeneß die 50+1 Regel gar nicht genau? Wie stellt er sich denn die Realität bei den Clubs vor, wenn die Regel fallen würde? Gemeinsam mit Rummenigge verweist er auf England, Italien, Spanien. Dort werden lupenreine Investorenmodelle umgesetzt, in denen die ursprünglichen Vereinsvertreter und Mitglieder nichts entscheidendes mehr zu sagen haben.

„Es gibt ja prima Beispiele in Deutschland: Wolfsburg, Leverkusen, Hoffenheim. Deswegen kann man doch nicht sagen, dass die schlecht wirtschaften oder das nicht gut für den Fußball ist.“

Diese Beispiele, egal wie ich persönlich dazu stehe, sind die legalen Ausnahmeregeln von 50+1. Sie waren trotz 50+1 möglich und sind eben deshalb kein Beleg dafür, dass man 50+1 abschaffen sollte. Aber offenbar schwebt Hoeneß vor, dass ohne 50+1 deutsche Privat-Investoren oder Unternehmen in Bundesligavereine einsteigen und dort „gut wirtschaften“ würden. Selbst wenn das „gut für den Fußball“ sei, was ich bezweifel’, wären doch trotzdem Tür und Tor geöffnet auch für ausländische Investoren. Mit Geldern teils zweifelhafter Herkunft. Beispiele dafür gibt’s aus Italien und England doch genug.

Die „prima Beispiele in Deutschland“ haben es zudem nicht geschafft, dem FC Bayern Konkurrenz zu machen. Dabei hätten sie es ja aufgrund ihrer Wirtschaftskraft eigentlich leicht gehabt, die anderen Clubs zu überholen. Und zum FCB aufzuschließen. Wolfsburg, Leverkusen und Hoffenheim sind der lebende Beweis dafür, dass kapitalstarke Clubs nach Hoeneß’-Geschmack nicht zwingend für mehr spannenden Wettbewerb in der Liga sorgen.

„Das tut der Fußballwelt ganz gut, dass da ein Verein ist, der nicht auf die Börse schauen muss, der nicht einen Oligarchen hat, nicht einen Ölmagnaten, der bestimmt, was zu tun ist.“

Ja was denn nun? Ein börsennotierter Verein wie der BVB ist also schlecht. 50+1 soll aber auch abgeschafft werden, um Investoren zuzulassen. Die sind aber böse, wenn sie Oligarchen und Ölmagnaten sind. Und bestimmen sollen sie auch nicht. Uli, noch einmal: Was für Dich beim FC Bayern vorbildlich umgesetzt ist, sollte doch auch für die anderen Bundesligavereine gelten, oder? Ach nein, die sollen ja alle selbst entscheiden dürfen. Aber wenn Dir das Wohl der Liga so am Herzen liegt, sollten dann nicht alle dem Vorbild des FC Bayern folgen? Dann solltest Du für die Beibehaltung der 50+1 Regel sein.

„Das halte ich einfach für das Wichtigste, dass man nicht auf Kosten anderer, Steuerzahler, oder auf Kosten irgendwelcher Besitzer das Fußballgeschäft betreibt.“

Den Elfmeter mit „auf Kosten der Steuerzahler“ will ich jetzt mal nicht verwandeln. Ich finde es vielmehr auch hier interessant, dass Hoeneß nicht will, dass „irgendwelche Besitzer“ das Fußballgeschäft in einem Verein bestimmen. Erneut spricht er sich damit für 50+1 aus. Denn die Abschaffung der Regel würde eben genau das ermöglichen, wogegen Hoeneß offenbar ist.

„Früher hast Du gegen Fußballvereine gespielt. Und nicht gegen Staaten. Heute spielst Du gegen den FC Katar, den FC Abu Dhabi, den FC Shanghai, den FC Bejing. Das ist nun mal so. Da kommen riesige Gelder in den Markt. Das kann man gut finden. Doch unsere Fans in der Südkurve und im Stadion sehen das ein bisschen anders. Und ich glaube wir tun alle gut daran, das zu machen was unsere Mitglieder wollen, und nicht was irgendwelche Investoren wollen.“

Genau das tut das von Hoeneß kritisierte Borussia Dortmund. Tut die Mehrheit der Proficlubs. Sie halten sich an das, was die Mitglieder wollen, und haben deshalb pro 50+1 gestimmt.

Davon abgesehen sollte jemand, der Qatar Airways auf dem Trikot spazieren trägt, nicht über den „FC Katar“ herziehen. Auch hier unglaublich, dass Wontorra mit keinem Wort darauf eingeht.

„Ich möchte die Champions League gewinnen. Aber ich möchte das nicht mit Schulden erkaufen! Und nicht von irgendeinem Mann abhängig sein, der heute in Fußball investiert und morgen in Pferde. Das kann es nicht sein!“

Uli, Du bist der beste Mann. Einen stärkeren, prominenteren Fürsprecher von 50+1 kann man sich gar nicht wünschen. Ersetze „Champions League“ durch „Deutsche Meisterschaft“ und Du hast die Argumentation pro 50+1 der anderen Bundesligisten.

A propos Schulden: Schon vergessen? Als Manchester United von Malcolm Glazer gekauft wurde, geschah das auf Pump: Den Schuldendienst von etwa 100 Millionen Euro pro Jahr musste der Verein selbst leisten. Dafür wurden unter anderem das Stadion verpfändet und die Eintrittspreise drastisch erhöht. Manchester United war zeitweilig mit 800 Millionen Euro verschuldet!

Gut, dass Du solche Entwicklungen in der Bundesliga ablehnst. Du hast bei Wontorra vehement für die Beibehaltung der 50+1 Regel argumentiert. Und gegen Investoren, die bei den Vereinen die Stimmenmehrheit übernehmen.

Bei SkyOneT konnte man zwei ältere Herren dabei beobachten, wie sie über eine ihnen zunehmend fremde Fußball- und Medienwelt reden. Neben 50+1 ging es unter anderem auch um die Özil-Thematik. Hier erneuerte Hoeneß seine Kritik des von Özils Beratern „vorgeschobenen Rassismus“, der nur von Özils „schlechten sportlichen Leistungen“ ablenken solle. Ungeachtet der Tatsache, dass Mesut Özil – statistisch belegt – seit Jahren überragende sportliche Leistungen in London bringt, spielt Hoeneß der AfD & Konsorten in die Karten, indem er Özils Rassismus-Vorwürfe als vorgeschobenen Unsinn abtut.

Während man als Fan am privaten Stammtisch auch mal Fakten verdrehen und Halbwahrheiten zu Tatsachen erklären darf, geht das meines Erachtens in einer öffentlichen Sendung nicht. Erst recht nicht, wenn man Präsident und Aufsichtsratsvorsitzender des FC Bayern ist.

Ich wünsche mir den alten Uli Hoeneß zurück, der ein Gespür für Stimmungen und Trends hatte, der faktensicher war, der wusste, auf wen man draufhauen konnte und wen man schützen musste.